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Der Bote vom Geising 64. Jahrg Dienstag, den 19. März 1929 Nr. 33 Erscheint wöchentlich dreimal: Dienstag, Donnerstag und Sonnabend mittags. Wöchentliche Beilage: «Reue Illustrierte*. Monatsbeilage: .Rund um den Geisingderg*. Bezirksanzeiger für Altenberg, Geising, Lauenstein, Bärenstein und Umgegend. In diesem Blatte erscheinen die amtlichen Bekanntmachungen der Amtsgerichte Altenberg und Lauenstein, sowie der Stadtbehörden Attenberg, Geising, Lauenstem m,d VSrensteM. Druck und Verlag: A. A-Kuntzsch, Altenberg. — Für die Schristleitung verantwortlich: K»«ra Kuntzsch, Altenberg. — Fernspr.: Lauenstein 427. — Postscheck Dresden 11811. — Gemeindegirolonto Attenberg 11 —-- __ M i " . Bezugspreis für den Monat VNjjiR Illrla I - n a «««. °d°id«^. K<>!»--P?„ Reklame, u. Tingesandtzelle öd. der. Raum 40 Pf Die Kritik am Haushaltplan Fortgang der Generaldebatte im Reichstag — Der Arbeitsplan bis z» den Osterferien. Der Reichstag führte am Freitag die Generalaursprache über den Reichshaushaltplan fort. Bor Beginn der Ple- noiberatung hielt der Ältestenrat eine Sitzung ab, in der über den weiteren Arbeitsplan Beschluß gefaßt wurde. Die Osterferien werden nunmehr bis zum 16. April dauern. Für den Beginn der Ferien ist noch kein bestimmter Ter- min festgesetzt worden; der Reichstag will aber auf alle Fälle Ende dieser Woche in die Ferien gehen. Vor der Lsterpause sollen u. a. noch die Vorlage über die Schi- chauwerft, das Baukreditgesetz für 1929, der Rotetat und einige kleinere Vorlagen beraten werden. * O » Abg. Heckert (Komm.) bezeichnet die Deckungrvor- sagen als den Versuch, der Arbeiterschaft die Verantwor tung für diesen Etat aufzubürden. Abg. Dr. Cremer (D. Vp.) führte aus, die Diagnose des Ministers habe allgemeine Zustimmung gefunden, ver schieden seren nur die Meinungen über das Heilmittel für die kranke Wirtschaft. Unsere Wirtschaft befinde sich nicht nur in einer starken Depression, sondern zeige auch bereits knienhafte Erscheinungen. Schon 1927 sei die Gesamtbe- laiung der Wirtschaft mit öffentlichen Lasten zwischen 14 bis 15 Milliarden geschätzt worden, also mehr als ein Viertel des Nationaleinkommens. Von einem oolkspartei. Iichen Ultimatum könne nicht gesprochen werden, es Han- d-le sich um ein Ultimatum der deutschen Not und der ^-samten deutschen Wirtschaft an die Gesamtheit aller ver- ^twortlichen Stellen. Elsparnisfe von 200 Millionen seien Schaus möglich in dcn Einzeletats. Die zweite Spar- > W^lchkeit liege bei den Überweisungen an Länder und S-^einden. Abg. Reinhold (Dem.) warnt, eine Panikstimmung kcroorzurufen. Die Hauptschwierigkelten kämen daher, daß uns Kapital fehle. Wir hätten eine Reihe Notjahre vor uns und mühten uns darauf einrichten. Der frühere Fi- nanzminister o. Schlieben habe durch seine Steuerpolitik die Substanz der Wirtschaft angegriffen und eine zusätz- ü^e Dawesabgabe von 300 Millionen Mark verursacht. Cparsamkeitsmaßnahmen könne man am besten auf dem Boden einer Mehrheitsregierung durchführen. Nach den Vorschlägen seiner Partei könne man etwa 150 Millionen Mark im Etat einsparen. Die Kürzung der Länderüber weisungen dürfe ein gewisses Mah nicht übersteigen. Der Redner fordert schließlich noch die baldige Vorlegung eines Ministerpensionsgesetzes und die Abstellung der Mißstände in der Arbeitslosenversicherung. Abg. Drewitz (Wirtschp.) erklärte, es sei jetzt zu spät für die Sparmaßnahmen der Deutschen Volkspartei. Für einen Defizitetat sei die Wirtschaftspakte! nicht zu hoben. Die Deckungsvorlagen der Regierung lehnt der Redner ob. Zur Schaffung steuerlicher Gerechtigkeit sei die Be steuerung der öffentlichen Betriebe notwendig, ehe man an andere Steuern denke. Abg. Dr. Pfleger (Bayer. Vp.) betont, vollkommen unannehmb ,r sei eine Erhöhung der Biersteuer. Sie würde fast ausschließlich von Bayern getragen werden müssen. Der bayerische Arbeiter werde die Beseitigung der Bier- j.euer einer Senkung der Lohnsteuer vorziehen. Liner Be steuerung der öffentlichen Betriebe stimmt Redner zu. Die zweite Redegarnitur eröffnet Abg. Schlange- Cchöningen (DnU.), der schärsste Angriffe gegen die Re- oierung richtet. Er erklärte, die Regierung habe das S.O.S.- Zeichen aufgezogen, sie liege wie ein Panzerkreuzer mit i>l werer Schlagseite vor dem Hafen. Der Kapitän stehe hilflos auf der Brücke, die Seeleute meuterten und die Passagiere verließen fluchtartig das Schiff. Im weiteren Verlauf seiner Rede fragt Abg Schlange- Schöningen den Kanzler, ob er nicht auch der Meinung sei, daß Landesverrat die größte Schande ist. Wenn die Femeprozesse fortgehen sollt n, solle man an die Gefäng- nismauern der Schulz und Hernes schreiben: „So dankt das Vaterland seinen einstigen Rettern!" Der übertriebene Parlamentarismus müsse sterben. Nach kurzer Geschästsordnungsdebatte nimmt sofort Reichskanzler Mütter "as Wort. Der Kanzler führt aus, Abg. Schlange-Schö ¬ ningen habe ein schlechtes Gedächtnis. Das parlamenta rische System sei im Oktober 1918 von den Hohenzollern eingesührt wordeu, weil das alte System versagt habe. Ostpreußens Not habe das Kabinett wiederholt beschäftigt, ! jetzt habe auch der Ostpreußlsche Provinziallandlag seinen ! Dank ausgesprochen. Die Deutschen in Ostpreußen, an der , Saar und im Rheinland ließen sich in ihrer Treue zum ! Reich nicht erschüttern, auch nicht durch Machenschaften ! von außen. Bei den deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlun gen stehe zu viel auf dem Spiele, als daß man diese Ver handlungen zu einem Gegenstand der Agitation machen dürfe. Die Frage, wie er zum Landesverrat stehe, sei überflüssig. Forderungen, wie sie die im Reichstag ver teilte Wehrbroschüre Levi enthalte, habe er nie in seinem Leben vertreten: von solchen Dingen rücke er entschieden ab. Nachdem der Kanzler noch Tendenzen zu Etatsab strichen begrüßt hatte, erklärt Reichsminister Dietrich, er habe stets das Wohl der Landwirtschaft im Auge. Nach längerer Debatte, in der noch verschiedene Red ner zu Worte kamen, vertagte sich das Haus auf Montag. Der Etat im Urteil der Presse. Die Etatsrede des Reichsfinanzministers Hilferding wird in der reichshauptstädtischen Presse lebhaft besprochen; die Blätter verhalten sich, je nach ihrer Parteistellung, zu stimmend oder scharf ablehnend. Der dem Finanzminister nahestehende sozialdemokra tische „Vorwärts" meint, daß es für einen sozialdemokra tischen Finanzminister sicherlich eine schwere Aufgabe ge wesen sei, einen Etat zu begründen, der durch die Politik früherer Regierungen bedenklich vorbelastet und durch das Ansteigen der Reparationen zugleich mit einer ungeheuren Arbeitslosigkeit neubelastet sei. Hilferding habe das beste getan, was er in dieser Situation tun konnte, indem er die Dinge ganz rücksichtslos so geschildert habe, wie sie sich darstellten. Die demokratische „Vossische Zeitung" bezeichnet die furchtbare Arbeitslosigkeit dieses Winters, die dem Reiche unerwartet hohe Lasten auferlegt habe, als eine peinliche Zugabe zu allen anderen Schwierigkeiten dieses Etats. In ähnlicher Weise läßt sich das gleichfalls demokra- tische „Berliner Tageblatt" vernehmen. Die Kassenschwie rigkeiten des Reiches, so heißt es dort, seien zweifellos durch die Flüisigmachung von Krediten für die Arbeits losenversicherung verschärft worden. Die „Germania", das Organ der Zentrumspariei, weist darauf hin, daß dem mehr oder weniger bei allen Parteien vorhandenen Willen zur Sparsamkeit die uner bittliche Tatsache gegenüberstehe, daß dieser Wille nicht ausreichen werde, das Defizit auszugleichen, und daß eine steuerliche Mehrbelastung in einem gewißen durch den Zwang der Tatsachen bestimmten Umfange nicht zu ver meiden sein werde. Die der Deutschen Volkspartei nahestehende Deutsche Allgemeine Zeitung nennt die Etatsrede des Reichsfinanz ministers eine Lntschuldigungsrede und schreibt am Schlüße ihrer Ausführungen: „Für 1929 behauptet Hilferding, die neuen Steuern wegen des 600-Millionen-Defizits nicht entbehren zu können. Seine Ausgaben seien, so sagt er, bis auf einen geringen Rest zwangsläufig. Das stimmt, solange man sich nicht entschließt, einen Teil der Gesetz- gebung, der die hohen Aufwendungen mit sich bringt, zu ändern . . . Helfen kann nur eine grundsätzliche Reform der öffentlichen Ausgabenwirtschaft, die das bringen muß, wofür Herr Hilferding so schöne Argumente zusammen- getragen hat, nämlich die Sicherung der Kapstalerhaltung und der Kapitalneubildung in der deutschen Volkswirt schaft". Der deustchnanonale Berliner Lokolanzeiger endlich erklärt, daß der Deutschnationale Dr. Oberfohren am Schlüße seiner Rede jene Wahrheit ausgesprochen habe, tue man heute um Lebens und Sterbens willen nicht hören wolle: Auf die Dauer könne ein ausgeglichener Etat selbst bei angespanntester innerer Sparsamkeit nur durch die Befreiung von den Dawes Lasten herbeigeführt werden. Oberschlesien bleibt deutsch! Treuegelöbnts nach acht Zähren Knechtschaft. Zur Erinnerung an die achte Wiederkehr des ober schlesischen Abstimmungstages fand in Gleiwitz eine Kund gebung statt, bei der ganz Oberschlesien durch Einzelab- Ordnungen vertreten war. Bürgermeister Dr. Colditz, Gleiwitz, hielt die Gedenkrede, in der er darauf hinwies, daß Oberschlesien heute voll Trauer und Stolz der Tages gedenke, da Oberschlesien den Feindbundmächten sein Deutschtum bekannte und doch zerrißen wurde. Nicht mit Waffen könnte gekämpft werden, aber stärker als alle Waffen sei nationales Wollen. Oberschlesien rufe die Klage wegen schweren Unrechtes, die Klage wegen Bruche» feierlich gegebener Versprechen in alle Welt. Oberschle- fiens Volk verlange Wiederherstellung verbrieften Rechts. Dr. Colditz schloß seine Ansprache mit einem Treugelöbnis zu Deutschland, das in einem Hoch auf da» deutsche Vaterland und dem Deutschlandlied ausklang. Eine an das Auswärtige Amt und den Völkerbund gerichtete Entschließung wurde angenommen, die folgenden Wortlaut hat: Die Flüchtlinge aus Ostoberschlefien sowie die Be völkerung Weftoberschlesiens, die aus Anlaß der achten Wiederkehr des Abstimmungstages zu Tausenden aus der Provinz zusammengeströmt find und durch Abordnungen aus fast allen Orten vertreten werden, haben mit Schmerz daoon Kenntnis genommen, daß der Völkerbund weder den Willen noch die Macht hat, die hartbedrängte Minder heit in Ostobcrschlesien zu schützen, und daß er entgegen dem Artikel 147 des Genfer Abkommens nichts unter nommen hat. den Führer der deutschen Minderheiten, den Geschäftsführer des Deutschen Volksbundes Ulitz. aus un schuldiger Haft zu befreien Da niemals in Oberschlefien Ruhe einkehren wird, solange die unnatürliche Grenze be steht, fordern wir Wiedergutmachung des Genfer Fehl spruches, Rückgabe unserer Heimat und Wiedervereinigung Ostoberschlesiens mit seinem deutschen Vaterlande. Von der Reichsregierung erwarten wir, daß sie jede gangbare Möglichkeit in Anspruch nimmt, um die Befreiung der unter polnischer Herrschaft leidenden Brüder und Schwe stern zu erreichen. Die Tributkonferenz berät über die Sachlieferungsfrage. Die Freitag-Vollsitzung der Reparationskonferenz dauerte von 3 bis 6 Uhr. Lord Revelstoke legte einen interimistischen Bericht des Unterausschußes vor, der sich mit der Kapitalbeschaffung, dem Verhältnis der geplanten Zentralbank zu den Notenbanken und der Kreditorgant- sation beschäftigt. Im wesentlichen besteht über die wichtigsten Fragen Einverständnis. Was das Sachlieferungsverfahren betrifft, so soll auch zu gleich die Organisationsfrage im voraus geregelt werden. Ls handelt sich dabei u. a, darum, von den SachlieferuR- gen solche auszuschließen, die geeignet wären, von dem bezeichnenden Lande weitererportiert zu werden. Auch bei der Besprechung der Transferfrage soll im wesentlichen Einigkeit geherrscht Huben, über den Zahlungsmechanis mus soll man sich beinahe einig sein. Hochwafferunglück in Amerika. 2m Mississippi-Gebiet 20000 Mensche« abgeschlossen. 100 Millionen Dollar Sachschaden. In Georgia, Florida und Alabama wächst sich das Hochwasser zu einer immer größeren Katastrophe au». Mehrere hundert Quadratmeilen Landes find völlig über schwemmt. Mehr als 20000 Menschen schweben in Ge fahr. Die Rettung der Bewohner aus den Orten im Überschwemmungsgebiet ist vielfach nur durch Boote möglich. Auch dabei haben sich noch zahlreiche Unglücks fälle durch das Kentern der überlastetln oder unvorsichtig geführten Boote ereignet. Dazu kommen noch vielfache Entgleisungen von Zügen auf den unterwaschenen Bahn dämmen. Der ungerichtete Sachschaden wird auf 100 Millionen Dollar angegeben. 2n Georgia sind Freitag nacht 3000 Personen ge zwungen gewesen, nach dem Berggebiet zu fliehen, da das Wasser in den Straßen eine Höhe von 1,80 Meter erreichte. In Elba erreichten die Fluten einen Höchst stand von 6 Metern. Zahlreiche Häuser vermochten dem riesigen Waßerdruck nicht standzuhalten und brachen zu sammen. 150 Menschen kamen allein in vielem Ort ums Leben.