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Zur rechten stunde. Originalroman von M. Streble. (Fortschiing.) 'aula war viel zu unruhig, sie konnte nicht lange neben ihrer Tochter aushalten. Sie ging in der Wohnnng umher, fand hie und da etwas zu ordnen und täuschte so ihre Un geduld über das langsame Verfließen der Zeit fort. Dann kam ein Möbelhändler, mit dem sie über den Verkauf der kostbaren Salon- nnd Speisezimmereinrichtung zu unterhandeln hatte, die für die künftige kleine und bescheidene Wohnnng überflüssig geworden war utid zur Deckung verschiedener, durch Sergios Krankheit wieder höchangelaufener Rechnungen verwendet werden konnte. Der Ge schäftsmann marktete und feilschte in einer Art, daß Paula ganz Nervös und betäubt davon wurde und endlich in alle seine Vorschläge eingillg, um ihn nur erst wieder loszuwerden. Sie hatte wäh rend der lästigen und überlau ten Verhandlung wiederholt die Wohnnngsthür auf-und zugehen gehört, sich aber nicht überzeu gen können, ob Sergio zurück gekehrt war. Nach der Entfer nung des Händlers eilte sie nun ohne Verzug in das Zimmer ihres Sohnes. Die Thüre war nur angelehnt, drinnen herrschte tiefe Stille, die etwas seltsam Beklemmendes für Paula hatte. — Erst nach längerem Zögern konnte sie sich entschließen, ein zutreten und dem, was nun er folgen würde, die Stirn zu bie ten. Im erstenAugenblick schien ihr das Zimmer leer'; sie atmete tief auf, sie wußte selbst nicht, ob das ein Seufzer der Erleich terung oder der Angst um Ser gio war, doch, als sie nun kühner herumblickte in dem traulichen Raume, da entrang sich ein gel lender Schrei ihrer Brust und abwehrend streckte sie die Hände aus, wie um eine entschliche Er scheinung von sich zu verscheu chen. Dort am Fußende des Bet tes lag, lang hingestreckt, eine Gestalt. Paula kannte es wohl, das schöne, gelockte Haar ihres Sohnes, wenn sie auch desJüng- lings Züge nicht zu unterschei den vermochte des tiefen Schat tens wegen, den die Bettvor hänge auf ihn warfen. Erst der Gedanke, daß hier Hilfe dringend nötig war, wenn überhaupt noch geholfen werden konnte, gab der unglücklichen Mutter einen Teil ihrer Geistes gegenwart und Selbstbeherrsch- nng wieder. Siekniete hin neben den Bewußtlosen und hob sein Herzogin Elsa von Württemberg nnd ihr Bräutigam, Prinz Nlbrecht zu Schnnmbnrg-Lippe. (Mit Text.) Haupt in ihren Schoß. Da — was war das? Blut au ihren Fingern; es sickerte langsam durch die Kleider aus Sergios Brust hervor. Paula rang in stummem, hilflosem Jammer die Hände. Hatte ihr armes Kind gewaltsam in sein Leben eingegriffen? Oder waren nur die kaum verharschten Wunden wieder aufgebrochen und drohten mit neuer Todesgefahr? Aber was auch hier geschehen war, sie fühlte, daß sie allein die Schuld daran trug, daß sie ihr eigen Fleisch und Blut zu Grunde gerichtet, der Verzweiflung entgegengetrieben hatte. „Sergio, mein Sohn, mein Liebling!" wimmerte sie leise. „Schlage die Augen auf. Sieh mich nur einmal, einmal an. Ja, ich bin eine Elende, ja, ich habe mich schwer gegen Dich vergangen. Doch ich büße auch schwer. Verzeihe, mein Sohn, verzeihe Deiner unglücklichen, schuldigen Mutter!" Er rührte sich nicht, er gab kein Lebenszeichen. Weiß und kalt wie Marmor ruhte er in ihrem Schoße. Da faßte sie wahnwitzige Angst, daß er vielleicht schon tot sei, oder daß er sich in der selben Minute hilflos verblu tete. Langsam ließ sie sein Haupt wieder auf den Boden Hinglei ten und stürzte, gellende Hilfe rufe ausstoßend, zu der Thüre. Das Dienstmädchen kam und Olga. Letztere allein that, was unter den obwaltenden Umstän den nötig war. Statt sich in fruchtloses Klagen zu verlieren, eilte sie selber fort, um einen Arzt herbeizuholen. Sie hatte das Glück, einen in der Nähe wohnenden berühmten Chirur gen zu Hause zu treffen. Durch ihr heißes Bitten vermochte sie ihn, ihr sogleich zu ihrem un glücklichen Bruder zu folgen. Paula hatte den noch im mer bewußtlosen Jüngling in zwischen mit Hilfe des Dienst mädchens auf sein Bett gelegt, wo er zwischen den Weißen Kis sen fahl und Wachsfarben aus sah wie ein Toter. — Der Chi rurg konstatierte, daß die alten Wunden wieder aufgebrochen waren, zweifellos durch eine übermäßige Anstrengung oder Aufregung. Er gab wenig Hoff nung, die eingetretene heftige Blutung stillen zu können, noch ehe tödliche Erschöpfung des ohnehin bedenklich Geschwäch ten eintreten würde. Er legte die notwendigen Verbände an und wollte sich vorderhand auf keinerlei entscheidenden Aus spruch einlassen. Paula that alle notwendi gen Handleistungen mechanisch, wie in einem schweren Tranm . befangen, ans dem sie erst zu schreckensvoller Wirklichkeit er wachte, als Sergio in eine so