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Ur. 10. Sonntagsbeilage znr Sächsischen Dorszeitung. 9. Wär; 1901. Trotzige Kerzen. Novelle von I»a«»e Franc«. Deutsch von A. Friedhelm. <Sch,uß> tüchtig schelten." Paul fühlte etwas wie Hab gegen „Du wirst Dir noch wehthun, mein Herzblatt. Die Thür ist verschlossen; wir wollen die böse Tante Marie, die den Schlüssel mitgenommen hat, tüchtig dafür schelten. Komm' flink i» den Schatten, Mäuschen!" „Böse Tante Marie," wiederholte das zarte Kinderstimmchen, sein Weib in ihm ans steigen. Diese war um den Pavillon herum- gegangen und fand sich jetzt dem verhängten Fenster gegenüber; da sic sich alle Augenblicke zu dem Kind herunter- bcugte, so konnte Paul sie endlich deutlich sehen. Wie verändert sie war! Wie die Augen glänzten, von welcher Lebenslust und Lebensfreude ihr Gesicht Zeugnib gab! Sie warm dieser Wand lung entzückend; der kalte Marmor hatte sich be lebt, Galathee war zum Weibe erwacht. Die junge Frau hatte sich in ein schattiges Plätzchen gesetzt, zog das Kind auf den Schooß, und während sie mit ihm HUWäcilie begann plötzlich Pauls LieblingSlicd, eine Liebes- «MU serenadc von Gounod. Die Worte, die Melodie waren für Paul stets er- greifend gewesen, selbst wenn er sie von fremden Sängern im Konzertsaal gehört, und bis ins Herz waren sie ihm gegangen, wenn Cäcilie sie gesungen und er geglaubt hatte, während des Vortrages wärmeres Empfinden zu bemerken. Und nun überkam ihn ohnmächtiger Zorn, als er dieselben Worte ver nahm, nur von vollerer, schmelzenderer Klang? färbe mit viel mehr Ge fühl hcrvorgejubelt, ein wahres Liebeslied, aber nicht für ihn gesungen! Ohne es zu wissen, flüsterte der unglückliche Mann die Schlußworte der ersten Strophe für sich: „Dein sanfter Ge sang bringt mir Er innerung an die schönsten Tage meines Lebens." „Schnell, schnell, mein Liebling," sagtediejunge Frau da mit zärtlich schmeichelnder Stimme, „wir wollen rasch gehen, Du kleiner Faulpelz! Es ist in der Sonne zu heiß; wir setzen uns dort drüben in den Schatten." Und darauf fing sic wiedcr an ihr Lied in die Luft zu schmettern und zwar mit einer solchen Verve, als wenn eine Ucber- füllc von Glück in ihr wohne, als wenn die Worte der Liebe, der Freude, die das Lied enthielt, so recht ihr aus tiefstem Herzen gesprochen wären. „Sie wird in der Liebe zu diesem Kiud Trost gefunden haben," dachte Paul Ncuvel, „jedenfalls Maries Kind." spielte, summte sic die erste Strophe der Serenade. „Papa, Papa," unterbrach sie das Kiud, „wo ist Papa?" „Wart' nur, Liebling," antwortete die Mutter, „er kommt bald. Er hat eine große, große Reise gemacht; er bringt seiner Mäusi viel, viel schöne Spielsachen mit, alle sind für Müusi. Aber Du mußt ihm auch gleich sagen: ,Papa, lieber, lieber Papa!' Wie sagst Du?" „Papa, lieber, lieber Papa!" wiederholte das kleine Mädchen Vas neue Museum in Altona. Cäcilie versuchte die Thür des Pavillons zu öffnen, und das kleine Wesen, um ihr zu helfen, klopfte mit geballten Fäustchen dagegen. folgsam. „Und dann mußt Du beide Aermchen um seinen Hals schlingen und mußt ihn ordentlich drücken, und dann mußt Du