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Wöchentlich erschein«» drei Nummer«. PrSnumcrationS-Preis 22^ Silber««, (s Thlr.) vierteljährlich, 3 Tblr. für das ganze Jahr, ahne Erhöhung, in allen Theile» der PrenMä>rn Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Eomp., Iägersirafe Nr. 28), l» wie von allen König!. Poff-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 32. Berlin, Dienstag den 2. Mai 1848. Italien. Deutsche Stimmen über Pius IX. Heinrich Stieglitz und der Maler Reinhart. Alles, was dazu beiträgt, den Mann, der seit anderthalb Jahren die Ge schicke Italiens und der katholischen Kirche leitet, unserer Würdigung zugäng licher zu machen, kann uns nur in hohem Grade willkommen sevn. Verhehlen wir uns nicht, daß der Anstoß, den PiuSlX. der Bewegung in Italien gegeben, mindestens eben so stark, als die französischen Februar-Ereignisse, aus die neueste politische Wiedergeburt Deutschlands cingewirkt hat. Indirekt hat er sogar die ganze europäische Bewegung dieses Jahres veranlaßt, denn den Gedanken, daß das so lange geknechtete Italien frei geworden, daß man in Rom und Florenz po litische Versammlungen und Auszüge veranstalten, während man in Paris weder bankcttircn noch in feierlichen Zügen aufmarschiren dürfe, konnte man in Frank reich nicht ertrage», und dies hat nicht wenig dazu mitgewirkt, die Pariser Ra tionalgarde unwillig auf Ludwig Philipp und Guizot zu machen, wodurch be kanntlich der Februar-Revolution die Thür geöffnet war. Pius IX. ist vielleicht vondcrVorsehungdazu bestimmt, ebenso den Sturm der Gegenwart zu beschwich tigen, wie er ihn hcraufbeschworen hat. Der religiöse und dabei von allem Fana tismus ferne Charakter, den das Volk in Frankreich ebenso wie in Italien mitten in seinen Aufregungen bewahrt hat, deutet aus einen Einfluß hin, den wir zwar nicht nachzuweisen vermögen, über dessen Vorhandensepn wir iedoch kei. nen Zweifel hegen. Sicher ist, daß Rom jetzt nicht blos der kirchliche, sondern auch der politische Mittelpunkt der Halbinsel ist, und daß es nicht die Waffen Oesterreichs, sondern der Siegesring des Fischers ist, von dem Italiens Ge schicke jetzt abhängen und von dem eS die Ratification seiner Einheit und sei ner neuen europäischen Bedeutung zu erwarten hat. DaS Buch, das uns zu den vorstehenden Betrachtungen zunächst veranlaßt hat, ist ganz kürzlich erschienen, obwohl eS einen bereits der Vergangenheit angehörenden Abschnitt unserer Zeit, die bekanntlich sehr rasch vorwärts schrei- tet, nämlich das erste Jahr der Regierung deS Papstes Pius IX., zum Gegen stände hat.") Heinrich Stieglitz, der norddeutsche Dichter, der, nach dem Tode seiner unvergeßlichen Charlotte, in südliche Länder zog und zuerst in München, dann aber mehrere Jahre in Venedig lebte, hatte von dort aus im Herbste 1846 einen Ausflug nach Rom unternommen, wo er nur wenige Wo chen verweilen wollte. Aber schon auf dem Wege dahin, in der Romagna und überall, wohin des neuen Papstes Regentengewalt reichte, fesselte ihn so Vie- les, daß er in der Hauptstadt erst um diejenige Zeit eintraf, in welcher er be reits wieder in Venedig zu seyn beabsichtigt hatte. Er verlebte nicht blos den Winter und den Karneval dort, sondern auch das in Rom so großartige Oster fest und den Frühling feierte der deutsche Dichter in dieser Stadt, wo damals auch gerade der in Deutschland, wie in Italien, nicht blos als Maler, sondern auch als Dichter vielgeschätzte Reinhart starb, dieser liebenswürdige Künst ler, der seit dem Ausbruche der ersten französischen Revolution in Rom ge weilt und der nun noch im hohen Alter einen Papst erleben sollte, welchen er, seines scharf ausgeprägten Protestantismus ungeachtet, als den Herold einer neuen, große» Zeit begrüßte. Reinhart, in seiner Blüthezcit mit Goethe und Schiller nahe befreundet, schloß sich kurz vor seinem Tode noch dem nach Rom gekommenen deutschen Dichter innig an und setzte ihn zum Erben seines reichen literarischen Nachlasses ein, der, zu einem Lebensbildc des seltenen Künstlers verarbeitet, nächstens als ein selbständiges Werk erscheinen wird. Was wir hier aus den Erinnerungen von Stieglitz folgen lassen, ist ein charakteristisches Gedicht des greisen (beinahe SOjährigen) Malers zu Ehren deö neunten Pius. Boran schicken wir jedoch aus dem Buche, welches reiche MtScellanccn in Prosa und in Versen enthält, einige Züge aus dem Leben deS Papstes, wie sie Stieg litz nach den Erzählungen des Volkes aufgefaßt hat: I. Pius gehört zu den Persönlichkeiten, von denen eine Menge Anekdoten im Schwange gehen, und deren jede neue Handlung leicht eine neue, rasch sich ver breitende erzeugt. ES ist dies immer ein Zeichen besonderer Eigenthümlichkcit und des Unterscheidens von der großen Masse der Allerweltsmenschen. Bei ihm aber tragen all' diese Einzelnheiten das Gepräge der Genialität eines '> Enmiemngcn «» Nom u»d dl» Kirchen««! im erste» Jahre seiner Derjüngmig. Bo» Heinrich SNechch. Leipzig, BroNhaus, iE. großen Herzens. Von jenem an das Wunderbare glänzenden Umschlag seiner Berufswahl, der ihn, statt zum Soldaten, mit einem Male zum Geistlichen macht — von den Erlebnissen auf seiner Misfionsreise in Amerika, dessen Bo- den er bis jetzt der einzige von allen Päpsten betreten hat — von seinem eben so kühnen als liebevollen Entgegenwirken der Demagogenspürerei in der vcr- hängnißvollen Periode seines Episkopats in Spoleto zu Anfang der dreißiger Jahre bis zu dem Moment, wo er mit einer merkwürdigen Einhelligkeit der Wahlstimmen verschiedenster Parteien zum Kirchcnsürsten gewählt wurde — „der Mann von Gott gesendet, mit Namen Johannes", wie ein Prediger von ihm auf der Kanzel verkündet von all' seinen Schritten leben die an ziehendsten Erzählungen und Deutungen im Munde des Volkes. Und später dann die unzähligen Züge einer unermeßlichen Wohlthätigkeit, verbunden mit der klugen Umsicht, daß die Hülfe allzeit auch am rechten Orte eintrete, einer Wohlthätigkeit, welcher er sein Privatvermögen ganz und gar opfert, wäh rend er mit größtmöglicher Vereinfachung seiner persönlichen Bedürfnisse die Staatskassen nur für das Wohl des Ganzen zu verwenden sucht und jedem Ansinnen des Nepotismus ein für allemal den Weg versperrt. Dahin das Anfsuchen ärmerer Familien, um sich von deren Zustande mit eigenen Augen zu unterrichten und dann erst nach Maßgabe Hülfe zu reichen — dahin die Scenen mit den Schulkindern, die er, ein unerwarteter Besucher, selbst prüft, ermuntert, belohnt — dahin sein überraschendes Erscheinen auf der Kanzel, wo er ohne alles Gepränge die Stelle des Predigers übernimmt, seit undenklichen Zeiten der erste Papst wieder, der auch hierin seine Function als Bischof er füllt — dahin das. sorgfältige Untersuchen der Hospitäler, die er, von unnützen Pfründenvcrzehrern säubernd, mit Krankenpflegern aus dem tbätigen und an spruchslosen Orden der Kapuziner versieht — dahin die treffenden Anreden und Erwiederungen bei den von ihin aufs freisinnigste eröffneten Audienzen an Menschen aller Stände — dahin die nicht selten humoristische Art, unnütze Subjekte zu entfernen und geeignetere auf deren Posten zu befördern! zugleich aber auch das durchgreifend Energische, wo es gilt, gegen sträfliche Vergehun gen, Mißbräuche, ans Uebelwollen hervorgehende Hemmnisse ahndend einzu treten. — ES ist eine schöne Aufgabe für einen künftigen Biographen, der freilich aus der Quelle schöpfen und sorglich prüfen müßte, all' diese sich täglich mehrenden Züge zu sammeln und zu einem ins Einzelnste gehenden Charakterbilde zusammenzustellen. Welch' lebenvolle Scene bietet nicht in jenen ersten Monaten, da man anfing vor heimlich entgegenwirkendcn Kräften zu bangen, der Besuch Micara s, des stattlichen, mit einseitiger Schärfe des Ver standes und bei strengster Kirchlichkeit bis auf einen gewissen Grad mit edlem Freisinn ausgerüsteten Kardinals aus dem Orden der Kapuziner, der nach dem Tode Gregor'S unter allen Kandidaten der Tiara von der Masse des Volks vielleicht am dringendsten gewünscht war, und der nunmehr seinem begünstig ten Nebenbuhler durch ein Geschenk seltsamer Art ein Zeichen liebender Ver ehrung und zugleich ängstlicher Fürsorge geben will. Pius erklärt, daß er von seinem Klerus niemals Geschenke annehmcn werde; aber Micara versichert treuherzig, er werde, wenn er sie gesehen, die von ihm gebrachte Gabe nicht zurückweisen; und indem er die Thür des VorsaaleS öffnet, zeigt er dem Papste drei rüstige Kapuziner mit dem Bemerken, das sepen die zuverlässigsten und entschlossensten des Ordens, und darum habe er ihm den einen als Mund- koch, den anderen als Kammerdiener, den dritten als Thürhüter zugcdacht. Und Pius, heißt eS, habe lächelnd in die Annahme gewilligt. — Daneben die gütige Aufnahme einer armen grau, die er mit ernstem Vorwurf gegen einen zurückweisendcn Schweizer zu sich hcranwinkt und zur Ucberhändignng der cnt- gegengehaltenen Bittschrift an den betreffenden Beamten des Palastes auf- muntert. Als sie aber klagt, daß sie bereits mchrinals dieselbe eingereicht, ohne berücksichtigt zu werden, wirft Pius einen Blick hinein, der ihm alsbald die Gründe des Zurückhaltens enträthselt, reißt dann einen Streifen von dem Blatte und schärft der Bittstellerin ein, von neuem denselben Weg zu versu chen. Am Schluffe der nächsten Vorlegung von Bittschriften fragt er den mit diesem Amte Betrauten, ob das alle Gesuche sepen, welche diesmal einge- laufcn;' — und nach Bejahung der Frage zeigt er dem nicht wenig Erschrocke nen das abgerissene Stück und fordert unter Androhung von strenger Ahn dung des Unterschlcifs die schleunige Erledigung des schon allzu lange hingehal tenen Gesuchs. — Und wiederum der frühe Morgenbesuch einer Kirche, von welcher er erfahren hatte, daß ein jüngst verstorbener bizarrer Frömmler mit Hintansetzung seiner Familie ein nicht unbeträchtliches Vermögen demjenigen Geistlichen vermacht, der zufällig an diesem Tage daselbst die erste Messe lesen würde. Piuö verrichtet diesen Dienst in eigener Person und überweist nun mehr das laut dein Testament ihm zukommende Vermögen den natürlichen Erben.