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Wöchemlich erscheinen drei Nummern. VrSnumeration« - Prei« 22z Siidergr. (j Td>r.) vierleliSdrlich, 3 Thir. für das ganz-Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jede» Buchhandlung (in Berlin bei Deit u. Comp., ISgerstraße Nr. 2Ü), s» wie von allen König!. Post-ßlemtern, angenommen. Literatur desAuslandes. 17. Berlin, Dienstag den 8. Februar 1848. Schweiz. Die Erziehung blinder Taubstummen.") r. Jacob Eduard Meystre. Die Familie Mepstre stammt aus der Gemeinde ThierrcnS und wohnt seit langer Zeit in Lausanne. Jakob Eduard Meystre, das jüngste von fünf Kindern, wurde daselbst am 2b. November 1826 geboren. Einer seiner Brüder ist taubstumm zur Welt gekommen. Er selbst bekam im Alter von elf Monaten, als er schon die Worte „Papa" und „Mama" sagen konnte, die Pocken und verlor dabei, indem seine Augen, die schon hart bedroht waren, verschont blieben, das Gehör und folglich auch die Sprache. Die Mutter schickte den Knaben von seinem zweiten Jahre ab in eine benachbarte Kinderschule, damit ihm, wie die einfache Frau sagte, das Gehör wiederkäme. Er besuchte dieselbe, bis ein neues Unglück seine Lage aufs schrecklichste verschlimmerte. Es war am 10. Januar 18Z4. Eben schlug es zwölf Uhr, als der Knabe, ein Stück Brodt in der Hand, seine Mutter verließ, um in einem Nachbar. Hause seine Spielkameraden aufzusuchen. Der Besitzer des Hauses, sein Oheim, war Zimmermann. Da man ihm häufig Holz gestohlen hatte, und sein Haushund verschwunden war, so hatte er, um die Diebe zu verjagen, in einer von seinen Stuben ein mit Schrot geladenes Jagdgewehr. In dieser Stube befanden sich in dem Augenblicke, von dem wir reden, seine beiden jungen Söhne. Einer derselben nimmt das Gewehr, zielt nach der Thür und drückt in demselben Momente los, als der kleine Meystre die Thür öffnet. Die ganze Ladung trifft das Gesicht des armen Taubstummen, und von der Minute an find seine Augen verloren. Nach vierundzwanzig Stunden läßt man seine Mutter zu ihm; er erkennt sie sogleich und bittet sie, nicht mehr von ihm zu gehen, „weil es fortwährend Nacht sey." Die große Veränderung, die mit ihm vorgcgangen war, brachte eine plötzliche Verwirrung in seinen Ideen über die Folge von Tag und Nacht hervor. Er wachte jetzt während der Nacht und schlief am Tage, und erst nach ungefähr sieben Wochen kehrte er zu seiner früheren Gewohnheit in diesem Punkte zurück. Gegen seinen Vetter, der der Urheber seines Unglücks war, hatte er einen heftigen Groll gefaßt und verlangte durchaus, daß er mit dem Tode bestraft würde. Als man, um ihn zu beruhigen, ihm sagte, daß der Knabe bereits gestorben sey, verlangte er, auf sein Grad geführt zu werden. Man brachte ihn auf irgend eines, und er befriedigte seine Rache, indem er zornig darauf umhertrat. Ein Jahr später aber führte man ihm den Vetter zu; er erkannte ihn alsbald und zitterte vor Freude, ihn wiederzufinden. Gegenwärtig spricht er ungern von der Veranlassung seiner Blindheit; thut er es indeß, dann drückt sein Gesicht mehr Ergebung als Betrübniß aus. Eduard Meystre ist also im Alter von sieben Jahren erblindet. Vor dieser Zeit brachte er einen Theil des Tages in der Werkstätte seines Vaters zu, der Zimmermann ist. Nachdem er das Gesicht verloren hatte, war diese Werkstätte noch ferner sein Zufluchtsort, bis kurze Zeit darauf der Vater seine Beschäftigung aufgab. Jetzt verbrachte der Knabe seine Tage damit, hin und wieder eine plumpe Holzarbeit zu verfertigen, die er indessen, wie die Mutter versichert, ohne alle fremde Hülse, allein nach früheren Erinnerun- gen zu Stande brachte. Als er stärker geworden war, ging er dann und wann, um eine Mahlzeit zu verdienen, in die Nachbarschaft, Holz zu sägen. Bei dieser Beschäftigung traf ich ihn eines Tages. Er zeigte mir seine Hände, um mich sehen zu lassen, wie sie von der Arbeit angegriffen würden, und ich bedauerte von Herzen den armen jungen Mann, der den einzigen Sinn, von dem aus die Entwickelung seines Geistes noch versucht werden konnte, der Nothdurft des Lebens opferte. Am io. Juni I84S, als er achtzehn und ein halbes Jahr alt war, wurde Eduard Mepstre als Schüler in unsere Anstalt ausgenommen. Er befreundete sich rasch mit seiner neuen Umgebung und war nach wenigen Tagen im Stande, ohne Führer sich im ganzen Hause zurechtzufinden. Der Charakter deS Taubstummen ist bei dem jungen Manne vorherrschend; alle seine Be< wegungen sind edel und bestimmt, während die eines Blinden gewöhnlich schwerfällig und unsicher find. Von einem Lichtschimmer hat er keine Spur, und sein Hörvermögen ist auf dem rechten Ohre absolut verloren, auf dem linken hat er einen unbestimmten Eindruck von einem starken Geräusch und ') Nach einem in der v»ir«r»»n« mitgitheiuen Berichte des Herrn Hirzel, Direktor« der B!inden-AnNaU zu Lausanne. einem sehr scharfen Ton. Sein Gefühl ist sicher, hat aber, vermöge der harten Handarbeit, zu der er genöthigt gewesen war, nicht jene Feinheit, die man im Allgemeinen bei den Blinden findet. Der Geruch ist weder besonders ausgebildet, noch zurückgeblieben. So ist der Mensch beschaffen, über dessen Erziehung wir in dem Folgenden eine kurze Nachricht geben wollen. Jede Mutter, die ein Kind sprechen lehrt, zeigt ihm die Gegenstände, deren Namen sie ihm einprägen will. Diese Methode, die einzig vernünftige, ist auch in einem Falle, wie dem unsrigen, die allein anwendbare, nur wird, während dort Gesicht und Gehör den Unterricht vermitteln, hier das Gefühl die ganze Mühe übernehmen müssen. Ich bediente mich mit Meystre eines gewöhnlichen erhabenen Alphabets, bei dem die Beweglichkeit der Buchstaben die Vergleichung des Wortes mit dem bezeichneten Gegenstände erleichterte. Indem ich, wie natürlich, vom bereits Bekannten ausging, ließ ich ihn zuerst eine Feile anfaffen, dann setzte ich das Wort Feile zusammen und führte seine Hand abwechselnd vom Gegenstände auf den Namen und vom Namen auf den Gegenstand. Nachdem ich das Wort wieder aus einander genommen hatte, machte ich meinem Schüler begreiflich, daß, um es von neuem herzustellen, die Buchstaben in eine gewisse Ordnung müßten gebracht werden. Als meine Erklärung verstanden war, brach ich die Uebnngen ab und nahm sie am ande ren Morgen wieder vor. Er hatte aber die Reihefolge der Buchstaben ver gessen, wie dies oft bei den ersten Versuchen vorkam. Ich wurde dadurch genöthigt, nur langsam vorzuschreitcn. Um sein Interesse rege zu erhalten, nahm ich ein anderes, vollkommen ähnliches Alphabet, das aber kleiner war als das bisher benutzte, und zeigte ihm, daß man sich nicht an die Größe, sondern an die Gestalt der Buchstaben halten müsse. Darauf gab ich ihm kleine Säulchen zu befühlen, an deren Grundfläche sich ein hcrvorspringcndcr Buch, stabe befand, und mit deren Hülfe er das Wort Feile schreiben lernte. Das Relief auf dem Papier diente nun seinerseits wieder zur Vergleichung mit dem Gegenstände. Diese Abwechselung aber genügte nicht, um längere Zeit die Aufmerksamkeit des jungen Mannes zu fesseln; er wurde einer Mühe überdrüßig, deren Zweck er nicht cinsah. In der vierten Unterrichtsstunde legte ich ihm eine Säge und zugleich das Wort dafür vor. Er prüfte Beides mit hastiger Neugier, dann wurde sein Gesicht strahlend, und fast außer sich vor Freude zeigte er mir, daß die jetzigen Buchstaben eine Säge, die früheren eine Feile bedeuteten. Der Eindruck, den diese Entdeckung auf seinen Geist machte, erhielt ihn mehrere Tage lang in Aufregung. Von diesem Augenblicke an nahm Mepstre seine Lektionen mit Vergnügen und fing allmälig an, von selbst nach dem Namen gewisser Dinge zu fragen, die ihn interesfirten. Nach, dem er mehrere kannte, mußte er sich die Buchstaben allein in den Fächern suchen, und indem eS ihm nicht entgehen konnte, daß einige besonders häufig gebraucht wurden, merkte er sich ihren Platz und auf diese Weise allmälig die ganze alphabetische Ordnung. Ich lehrte ihn zu gleicher Zeit das Finger. Alphabet des Abb« de l'Epi-e, und er bediente sich desselben bald mit Leichtig. keit. Oft legte er Buchstaben neben einander, wie eS ihm gerade in den Sinn kam, und fragte spaßend, ob er vielleicht den Namen irgend eines Gegen, standes gefunden habe. So weit waren wir nach Verlauf von drei Wochen mit dem unglücklichen jungen Manne gekommen. Die Gedankenrichtung, auf die ihn jene einfachen Uebungen führten, be. herrschte von nun an sein ganzes geistiges Leben. Da Meystre nur eine bis zwei Stunden täglich durch diesen Unterricht beschäftigt wurde, so konnte er den größten Theil seiner Zeit auf Handarbeiten verwenden. Er erlernte deshalb das Drechslerhandwerk, zu dem er eine be sondere Neigung zeigte und machte darin in kurzer Zeit sehr erfreuliche Fort schritte. Bei der Anstelligkeit meines Zöglings fragte ich mich, ob cs nicht möglich wäre, ihm bis zu einem gewissen Grade den Gebrauch der Sprache zu geben, und, trotz aller praktischen Bedenken, machte ich mich gegen Ende des Monats Juni ans Werk. Folgendes sind einige Einzelheiten über meine ersten Ver suche: Ich legte eine von Meystre'S Händen auf meine Brust, blies gegen die andere, und ließ ihn alödann meinen Hals berühren, während ich den Vo- kal aussprach. Darauf beredete ich ihn, ebenfalls einen Luftstrom aus der Brust zu stoßen, um den Kehlkopf vibriren zu machen. So erhielt ich den ersten Vokal; aber der junge Mann meinte, die Versuche ermüdeten ihn, und Leute, die nicht hören und sehen könnten, lernten auch nicht sprechen. In dieser Verlegenheit nahm ich zu seinen sinnlichen Neigungen Zuflucht, und dies Mittel schlug an. Da ich seine Vorliebe für Cigarren kannte, versprach ich ihm welche, wenn er fernerhin fleißig seyn wollte, und in der That unterwarf er sich den Uebungen mit Bereitwilligkeit, die ihm um so peinlicher sepn mußten,