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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prönumerations- Prei« 22j Sgr. Thlr.) vierteljährlich, 3 THIr- für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prinumerirt auf diese« Beiblatt der Allg. Pr. Staats- Zeitung in Berlin in der Expedition (Möhren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im Auslände bei den Wohilöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 92. Berlin, Mittwoch den 2. August 1837. Frankreich. I. Janin's literarische Portraits. George Sand. Wer ist er? oder wer ist sie? so haben wohl schon Tausende ge- fragl: ein Mann oder ein Weib? ein Engel oder ein böser Dämon? ein wirklich «Mixendes Wesen oder ein paradoxes Hirngespinnst? Das Eine wissen wir, von einem Schriftsteller ist die Rede, den man zu Len größten unserer Tage zählt. Wie fand er sich zu un«? weß Geistes Kind ist er oder sie? Wer gab ihm diese Wundcrmacht der Rede, diese unerschöpflich vielgestaltige Kunst des Styl«? nnd wie kommt sie dazu, eine solche Fluch von bitterem Spott, von zlirnendem Hohn, von schneidender Verachtung über unsere Welt und Gesellschaft auszugicßen? Als Mann eine außerordentliche, als Weib eine räthselhaste Erscheinung, — und nun gar beides zugleich? Kein Wunder, wenn das Unheil an einem solchen Phänomen irre wird, wenn unserem Interesse daran eine unwillkürliche Scheu, unserer Bewunderung eine geheime Furcht sich beimengt. Ein Doppelwesen, in welchem die Empfindungen, die Ee- müthsregnngen, die Leidenschaften beider Geschlechter tausendfach durch einander gähren, sollen wir prüfend, forschend ins Auge fassen; von einer Gestalt, die dem Beobachter keinen Augenblick stillhält und ihn mit Gluth und sprühenden Funken blendet, sollen wir mit wenigen Zügen ein Bild entwersen. Es seh versucht. Die Juli-Revolution war eben vorüber, — vor dem Zorne, viel leicht nur vor der plötzlichen Laune eines empörten Volkes war ein Thron in Trümmer gegangen, — ein Königthum, welches sich unan greifbar, unvergänglich dünkte, lag wie vom Blitzstrahle getroffen im Stand, — noch hatte das Wetter nicht ausgegrolll, kaum waren erst die Barrikaden weggeräumt, al« auf dem getummelvollen Schauplatz des Kampfes ein junger Mann einlraf, der in diesen Lagen Paris jum ersten Male sah. Wo kam er her? Bon wo die großen Dichter und Schriftsteller kommen, verlaßt Euch darauf. Was ließ er daheim? Was Zeder beim Abschiede daheim läßt: seine Ruhe, seinen Frieden, sein Glück, — wohl dem, der ein wenig davon mitnebmen darf. Was brachte er mit? Jugend, Anmuth, Talente, reiche Hoffnungen, kecke Lebenszuversicht, die Fülle der Gaben, kraft deren dem Begabten die Welt gehört. Was suchte er in Paris? wäre er in jenen Tagen darum gefragt worden, er hätte es selbst nicht zn sagen gewußt. Und was fand er in der großen Hauptstadt? das Schauspiel eine« reichbewegten Lebens für seinen Geist, die Leidenschaft, wonach sein Herz, die frucht bare Aufregung, wonach sein stürmischer Sinn verlangte, Wort und lebendige Farbe sür de» Ausdruck seiner Empfindungen; mit einem Wort, in der Freiheit und Fülle dieser neuen Existenz fand er die Poesie. Fürwahr, das Kind, das dem Vater den Gehorsam aussagte, das Weib, das die Fesseln einer unwürdigen Ehe eigenmächtig abwärf, das unerkannte Genie, das sür seinen Drang im Umwälzen und Umstürzen Behagen sand, konnte zu seinem Einzuge in Paris keine glücklichere Zeit wählen, als das Jahr 1830. Den verwegensten Geistes,nuth, die ausschweifendste Phantasie, die kühnste Rede walten zu lassen, bot sich hier Gelegenheit und weiter Spielraum. Die Stadl, wo eben noch alle Künste und Genüsse des Friedens blühte», wo Literatur, Poesie und schöne Kunst an der Tagesordnung war, hatte sich plötzlich j» ej» Chao« verkehrt, war erfüllt von Aufruhr, von Schrecken, von Kämpfen de« Ehrgeizes und Eigennutzes; ein tumultuarisches Drängen und Rin gen, worin der Emporkömmling seinen Boxgänger rücksichtslos vom Platze stieß, in den Straßen ein tobende«, zügellose« Volk, dem nicht« wehr unantastbar schien, da« i» die Kirche» stürmte, um die Altäre ">e den Thron zu stürzen, um Gott au« dem Heiligthum, wie jüngst den König au« den Tnilerieen, zu verjagen. Der Zeitpunkt war der günstigste für Abenteurer aller Art, wovon st« auch getrieben sehn mochte», — ob von Rubmgicr oder Habsucht, ob von Haß nnd Leidenschaft, pH endlich pom Drange des Genies und der eingeborenen poetischen Kraft. Kaum «»gelangt auf diesem revolutionairen Schauplatz, fand unser männlich - weißliches Held sich auch mit freiem Blicke, mit rüstigem Muibe darin zurecht, — ja, es ward ihm wohl dabei, er fühlte sich in seinem Element. Die jüngste Revolntion wollte »un auch auf lite rarischem Gebiet durch »eue Schriftsteller und Dichter vertreten sev», und de» Ankömmlingen, die den Kampfplatz zu betreten wagten, wurde ein hohes Maaß von Kühnheit und Originalität im Vorau« zugemulhet. George Sand faßte diese Lage der Dinge mit männlicher Einsicht nnd Energie und zugleich mit aller Feinhcil weiblichen Instinkte« ans; sein Muth schwoll hoch, »nd wie der jung« Soldat in« Gefecht gehr, voll der stolzen und freudigen Zuversicht, daß in der Zukunft der Marschall stab seiner harrt, so stürzte er sich mitten in das Kampfgewühl. Könnt Ihr ihn Euch denken ? Ein junger Mann, klein von Wuchs, anmuthig von Gesicht, mit dunklem Haare, geistreich lebendigem Auge, das for schend und durchdringend in die Welt sah, die Stirn frei und schön gewölbt, mit dem Gepräge einer bedeutenden Intelligenz, voll Leben«- mulh, voll rastloser Wißbegier, allem Zwange abhold und in der neu gewonnenen Freiheit jubelnd wie ein Knabe, der eben dem Zwange der Schule entronnen; feurig, leidenschaftlich, übermülhig sogar, und doch voll Ernst und Tiefe de« Gefühle, eben so herzlich als geistreich, eine reiche Zukunft unbewußt in sich tragend: — so war George Sand in jenen Tagen. Wie sollte er nicht geblendet werden von dem Anblicke des damalige» Pari«, von dem Flammen-Ausbruch des revolutionairen Vulkans, von der Gluth politischer und socialer Aufregung, die gleich einem Lavastrom aus diesem Krater sich ergoß? Wie sollte sein Kops nicht schwindeln, sein Gehirn nicht erglühen in dem Geräusch und Ge wühl dieser Straßen, die ein sieglrunkeneS Volk durchweg!«? Mit welcher Neugier mag er Paris durchwandert und jeden Ort, jede« Denkmal der jüngsten Thate» betrachtet haben: die öden, verwaisten Tuilericen, die vom wüsten FaschingS-Trnpp entweihte, zerstörte Kirche Saint Germain l'Auxerroi«, und dann vor Allen, das neue Juli- Königthuin, wie c« schlicht nnd kleinlaut über die Straßen cinherzog, über die Steine, die noch locker lagen von den Barrikaden her und unter seinen Füßen wankten nnd schüttelten, als hätten sie verlernt, eines Königs Schlitt und Tritt zu spüren. Mil was für Wunder gebilden mochte die Phantasie des jungen Mannes, draußen in der ein förmigen, einsamen Provinz, das nie gesehene Pari« bevölkert habe»! Und sah er nicht jetzt in der Wirklichkeit seine glänzendsten und aben teuerlichsten Träume übertroffen? So begreift» wir die Ueberspanmmg, die sich seiner bemächtigte; für den trotzige» Sinn, der eben die Bande häuslicher Verhältnisse nnd Pflichten abgeschüttelt hatte, für da« aus seinem Frieden aufgcstörle Gemüth, für die »ach reicheren Genüsse» und Thäligkeilen dürstende Seele war diese Zerrüttung der gesell schaftlichen Zustände ein willkommenes Schauspiel, ein Freudenfest, i» dessen Taumel sich die exaltirtesten Hoffnungen und Bilder der Zu kunft malte». In solchem Rausche verlebte George Sand seine erste Zeit in Pari«. Im Geiste nahm er Besitz von dieser neuen Welt voll Sturme« und Drange« und merkte nicht, wie er selbst von ihr überwältigt, wie ganz und gar er dem allverbrcitcte» Enthusiasmus der Revolution unteriban worden war. Die höchste Lust fand er darin, auf den noch ganz fri schen Trümmern einherzuwandel», all' die gestürzte Herrlichkeit de« vori gen Tages mit Füßen zn treten und über den Ruinen die eigene Größe, als auf einem fertigen Piedestal, zu erhöhen. Da war mehr als eine Krone zu gewinnen, mehr als ein Scepter, da« herrenlos am Boden lag, zu erbeuten; und George Sand begann sich zu fühlen, — zu füh len, daß mit einigem Glück und Geschick eine Macht und Herrschaft bei der neuen Gestaltung der Dinge ihm zn Theil werden müsse. Ec ließ sich rastlos treibe» aus der'Fluch der Gegenwart, recht in der reißenden Mitte des Strome«, und diesen brausende» und tosenden Um gebungen angemessen deutete er die Zukunft. Er sah alle Bande der gegenwärtigen Gesellschaft sich lösen; er bildete sich ein, noch de» Zer fall aller Sitten und Institutionen, da« Zunichlewerden aller herge brachten göttlichen und menschlichen Ordnung zu erleben: die Familie, die Ehe, die Kirche, die Taufe werde über kurz oder lang nicht mehr cxistircn,— ft war die Idee, oder vielmehr der Wah» beschaffen, der ihn zu leidenschaftlicher Gluth begeisterte, aller seiner Scelenkräfic sich bemächtigte, zum Gegenstände all' seines Sinnens nnd Trachtens wurdc- Der Bereich dieser Vorstellungen und Gesinnungen, für Andere ein un begreifliches, schranken- und bodenloses Chao«, war die Heimath, wo dieser excentrische Geist sich ansiedelte; an solchem Stoffe hat dieser Genius sich großgenährt und die Gestalt gewonnen, in der er nns vor Augen trat. Ohne die Juli-Revolution hätte George Sand sich selbst nicht erkannt; dieses mächtige destruktive Genie wäre nicht «rwcckl worden, und — wer weiß, der Zündstoff, den er in lausend nnd aber tausend Gemüthcr geworfen, hätte sür ewig schlummern können. Seht da Euer Werk, Ihr Zerstörer der alle» und Gründer der neuen Ord nungen, Zhx Stifter glorreicher Revolutionen! Euer Thun weckt die rebellischen Geister: Carrel, Lamcnnais, und den gefährlichsten von allen, George Sand- Aus den Steinen der Barrikaden erstehen sic, gewappnet und streitbar, wie die Männer aus des Cadmus Drachensaar, und der mühsam künstlich aufgesühne Bau Eures »eilen Staate« wird täglich von ihnen in Frage gestellt, täglich in seinen Grundvesici'. ange griffen und c-schütlert.