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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumeralionS- Preis 22 j Sgr. (j Tlllr.) vierteljährlich, Z Thlr. für daS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf diese« Reidlan der Allg. Pr. Siaatk- Zeiiung in Berlin in der Expedincn (Mehren-Straße Rr. 34); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 91. Berlin, Montag den 31. Juli 1837. Rußland. Die Auffiihrung der ersten Russischen Oper"). Bon dem Fürsten Elim Metsch er Ski. Am 27. November vorigen Jahres ward ganz Petersburg durch ein schlaues musikalisches Fest überrascht. Das herrliche neu eingcrich- lelc Gebäude, unser „großes Theater'""), halte an jenem Abend seinen prachtvoll tekorirlen Schauspielsaal für Hof und Stadt eröffnet; die sieben Hogen-Reihen waren mit den schönsten Frauen in brillanter Toilette gefüllt und strahlte» im Glanze der Wachskerzen; der weiße, mit Vergoldungen reich verzierte Saal war in seinem neuen Gewände noch nicht von dem Publikum gesehen worden, und glich in seinem ein fachen, reinen, aber glänzenden Putze einer Vestalin, die ihre Weihe als Priesterin erwartet. Und in derThat sollten an jenem Abend Poesie und Musik den Tempel, der ihnen in der Hauptstadt Rußlands errichtet worden, würdig eiuweihen. Niemals hallen die Petersburger bis dahin einem solchen Feste beigewohnl. Sie waren heule cingeladen, elwak ganz Neue« uud Außer ordentliches, eine von Kops bis Fuß durch und durch echt Russische Oper aufsühren zu höre»; eine Oper, deren Gegenstand, Musik, Text, Vcesaffcr uud Komponist die .Kinder des gemeinschaftliche» Vater landes, deren Held und Hauplpersoncn aber Leute aus der niederen Klasse des Volkes waren. Man muß nicht etwa glauben, daß Rußland bis jetzt gänzlich der National-Musik entbehrt habe; das Russische Volk Hal im Gegenlbeil außerordentlich viel Sinn und Gesühl für diese edle Kunst; die Har monie unserer Gesänge, von der Herr Felis auch unler Anderem in feiner „Geschichle der Musik" spricht, ist allgemein bekannt. Unsere Vorfahren, die Slaven, führten singend ihre Kriege, und in unseren Tagen geben die Soldaten in die Schlacht wie zum Konzert z ihre heileren Refrains sind Mulb emflößend und begeisternd. Der gemeine Russe singl: er mag nun traurig oder heiler, glücklich oder unglücklich, bei der Arbeit oder beim Spiele, zu Lande oder zu Wasser sevu. Die National-Lieder sind lieblich, angenehm und manmgsalng; ihre Mc- lodiecn drücken bald Seufzer, harmonische Klagen der Liebe, der Erinne rung, de« Bedauerns und Schmerzes, bald wieder die lauteste Freude, Trunkenheit und wilde Kübnbeil aus. Auch sind mehrere Komponisten aus den höheren Klassen der Gesellschaft schon in jenes fruchtbare musikalische Feld, das ausschließlich den Männern mit Bärte» und den Frauen im Kakoschnik °"°) gehört, herabgestiegen, haben dort wilde, frisch ausgeblühte Blumen gepflückt, sie mit geschickter Hand zu Kränzen gewunden und ihr schönes Talent damit geziert. Wie viele Tbemala aus NaNonal-Gcsängen sind, nachdem sie ein wenig modernisirt wor den, aus der Bühne in Vaudevilles und kleinen Opern erschienen; wie viele findet man in Gestalt von Romanzen auf den Klavieren llnserer eleganlen Welt. Wer kennt in Rußland nicht die reizenden Composi- tionen des Grafen Wielborsky, der Herren WerstorSkv, Zemschia, Titos und Tolstoi, dieser Künstler, deren vorzüglichstes Verdienst darin be steht, daß sic den volksthümlichen Stil, den Charakter der Russischen Musik curopäisirt habe», und deren Lieder vielleicht mit den Englischen, Französischen und Deulschen Productionen derselben Art rivalistren können. Indessen batte es noch Keiner bis jetzt versucht, diese Volkslieder, so bedeutend sie auch immer sevn mögen, zu so großen, ja kolossalen Composilioncn anszudehnen; noch Keinem war es gelungen, die Musik, die bei uns noch fast in der Kindheit stand, zu einem hohen Grade von Ausbildung zu erheben und wie mit einem Jauberschlage die Idylle ist Ode und Epopöe zu verwandeln. Wer hätte cs wohl crwartel, daß dir Tönc der ländlichen Sackpseise, dieses unbedeutenden monotonen Instrumentes, variirt, dramansirt, modulirt und chromatisirt werden könne»; p»ß diese prosaische, bescheidene Pfeift j„ großen Arien, im Chor, Duc», Quartett uud Recilaiiv, das seinen Italiänischen Ursprung unter einer Russischen Physiognomie verbirgt, auch eine nicht unbe« deutende Rolle spielen dürft? Und konnte man sich wohl vorstellen, daß die Balalaika, unsere einfache Mandoline, zu der Höhe und dem Umfang des Klarincis gestimmt werden könne? daß sie zur Begleitung ernster, graittioser Gesänge sich vortrefflich eigne und also im großen ') »Unser Lebe» ZEM», Musik von Michael Glinka. St Petersburg bat vier- Theater bas große Theater-, das Alerandrinen Theater-, das Micha«-Theater uud das Kamcnnvi-Ollroff Theater In den drei ersteren spiele» abwechselnd Russische, Deutsche oder Französische Schau. svieler; das letzte ist nur im Sommer- eröffnet und allein für die Französische Truppe bestimmt. "") Kopfputz der Russischen Bauerinnen. Orchester auch eine würdigt Stelle cinnchme? daß endlich das anspruchs lose, bescheidene Nationallied seinen ländlichen Sarasann °) verlasse» und ein glänzende« Hof-leid anlcgen würde? — Dieses große Werk, das »och zu vollbringen blieb, bat unser junger Komponist, Michael Glinka, ruhmvoll und würdig vollendet. Zunächst muß ich nun einige Worte über de» Inhalt der Oper sagen. Der Tert ist von dem Baron von Rosen, einem vortrefflichen Kritiker und sehr geachteten Dichter. Man weiß, wie schwcrsällig und anlipoelisch oft die Verse eines Singspiels sind, wie sie die Flügel des Komponisten lähmen und sich dem freien Aufschwung seines Genius hemmend in den Weg legen. Wie unangenehm, ja störend ist cs oft für ein gebildete«, kunstliebcndes Publikum, wenn es in grcßen Opern schlechte, prosaische Verse mit anhörcn muß. Dem Libretto (Tczibuche) der neuen Russischen Oper kann man diesen Fehler nicht vorwersen. Der Inhalt des Dramas ist eigentlich sehr einfach; die Intrigue dessel ben durchaus nicht verwickelt, und obgleich noch mehr Abwechselung der scenischeir Effekte, eine größere Mannigfaltigkeit in überraschenden, unerwartete» Situationen, vielleicht auch mehr Zusammenhang in dem Gang der Dichtung zu wünschen wäre, so sind doch viele wahrhaft poetische Stelle» darin. Die Strophen und Verse des Gedichtes sind, wie Lie Musik Glinka s, echt Russisch und populair. — Wir wünsche» dem Baron von Rosen Glück, daß er c« so gut verstanden bat, in seine» Worten die Naivetät, die rührende Eiusachbcit, da« tieft und reine Gesühl und primitive Kolorit unserer Botkspoesie drizubehalten; denn das ganze Gedicht trägt das Gepräge unserer Nationalität. Die Wahl des SüjelS muß zu jedem Russischen Herze» sprechen; es muß in der L-eele jede« wahren Patrioten, der sein Vaterland über Alles liebt, ei» Echo finden. „Das Lcbcn für den Zaren" beißt bei uns so viel, wie „Da« Lcbcn für das Vaterland." Das ist die magische Formel, dt.rch die Rußland auf das große Theater der Welt berusen worde». ist. Möge sie mit Feuer-Buchstaben in dem Herren, in dcm Geiste eines Jeden stehen! — An dcm Tage, wo das Russische Volk dieser heilige» Worte vergäße, würde cs sich, gleich jenem Zauberlcbrling der Goethe- scheu Legende, i» seinem eigenen ruchlosen Werke Tod und Untergang bereiten! Der geschichtliche Inhalt der Oper ist folgender: Vecrätberische Bojaren hatte» de» Thron ter Zaren usurpirt; Lie Usurpation bedeckte ihre freche Stirn mit der Mütze Monomak's"), sie verbarg ihre blut befleckten Hände unter dem Hermelin der RurikS; Rußland war durch Kriege und Pest zerrüttet, durch Einfälle fremder Völker und innere Unruhen zerstückelt worden; endlich rief man Ladislaus, den Fürsten von Polen, in Moskau zum Zaren aus, und Rußland sollte zu einer Polnischen Provinz werden. Aber die Vorsehung beschützte unser Vater land, sie verbreitete über die Russische Aristokratie den Geist der Liebe, der Einigkeit und des Gemcinsinnes. Das Volk und die Großen des Reichs umarmten sich als Brüder. Minin, der Schlächter von Niechnii, Fürst Pojarski, Daniel und Abraham Palitzi» hoben das blutende Rußland auf ihren heroischen Armen empor und trugen e« halb ohn mächtig mitten durch die Leichname der Polen hindurch nach dem Kreml; dort verband es seine Wunden und stimmte in der großen Ka thedrale die Hymne seiner Befreiung an. Auch die Russischen Bojaren schien jetzt ein neuer Geist zu beseelen; sie zeigten erhabenen Patriotis mus und hohe Selbstverleugnung; ihr Stolz hatte das Vaterland in« Verderben gestürzt, ihre christliche Demulb rettete e« wieder. Sie ver- sammellcn einen Rath und im Verein mit den drei anderen Stände» des Reichs, mit der Geistlichkeit und den Deputirien der Städte, zer rissen sie mit eigenen Händen die aristokratischen Privilegien, die unter dem falschen Demetrius bewilligt und dcm schwachen Schruiski cuirissen worden waren. Aus der Rathsversammlung der Bojaren ward das Ricsenscepler der Russischen Zaren einem jungen Manne, der kaum den Knabcnjahren entwachsen, übergeben und derselbe als unumschränkter Gebieter des weiten Russischen Reiches proklamirl. Diese« Kind war Michael Romanofs, ein Abkömmling defl weiblichen Linie des Hau se« Rurik. Michael war nicht bloß ein neuer Regent, der einen er ledigten Thron bestieg, er war der junge Baum des politischen Lebens, der in den dürren Russischen Erdboden gepflanzt wurde: Michael war Peter der Große, war Katharina II., war Alerander; ihm verdanken wir Alles, was wir sind, und was wir in der Zukunft sehn werden! Während Las Königskind, von seiner großen Bestimmung »och nichts ahnend, mit seiner Mutter auf einem seiner Landgüter bei Kostroma zurückgezogen lebte und Gott e« in ihrer Einsamkeit, wie ') Die Kleidung der Russische» Bäuerinnen. Die Hofdamen haben ietz Liefe Tracht für Gala-Tage anacnommen. ") Die Krone Wladimir Monomak S>