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94"^ Stück, den r. December lgoZ» Der Geistes-Zoll. ist zur Genüge bekannt, daß seit -es Mittelalters grauen Zeiten reisenden Juden an verschiedenen Orten des kultivirtesccn Welt teils der Einlaß nicht eher gestattet wird, bevor sie nicht einen Leibzoll entrichtet haben. Daß aber einst einem Juden, und zwar einem Juden, der mehr als einen Zoll Geist hatte, — denn es war kein andrer als Mendelssohn — ein Geistes-Zoll abgefordert wurde, ehe man ihm wo ein nächtlich Obdach gönnen wollte, wird wohl Vielen eben so neu als räthseihafl klingen. Darum will ich es deut lich erzählen. Der berühmte Mendelssohn fand sich einst aus einer Reise genöthigt, in einem elenden Dörflein zu übernachten, wo an ein Dewirthungshaus eben so wenig zu denken war, als etwa an ein Schauspielhaus. Da bei war das Wetter nicht minder unfreund lich, als die übrigen Umgebungen. Ein rauher Sturm ließ seine heulenden Töne ver nehmen, und sauste und hauste tobend um sich her. Dem Zuge des Aerlus war sein öfterer Gefährte, Jupiter Pluvius, gefolgt, der sein segenvolles Naß recht freigebig über die Erde ergoß. Wie wenig behaglich die Lage des guten Mendelsohns in seiner Kutsche gewesen seyn mag, dazu bei einem schwächlichen Körper, auf den alle äußere Eindrücke empfindlich einwirkten, laßt sich leicht denken, und zu gleich daraus ermessen, wie sehr der Wunsch in ihm rege werden mußte, unter schützend Obdach zu kommen. Keine Nachricht konnte ihm daher unangenehmer überraschen, als die, daß in diesem kleinen Sodom kein Nacht quartier zu erlangen sey. Doch Mendels sohn verlor nicht sogleich den Muth. Er be sann sich einige Augenblicke, und erkundigte sich darauf, ob nicht ein Prediger im Dorfe wohne, und als man ihm dieses bejahete, ließ er denselben fragen, ob er nicht so geneigt seyn wolle, Moses Mendelssohn, einen Ge lehrten aus Berlin, eine Nacht über bet sich aufzunehmen. Dem Prediger, der in seinem gleichsam verinseltcn Dörfchen ganz abgeschieden von allem literarischen Verkehre lebte, klang der Nähme unsers Wersen eben so fremd, als der eines jeden andern unbedeutenden Juden, und da ihm letzterer und Gelehrter vielleicht eben