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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pcännmerations- PreiS 22; Sgr. THIr.) rierleüährllch, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der PrenSischen Monarchie. Magazin für die Man prariumerirl auf diese- Beiblatt der AUg. Pr. Staat-' Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straffe Nr. 34); in der Provinz so wie im Auslande bei den WohUöl'!. Post - Acmtern. 1 98. Berlin, Montag den 15. August 1838. England. Die Familie Bantorlin. (Nach dem Loo!,.) Zn den crnc» Zabreu des vorigen Jahrhunderts geschah cs, Laß Ler reiche Holländer Zakob Vandcrlin ncbst mehreren Landsieulc» zn Hauiburg rin gutes Fahrzeug, den ,/Palatin", in Fracht nahm, nm mir Weib und Kind, mir Hab' und Gut nach Pcnnsylranicn übcrzusahrcn. Die reisende Gesellschaft bestand aus dreißig Personen und zur Hälfte aus Frauenzimmern. Damals trieben die Bukauicre ihr Raubwcsen, und der Name Kidd war das Schrecken Aller, deren Weg über den Ocean führte. Darum batten Vanderlin und seine Gefährten nicht allein für ein wohlbewaffnetes und gerüstetes Schiff gesorgt, sondern auch dem Capitain Horner zur Pflichi gemacht, eine rüstige und zuver lässige Mannschaft anzuwerben. Binnen wenigen Tagen hatte der Ca- viiain seine Anstalten beendigt. Sein erster und zweiter Schiffs- Lieutenant waren ihm zwar persönlich unbekannt, aber durch das vor nehmste Amsterdamer Handelshaus empfohlen; zum dritten Lieutenant hatte der Capitain seinen eigenen Adoptivsohn, einen jungen Engländer, Namens Reynolds, genommen. Das Schiffsvolk bestand aus fünsund- dreißig kräftigen Seehunden, eiseuseste Leute, von des Capitains Wer bern äus allen seefahrenden Nationen Enropa'S ausgesucht, und von denen es Zeder sür sich allein mit dem gewaltigen Kidd ausuehmcn konnte. Sehr erfreu! durch einen so ermulhigenden Bericht, dessen letzter Gatz freilich in einem ganz anderen Sinne wahr sehn mochte, als wie der Capitain zu verstehen gab, gingen unsere Reisenden unter Segel, und Maria Vanderlin sah mit lhräncndcn Augen zum erste» und letzten Male die flachen grünenden Gestade ihres Hcnnatylandes am Horizonte niedcrlauchen. Maria war eine schöne und zarte Blume, an den Usern ter Elbe ausgewachsen, und würde die Trennung vom mütterlichen Boden nicht überlebt haben, wären nicht diejcuigen Personen um sic gewesen, dcrcn liebendes Antlitz die Sonne ihres Lebens war, ihr Vater nämlich, ihre Mutter und ein Dritter, mit dem sie gern einsam und verborgen in eitler Wüste hätte blühen und verblühen wögen. Dieser Dritte war Reynolds, der Sohn eines Englischen Kaufmanns und Horuer's Neffe. Sein Vater hatte ihm ein unabhängiges Vermögen hinterlassen, und der junge Mann halte bereits mehrere Reisen in Ge sellschaft seines Oheims gemacht, mehr um seiner Neigung und Wiß begier zu genügen und um die seemännische Kunst zu erlernen, als um des Erwerbes willen. Er hatte Maria Vanderlitt kennen gelernt und ihr seine Verehrung und die aufrichtige Liebe, womit er ihr huldigte, nur aus der Ferne bezeugt. Gegenwärtig hatte er einen Theil seines Vermögens in Geld «mgesctzt, von seinem Oheim die Liculcnanlsstclle am Bord des „Palatin" erlangt und folgte der Fügung des Geschickes, welches ihn der neuen Welt zusührtc. Wir überspringen eine Zeit von süns Wochen und sinken den „Palatin" mitten auf dem Atlantischen Ocean bei völliger Windstille wieder. Es schien nicht mit rechten Dingen zuzugchcn: seit 12 Tagen war jeder Windhauch erstickt; die See lag bewegungslos, als wäre sie bis auf den Grund gefroren. Tag sür Tag wälzte sich die brennende August-Sonne von Ost nach West über das glühende, trockene Firma- mcul und sank in die Wasserfläche nieder, ohne daß ein Wölkchen die blendende Kraft ihrer Strahlen dämpfte und die Dämmerung mit Far ben schmückte. Die unglücklichen Reisenden sahen nichts vor sich, als die schweigende, unermeßliche Weile, die flüssige Sahara, in deren Milte ihr Schiff gefesselt lag. Zwölf Tage batte diese Windstille bereits gewährt. Die Sonne sank eben unter die Fluthen, wie in ihr Grab. Auf dem Verdeck des „Palatin" stand eine Menschengruppc versammelt: wie traurig waren sie verändert. Fünf Wochen früher leuchtete» Gesundheit und froher Muth aus jedem Antlitz, und sie halten unter Freudcngeschrci und grüßendem Zuruf den Hafen verlassen. Zetzt waren sic bleich und ab gemagert; ein großer Theil ihrer Vorrälhc war auf unerklärliche Weise verschwunden; ein bösartiges Fieber herrschte in der Kajüte und am Sleuerbord, und eben jetzt waren die Reisenden zu einer Leichenfeier versammelt. Noch halte die zerstörende Krankheit die Koicn der Ma trosen nicht heimgesucht; die rohen Gesellen bcttachlclcn die Cercmonie mit mürrischer Fühllosigkeit, wogegen das trübe und niedergeschlagene Aussehen der Reisenden mitlcidSwürdig abstach, llnlcr ihnen stand Vanderlin, die hohlen Wangen vom Fieber gezeichnet; seine Tochter stützte seinen Arm nud schaule in sein Antlitz, gleich wie ein Enge! der Gesundheit; unter Kranken und Sterbenden war sie wie ein lichler Genius unbeschädigt und uucntstellt einhcrgcschrittcn. Die traurige Ceremonic ging vor sich, das letzte andächtige Gebet war gesprochen, und der Leichnam des alten Capitains sank vom „Palatin" zu den Tiefen der See hinab. Die Helle Fluth beschrieb weile Kreise um die Slelle, und es schien, als hätte der Ocean dieses Opfer erwarte!; am äußersten östlichen Horizont begann die Fluth zu schwelle», uud ein leich tes Wölkchen stieg empor. „Die Raacn gestellt!" erscholl eine rauhe Stimme; „unser Zouas ist zum Teufel gefahren, und jetzt bekommen wir Wind!" Bei "dieser sühllosen Rede wendeten die Reisenden ihr Gesicht mit unwilligem Er staune»; ihre Augen trafen den tückisch flammenden Blick des bisheri gen ersten Schiffs-Lieutenants, Mark Dusenbach, der jetzt Capitain des „Palatin" geworden war. Die braune vierschrötige Gestalt stand aus dem Hinterdeck aufgcpflanzt und kommandirte mit lauter, herrischer Stimme, während die Matrosen um die Maste» uud Raacn beschäftigt waren und der frischen Kühlung die ganze Breite der Segel entgegen - spannten. Die Reisenden fühlten, daß ihnen sowohl als dem Schiffe ein neuer Herr gegeben war; ciugcschüchlcrt von sciiicii wilden Blicken, die sic wcder deuten noch ertragen konulcn, zog sich cin Zeder an seine» Platz in der Kajüte oder am Steuerbord zurück. Lapttain Horner halte mil Recht gesagt, daß sein erster Lieutenant es allenfalls mit Kidd selbst ausuehmcn tönntc; cS war wirklich cin kolossaler Bösewicht. Black Dustubach hatte unter Kidd'S Kommando gedient, bis er der alltägliche» Gräuel des SeerLubcrwescus überdrüssig wurde und diesen Dienst mit dem Vorsatz verließ, eine recht ausgesuchte unerhörte Unthal zu begehen. Er ging bei einem Holländischen Kauf- sahrer in Sold und verschaffte sich, als ei» durchaus tüchtiger Secmami, sehr bald Empfehlungsschreiben, mit dercn Hülfe er zu seiner Stelle am Bord des Palatin gelangte. Er hatte von dein Plan dcr Auswanderung gehört, und der böse Gcist hatte ihm zuzeflüstcrt, dies scy die goldene Gelegenheit, wo er sein schlaues Talent zeigen und neuc Lorbeeren des Verbrechens cinärndlen könne. Dcr zweiic Liculcnant war sein Gesell und eincr seines Gleichen; eben so bestand die Schiffsmannschaft, die er kraft seines Kommandos hauplsächlich angcworbeu, aus lauter „ge- ricbcnm" Burschen. Die tödüichc Krankheit am Bord des Schices war von ihn, und seine,> ^Spießgesellen ;uwege gebracht, und sic hofften, sich in kurzer Feit ohne Gcwalithätigkeit sämiütlichcr Passagiere zu ent ledigen. Durch Horncr's Tod war der letzte, dcr ihre Absichten verei teln konnte, bei Seile geschafft. Daher stolzirte Dusenbach auch mi! lriumphirtuden Schritten über das Hinterdeck. Ec winkle Dunscombc, seinen Nächsten im Kommando, zu sich: „Das ist ein hundssöllischcr Wind und bläst Keinem zur Freude", begann dcr harlherzigc Pirat. — „Was Wind?" sagte Dxnscontbcü „schwatzt mir nicht von Wind »ach dieser prächtigen Windstille: die Hal uns besser zu unserem Plan gehol fen, als aller Witz, womit wir's augestcllt hätten. Nur meine ich, den allen Horner hätte das Fieber zuerst packen sollen." — „Besser so, Freund Dunscombc", vcrsctzle dcr Capilain; „sind die Lcnte reif?" — „Zum Abfallen reis", sagle Dunscombc. — „Aber Reynolds?" — „O! dcr auch; er kachle und sprang vor Vergnügen, wie ich ihn ciu Bisscl in den Plan unserer Komödie gucke» ließ." — „Tragödie wollt ihr sagen, — na, darauf komm! nichts an. Blich freut nur, daß Reynolds zu uns hall; 's ist ciu verschmitzter Bursch, wir können ihn brauche». Thu' Du indrffe» weiler, was Deines Amtes ist, so haben wir ihnen in einige» Tagen Allen den Garaus gemacht." — So sprachen die beiden vollendclen Bösewichter mit einander, und jedem miilcidigc» Ge fühl abgestorben, bcttachlclcn sie mit grausamcr Lust das schnelle Hin- stcrbcn der unglücklichcii Passagiere und Eigcnlhümcr dcs Schiffes und seiner Ladung. Was aber Reynolds betrifft, so Hal der Leser gewiß sclpon die Wahrheit vcrmulhkl, daß dcr wackere Zünglinz sich nur aus Vorsicht so stellte, als wäre er mil DunScombc's Plänm ciuverstandc», vielmehr aber fest entschlossen war, die erste günstige Gelegenheit zu be nutzen, um Marien und die Zhrigcn aus dcr Todesnolh zu retten. Noch scchS weitere Tage trieb das Schiff in de» Amerikanisch«: Gewässer» hm und her, und jcdcr Tag sah zwei oder drei neue Schlacht- opfer in das Wcllengrab versenken, bis nur noch sechs oder acht halb verhungerte Unglückliche, vom Ficberaussatz entstellt, umherschlichcn. Hi» und wieder versammelte» sie sich zum Begräbnis; cincS Reisege fährten aus dcm Verdeck; dami sendete» sie sehnsuchtsvolle Blicke über die Fluth, ob vielleicht ci» bläulicher Streif am Horizont ihnen das Land der Verheißung andeutete, sie weinten und rangen dic Haude und baten kläglich, mau möchte sie doch auS.Land setze,,. Dazu aber war Mark Dusenbach noch gar nicht gesonnen. Vanderlin lag auf seiner Malle und drückte seines Weibes uud sciuer Tochter Hand in die scmige. „Ach! ihr scyd krank, dem Tode