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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration» Drei« 22^ Sgr. Tbtr.) vicrteliährtich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er, Höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. M für die Man pranumerirt auf diese» Beiblatt der Allg. Pr. Staat» Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Pvsl - Aemtern. Literatur des Auslandes. 41. Berlin, Dienstag den 5. April 1836 Polen. Bon dem poetischen Geiste der Polnischen Nation. (AuS dem l'amietml. uniiojetuosci i naulc.) Einer der berühmtesten Dichier lliisereS Jahrhundert», Lord Byron, sagt, „da» die größten Dichier unseres Erdballs diejenigen sind, Lon denen wir am wenigsten wissen und denen wir gar nicht diesen Namen beilegen." Wiewohl dieser Ausspruch zu gewagt erscheinen mag, so ist doch das gewiß, daß die Poesie nicht darin zu suchen ist, daß Jemand Berse macht; vielmehr kann man ein Dichter seyn, ohne je einen Bers geschrieben zu haben. Hal nicht der Reisende z B., der, in den Son nen-Aufgang oder in eine ähnliche Natur-Erscheinung verlieft, Thrä- ncn der Entzückung vergießl und gen Himmel sein Antlitz richtet, in diesem Augenblick mehr poetischen Sinn, als Tausende von Gelehrten und Berscmachern, die Taz und Nacht lesen und Verse drechseln und mit der Feder wie mit einer Handwerks-Blaschine arbeiten, welche, um in Bewegung gesetzt zu werden, einer mechanischen Berührung, nicht aber der Entzückung Les Geistes bedarf? Wie wir also unter den ein zelnen Individuen einen Unterschied machen zwischen denjenigen, die Berse schmieden, und denen, die wahre Dichter sind, so müssen wir auch ini Allgemeinen die Nationen als poetisch oder nicht poetisch klasstsizircn. Man darf sonach auch über den poetischen Geist eines Bölkes nicht nach der größeren oder geringeren Anzahl derjenigen nrlhcilen, die Berse machen, oder nach den dicken Bänden, die in der Sprache dieses Bölkes gedruckt sind. Dafür spricht die Polnische Nation am deutlichsten. Kei» Volk hat vielleicht in seinem Leben so wenig Berse nicdcrgcschrie- bcn, wie das Polnische; keines aber war durch den ganzen Inhalt seines Leben» eine poetischere Nation, als gerade die Polen. Schwierig ist cs, darüber klarer zu sprechen; denn wer das Wesen der Poesie auffassen will, der muß auch ein Auge dafür besitzen. Wie derjenige die verschiedenen Farben der Sonne nicht wird unterscheiden können, der mit dem gewöhnlichen unbcwassnctcn Ange dieselben an starrt, so bedarf auch der Gedanke eines Prisma, durch welches die Er scheinungen dieser Welt gehen müssen, um dann erst von dem poetischen Geiste in ein poetisches Gewand eingchüllt zu werden. Könnten wir durch dergleichen Prismen des Dichters das alte Polen sehen und auf einmal den gejammten Kreis der darin ausgezeich neten merkwürdigen Erscheinungen erfassen, — welche Bilder, welche malerische Gestalten würden uns dann ans der durchlebten Vergangenheit, aus so vielen historischen Fehlern und aus den Uuglücksfällen des Lan des cnigegeiilreten! Lie Engel, welche nach einer alten Ucbcrlicferung") den armen Stellmacher besuchen, vereinigen uns augenscheinlich mit einer anderen überirdischen Welt, lenken auf einmal unser ganzes Ich gen Himmel und werden die Vermittler unseres Glauben»; die ritter liche Jungfrau""), welche, ihr eigenes Glück verschmähend, sich in die Finthen der Weichsel hineinstürzi, wie trefflich personifizirl ste nicht Polen, ein Land, das, voll jugendlichen Gefühl», stets bereit war, neue Kämpfe zu kämpfen, und da» endlich der Untreue den ruhmvollen Tod vorzieht? Wenn wir der ferneren Entwickelung de» öffentlichen und National-Lebens mit forschendem Blicke nachgchen, welchen wunder baren poetischen Anblick gewährt uns die in stch so wundersam zusam mengesetzte adeliche Republik? und wen überrascht nicht der durch keine Ereignisse gestillte Drang nackt neuen Kriegen, nach neuem Rubin? Wer erstaunt nicht über das große Drama der Reichlslage, die eine Fülle von Ereignissen, Leidenschaften verschiedener Art und so manche Zntri- guen entwickeln ? Wer lächelt nicht über jenes Lärmen und Gepolter der Schmarotzer, die durch das ganze Land Landtage hallen möchten, die den Tempel belagern und sich durch keine äußere Gewalt beruhigen lassen? Wer bewundert nicht die unbcgränzle Gastfreundschaft, die gute fröhliche Laune, die Lust, stch überall pomphast zu zeigen, die kein Un- glückssall in engere Gränzen zurnckzubringen vermag? Wen setzt diese» Alles nicht in Erstaunen? Zn der Thal, man bedarf nicht mehr des vorhin genannten Prisma, um aus diesem verworrenen Gemisch der widerwärtigsten Ereignisse, die in dieser Art in keinem anderen Lande gehört und gesehen wurden, einen Faden der fruchtbarsten Poesie zu- sammcnzuspinnen. Was foll ich von dem Alltagsleben diese» Polen sagen, von den Anfällen und Sturmen des Adel», von den Höfen der Magnaten, von ihren Waffenzügen, Hochzeilsesten, Begräbnissen, von den Wall fahrten von den einen Gütern zu den anderen, bei welcher Gelegenheit ") Aus der fabelhaften Geschickte Polens *") Wanda, ebenfalls eine Erscheinung der sabelhaseen Geschickte Palens eine weit ausgedehnte Karawane, bewaffnet und ohne Ordnung, einige Meilen nachzeg? Dieses Alles bat zwar unseren Fall mit hervorgc bracht; es darf jedoch nicht hindern, die Sachen so zu betrachten, wie sie sich unserem Auge darstcllcn. Ist denn der ganze Zeitraum unserer Geschichte nicht ein groß artiges, unermeßliches, schönes Gedicht, welches nicht nur kein anderes Bolk auSgcarbcitel, sondern auch kein Dichier je in seiner Phantasie erzeugt hat? Polen besaß unter anderen verschiedenen Merkwürdigkeiten, die demselben ein so charakteristisches und ihm nur eigeinhümliches Ansehen gaben, eine gewisse Galtung von Improvisatoren j von UeberlicfcrungS- Dichiern, welche, diesem Lande cigenihümlich, nirgends so sehr den Sil len und Gewohnheiten enlsprachen nnd auch nirgends stch eines solchen Nnfcs zu erfreuen hallen, wie in Polen. Das Nationastcbcn der sru Heren adelichen Republik, nachdem es unter dem Getümmel der Land tage nnd Tribunalsstreiligkcilcn verrauscht war, sand für sich kein öffenl liche« Feld. Bekannt ist cs, daß dcr Polnische Adel, der tüchtigste Säbclführcr und Streiter auf den Landtagen, jeder stillen und mühsa men Arbeit abhold war und Künste und Wissenschaften nicht sonderlich lieble. Während er also den Ausländern in dicfer Beziehung den gan zen Gewinnst und Ruhm in die Hände spielte, bedurfte unser Adel doch, ungeduldig und hastig wie er war, einer fortwährenden Bewegung. Die Landwirlhschaft war ihm keine Wissenschaft, sie diente vielmehr nur zu seiner Erholung. Der Edelmann, dcr von dem Schlachtfeld« zurück gekehrt war, fand in seinem Hause sür sich keine Beschäftigung; er be suchte also seine Verwandten, Freunde, oder lud dieselben zu stch cii. gab Gastmahlcr, ergötzte sich und dispulirte. Bei einer solchen Lebens art mußte freilich die Fähigkeit, zu erzählen, eine große Rolle spielen und sehr hoch bezahlt werden; wetteifernd enlwickelte ste sich daher Die nackte Wahrheit, die gewöhnliche Wirklichkeit vermochte nicht kräf tig genug die Aufmerksamkeit dcr schmalisendeu Zuhörer zu fesseln; es mußte ihnen die Phantasie zu Hülfe kommen; cs entstanden daher vcr schicdcnarlige Erzählungen, deren Urheber, ohne cs zu wissen, zu wahrer Poesie sich ost emporschwangen. Es waren dies keine gemächliche Minnesänger, die gefühlvoll oft fremde Ereignisse ins Gedächtniß zurück riefen, die de» Gewinne» wegen fremde Höse besuchten und unter Be gleitung der Laute einen abenteuerlichen Ritter oder eine geheimnißvolle Fürstin besangen. Es waren die» vielmehr breitschultrige, schnurbärtige und bejahrte Edelleute, die im Kreise der sich glcichstchendcn Herren Brüder") glänzend vom Tokavertrank in freundschaftlichen Ergießungen eigne Erzeugnisse über hcimachliche Gegenstände, örtliche Begebenheiten, bekannte und unbekannte Personen erzählten, und welche bei dem Jauch zen und Lärmen de» fröhlichen Adels unter der Menge von Bedienten und Hoflcntcn, bei dem Wicderhallc nnzähligcr Titels-Verkündigungen, bei dem Anblicke so mancher malerischen Gestalt, unter dem bunten Gcwirr von Trachten und geschorenen Häuptern die Thalen dcr Anwe senden besangen, während andererseits auf dem Hofe saft unter den Augen des sich so belustigenden Adel» die tapfere und lustige Jugend sich in Tournierspielen üble, oder nach dem Ringe stach, oder die von Holz geschnitzicn Köpfe von Türken und Tartären nicderbieb. Für diese glücklichen Menschen, denen, bei einer solchen Fülle de» Alltagsleben», bei dergleichen Eindrücken, dcr ganze Ausenthalt auf dcr Erde nur ein fröhliche» Mahl zu sehn schien, für solche Menschen mußte freilich das kürzeste Nachdenken ein Weg zur Langeweile werden; die Bücher welt war ihnen eine todte, eine zu enge. Ist c» denn in der Thal nicht besser, sich glücklich zu fühlen, als über Glück nachzustnuen? Ist cs nicht angenehmer, in einer poeti scheu Atmosphäre zn leben, al» Berse zu machen ? Lasset uns dar über Menschen fragen, welche, wie Schiller sagt, stets freien Eingang zu dcn Himmelspforien haben; fragen wir die Dichier, wann sind ste am meisten poetisch, dann, wenn sie in der Gesellschaft der Natur und mit Bciseilsetzung aller menschlichen Rücksichten, gleich den Bögeln in dem Thau des jungen Tages sich baden, singend in der Seele ein noch nie vernommenes Lied, oder dann, wenn ste über einem Blatt Pa pier sitzen, Verse sangen und immer neue Worte ausstreichen, die, nicht unähnlich den empfindungslosen Dienern, e« uns niemals gut ge nug machen können. Das poetische Leben unserer Borfahrcn war zu üppig und zu ge haltreich, als daß man es auf dem lodten Papier wicdcrgcbcu konnte Deshalb darf man über ihren poetischen Geist nicht nach dem urtheilen. was sie geschrieben. Die Improvisation war ihnen cigenthümlich, und ') l'.ime Prärie (Herr Bruder., teckniscker Ausdruck, so sprach eiu Edet. mann den anderen an, ohne ilntersüneo, ob er reich, von großem Ansehen war, oder hohe Aemter bekleidete. ,