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Die „Ottendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners, tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich , Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bi, vormittag Uhr. Inserate werden mit w Pf. für dir Spaltzeile berechnet Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Grotz-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Okrilla. Nr. 134. Mittwoch, den 3. November 1905. 4. Jahrgang. Oertliches und Sächsisches. Mttendorf-Mkrilla, r. November iqos. — Zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten. Das sächsische Ministerium des Innern gibt in einer Verordnung bekannt, cs habe sich mit dem sächsischen Finanzministerium wegen der im Eisenbahnverkehr beim Auf treten der Pest, der Cholera, der Pocken und des Flcckfiebers zu treffenden Maßnahmen ins Einvernehmen gesetzt. Dabei sei es vom Finanzministerium als sehr wünschenswert be zeichnet worden, die Zahl der von den Kreis- hauptmonnichasten vorgeschlagenen Kranken untersuchungsstationen szu vermindern, da zu befürchten stehe, daß bei Bestimmung einer zu großen Zahl von dergleichen Stationen im Ernstfälle eine tatsächlich zuverlässige Durch führung der nötigen Maßnahmen dadurch ge fährdet und erschwert werde, weshalb eö genüge wenn in erster Linie geeignete Stationen für den Uebcrgangsverkehr von den Nachbarbahnen und ferner für den Binnenverkehr die wichtigeren Knotenpunkte zu Untersuchungsstätionen bestimmt würden..' — Die Reichsbank erhöhte am heutigen Tage den Wechseldiskont auf 5Hr und den Lombardzinsfuß auf 6^/2 Prozent, also wieder um ^2 Prozent. Auch die Sächsische Bank hat den Wechseldiskont auf 5^/, Prozent, den Lombardzinsfuß auf 6^/2 Prozent e.höht. Dresden. Am Sonnabend Abend ver suchte auf dem Wettiner Bahnhöfe eine Dame, anscheinend eine Ausländerin, ein eigenartiges Manöver. Sie halte mit einem jungen Manne zusammen ein Zehntel-LaS der Landeslotterie gespielt, auf das der Hauptgewinn von booooo Mk. mit gefallen Ivar. Um das ge wonnene Geld mit dem anderen Losinhaber nicht teilen zu müßen, wollte sich die Dame aus dem Staube machen, konnte aber von den glücklichen Gewinner abgefaßt und einem Polizisten übergeben werden. — Am Sonnabend stürzte auf der Striesener Straße ein dreijähriges Mädchen, das in der Abwesenheit der Mutter auf das Fensterbrett geklettert war und das Uebergewicht bekommen hatte, durch das Außenfenster der in der ersten Etage gelegenen elterlichen Wohnung auf die Schulter eines vorübergehenden Arbeiters und dann auf den Fußweg herab. Wie ein Arzt feststellte, hatte die Kleine außer einigen Schnitt wunden und Hautabschürfungen keine ernstlichen Verletzungen erlitten., — Auf der Pfotenhauerstraße wurde am Freitag ein zweijähriges Mädchen, daß noch kurz vor einem Straßenbahnwagen über das Gleis laufen wollte, von diesem Wagen um gerißen und von der Schutzvorrichtung eine kurze Strecke weit geschleift. Die Kleine kam mit leichten Hautabschürfungen davon. Der Wagenführer, der seinen Wagen schnell zum Stehen brachte, ist schuldlos an dem Unfall. — Am Montag vormittag erschoß sich im kleinen Schloßhofe der 32 jährige Sohn des Generalmajors Preußer. Der Selbstmörder war geistesgestört und verlangte den Kaiser oder den König zu sprechen. Meißen. Die Entladung und Hebung des bei Klein-Zadel unterhalb Meißen total in Grund gegangenen, mit Granitpflastersteinen beladenen Frachtkahneö Nr. 114, Steuermann Uhlich, des Schiffseigners Robert Arnold in Nieder-Lommatzsch war mit großen Schwierig keiten verbunden, da der Kahn am Boden große Leckstellen aufwies, durch welche das Wasser freien Zugang in den Kahn hatte. Am Mittwoch Vormittag legte Dampfer „Karlsbad" der Sächsisch-Böhmischen Dampf- IchiffahrtS-Gesellschaft in Dresden längseits des gesunkenen Kahnes an. Dec Dampfer hatte Wei Pulsometer an Bord, die dem Dampf- keßel angeschloßen waren, und begann damit kurz vor 10 Uhr das Auspumpcn des ge sunkenen, notdülstig abgedichtcten Kahnes. Diese beiden Pulsometer bewältigten in einer Stunde das erstaunliche Quantum von 275 Quadratmeter Wasser, sodaß binnen weniger Stunden der Kahn hätte ziemlich wasser frei sein müßen Da der Boden aber noch andere Leckstellen aufweist, die nicht zu finden und wegen der darauf liegenden Steinladung nicht abzudichten waren, so konnte durch das rapide Abnehmen des Wassers vorläufig nur die Steinladung frei gelegt und mit möglichster Schnelligkeit gelöscht werden. Am Mittwoch wurden zwei kleinere Kähne vollbeladen und am Donnerstag noch ein dritter Kahn, sodaß am Donnerstag Abend nur noch ein kleiner Rest Steine in den havarierten Kahne verblieb Erst 'dann gelang es, die letzten Löcher im Kahn, durch die das Wasser noch stromweise hereinstürzie, einigermaßen dicht zu bekommen, sodaß der Dampfer mit seinen zwei Pulso metern entlaßen und der Havarie-Kahn in Sicherheit gebracht und nach Löschung des Restquantums Steine nach dem Nievermuschützer Bauplatze dirigiert werden konnte. Reges Interesse weckte bei zahlreich erschienenen Fachleuten diese Pulsometer-Anlage, die ver hältnismäßig leicht und schnell durch die Personendampfer zur Unfallstelle gebracht werden kann und sehr geeignet ist, sehr schwer beschädigte Kähne vor dem gänzlichen Sinken zu bewahren und damit oft großen pekuniären Schaden zu verhüten. Ebenso versprechen diese Anlagen beim Heben gesunkener Schiffe einen schnellen Erfolg, Wie übrigens berichtet wird, ist derselbe Dampfer mit dieser Pulsometer-An lage bereits wieder in Riesa mit dem Leer pumpen eines am Donnerstag Nachmittag durch Auffahren auf einen Schiffsanker ge sunkenen Kahnes des Schiffseigner Siegmund in Zehren, Nr. 81, Steuermann Munsch, be schäftigt, welcher ea, 9000 Ztr. Weizen nach Hamburg geladen hat. Schwepnitz. Als am vergangenen Sonn tag die Neueinteilung für den Monat November in der ersten Schwepnitzer Zigarrensabrik vor sich gehen sollte, traten die Arbeiter mit einer ca. 27 Prozent erhöhten Lohnforderung für eine Sorte auf: die Forderung würbe von Seiten der Firma abgelehnt. Als dann von allen Arbeitern die Anfertigung der betreffenden Sorte abgelehnt wurde, wurde seitens der Firma die Fabrik geschlossen: nun stehen die Arbeiter im Ausstand. Infolge der seit mehreren Jahren fortgesetzten Lohnbewegungen unter den hiesigen Zigarrenmachern ist die Firma schon seit längerem dazu übergegangen, einen großen Teil ihres Bedarfs auswärts an fertigen zu laßen, und ist nunmehr nicht aus geschlossen, daß obige Firma auch wieder im nahen Königsbrück eine Arbeitsfiliale einrichten wird' Königstein. Der.Karußeldreher Händler, der des Raubmordes im Langen Grunde bei Königstein bezichtigt ist, wurde am Sonnabend unter sicherer Bedeckung an den Ort der Tat übergeführt. Es handelte sich um weitere Ermittelungen. Ein Geständnis des Be schuldigten liegt bis zur Stunde jedoch noch nich. vor. Rautenkranz. Hier wurde der Gemeinde-' vorstand G-, der zugleich Verwalter der Spar kasse Morgenröthe-Rautenkranz war, wegen Verdachtes der Unterschlagung von Gemeinde- und Sparkaßengeldern am Donnerstag ver haftet. Crottendorf, Mit Polizeibeamten hat die Gemeinde entschieden Pech. Nachdem der Polizeiwachtmeister Schramm den Gemeinde kassierer beraubte und ermordete, und sich dann erhängte, wurde jetzt der Schutzmann Meyer, der seit 1897 in Crottendorf angestellt war, wegen Unterschlagung im Amte vom Chemnitzer Landgericht zu fünf Monaten Gefängnis ver urteilt. Meyer hatte von Gasrechnungen und Biersteusrgeldern über 215 Mk, unterschlagen. Wurzen. Der auf dem Kasernenhofe verunglückte Kanonier Zeidler aus Plauen i. V. ist dem erlittenen Verletzungen erlegen. Er wurde bekanntlich von einem schweren Ballen Preßheu, daß seine Kameraden vom Heuboden herabwarfen, getroffen und furchtbar zusammen gestaucht. Leipzig. Das bekannte Familiendrama in der Hainstraße hat mit Selbstmord der Kürschncrswitwe Ruß seinen Abschluß ge funden. Die im Krankenhaus St. Jakob wiederhergestellte Frau Ruß hatte keine Freude mehr am Leben; sie zeigte tiefe Nieder geschlagenheit, die den Hausbewohnern auffiel, und wenn sie auch ihrer gewohnten Tätigkeit nachging, so konnte man doch sehen, daß sie seelisch schwer litt. Am Sonntag früh be sorgte die Frau noch ihre Hausmannsgeschäfte und holte sich auch selbst ihr Frühstück ein. Gegen 9 Uhr aber sahen Hausbewohner die Vorsaaltür der Rußschen Wohnung nur an gelehnt und betraten, weil sie Schlimmes ahnten, die Wohnung, fsie fanden Frau Ruß tot am Fensterkreuz in der Küche hängen. — Drei in den 20er Jahren stehende Arbeiter, die in den letzten Monaten zahlreiche Einbrüche in Geschäfts-Kontore, größere Restaurants und Bahnhöfe verübt haben, wo bei ihnen viele Hunderte von Mark Bargeld in die Hände fielen, wurden endlich von der Kriminalpolizei festgenommen. Bei zweien, die hier unter falschen Namen wohnten, fand man ein ganzes Arsenal von Einbrecherwerkzeugen. Diese beiden sind auch überführt, kürzlich in Greiz ein Fabrikkontor ausgeraubt zu haben. Plauen i. V. Als sich nachmittags die beiden jüngsten Kinder des Glasers Spitzner allein in einem Zimmer befanden, spielten diese mit dem Gaskocher, wobei letzterer von seinem Stande herabfiel. Das Gas konnte nun un gehindert ausströmen. Nach geraumer Zeit trat die Wirtschafterin Spitzner tn das Zimmer und sie nahm zu ihren Schrecken war, daß die beiden Kinder leblos am Boden lagen. Sie brachte die Kleinen schnell in ein anderes Zimmer und der ärztlichen Kunst gelang es, die Kinder ins Leben zurückzurufen. Aus der Woche. Der Jubelrausch der Rußen über die neuen Zusagen des Kaisers ist überraschend schnell in einen Katzenjammer umgefchlagen. Hatte es einen Tag lang den Anschein, als ob unter dem befreiendem Eindrücke des Zarenmanifestes die ungeheure Gärung im ganzen Rußland sich endlich legen, die fieberhaft erregteStimmung abflauen würde, so hat man die Rechnung ohne die Radikalen gemacht, die „alles oder nichts* auf ihre Fahne geschrieben haben. Zwischen dem Zarenchrone und ihnen fließt ein Blutstrom, über den sich keine Brücke schlagen läßt. Weite Kreise der industriellen Arbeiter sind mit dem Zarismus fertig und fordern nichts mehr und nichts weniger als die soziale Republik. Und deshalb dauert der Eisenbahner streik beinahe ungebrochen fort, darum sind in den großen Städten des Landes die Geschäfte geschloßen und die Straßen liegen abends im Halbdunkel. Darum hungert das Volk, darum prügeln und stehlen die Kosaken. Darum kann in den Gegenden an der Wolga, am Schwarzen Meer und in Warschau die Ruhe nicht wieder hergestellt werden. Man sagt jetzt, das Zaren manifest sei zu spät gekommen; das Volk habe kein Vertrauen mehr. Das mag sein; aber vergebens fragt man sich, ob die Revolutionäre hoffen können, ihre jetzige Praxis würde zu irgend einem ersprießlichen Ziele führen. Der Generalstreik führt das Volk ganz direkt in Elend und Not; denn die Reicheren, gegen die er eigentlich gerichtet ist, können sich immer noch helfen, wenn auch mit großen Opfern. Das Volk aber hat nichts zum opfern. Bei ihm machen sich die Folgen des Generalstreiks direkt bemerkbar. Kein Verdienst und unge heures Emporschnellcn der Lebensmittelpreise. Not kennt kein Gebot und ein nicht geringer Prozentsatz des Volkes muß förmlich zu Räubern werden, um auch nur das Not ¬ wendigste für die Erhaltung der Familie herbei zuschaffen. Dabei löst sich natürlich alle gesetzliche und moralische Ordnung! Der Menschenfreund aber verhüllt sein Gesicht; niemand vermag zu sagen, welchen Ausgang eine Revolution nimmt, die ohne Beispiel in der Weltgeschichte ist. — Daß der Zar selbst einen wesentlichen Teil der Schuld an der Revolution trägt, wird niemand leugnen wollen. Eine im Grunde edle und vornehme Natur, sind die Begriffe von seiner Macht und seinem Können auf das lächerlichste überspannt, sein Wille ist schwankend, seine Einsicht in die Wirklichkeit der Dinge gering. Den Schmeichlern mehr als zugängig, verabscheut er Kraftnaturen wie Witte. Daß er sich diesen endlich ergeben hat, zeigt, wie nahe er das Meßer seiner Kehle fühlt. Sicherlich hat er PobjedonoSzew schweren Herzens entlaßen, aber Witte wird noch sehr viel zu tun haben, ehe der Augias stall der Umgebung des Zaren völlig gereinigt ist. Witte hat schon viel damit gewonnen, daß er es durchgesetzt hat, daß eine Anzahl von namhaft gemachten Großfürsten einstweilen nicht zu Hose kommen darf. Damit findet eine für den Zaren höchst gefährliche Ohrenbläserei ihr Ende, und wenn die einzuberufendc Duma ihre Aufgaben ernst nimmt, wird sich die Welt über die Riesentaschen einiger der Großfürsten wundern, in deren einer die Stiefel für ein volles Armeekorps, in der anderen sogar ein ganzes Panzerschiff Platz hat. Daher begreift es sich auch leicht, daß die „Grobfürstenpartei" so stark gegnerisch gegen die Duma gesinnt ist! — Die norwegisch-schwedische Unionskrisis ist endlich von der Tagesordnung zu streichen. Ihre Lösung ist so vollständig wie möglich und der einzige Streitgegenstand ist . . ein Bildnis Kaiser Wilhelms, das dieser einst dem Könige Oskar geschenkt hat und das seitdem im Schloße zu Christiana hängt. König Oskar betrachtet dieses Gemälde als sein persönliches Eigentum und verlangt dessen Auslieferung. Die nor wegische Regierung dagegen steht auf dem Standpunkt, dieses Bild sei dem Herrscher in seiner Eigenschaft als König von Norwegen geschenkt worden und verbleibe nach dem „Rück tritte" des Königs vom Staate Norwegen. Kaiser Wilhelm wäre in diesem Falle eigentlich der berufene Schiedsrichter. — Von den übrigen europäischen Fragen kann auch die Kretafrage als einstweilen gelöst gelten, Die Führer des dortigen Aufstandes haben letzteren als beendet erklärt, nachdem sie eingesehen, daß sie mit ihren Dickschädeln nicht durchdringen und die europäischen Mächte nicht dafür zu haben sind, einen Kleinstaat der Balkanhalb insel auf Kosten der Türkei zu stärken. In direkt ist dieser Ausgang eine starke Nieder lage Rußlands, das heutzutage selbstverständlich unfähig ist, seinem griechischen Schützling bei- zuspcingen. Dagegen besteht die ungarische Krisis in ungeschwächter Kraft fort. Der Erisapfel, den Fejervary durch das angeregte allgemeine Wahlrecht zwischen die ungarischen Parteien geworfen hat, übt die jdurch ihn er hoffte Wirkung. — Die Marokkofrage, die seit dem deutsch-französischen Uebcreinkommen und der Einigung der Mächte über die Kon ferenz in Algeziras ihre Schärfe verloren hat, bringt sich immer wieder durch die persönliche Unsicherheit der Fremden an der nocdmarokka- nischen Küste in Erinnerung. Zu oft tritt die Doppelnatur Raisulis ans Lickt, der bald als kühner Brigant, bald als treuer Gouverneur des Sultans auftritt und der dadurch alle acht Tage einmal einen Konflikt herbeiführt, den dann dir folgenden acht Tage wieder aus gleichen. — Die mazedonische Frage dagegen gehört zu den Würmern, die nicht sterben. So oft auch die Mächte mi! dem Großsultan ein ernstes Wörtchen darüber reden wollen — mit erstaunenswerter Schlangengewandtheit weiß er sich ihnen immer zu entziehen. Der „kranke Mann" hat eben eine ganz erstaunliche Lebens kraft.