Volltext Seite (XML)
Ottendorfer Zeitung. Die „Ottendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- mg und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich I Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bi, vormittag w Uhr. Inserate werden wtt w Pf für die Spaltzeilr berechnet Tabellarischer Satz nach be- sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Vkrilla. Nr. 119. Mittwoch, den 5. Oktober 1904. 3. Jahrgang. Oertliches und Sächsisches. Vttendorf-Dkrilla. H. Oktober ISvq. — In der Reisegpäckabfertigung läßt die sächsische Staatsbahnverwaltung von jetzt ab eine neue Bestimmung in Kraft treten. Hiernach wird auf Hand- und kleine Leiter wagen, die als Reisegepäck aufgeliefert werden, nur dann Freigewicht gewährt, wenn sie tat sächlich als Kinderwagen zum Gebrauch für mitreisende Kinder dienen, anderenfalls sind sie frachtpflichtig. Sind solche Wagen mit Gegenständen beladen, für die tarifmäßig Frei gewicht berechnet werden kann, so wird, falls diese Gegenstände mit dem Wagen durch Um schnürung usw. so verbunden sind, daß sie nur mit Schwierigkeiten von ihm getrennt werden können, die ganze vereinigte Last als fracht pflichtig behandelt; lasten sich dagegen die in dem Wagen verladenen Gegenstände von dem Wagen trennen, so wird auf die verladenen Gegenstände nicht aber auf den Wagen, Frei gewicht gewährt. — Eine freudige Nachricht für unsere Hausfrauen bildet die Mitteilung, daß endlich ein bedeutender Preisrückgang für Kartoffeln auf dem Engrosmarkte eingelreten ist. Während die Frühkartoffeln eine außerordentlich ungünstige Ernte ergeben hatte, lauten die nunmehr ein treffenden Berichte über die Ernteerträge der Spätkartoffeln sehr günstig, und wenn auch stellenweise unter Einfluß der ungünstigen Witterung die Ernte schlecht ausgefallen ist, so ist doch aus ausgedehnten Gebieten eine große Kartoffelzufuhr zu verzeichnen. Dresden. Um eine größere Gleichmäßigkeit bei der Beleihung von Objekten durch die städtische Sparkasse zu Dresden herbeizusühren wird demnächst eine von Rat und Stadt verordneten genehmigte Schätzungsanweisung in Anwendung kommen. Außerdem haben die Stadtverordneten im wohlverstandenen Interesse der hiesigen Industrien und Gewerbe den Rat ersucht, beim Vorstande der Sparkaste und der städtischen Grundrenten- und Hypothekenanstalt dahin zu wirken, daß gewerbliche Anlagen bei der Beilegung mit Hypotheken in gleicher Weise wie andere Grundstücke berücksichtigt werden. D euben. Sonnabend abend gegen '/? 10 Uhr überfuhr ein elfjähriger Knabe mit dem Fuhr werke des Grünwarenhändlers Suschke eine Frau aus Fördergersdorf. Sie ist bereits ihren Verletzungen erlegen. Um den Verlust klagen ein kranker Mann und fünf unerzogene Kmder. — Durch einen unverantwortlichen Leichtsinn kam der 22jährige Maschinenschlosser Max Kießling ums Leben. Der junge Mann stieg mit weheren Freunden in der Nacht vom Sonntag zum Montag gegen ^41 Uhr in Potschappel auf die elektrische Straßenbahn. Ungefähr an der Roten Schenke wollte er Be kannten seine Geschicklichkeit im Turnen zeigen, indem er sich auf die äußerte Kante des Hinteren Perrons setzte. Hierbei fiel er jedoch ab und der Anhängewagen ging über seinen Körper. Er wurde mit abgefahrenen Beinen und zer trümmertem Kopf tot ausgehoben und nach der Döhlener Friedhofshalle übergeführt. Döhlen. In der hiesigen Glasfabrik von Siemens rutschte einem mit Glasschneiden be schäftigten Arbeiter eine große Glasplatte aus der Hand und fiel ihm auf den rechten Fuß; wodurch der Arbeiter so schwere Verletzungen erlitt, daß er nach Dresden ins Krankenhaus gebracht werden mußte. Stad.t Wehlen. Hier herrscht eine gerade zu unheimliche Amselplage' Es macht den Eindruck, als sei Wehlen der Konzentrations- Punkt aller Amseln Deutschlands. Nachdem sie schon im Laufe des Sommers bedeutenden Schaden am Obst, besonders an den Birnen angerichtet hatten, fallen sie jetzt über die Weinspaliere her. Es gibt dort Spaliere, die sie vollständig auSgeräubert haben. Schandau. Der Verkehr auf der Eibe hat such stromab- und stromaufwärts bis nach Aussig ganz wesentlich gehoben. Es sind vom 20. bis 30. September d. I. insgesamt 129 Schiffe und 107 Flöße von Böhmen nach Deutschland cingefahren, die vor Hirschmühle, Krippen oder Schandau zur Zollabfertigung kamen. Am 24. September fuhren auch der erste Rad schleppdampfer und am 26. und 27. September die E-ldampfer „Paula" und „Henriette" von Schandau stromaufwärts weiter. Der 23., 24, und 26. vorigen Monats wiesen seit Wisder- anlnohme der Elbschiffahrt den bisher stärksten Verkehr aus Böhmen heraus auf zumal auch am ElbumschlagSplatze Laube-Tetschen der Verkehr ausgenommen wurde. Am Freitag mittag befanden sich daselbst gegen 50 Dcck- kähne und zwei Eildampfer und waren einige Dampfkräne in Tätigkeit. Vom 1. Januar bis mit 30. September sind insgesamt 3956 be ladene Schiffe und 1403 Flöße nach Deutsch land eingefahren. Bautzen. Seit dem 22. v. Mts. ist der in der hiesigen Neuen Kaserne wohnhaft gewesene Sergeant und Haushofmeister Felix Bernhard Rochow verschwunden, nachdem sich ein Fehlbetrag von etwa 2000 Mark in der Kaste ergeben haben soll. Vom Kommando des 4. Infanterie-Regiments Nr. 103 ist jetzt hinter Rochow ein Steckbrief ertasten worden. Zitlau. Ein Gauner, der vor einigen Tagen von Dresden mit der Bahn hier eingetroffen ist, wird von der Polizei gesucht. Der etwa 34 Jahre alte Schwindler der sich Wordwarsky nannte und polnisch oder auch gebrochen deutsch sprach, hat in Dresden seinem Neisekollegen, mit dem er erst von Altwasser nach dort gefahren war, den Gepäckschein ge stohlen. Darauf hat er sich den Reisekorb des selben aushändigen lasten, und ist mit dem 3,13 Uhr Zug nachmittags dort nach Zittau abgehenden Zuge in vierter Wagenklasse und einer Fahrkarte bis Zittau unter Mitnahme des Reisekorbes abgefahren. Der Korb enthielt 40 Mark Bargeld, 2 schwarze Jackettanzüge, 2 weiche schwarze Filzhüte, 2 Trikothemden, 3 weiße Mannshemden, 4 Taschentücher, 2 Dtzd. Kragen, 1 Dtzd. Vorhemdchen, 5 Paar Strümpfe, 1 Paar Lederschuhe zum Schnüren, eine grüne Tuchschürze und 2 Zigarrenkistchen mit Näh- und Wickszeua. Weinböhla. Am Sonnabend Abend gegen 12 Uhr brannte hier das Wohnhaus des Wirtschaftsbesitzer Melzer nieder. Der Besitzer wurde am Sonntage wegen Brandstiftungs verdachtes verhaftet, Gröditz bei Riesa. Hier wurde gestern ein Ortsfernsprechnetz eröffnet. Mutzschen. Im Jahre 1905 beabsichtigt der hiesige Gewerbeverein eine Gewerbe-Aus stellung zu veranstalten. Leipzig. Der Verband thüringischer und sächsischer Leder-Fabrikanten beschloß leider nachstehende Lederpreiserhöhungcn sofort ein treten zu lasten: Für Unterleder: Sohl-, Bache-, Riemen- und Blankleder 5 M., Croupons (Kernstücke) 8 M., Abfälle (Köpfe und Seiten) 5 M., für Oberleder: Fahlleder 12 M., K'pse usw. 10 M. pro Zentner. Weitere Preis erhöhungen werden für November in Aussicht genommen, wenn die außerordentlich Hohen Preise für rohe Häute und teils auch Gerb stoffe anhalten. Meerane. Auf die wundersame Mär aus dem Natskollegium, daß im Stadtsäckel Geld im Ueberfluß vorhanden sei, faßten die Stadt väter auf Vorschlag des Rates den löblichen Beschluß, den Steuerzahlern den Betrag einer Steuerquote zu erlassen resp. zurückzuerstatten. In der nächsten Zeit wird man es daher in Meerane erleben, daß anstatt der ominösen weißen Mahnzettel die freundliche Aufforderung in Haus geflattert kommt, sich behufs Entgegen nahme des zuviel bezahlten Steuerbetrugs in das städtische Schatzamt zu verfügen. Crottendorf. Um die durch die Flucht des Raubmörders Schramm sreigewordene Schutzmannsstelle sind 90 Bewerbungen ein gegangen. Gewählt wurde Hermann Groß in Leipzig-Lindenau. Sayda. Der Arbeiter Müller, der bei Cämmerswalde die Tochter des Bäckermeisters Hammer aus Freiberg auf offener Straße am Hellen Tage anfiel, einer Summe Geldes be raubte und ein Sittlichkeitsnerbrechen verüben wollte, wurde vom Schwurgericht zu Freiberg zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Räuber ist wegen derselben Delikte bereits mit Gefängnis und mit Zuchthaus vorbestraft. Wildenfels. Ein aus dem Jahre 1400 stammendes Lehnsrecht üben die Grafen zu Solms am Michaelstag noch jetzt aus. Der damalige Besitzer der Herrschaft Wildenfels hat die Kirche zu Lößnitz mit einem großen Wald beließen. Für Anerkennung des Lehns haben die Kirchenvertreter alljährich am Michaelistage eine bestimmte Münze zu zahlen, und zwar vor Sonnenaufgang, die dann vom Lehnsherrn zurückgegeben wird unter Neubestätigung des Lehns. Herlasgrün- Montag früh in der dritten Stunde ist auf der hiesigen Station ein Güter zug, der auf ein totes Gleis geleitet wurde, über den Prellbock gefahren. Die Maschine und der Tender stürzten die 3 in hohe Böschung herab. Der Lokomotivführer und der Heizer sprangen ab und blieben unverletzt. Der Zug führer erlitt leichte Verletzungen, das übrige Zugspersonal ist aber glücklicherweise nicht zu Schaden gekommen. Der Verkehr konnte durch Einrichtung eingleisigen Betriebes zwischen Herlasgrün und Jocketa aufrecht erhalten werden. Gegen 7 Uhr morgens war diese Störung wieder gehoben. Plauen. Die Lohnbewegung der Stein setzer hat sich zu einem scharfen Lohnkampf herausgebildet. Die Meister lehnen die hohen Forderungen der Streikenden nach wie vor ab. Das Vorgehen der Meister wird von der Bürgerschaft gebilligt. Man ist der Ansicht, daß ein Nachgeben der Meister weitere Lohn bewegungen im Baugewerbe zur Folge haben würde. Die Streikenden hingegen wollen den Lohnkampf fortsctzen, da dieser Kampf hier entscheident sei für alle zukünftigen Lohnbe wegungen Da die Meister Verhandlungen mit den Streikenden ablehnen, so haben sich letztere an Herrn Oberbürgermeister Dr. Schmid gewandt, welcher die Arbeitgeber ersuchen soll, eine Einigungsverhandlung mit den Gehilfen einzugehen. Einem Wunsche des Oberbürger meisters wollen die Arbeitgeber auch nachkommen, jedoch die Forderungen auf keinen Fall bewilligen. Nach Lage der Sache ist der Ausgang des Lohnkampfes für die Streikenden ergebnislos. — Der Stadtrat hat beschlosten, die Deckung des durch den Wassermangel entstandenen Aus falles an Wasterzins und die beträchtlichen Kosten der Wasterzufuhr für die hochgelegenen Stadtteile (auf etwa 40 000 M. geschätzt), von der Gesamtheit der Steuerzahler tragen zu lasten, nicht aber von Grundstücksbesitzern einen höheren Wasterzins zu beanspruchen. Nus der Woche. Obwohl mit Ablauf des Sommers die politische Jahreszeit von neuen zu beginnen pflegt, will sie sich in diesem Jahre nicht so recht einstellen Hereroaufstand und ostasiatischer Krieg sind nicht imstande, das Neuigkeitsbedürf nis zu befriedigen, das nicht nur die Frauen welt empfindet, und was sonst an Interessantem passiert, geht nicht an unser materielles Jnter- este heran, es ist vielmehr „Kaviar fürs Volk" nicht zur Sättigung bestimmt, sondern pikant anreizend und den Gaumen kitzelnd. Waren es in der -vorigen Woche die wiederholt auf gewärmten Gerüchte über die Anbahnung einer Verständigung zwischen Berlin und Gmunden, so brachte diese Woche den Tod des Graf- Regenten Ernst zur Lippe, aber sie brachte für diesen Todesfall kein Beileidstelegramm aus Berlin, sonst von allen deutschen Fürstenhöfen. Der „Rcichsanzeiger" und die „Norddeutsche Allgemeine" nahmen von dem Todesfall in Detmold, von dem Hinscheiden eines deutschen Bundesfürsten in etwa drei Zeilen Notiz, indem sie das entsprechende Wolfsche Telegramm ab- druckten. Sonst nichts, kein Wort der Trauer oder der Anerkennung. Das ist doch sonderbar höchst sonderbar I Das gibt zu denken, viel zu denken für das Volk der Denker und wenn Sabor noch lebte, könnte er wieder sein geflügelt gewordenes Wort anwenden: „Das läßt tief blicken!" — Wir wundern uns häufig über die gefälschten Kriegsberichte aus dem Osten, die meistens von den in Tschifu Hockenden Kriegsberichterstattern der europäischen Blätter entweder direkt aus den Fingern gesogen oder den lügnerischen Chinesen abgekauf! werden, die auf ihren flinken Dschunken bis in die jüngste Zeit hinein einen, wenn auch nur geringen Verkehr zwischen Port Arthur und der Außen welt aufrecht erhielten. „Ein Schelm gibt mehr wie er hat." So denken die armen, durch die Rusten sowohl wie durch die Japaner von der Front sorgsam zurückgehaltenen Korrespondenten auch. Sie telegraphieren also ihren Blättern für schweres Geld alles, was sie an Nachrichten irgendwie zusammenklauben können. Die außerordentliche Schwierigkeit, irgend etwas Gewisses zu erfahren, dient der Magerkeit des von ihnen gelieferten Nachrichtenmaterials zur Entschuldigung. Was soll man aber dazu sagen, wenn über Vorgänge berichtet wird, die sich dicht vor den Toren Deutschlands abgespielt haben sollen und von denen man mit einem Male erfährt, daß sie nur der Phantasie ent sprungen sind? Vor drei Wochen hieß eS, die russische Ostseeflotte sei von Kronstadt ausgelaufen um nach dem Osten zu gehen. Wenige Tage darauf wurde berichtet, die Flotte sei in den Hafen von Libau angelaufen, weil ihr Befehls haber an den Nieren erkrankt sei. Bei dieser Gelegenheit wurden alle Schiffe, die zu der Flotte gehörten, genau nach Namen, Tonnen« gehalt und Armierung aufgeführt und auch noch hinzugefügt, ein namhaft gemachter Kapitän sei plötzlich am Säuferwahnsinn erkrankt und habe schleunigst zurückgeschickt werden müssen. Daraufhin schickte ein Berliner Blatt, das sich das leisten kann und seinen Konkurrenten in der Berichterstattung eine bis mehrere Nasen längen voraus ist, einen Spezialberichterstatter, einen Kapitän a. D. nach Libau, der sich dort die Geschichte ansehen und natürlich eingehenden Bericht erstatten sollte. Und was fand er? Im Hafen von Libau lagen nur zwei kleinere Schulschiffe; die russische Ostseeflotte ist über haupt nicht dort gewesen, sondern befindet sich fünfzig Meilen weiter nördlich im Hafen von Reval, ist also von Kronstadt aus nickt weit gekommen. Wollte sie ihren Kurs nach Ost asien in gleichem Tempo sortsetzsn, würde sie dort in spätestens zwanzig Jahren eintreffen! — Ueber den französischen „Kulturkampf" hört man, der sozialisttcke Berichterstatter in der Kammer werde vorschlagen, das Kultusbudget überhaupt aufzuheben und die Ersparnisse zur Steuererleichterung für die mittleren und kleinen Landwirte zu verwenden, die heute die eifrigsten Anhänger der Kirche sind. Die Idee an sich ist ganz pfiffig, ihr Urheber übersieht nur, daß in Nordamerika, wo kein Kultusbudget existiert und nie existiert hat, gerade die katholische Kirche die meisten Fortschritte macht. — Gegen den Prinzen von Koburg-Cohary, Gatten der unglücklichen Prinzessin Luise, Schwiegervater des Herzogs Ernst Günther von Schleswig- Holstein, Neffen des verstorbenen Königs Ferdinand von Portugal, Vesier des Fürsten von Bulgarien Schwiegersohn des Königs der Belgier und ungarischen Honoed-General, ist das militärische Ehrengerichts-Verfahren be antragt worden, weil er „einen Menschen widerrechtlich seiner Freiheit beraubt hat". Allerdings: die unglückliche Luise von Koburg ist auch nur „ein Mensch"; aber die Höflichkeit gegen Fürstentöchter wäre durch eine bestimmtere Bezeichnung Hester gewahrt worden.