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Ottendorfer Zeitung. Vie „Dttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich I Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inserat«« bi, vormittag 1» Uhr. Inserate werden mit ,s Pf. 'für die Spaltzetlr berechnet. Tabellarischer Satz nach be- sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Vkrilla. Lür die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Vkrilla. Nr. 138. Oertliches und Sächsisches. Ottendorf-Okrilla, 17. November 1903. — Wie der „Dresdner Anzeiger" erfährt, hat es die Postverwaltung zugelassen, daß Teil nehmeranschlüsse desselben OrtSsernsprechnetzes auf ihren Wunsch für die Dauer von Dienst pausen am Tage miteinander verbunden werden. Für eine solche Dauerverbindung werden be sondere Gebühren nicht erhoben. Wird also eine Danerverbindung von einem Pauschge bührenteilnehmer beantragt, so ist dieselbe gebührenfrei; ein Teilnehmer, der Grund- und Gesprächsgebühren entrichtet, hat für jede von ihm verlangte Dauerverbindung 5 Pfennig zu zahlen. Diese Neuerung wird in solchen Orten mit großer Freude begrüßt werden, wo während der Mittagszeit der Fernsprechverkehr ruht; außerdem wird von dieser Einrichtung nament lich auch an Sonn- und Feiertagen während des Dienstschlufses Gebrauch gemacht werden können. Die Neuerung bezieht sich aber nur auf den Tagesverkehr. Die Bestimmungen über Nachtverbindungen (also von 9 Uhr abends bis 7, bez. 8 Uhr morgens) bleiben dadurch unberührt. Für eine zur Nachtzeit vorher an gemeldete Dauerverbindung ist nach wie vor eine Pauschgebühr von 1 Mark monatlich oder 2 Mk. 50 Pfg. vierteljährlich zu entrichten. Will ein Teilnehmer während der Nacht mit mehreren Teilnehmern dauernd verbunden sein, so ist für jede Verbindung die obige Pausch gebühr zu zahlen. — Der an allen Werktagen außer Sonn abends abends 6 Uhr vom Dresden-Neustädter Bahnhose nach Radeberg (Ankunft 6 Uhr 35 Min.) verkehrende Personenzug wird nächsten Freitag den 20. November letztmalig in diesem Jahre abgelafsen werden. Der Sonnabend- Arbeiterzug nachmittags 5 Uhr 36 Min. von Dresden-Neustadt nach Radeberg bleibt nach wie vor beibehalten. — Wie sich die Zeiten ändern! Der „An- haltischen Eldezeitung" schreibt ein Leser aus Coswig: „Vor kurzem weilte ich in Leisnig in Sachsen, einem Städtchen von etwas über 8000 Einwohnern. Außer einer Friedenseiche zierte das freundliche Muldenstädtchen noch ein Sieges-, ein Adam- (bedeutender Liederdichter), ein HeimatS- und ein Bismarckdenkmal. Beim Anblick des letzteren versetzte ich mich 37 Jahre zurück, in das Jahr 1866. Dazumal war Bismarck der meistgehaßte Mann in Sachsen. Es gab Dörfer um Leisnig herum, in denen jeder dritte Hund den Rufnamen „Bismarck" führte. Und heute? Fast jede Stadt in Sachsen hat ihr Bismarckdenkmal und in fast allen Familienräumen findet man neben dem Bilde des allverehrten Sacksenkönigs Albert das des vielgeschmähten großen ersten Reichskanzlers " Dresden. Mit eingeschlagener Schädel decke wurde in bewußtlosem Zustande auf der Dresdner Straße in Coschütz der Miliiär- krankenwärler Otto Andrich am Freitag abend angetroffen. Der Soldat war vom Rade ge stürzt. Seine Eltern wohnen in Gittersee. Sein Zustand ist bedenklich. Tolkewitz. Bei dem Versuche, einen Wagen der gelben Straßenbahnlinie am Wasser werke Tolkewitz zu besteigen, geriet der Pro duktenhändler Thomas von hier unter einen in entgegengesetzter Richtung anfahrenden Wagen derselben Linie. Als man den verstümmelten Körper unter dem Wagen hervorzog, war das Leben bereits entflohen. Dem Fahrer soll keine Schuld treffen. Deuben. Am Sonnabend nachmittag wurde in der Nähe des Carola-Schachtes ein auf der freien Strecke laufender Mann von einem Pcrsonenzug erfaßt und zur Seite ge schleudert, so daß er einen Genickbruch erlitt. Radeberg. Bei der gestern stattgefundenen Stadtverordneten - Ergänzungawahl wurden die bisherigen Vertreter wicdergewählt. N i e d e rst e i n a. Zu dem Mord an der SchnellinSka wird noch gemeldet: Als am Freitag Mittwoch, den 18. November 1903. 2. Jahrgang. eine Gerichtskommission aus Bautzen sich mit dem mutmaßlichen Mörder der Magd S. an den Ort der Tat verfügte und letzteren auf forderte einmul zu zeigen, wie er seine Geliebte in den Teich gestoßen, widerrief dieser sein ab gelegtes Geständnis und erklärte, daß er nur infolge Versprechungen, sobald er gestehe, werde er freigelassen, zu dem Geständnis bewegt worden sei. Nunmehr behauptet er, daß die Magd selbst ins Wasser gegangen sei. Auf Vorhalt, warum er das nicht zur Anzeige ge bracht habe, erwiderte er, daß es nur aus Furcht um deswillen nicht geschehen sei, weil man ihn dann für den Mörder gehalten haben würde. Reichenberg. Der Barbier Blätter mann von hier stürzte zwischen hier und Dippelsdorf so unglücklich von seinem Rade, dvß er sich eine schwere Gehirnerschütterung zuzog und ins Krankenhaus gebracht werden mußte. Meißen. Eine Massenkündigung von Töpfern ist am Sonnabend und Montag in den hiesigen Ofenfabriken erfolgt und gleichzeitig in den anderen deutschen Ofenfabriken, die dem Verein deutscher Kachelofenfabrikanten angehören. Die Ursache dieser einschneidenden Maßregel ist nach Mitteilungen von beteiligter Seite folgende: In Vellen und Fürstenwalde (Brandenburg) befinden sich seit mehreren Wochen die Töpfer wegen einer Lohnerhöhung im Ausstande. Ver handlungen zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern hatten keinen Erfolg. Die Fabrikanten von Velten und Fürstenwalde wandten sich deshalb an den Verein Deutscher Kachelofen-Fabrikanten, welcher eine Kommission mit den Verhandlungen betraute. Bei diesen Verhandlungen haben nun zwar die Töpfer von Vellen und Fürstenwalde ihre Forderungen ermäßigt, gleichzeitig hat sich aber herausgestellt, daß der durchschnittliche Verdienst der Töpfer m Vellen und Fürstenwalde bereits höher ist, als der Tnrchschnittsverdienst der Töpfer in den anderen deutschen, dem Verein angehörigen Fabriken. Aus diesem Grunde, und da der Verkaufspreis der Oefen jetzt eine Erhöhung nicht vertrügt, wie man ohne weiteres glauben darf, auch mit Rücksicht auf den immer mehr hervortretenden Wellbewerb der eisernen Oefen und der Zentralheizungen, hat die Kommission die Forderungen der Veltener und Fürsten- waldener Töpfer abgelehnt und der Vorstand des Fabrikantenvereins hat beschlossen, daß für den 1. Dezember allen denjenigen Töpfern zu kündigen ist, die der Organisation angehören und dadurch den Deltener-Fürstenwaldener Streik unterstützen. Das betrifft so ziemlich die ge samten Fabcikofenlöpfer, da die Organisation in dieser Arbeiterklasse sehr ausgebildet ist. Ausdrücklich heißt es jedoch in dem Beschluß des Fabrikantenvereins, daß die Kündigung ihre Giltigkeit verliert, sobald in Velten und Fürsten walde der Streik von den Töpfern beendet ist. Die Organisation der Töpfer hat es also in der Hand, jederzeit den ihren Mitgliedern und der gesamten Arbeiterschaft drohenden Schlag der Arbeitslosigkeit vor Weihnachten abzuwenden. Sieben lehn. Tie 65jährige Rentners ehefrau Friebe wurde am Donnerstag auf dem Rückwege von Nossen nach Siebenlehn von dem nachmittags 1 Uhr 52 Minuten von Nossen nach Siebenlehn abgehenden Zuge der Klein bahn erfaßt und zur Seile geschleudert, wobei sie zwei Fleischwunden am rechten Schienbein und mehrere Quetschungen und Hautabschürf ungen erlitt. Die Verunglückte, welche schwer hört und schlecht sieht, ist wahrscheinlich vom Zuge überrascht worden. Mittelst Siechkorbes wurde sie nach ihrer Wohnung gebracht. Falkenberg. Vor einigen Tagen wurde in der Anstaltskirche de« Zuchthauses in Lichten burg ein frecher Einbruchsdiebstahl verübt, bei welchem den Dieben sämtliche zum Teil kost baren silbernen Kirchengerätschaften und Schmuck gegenstände in die Hände fielen. Die Verbrecher müßen die Oertlichkeiten genau gekannt haben; es sind jedenfalls ehemalige Zuchthäusler. Sie hatten sich aus Hintersen von einem Neubau eine Leiter geholt, damit sie die hohe Mauer am Anstallsgarten, wo kein Militärposten steht, übersteigen konnten, und sind dann von hinten her durch ein Fenster eingestiegen. Sie haben so geschickt gearbeitet, daß nicht einmal der Posten an der Kirche etwas gemerkt hat. Von den dreisten Tätern fehlt bis jetzt jede Spur. Leipzig. Zur Verhaftung des Rechts anwalts Noeßner wird noch gemeldet, daß gegen denselben der Verdacht der Untreue vorliegt. Er hat angeblich über Gelder, die er für eine Dame zu verwalten hatte, unrechtmäßig verfügt. Bei dem Verhafteten soll man übrigens schon seit einiger Zeit infolge von Nervenüberreizung Spuren geistiger Störung wahrgenommen haben. Roeßner hatte erst vor kurzem eine große Erb schaft gemacht. — In Schleußig wurden die Kaufleute Pfister und Fabian, Inhaber eines Zeitungs verlages in Schleußig, verhaftet. Sie hatten eine Zentralstelle für Konfirmandenaussteuer eingerichtet und nahmen Spargelder entgegen, die sie auf einer Bank zu deponieren versprachen. Wie sich jetzt herausstellt, haben sie dies nicht getan; es fehlen vielmehr Beträge von über 4000 Mark, die die Inhaber zu eigenem Nutzen verwendeten. Es sind in der Hauptsache wenig bemittelte Leute geschädigt. Stollberg. Das hiesige Stadtverordneten kollegium stimmte in der letzten Sitzung der Ratüvorlage betreffend Aufhebung des Schlacht zwanges für Pferde und Hunde im hiesigen Schlachthofe einstimmig zu. Annaberg. Hier fiel ein fünfjähriger Knabe, als seine Mutter ihn mit seinem zehn jährigen Bruder im Waschhause allein gelassen hatte, rücklings in den Waschkessel, in dem das Wasser gerade am kochen war. Der ältere Bruder riß ihn heraus; der Kleine hatte aber bereits so bedeutende Verbrühungen erlitten, daß er nach unsäglichen Schmerzen starb. Falkenau. In vergangener Nacht fand der hiesige Einwohner Richard Eichler, als er nach Hause kam, von seinen drei Kindern zwei im Blute schwimmend im Bette vor Dem jüngsten einige Wochen alten Knaben war das Handgelenk durchschnitten, während das älteste Kind, ein sechsjähriger Knabe, eine lebens gefährliche Schnittwunde am Halse aufwies. Dem dritten Kinde war nichts geschehen. Das jüngste Kind ist tot; für die Erhaltung des anderen verletzten Knaben ist Hoffnung vor handen. Die Mutter der Kinder hat die grauenhafte Tat in einem Anfalle von Geistes störung begangen. Sie hat sich hierauf in der Flöha ertränkt. Aus dem Vogtlande. In der Nacht zum Donnerstag hat es hier geschneit. Die Berge waren früh bis tief in die Täler herab mit Schnee bedeckt, der jedoch im Laufe des Tages wieder verschwand und nur an den höher gelegenen Punkten liegen blieb. — Gegen wärtig werden viele Kartoffeln aus dem Vogt lande nach England ausgeführt. Die Landwirte find darüber sehr erfreut, da die Preise sich auf der Höhe erhalten. Aus der Woche. Im größten deutschen Bundesstaat haben am Donnerstag die Urwahlen zum Landtage statt gefunden und zwar zum erstenmale unter plan mäßiger Beteiligung der Sozialdemokratie, die wenigstens den Erfolg für sich erhoffte, daß sie für die Hauptwahlen in diesem und jenem Wahlkreise das Zünglein an der Wage bilden und den Ausschlag geben würde. Das ist ihr aber nur in ganz vereinzelten Ausnahmen, wie in Breslau, gelungen und das ist ja auch er klärlich genug. Bei einer offenen Wahl gibt es keine Mitläufer, da muß jeder offen Farbe bekennen und das ist nicht nach jedermanns Geschmack. Trotzdem ist die Zahl der sozial demokratischen Wahlmänner gegen die früheren Wahlen sehr erheblich gestiegen, eine Tatsache, mit der die führenden Parteien wie die Regierung rechnen müßen. Hat in diesem Falle also die Sozialdemokratie auch nicht ihr sprichwörtliches „Schweineglück" gehabt, so brachte die Woche doch wieder einen Sensations prozeß, der ihr reichlich Wasser auf ihre Mühle liefert und der zweifellos auch im Reichstage von ihr gehörig ausgebeutet werden wird, — wir meinen den Prozeß gegen den Leutnant Bilse in Forbach. Dieser junge Herr hatte einen Roman, „Aus einer kleinen Garnison" betitelt, verbrochen und da die Drucklegung ohne Erlaubnis seiner Vorgesetzten erfolgte und da ferner Kameraden und Vorgesetzte in den Romanfiguren ihr lebhaftes Konterfei erblickten und sich durch die Charakteristik und Darstellung beleidigt fühlten, so wurde Leutnant Bilse mit Recht vor den militärischen Kadi gerufen und zu sechs Monat Gefängnis verurteilt. Damit ist ihm sein Recht geschehen und niemand wird das Militärgericht darum tadeln. Das ist auch nicht das Mühlwasser liefernde Moment. Das liegt auf der Seite der Zeugenaussagen. Bilses Verteidiger hatte ausdrücklich darauf verzichtet, den Wahrheitsbeweis für Tatsachen, die in einem „Roman" spielen, anzutreten. Für die Richter war es aber für die Bemessung der Strafe von Erheblichkeit, zu untersuchen wie weit Romandarstellung und Wirklichkeit sich deckten. Denn selbst ein naives Lesepublikum mußte zu der Ueberzeugung gekommen sein, daß Verhältnisse wie sie der Roman schildert, weit übertrieben worden waren und in dieser Häufung bei der deutschen Armee überhaupt nicht vor kommen. Ist der Roman nach Frankreich und England gekommen und lernt man dort jetzt die Einzelheiten der Gerichtsverhandlungen kennen, so wird man behaglich schmunzeln und sagen: „Aha, das sind die moralisierenden Deutschen, die über unsere Heeressitten so wegwerfend urteilen und bedauerliche Einzelsälle verallge meinern." Das öffentliche Gerichtsverfahren auch bei Militärprozessen ist eine große Wohl tat; sie schärft das Gewissen. Nicht zu bedauern ist, daß Dinge, wie sie der Bilsesche Prozeß im Lichte der Oeffentlichkeit gezeigt hat, bekannt werden, sondern daß sie vorkommen. Daß von einem Offizier als Zeugen bekundet werden konnte, „der Kommandeur wurde zwar vom Zivil nicht geschnitten, aber eingeladen wurde er auch nicht," beweist Zustände, wie sie sicher lich nicht wünschenswert sind. Auf die Frage an einen der Eskadronschefs, ob er allein in ehrengerichtlicher Untersuchung war, erfolgte prompt die Antwort: „Es gab ja jede Woche einen neuen Skandal; es lag ja auch Material genug vor." Und in dieses Material boten die Zeugenaussagen einen tiefen Einblick. Lächerliche Geschmacklosigkeiten, unerlaubte In timitäten, Wechselreitereien usw. werden ans Tageslicht befördert — und einer der Offiziere gibt zu, Verkehr mit Kellnerinnen und andern Mädchen zu haben, „wie alle Kameraden". Demgegenüber klingt es noch harmlos, wenn eine Hauptmannsfrau ihren Gatten in Gegen wart anderer einen „Lüdrian" nennt. Genug, mehr als genug von diesen unsauberen Bildern aus einem Stande, dessen Exklusivität ihm schon höhere moralische Pflichten anferlegen sollte. Die Militärverwaltung hat demgegenüber einen schweren Stand. Der Offiziersmangel in der Armee ist schon groß genug; die Besoldungs verhältnisse der unteren Offiziere sind miserable, ihr Avancement noch trostloser und ihre Zukunft in keiner Weise gesichert. Die Ehre, des Königs Nock zu tragen, ist für Offiziere sehr teuer und der Aufenthalt in den kleinen Garnisonstädten an der Grenze ist für einen „flotten" jungen Mann an sich schon eine Qual. Der Forbacher Prozeß hat auf alle diese Dinge von neuem die öffentliche Aufmerksamkeit gelenkt und hoffentlich nicht nur diese, sondern auch die der jenigen Dienststellen, die dafür die Verant wortung tragen müßen.