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Nr. 188 — 91. Jahrgang Wilsdruss-DreSden Freitag, den 12. August 1932 Telegr.-Adr.: „Amtsblatt' Postscheck: Dresden 2640 Jie geMe WO iMsm formaler Verantwortung mehr als bisher befreit", dafür aber „persönlich um so stärker verant wortlich" werden solle. Jene „sormale Verantwortlichkeit" bezieht sich auf die bisherige verfassungsrechtliche Stellung der Regierung bzw. ihrer Mitglieder zum Reichstag, dessen „Vertrauen" ja Reichskanzler und Reichsminister „zu ihrer Geschäftsführung bedürfen". Und mit der „persönlich stärkeren Verantwortung" ist die gegenüber dem Reichspräsidenten gemeint, der den Reichskanzler und mit dessen Zustimmung die Reichsminister „ernennt"; die Reichsregierung soll also durch eine Verfassungsreform wesentlich unabhängiger vom Reichstag gemacht werden, als sie es heute ist. Die Reform zielt mithin auf eine Kräfteverschiebung zugunsten des Reichs. Präsidenten und der von ihm ernannten Regierung ab, und zwar auch formal-rechtlich. „Präsidialkabinett" oder parlamentarische Ncgiernngsform, — „das ist hier die Frage". Hindenburg bei der Feier im Reichstag. Minister Schleicher (links), v. Kardorf (rechts), v Hindenburg. Gayls Resormprogramm. Vielleicht ist derjenige Artikel der Weimarer Ver fassung am häufigsten angewendet worden, der sie „ändert". Er „ändert" sie aber gar nicht, sondern will nur eine Ausnahme von den verfassungsrechtlichen Bestimmun gen schaffen. Unabsehbar lang ist die Reihe solcher Aus nahmen, wie ja auch der „Ausnahmezustand" des Artikels 48 wirklich schon zu einem — „Zustand" ge worden ist. Und trotz alledem ist vor 13 Jahren — um die Worte des Reichsinnenministers aus seiner Rede bei der Ver fassungsfeier zu zitieren — mit der Verfassung „der einzige Grund geschaffen worden, auf dem alle, unbeschadet ihrer weltanschaulichen und politischen Meinung, stehen müssen, die einen deutschen Staat überhaupt bejahen". Jede Ver fassung ist also mehr als nur ein „rechtlicher Niederschlag politischer Strömungen im Volke", wie man dies formulieren zu können glaubte. Sie ist das Fundament nicht des politischen Lebens, sondern des staatlichen Daseins, und es ist daher bezeichnend, daß der modernste Staat mit stärkstem Eigenleben, England, über haupt keine geschriebene Verfassungsurkunde in unserem Sinne hat, sondern nur einen ganzen Haufen „Grund gesetze", von denen einige bereits über ein Alter von Jahrhunderten verfügen, eines sogar das ehrwürdige Alter von 717 Jahren besitzt. Trotzdem bleiben sie die Grundlage. Der Minister v. Gahl erklärte auch ausdrücklich, daß auch in Deutschland von der Grundlage der bestehenden Verfassung aus eine Reform dieser Verfassung erfolgen müsse, wenn „der Vormarsch zu einem neuen staat lichen Leben angetreten" werden solle. Damit wendet er sich indirekt gegen Versuche, deswegen die Verfassung zu ändern oder zu reformieren, weil die politischen Kräfte der Nation heute anders gelagert sind als 1919. Daß das „staatliche Dasein" des deutschen Volkes als organisierter Ration damals durch Gewährleistung der Reichseinheit gerettet wurde, bezeichnete der Reichsinnen minister als ein besonderes Verdienst der verfassunggeben den Nationalversammlung: waren doch die Gefahren über- aus groß, die damals von außen und innen her die Er haltung der Reichseinheit bedrohten. Daß sich im Laufe der 13 Jahre manches an der Ver fassung als reformbedürftig heransgestellt hat, ist wohl nicht zuletzt Schuld von Verhältnissen im staatlichen Leben, die sich 1919 auch mit der kühnsten Phantasie nicht vorans- abnen ließen und mit denen man unter starrstem Fest halten an dem Buchstaben der Verfassung nie hätte fertig werden können. Die außen-, innen-, sozialen und wirt schaftspolitischen Kräfteverschiebungen und -einflüsse for dern daher mit mehr oder weniger Recht so manche Reform. Herr von Gahl nannte hierbei zu allererst die Änderung des Wahlrechts, — und dürfte damit kaum noch auf einen grundsätzlichen Widerspruch stoßen. Freilich hat noch kein Volk hierbei den „Stein der Weisen" gefunden, der nun das vollkommene Wahlrecht schaffen würde. Wahlrechtsreformen sind das ungefähr häufigste in der Versassungsgeschichte parlamentarisch regierter Völker. Auch eine Neuregelung des Verhältnisses zwischen dem Reich nnd Preußen — deutlicher gesagt: zwischen den beiderseitigen Regierungen — im Sinne einer „engeren Gemeinschaft" ist ein Reformvor schlag der zwar von mancher Seite her stark mißbilligt wird aber doch auch nur deswegen, weil vorläufig jeden falls'diesem Vorschlag eigentlich noch eine genaue Durch arbeitung bis in die letzten praktischen Folgerungen hin fehlt Es war ja bemerkenswert, daß der Reichsinnen minister sich deutlich gegen jene Forderungen politischer Natur wandte, die über eine „Verreichlichung" Preußens hinweg zu einer allgemeinen politischen Zentralisierung kommen wollen. Diesem Verlangen widerspricht aber das organische, also historisch gewachsene „staatliche Leben" des deutschen Volkes. Sehr viel wesentlicher und — aktueller sind aber die beiden anderen „Probleme", die Herr von Gahl in seiner Rede berührt. Man weiß schon aus einem Interview des Reichskanzlers, daß im Reichskabinett der Plan erwogen wird, ein Oberhaus zu schaffen. Aus den Andeutun gen, die der Ncichsinnenminister hierüber machte, geht nun aber hervor, daß diese „erste Kammer" eigentlich nur darum geschaffen und entsprechend gestaltet werden soll, um der Negierung als Helfer zu dienen, nm die Regierung „vor den Folgen der oft durch Stimmungen und Wahlrücksichten beeinflußten Parlamentsbeschlüsse" zu Ichutzen. Das Oberhaus soll „die Stabilität nnd Folge- I'wttgkeit der Negierungspolitik gewährleisten". Das mnn aber überhaupt nur geschehen, wenn dieses Ober- .dasselbe „staatspolitische" Gewicht erhalten würde d/n, * Reichstag, der ja zusammen mit dem Reichspräsi- " unmittelbar auf der eigentlichen Grundlage der ? r^'sung, „Aulich Souveränität des deutschen Gc- steht. Also wird man anch hier erst noch naneres über die „Oberhaus"-Pläne abwarten müssen. Das Wesentlichste und Aktuellste aber an den „Pro- icmen , über die der Reichsinncnminister sprach, war die unrundlgung, daß die Rcaieruna „von den Fesseln Sie Verfaffungsfeier in derlm. Die Resormpläne der Rcichsregierung. Das Ncichstagsgebäude, in dem wie alljährlich die Verfassungsfeier der Reichsregierung im Beisein des Reichspräsidenten von Hindenburg stattfand, war bereits seit den Vormittagsstunden, das Ziel Tausender von Schaulustigen. In s^r großen Wandelhalle des Reichs tages sah man neben ver Reichsflagge die Flaggen sämt licher deutschen Länder. Im Sitzungssaal wär auf den Tischen des Reichspräsidiums ein prächtiger Aufbau von blauen Hortensien errichtet. An der Hinterwand waren die Wappen der deutschen Länder angebracht, in der Mitte der große Reichsadler. Zu beiden Seiten sah man die Reichsflagge und die deutsche Handelsflagge. Vor dem Platz Hindenburgs hing die Standarte des Reichspräsi denten. Die Präambel der Verfassung, die sonst früher zu beiden Seiten des Reichsadlers angebracht war, fehlten diesmal. Lange vor Beginn der Feier war der Sitzungssaal des Reichstages bis ans den letzten Platz gefüllt. Ans den Abgeordnetenbänken sah man zahlreiche Mitglieder des bisherigen Reichstages. Auf der Regierungsbank hatten Reichskanzler v-em Papen und die übrigen Reichsminister Platz genommen. 'In der Diplomatenloge war das Diplo matische Korps unter Führung des päpstlichen Nuntius Orsenigo erschienen. Ans der Regierungsestrade bemerkte man anch mehrere Minister der kommissarischen preußi schen Neaiernna. Pünktlich nm 12 Uhr erschien Reichspräsident von Hindenburg in der Reichspräsidentenloge, begleitet von dem Reichstagsvizepräsidenten von Kardorff, der den be urlaubten Reichstagspräsidentcn Löbe vertritt. Nachdem dir Reichspräsident die Versammlung begrüßt hatte, nahm er zwischen dem Reichswehrminister von Schleicher und dem Reichstagsvizepräsidenten von Kardorff Platz. Hier auf begann die Feier mit dem Vortrag der Ouvertüre zu „Egmont", gespielt vom Berliner Philharmonischen Orchester unter Leitung von Professor Prüwer. Darauf nahm Reichsinnenminister Frhr. von Gayl das Wort zu seiner Festrede, wobei er u, a. aussührte: Inmitten einer ihm immer noch feindlichen Welt hat mtset' Volk die schwersten Burden äußerer und innerer Not zu tragen. Alle Versuche, den Verfassungstag zu einem gemeinsamen volkstümlichen Feiertag zu gestalten, sind bisher fehlgeschlagen. Es genügt, hier offen zu bekennen, daß es so ist, unv daß die Verfassung die Geister nicht einigt, sondern trennt. Dennoch hat die Reichsregierung sich entschlossen, den Verfassungstag amtlich zu begehen. Wir geben uns dabei nicht der Hoffnung hin, diesen Tag zu einem Festtag für unser Volk machen zu können. Wir sehen auch in dem 11. August keinen Feiertag, der unter allen Umständen begangen werden muß. Aber wir wollen diesen Tag, der, wie man immer zur Weimarer Ver fassung stehen mag, ein geschichtlicher Gedenktag ist und bleibt, bewußt dazu benutzen, um in Gegenwart des allvercbrtcn Herrn>Reichspräsidenten in würdiger Umrahmung durch klassische deutsche Kunst zu unserm Volk zu sprechen. Es ist richtig, daß Wirtschaftsnot auch Volksschicksal ist, und daß ihre Überwindung eine wesentliche Voraussetzung für Deutsch lands Zukunft bleibt. Es ist aber nicht richtig, daß die Wirt schaft das Schicksal der Nation ist. Im Ringen der Völker um ihr Dasein sind entscheidend die unwägbaren Kräfte eines Volkes. Von ihrem Durchbruch durch die materiellen Sorgen zu machtvoller Betätigung hängt die Zukunft ab. Diese un wägbaren seelischen Kräfte und Werte sind an keine Formen und Verfassungsurkunden gebunden. Sie sind ein Ausfluß höheren, göttlichen Wirkens, das über dem Schicksal der Nation steht, und sie ruhen tief in den Herzen der einzelnen Volks genossen. Wer unsere Lage richtig deutet, der sieht, daß wir wieder an der Wende unseres Schicksals stehen. Jahrzehnte liegen hinter uns, in denen bei uns Deutschen das eigene Ich im Vordergründe des Handelns und Denkens stand. Mit dem Ich des Einzelnen eng verbunden wurden die eigene Gesellschaftsklasse und ihre Herrschaftsbestrcbuugen stark betont und betätigt. Dieser Abschnitt wurde unterbrochen durch die Jahre des Weltkriegs, in denen für einige Zeit die tiefste» Kräfte des Volkes durch die materialistischen Schlacken durch brachen. Nach dem Zusammenbruch schienen die seelische» Werte unrettbar dem Schicksal dauernder Verschüttung auheim- zufallen. Aber lebendig brachen die starken Kräfte, die einst das Erleben des Weltkrieges freigemacht hatte, in den ver schiedensten Formen aufs neue hervor. Je stärker diese ethi schen Regungen in einem Teil unseres Volkes lebendig wurden, desto heftiger wurde der Widerstand derer, die sich in ihren bis herigen Lebensanschauungen bedroht fühlten. So ist jetzt unser Volk in zwei Lager zerspalten, zwischen denen ein erbitterter Kampf um die Macht im Staat« tobt. Jedes Lager nennt das andere Volksverderber und Staatsfeind; so sollten die Dinge nicht sein. Was in unserem Volk ausgefochten wird, das ist ein Kampf der Weltan schauungen, der ein Ringen der Geister und nicht eine hand greifliche Auseinandersetzung sein soll. Wir tnn gut, auch den weltanschaulichen und politischen Gegner bis zum Be weise des Gegenteils als einen ehrlichen Volksgenossen z« betrachten, der das Beste unseres Volkes will. Bewußt aus geschlossen sei dagegen jeder, der einen nationalen deutschen Staat grundsätzlich verleugnet. Man mag zu Einzelheiten der Weimarer Verfassung stehen wie man will. Sie ist heute der einzige Grund, auf dem alle, unbeschadet ihrer welt anschaulichen und politischen Meinung, stehen müssen, di« einen deutschen Staat überhaupt bejahen. Auf diesen: Grund müssen wir uns finden und handeln, denn wir haben keine» anderen, von dem aus wir den Vormarsch zu einem neuen staatlichen Leben überhaupt antreten können. Damit ist aber nicht gesagt, daß Vie Weimarer Versüssung etwas Unabänderliches wäre. Rückblickend auf die dreizehn Jahre des Bestehens unserer Verfassung müssen wir bekennen, daß sie abänderungsbedürftig ist. Es war ein Verdienst der Nationalversammlung und aller deutschen Länder, daß 1919 in verhältnismäßig kurzer Zeit nach dem Zusammenbruch überhaupt eine Verfassung zustande kam, die die Reichsetn- heit gewährleistete und für längere Zeit eine Grundlage staatlichen Lebens fchuf, auf der auch tatsächlich sehr schwere Zeiten überwunden werden konnten. Es ist nicht Schuld der Verfassung allein, daß sich in Deutschland ein« Herrschaft der politischen Parteien entwickelte, bei der Legislative, Kontrolle und Exekutive immer mehr verschmolzen und di« schließlich dazu zwang, sogar Maßnahmen des wirtschaftliche? Lebens und der Finanz- grannig mit der ultima ratio des KrAkels 48 zu regeln und damit eine» Teil der Verfassung sMst außer Kraft zu setzen. Die heutigen Zustände dürste» ein schlagender Beweis fein, saß die Verfassung abänderungsbedürstig ist. Mist* Volk kann sich auf die Dauer der Notwendigkeit uner Versassungsresorm, ja einer Neichsreform nicht ent ziehen. Die Reform hat auszugehen von einer Änderung »es im Artikel 22 der Verfassung vorgeschriebenen Wahlrechts. In diesem Artikel wurzelt die von weitesten Kreisen schwer empfundene Herrschaft -der Parteibürokratie. Das Volk will nicht Nummern, sondern MsdrufferTagebla Q für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter Anzeigenpreis: die 8gefpollene Raumzeile 20 Rpsg., die 4gespaltene Zeile der amtlichen Bekanntmachungen 40 Reicks^ Pfennige, die 3gespaltene Reklamezeile im textlichen Teile 1 RMK. Nachweisungsgebuhr 2V Reichspjennige. Dor* geschriebeneErscheinungs. 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