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Nr. 135 — 91. Jahrgang Wilsdrufs-DreSden Sonnabend, den 11. Juni 1932. Telezr.-Adr.: „Amtsblatt' Postscheck: Dresden 2640 PmWer MW M IS. 3M Der Dreierausschuß, dessen Gnberufung Präsident Kerrl ankündigt, setzt sich aus dem Präsidenten des Land tages, dem Präsidenten des Staatsrats und dem Minister präsidenten zusammen. Ihm ist in der Verfassung die Befugnis übertragen, das Parlament vor Abschluß der Legislaturperiode aufzulösen. Präsident Kerrl gab noch bekannt, daß er dem Reichs kanzler sein Schreiben an den stellvertretenden preußischen Ministerpräsidenten zur Kenntnis gebracht habe und daß er ihn gleichzeitig davon unterrichtete, daß er ihn über die weiteren Schritte zur Bildung der neuen preußischen Re gierung gleichfalls informieren wolle. Am Aufhebung der preußischen Aoiverordnung. Der Ältestenrat des Preußischen Landtages hat in seiner Sitzung am Frcitagnachmittag beschlossen, die nächste Sitzung des Landtages am Mittwoch, dem 15. Juni, ab zuhalten. Auf die Tagesordnung werden gesetzt: die Anträge auf Aufhebung derpreußifchen Notverord nung und der nationalsozialistische Amnesttegesetz- en 1 wurf. Ein deutschnationaler Antrag, auch die Wahl des Ministerpräsidenten auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu stellen, wurde gegen die Stimmen der Antragsteller und des Zentrums abgelrhnt. Der Landtag wird zunächst nur am 15. und 16. Juni tagen. * Kerrl gegen Hirtfiefer. Der Streit um den Kanzlerbrief. In den Meinungsstreit, der zwischen der geschafts- führenden preußischen Staatsregierung und dem Reichs kanzler wegen des Briefes, den Herr v. Papen an den preußischen Landtagspräsidenten Kerrl zwecks vorzeitiger Einberufung des Preußischen Landtags gerichtet hat, ent brannt ist, hat nunmehr auch Präsident Kerrl einbegriffen. Der Präsident des Preußischen Landtages hat an den geschäftsführenden preußischen Staatsminister Dr. Hirt- siefet ein Schreiben gerichtet, in dem er darauf hinweist, daß die Beschwerde der preußischen Staatsregierung gegen das an ihn gerichtete Schreiben des Reichskanzlers nach seiner Auffassung weder staatsrechtlich noch verfassungs mäßig irgendwie gerechtfertigt sei. Präsident Kerrl ver tritt den Standpunkt, daß die Frage der Neubildung der Regierung ein „Akt der Legislative* sei, deren einzig be rufener Vertreter er zur Zeit sei. Er habe dem Reichs- kanzler von dieser Auffassung Mitteilung gegeben und ihn gebeten, mit ihm weiter zu verhandeln, da er jede Vermitt lung durch die geschäftsführende Regierung um so mehr ablehne, als gerade die Parteien, die die Mitglieder der geschäftsführenden Regierung stellen, die Beschleunigung der Regierungsneubildung durch die Bestätigung der Ge- schaftsordnungsänderung verhindert haben. Diese Ände rung der Geschäftsordnung ist, wie in Erinnerung gebracht sei, durch die Mehrheitsparteien des alten Landtages da hingehend vorgenommen worden, daß der Ministerpräsi dent nur mit absoluter Mehrheit gewählt werden kann, während vorher die Bestimmung bestand, daß, wenn der erste Wahlgang ergebnislos verlaufen sollte, der Minister präsident wird, der im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Schließlich bittet Präsident Kerrl in seinem Schreiben den geschäftsführenden preußischen Staatsminister Dr. Hirtsiefer, ihm den Aufenthalt von Dr. Braun mitzuteilen, da er, der Landtagspräsident, als der einzige legitimierte Vertreter des Dreier ausschusses beabsichtige, diesen einzuberufen. Präsi dent Kerrl bemängelt es, daß Dr. Braun es nicht für nötig gehalten habe, ihm eine Nachricht über seine Abwesenheit zugehen zu kaffen, obwohl nach den Gepflogenheiten und der Geschäftsordnung des Landtages jeden Urlaub eines Abgeordneten bis zu einer Woche der Landtagspräsident und darüber hinaus der Landtag zu erteilen habe. ' Daß zu diesen dringenderen Aufgaben innenpolitischer Art in allererster Linie die Lösung der „Preuhi - schenFrage" gehört, hat der Reichsinnenminister selbst in den Vordergrund gestellt. Allerdings fragt es sich, ob diese Lösung wirklich mit der wünschenswerten Beschleuni gung erfolgen wird, die die Reichsregierung für not wendig hält. Letzten Endes handelt es sich dabei, rein äußerlich gesehen, darum, daß in Preußen die National sozialisten und das Zentrum an den Verhandlungstisch herangebracht werden müssen. Man kann vielleicht sagen, daß auf beiden Seiten eine gewisse Bereitschaft für solche Verhandlungen vorliegen mag, daß aber beide Parteien sich auch wieder ungern in einer Zeit binden wollen, die im Zeichen des Wahlkampfes steht. Im Reich jedenfalls hat, wie der Reichsparteivorstand jetzt beschlossen hat, das Zentrum die feste Absicht, ohne jede Bindung nach rechts hinüber und in schärfster Opposition zum Kabinett von Papen in den Wahlkampf zu ziehen. Diese Opposi tion gegen das Kabinett wird nach außen hin zum stärksten Ausdruck gebracht, indem das Zentrum mit betonter Absicht den früheren Reichskanzler als den Heerführer im Wahlkampf bezeichnet. Anderthalb Monate allerdings ^rd es dauern eh in Deutschland die innenpolitische Klärung herbeigeführt wird, die in der Regierungs erklärung des Kabinetts von Papen gefordert worden ist. * Natürlich sind gerade jetzt die außen- bzw. repara- tionspolitischen Fragen noch weit dringender als die innenpolitischen. Es scheint fast, als wolle der Reichs- kanzler darauf hinarberten, daß in Lausanne möglichst schnelle Arbeit gemacht, zum mindesten erne möglichst schnelle Entscheidung 'herbeigeführt Wird. Daß für Deutschland die Aussichten in Lausanne keineswegs gut sind, ist eine Tatsache, mit der man sich in den letzten Tagen besonders darum hat vertraut machen müssen, weil in Paris eine Vorkonferenz für Lausanne stattfindet. In Richtung auf Amerika ist alles klar und unzweideutig; Stimson, der Staatssekretär des Äußeren in Washington, hat noch einmal wiederholt, was man sowohl im „Weißen Hause" wie im Repräsentantenhaus hundertmal gehört Die Vereintsten Staaten wollen der Revarntions- konferenz in Lausanne nicht vorgreifen, wollen nicht von sich aus einen Kompromißvorschlag machen, und lehnen es ab, daß nun die Gläubiger der deutschen Tribute sich an Amerika dafür schadlos halten wollen, wenn Deutschland seine Zahlungsunfähigkeit erklärt. Selbst wenn England — und dahinter muß man noch ein großes Fragezeichen machen — in Lausanne also eine grundsätzliche Streichung der Reparationen verlangen sollte, so wäre kaum damit zu rechnen, daß Amerika Ja und Amen dazu sagen würde. Sehr viel schärfer bekämpft man aber in Washington die französische Ausfassung, daß, abgesehen von einem etwaigen Moratorium, die interalliierten Schulden bzw. der ent sprechende Teil der deutschen Tribute gestrichen werden, dem deutschen Volke aber eine gewisse Summe als tatsäch liche „Reparation", also als „Wiederherstellung" der zer störten Gebiete aufgepackt werden solle. Amerika lehnt es rundweg ab, die Frage der deutschen Tribute mit den interalliierten Schulden zusammenzuketten. Stimson selbst hat offiziell erklärt, daß Amerika „mit den Reparationen nichts zu tun habe und die Lösung dieser Frage den be teiligten Mächten überlassen müsse, die jetzt in Lausanne hoffentlich zu einer Einigung gelangen würden". Wir werden in Deutschland guttun, uns nicht allzusehr einer solchen Hoffnung hinzu gebens Dr. Pr. Probleme und Nöte. Reich und Länder Die Preußenfrage — Ausblick aus Lausanne. Leider Gottes ist es nicht so, daß bei dem Kurswechsel tm Reich zugleich mit den alten Ministern etwa auch die finanz- und wirtschaftspolitischen Nöte in Deutschland be seitigt werden könnte; vielmehr steht auch die neue Regie rung vor denselben Problemen und Nöten finanzieller, sozialer und wirtschaftspolitischer Art wie das frühere Kabinett. Hinzu kommt noch eine andere Frage, die in Len letzten Jahren viel zu sehr in den Hintergrund ge drängt worden ist, nämlich die der Neuregelung des Verhältnisses zwischen Reich und Ländern. Bekanntlich bestehen seit langem enge Be ziehungen zwischen den Männern der neuen Regierung und bestimmten politischen Kreisen, die, wie Dr. Luther, Dr. Geßler u. a., sich mit dem Problem der Reichsreform besonders eifrig beschäftigt haben. Aber nicht bloß eine staatsrechtliche Seite hat dieses Problem der Reichsreform, sondern eine zweite, heute noch viel wichtigere Seite: die finanzielle. Finanziell ist äußerlich auch der „Kon flikt" zu verstehen, der sich zwischen Preußen und dem Reich herausgebildxj hat und der nun von Preußen her auch auf finanziellem Wege bereinigt werden soll. Um die Finanzen handelt es sich letzten Endes ebenfalls bei den Maßnahmen, die von der Reichsregierung vorgesehen sind und durch Notverordnung durchgeführt werden; denn die Finanzen der Kommunen befin-en sich in einem so tröst- losen Zustand, daß vom Reich etwas getan werden muß. * Der neuen Neichsregierung geht es eben nicht anders wie der alten; diese stand und jene steht vor der Tatsache, daß dix Arbeitslosigkeit immer neue Löcher in die Reichs-, Länder- vor allem aber Kommunalfinanzen reißt. Seit Jahren ist in der Frage des Finanzausgleiches ebensowenig geschehen wie in der Frage der Reichs- re form. Der neue Reichsinnenminister v. Gahl hat in seiner Rede vor dem Neichsrat zwar ausdrücklich er klärt, daß die Reichsregierung „die Eigenart des Eigen- lebens der deutschen Länder selbstverständlich nicht an- tasten werde", aber trotzdem haben die Länderregierungen Bayerns, Württembergs und Badens den auffallenden Schritt getan, vor dem Reichspräsidenten selbst gegen angebliche Rcichsreformpläne des Kabinetts v. Papen protestieren zu wollen. Dabei hat der Reichs innenminister mit stärkster Betonung die Eigenart der deutschen Stämme als eLvas „Heiliges" hingestellt, das des Verständnisses und der liebevollen Pflege bedürfe; der kulturelle Hochstand unseres Volkes verdanke sein Dasein picht der Befruchtung von einer Zentrale aus, sondern der Mannigfaltigkeit des Lebens in den einzelnen deut schen Ländern. Im übrigen hat der Reichsinnenminister es abgelehnt, auf dem Gebiet der Reichsreform eine Stel lungnahme der Reichsregierung zum Ausdruck zu bringen, — weil nämlich heute dringendere Aufgaben vorliegen, deren Lösung die Stunde gebieterisch fordert. Die Notverordnungen des Reiches. Das Reichskabinett hat die Beratungen über die neuen Notverordnungen, die am Dienstag veröffentlicht werden sollen, abgeschlossen. Die eine Notverordnung bringt den Etat mit weiteren Abstrichen für eine Reihe von Ministerien, außerdem die finanziellen Mittel für die Arbeitslosenhilfe, wobei mit Belastungen zu rechnen ish die im wesentlichen auf die gleichen Summen hinaus-, laufen, die das Kabinett Brüning für notwendig hielt.' Die zweite Notverordnung bringt die Aufhebung des! SA.- mH des Uniformverbots. Der Reichspräsident hat bereits die Unterzeichnungen der Notverordnungen zu« gesichert. Erregte Aussprache im Ältestenrat. In der Sitzung des Ältestenrates des Preußischen' Landtages war vor dem Beschluß, die nächste Land tagssitzung am 15. Juni abzuhallen, vom Zentrum und von den Sozialdemokraten der Wunsch geäußert worden, in der Woche vor der Hessenwahl nicht zu tagen. Als dann die aus Nationalsozialisten, Deutschnationalen und Kommunisten bestehende Mehrheit des Ältestenrates trotz dem den bekannten Beschluß faßte, bezeichneteder stellver tretende Fraktionsführer des Zentrums, Astgeordneter Steger, es als einen BruchalleufrüherenHer» kommens, daß man auf die Wünsche zweier großer Fraktionen, die Tage vor der Wahl frei zu haben, keine Rücksicht genommen hätte. Auch der Briefwechsel zwischen dem Reichskanzler und dem Landtagspräsideyten sei ein Bruch früher sorgfältig beobacht,ter Formen. Gegenüber Bayern würde der Reichskanzler wahrscheinlich anders verfahren sein. Abgeordneter Leinert (Soz.) wies den Präsidenten darauf hin, daß ein Beschluß des Landtages bestände, wo nach keine Stelle des Landtages das Recht habe, in direkte« Verkehr mit der Reichsregierung zu treten; aller Ver kehr zwischen Preußen und dem Reich habe nach diesem Beschluß über die preußische Regierung z« gehen. Präsident Kerrl schloß die Alteftenratssitzung mit der Bemerkung, daß er auch nach der Aussprache an dem von ihm eingenommenen Standpunkt in allen Punkten festhalten müsse. Der Ältestenrat wird sich bei Beginn des kurzen Tagungsabschnittes vom 15. und 16. Juni nun mehr darüber schlüssig werden, ob die Wahl des Ministerpräsidenten am 2 2. Juni auf die Tagesordnung gesetzt werden soll. Kinanzminister Klepper und die Notverordnung. Der preußische Finanzminister Klepper erklärte im Rundfunk die neue Notverordnung; dann kam er auch auf die nächste Landtagssitzung zu sprechen. Er führte etwa aus: In der Sffentlichkekt sind Zweifel dahin geäußert worden, ob nicht die Mehrheit des neugewählten Preu ßischen Landtages etwa die Notverordnung aus heb c n und damit das Sanierungswert gefährden werde. Sollte die neue Mehrheit des Landtages die Anträge auf Aufhebung der Notverordnung annchmcn, so würde dies ohne praktische Bedeutung bleiben; denn da di« Notverordnung auf Grund einer ErmächtigungdeS Reichspräsidenten ergangen ist, kann der Preu ßische Landtag sie weder aufhebeu noch ab ändern. i Die antragstellenden Parteien kennen die Recht sprechung des Staatsgerichtshoses genau so gut wie die Staatsregierung. Die an diese Anträge im Parlament sich anschließenden Vorgänge werden also lediglich einen politisch-demonstrativen Charakter tragen. Der Minister schloß mit der Erklärung, daß auch die jenigen, die jetzt die neue Notverordnung bekämpften, in absehbarer Zeit, wenn sie die verantwortliche Staatsfüh rung übernähmen, nicht eine einzige der finanziellen Maß-> nahmen, die die Staatsregierung jetzt getroffen habe, würden aufheben können, znmal jeder Versuch einer neuen Inflation an der festen Haltung der Reichsbank scheitern würde. MsdmfferTageblatt Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meißen, des Amts gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft/ Das Wilsdruff«» Tageblatt- erscheint a» allen Wndtagen nachmittag, S Uhr. Bezugspreis monatlich 2,- RM. frei Hau, bei Poftdestellung 1,80 RW. zuzüglich Bestellgeld. Liuzeluummern 10 Rpsg. Alle Postanstalten, Post. L-n^S-^ Wochenblatt für Wilsdruff u. 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