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Mittwoch, den 6 Mai 1S25 Nr 104.— 84. Jahrgang. Tc!«gr.-Adr.: „Amtsblatt- Wilsdruff-Dresden Postscheck: Dresden 2640 Ir. StttseMN m dm MhmWb. Das zweite Frankreich. Eine ganz merkwürdige Entwicklung scheint jetzt der spanisch-marokkanische Kampf zu nehmen. Be kanntlich hatten die Spanier Niederlage auf Niederlage erlitten und waren schließlich bis auf einen schmalen Küstenstreifen zurückgedrängt worden, den sie nur mit Hilfe ihrer weittragenden Schiffsgeschütze, aber auch so nur mit großen Verlusten halten konnten. Alles, was die Spanier früher im Kampf gegen die Nifkabylen an Menschen und Material verloren hatten, verschwand gegen die gewaltigen Einbußen, die sie beim Rückzug und bei dem mühseligen Halten der verkürzten Linien erlitten. Es gebt ihnen dort zurzeit genau so wie der Entente auf Gallipoli; über haupt haben die damaligen Kämpfe mit der jetzigen Lage der Spanier in Marokko viel Ähnlichkeit. Dabei war es offenes Geheimnis, daß die Nifkabylen von Fran- zösisch-Marokko her mit Waffen modernster Art versehen wurden; nur konnte spanischerseits dagegen nicht das geringste ausgerichtet werden. Die furchtbaren Verluste der Spanier, die Aussichts losigkeit des weiteren Kampfes und nicht zuletzt inncrpoli- tische Schwierigkeiten des spanischen Diktators Primo de Rivera — es kam ja bekanntlich sogar zn einer Militärrevolte — bewogen diesen zu dem schweren Schritt, Unterhandlungen mit dem Führer der Nifkabylen, Abd- el-Krim, anzuknüpfen. Spanische Gesandte machten den Vorschlag einer ganz losen spanischen Oberherrschaft über das nordwestliche Marokko, stießen aber bei den sieges trunkenen Gegnern auf alles andere als auf Gegenliebe. Wurde doch sogar schon der alte spanische Besitz, so Melilla, auch Tanger, von der Artillerie Abd-el- Krims bedroht. Die spanischen Unterhändler sind jetzt zweifellos ohne jeden Erfolg zurückgekehrt und nun — das ist das Merkwürdige — erfolgt ein militärisches Zu sammenarbeiten Spaniens und Frank reichs. Die Gründe hierfür lassen sich vorläufig noch nicht recht durchschauen. Selbstverständlich Has Frankreich oas allergrößte Interesse daran, Marokko für sich allein zu be sitzen, hat aber doch wohl aus dem zähen Widerstand der Kabylen entnehmen können, daß eine völlige Besitznahme auch des Nordwestens eine außerordentlich schwere Auf gabe bedeuten würde. Vor allem aber mag Frankreich wohl eine andere Gefahr fürchten, und das ist die pan - islamitische. Der Kampf der Nifkabylen unter Abd-el- Krim gegen die Spanier ist nämlich ein wesentlich reli giöser. Und der religiöse Fanatismus ist es vor allem, der die Kabylenstämme zu einem einheitlichen Vorgehen, überhaupt zur Einheit veranlaßte. Nirgends in der Welt ist der Islam, die Lehre Mohammeds, noch so lebendig wie in Marokko. Und wenn es den Nifkabylen, wenn es Abd-el-Krim gelingen sollte, die Spanier aus dem Lande hinauszujagen, so wäre das ein Sieg des Islams über die Europäer, der nicht ohne Rückwirkung auf das ge waltige nordafrikanische Reich Frankreichs bleiben kann. Man weiß, wie stark der Einfluß ist, den die Wiederer starkung der Türkei, der Sieg über eine europäische Macht in ganz Vorderasien ausübt und dort wiederholt seingesponnene Pläne Frankreichs und Englands zerrissen hat. Eine derartige Gefahr nun auch im Westen entstehen zu lassen, dürfte man um so weniger Lust haben, als man sie vor der Tür hat. Man hat ja größere Pläne, von denen man aber na türlich offiziell nicht spricht. Das war. als den Eng ländern die bekannten Schwierigkeiten in Ägypten entstanden, als Zaglul Pascha zum Amtsabtritt gezwungen wurde, als in Ägypten und namentlich im Sudan große Militärrevolten aussbrachen, die allerdings mit blutiger Strenge unterdrückt wurden. Da hat man sich in Frankreich — natürlich nicht in den offiziellen Kreisen — daran erinnert, daß man einst selbst unter Oberst Marchand am Nil stand, die französische Fahne in Faschoda hißte und sie nur unter dem Druck der Briten, eines Kitchener, niederholen mußte. Offiziell hat ja Frankreich dann 1904 auf seine ägyptischen Ansprüche verzichtet, aber die Träume eines Napoleon nnd seiner Eroberung Ägyptens sind noch lange nicht ausgetränmt. Wohlgefällig sieht man inoffiziell in Frankreich auf die Schwierigkeiten, mit denen die Engländer jetzt dort zu kämpfen haben. In Nordasrika gehört ja nur Tripolis und Ägypten anderen Mächten und das „zweite Frankreich" innerlich zu stärken und äußerlich zu mehren ist, namentlich nach dem Kriege, zielbewußteste Politik Frankreichs gewesen. Da kann man Störungen panislamitischer Art schon deswegen nicht ertragen, weil ja die französische Herrschaft in diesem riesigen nordafrikanischen Reich keineswegs auf einer frei willigen Gefügigkeit der arabischen Eingeborenen aufgc- baut ist, sondern nur mit großen militärischen Mitteln aufrechterhalten werden kann. So wird die französisch-spanische Aktion gegen die Nifkabylen nur das eine Ziel haben, Abd-el-Krim zu einer Nachgiebigkeit zu zwingen, die zu einem Waffenstillstand führt, um dies störende Moment im fernen Nordwest aus- zuschaltcn. Mehr nicht. Es ist dies übrigens ein Ziel, das schon beinahe erreicht war, aber dann durch eine allzu schroffe Haltung der Spanier wieder in die Ferne gerückt wurde. Die Verpflichtungen des Reiches. Vor dem Untersuchungsausschuß des Reichstages über die der Ruhrindustrie gezahlten Entschädigungen wurde der von seiner Krankheit genesene Reichsaußenminisler Dr. Strese mann vernommen. Dr. Stresemann, der zu der fraglichen Zeit als Reichskanzler den Briefwechsel mit Sünnes geführt halte, erklärte über die Absichten der Parteien bei dem Ver tragsabschluß u. a. folgendes: Bei den damaligen Verhandlun gen zwischen der Reichsregierung und dem rheinisch-westfäli schen Kohlenbergbau sind die Verpflichtungen der Reichs- regierung weit über den Charakter einer moralischen Verpflich tung hinauSgegangen. Es kann gar keinem Zweifel unter liegen, daß beide Parteien davon ausgegangen sind, daß das Reich eine Verpflichtung übernommen hatte, die auch unter Umständen von der anderen Seite einklagbar gewesen wäre. Auch der Reparalionskommission gegenüber ist ganz klar und deutlich zum Ausdruck gekommen, daß das Reich die Ver pflichtung zum Ersatz dieser Leistungen übernommen habe. Es handelt sich dabei ja auch um Stimmen, bei denen es klar war, daß sie auf die Dauer von den Beteiligten aus eigener Kraft nicht getragen werden konnten, und daß sich deshalb das Reich bei den damaligen Verhandlungen sagen mußte, daß es zu gegebener Stunde voraussichtlich in Anspruch genommen würde. Reichskanzler Marr hat die Reichsregierungs leistungen abhängig gemacht davon, daß dem Reich Anleihe- mittel zur Verfügung ständen. Aus den ganzen Verhandlungen, aus den Versuchen der Industrie, die Verpflichtung des Reiches zu benutzen, sie gewissermaßen zu lombardieren, um sich da durch Kredite zu verschossen, aus den Erklärungen gegenüber den französischen und belgischen Delegierten schon am 28. Ok tober, aus jener Debatte zwischen den Franzosen und den deutschen Bergherren geht eines hervor: es handelte sich um vvrgcstrccktc Reparationsleistungen des Deutschen Reiches, die das Deutsche Reich zu übernehmen hatte, die zu übernehmen es sich verpflichtet hat, sobald seine Finanzen in Ordnung wären. Hieraus ergibt sich für mich, daß das Reich auch eine Privatrechtliche Bindung übernommen hat. Finanzminister von Schlieben erklärt, es sei damals angenommen worden, daß über den Etat 1924 hinaus noch eine Summe von 100 Millionen im Jahre 1925 zur Deckung von Verpflichtungen aus der Abwicklung des Ruhrwiderstandes gezahlt werden müßte. Bei der hohen Schätzung von 109 Mil lionen jür 1925 habe er an die Micumlasten nicht gedacht, weil die Deckung dieser Lasten damals auf anderem Wege versucht werden sollte. Bei der Fortsetzung der Vernehmung des Neichsaußenministers erklärt Dr. Stresemann: Man habe vor der Frage gestanden, entweder auf das Dawes-Gutachten hinzuarbeiten oder auf einen Bruch mit Frankreich. Dieser Gesichtspunkt sei für die Regierung von größter Bcdeutnng gewesen. Wie cs mit der Gutschrift ge gangen sei, darüber sei er sich im Augenblick nicht klar. Am Schluffe der Sitzung wird beschlossen, die Vernehmung des früheren Innenministers Sollmann später noch vorzu- nehmen. Ein Unterausschuß wird zunächst das vorliegende, sehr umfangreiche Aktenmaterial zur Prüsung der materiellen Seite der Angelegenheit sichten und dem Gesamtausschuß vor V.cUeilcratnng darüber Bericht erstatten. Senelch agitiert in Wien gegen cken UnIGiußgecksnken. Wien, 5. Mai. Wie der Abend meldet, wird der tsche chische Außenminister Dr. Benesch bei seinem Besuch in Wien am 14. Mai seinen Standpunkt in der Frage des Anschlusses Deutschland an Oesterreich darlegen und auf die Wege Hinweisen, auf denen seiner Meinung nach die Lebensfähigkeit Oesterreichs gesichert werden kann. Von einem Beitritt Oesterreichs zur Klei nen Entente könne keine Rede sein. Dagegen soll nach dem An trag Dr. Beneschs ein großzügiger Ausbau der Handelsverträge Die Lage in Marokko. In einem Bericht aus Rabat in Marokko wird gesagt, daß die Schwierigkeiten zwischen Frankreich und den Rif berbern Mitte April begonnen hätten, als kleine Trupps von Nifkabylen sich südwärts durch die französischen Posten- linicn drängten und bei den Eingeborenenstämmen im französischen Gebiet Propaganda für einen Aufstand machten. Die Stammesaugehörigen des geflüchteten, französisch gesinnten Derkawi seien gezwungen worden, sich den Truppen Abd-el-Krims anzuschließen. Die Rifberber hätten zahlreiche Geiseln mitgenommen. Die Franzosen hätten inzwischen umfassende Maßnahmen ge- lrosfen. Drei Verteidigungsgruppen unter drei Generälen seien gebildet worden mit 18 Bataillonen Jnsanterie, 6 Schwadronen Kavallerie und 12 Batterien Artillerie. Diesen Truppen ständen 4000 Rifberber gegenüber, die ihrerseits durch eine Reserve von weiteren 4000 Mann innerhalb der spanischen Zone unterstützt würden. Die französischen Behörden betrachten die Lage als ernst, doch wäre man Herr der Situation. Die Gefahr einer Aus- siandsbcwegung hinter den französischen Linien scheine gegenwärtig beseitigt zu sein. mit der Tschechoslowakei und den Nachfolgestaaten vorbereitet werden. Im Handelsverkehr zwischen Oesterreich und der Tschechoslowakei und den andren Nachfolgestaaten sollen besondere Zollvergütungen, sogenannte Vorzugszölle festgesetzt werden. Eine solche Einigung würde, wenn sie zustande käme, selbstverständlich eine Benachteiligung der deutschen Einfuhr nach Oesterreich und der Tschechoslowakei bedeuten, so daß infolge des Meistbegünsti- gungsvertrages zwischen Oesterreich und Deutschland gewisse Schwierigkeiten entstehen werden. Hilfe für die Landrvirtfchaft. Berlin, 4. Mai. Im Haushalkungsausschuß des Reichstags wurde eine Entschließung angenommen, worin die Rcichs- regierung ersucht wird, in Anbetracht der sich immer schwieri ger gestaltenden Lage der Landwirtschaft, die ganz besonders empfindlich die viehproduzierende Landwirt- s cha f t trifft, auf dem Gebiet des Zollschutzcs und des Veterinärpolizeiwesens die erforderlichen Maßnahmen schleu nigst zu treffen. Ebenso fand die Annahme ein Antrag, bei allen Maßnahmen der Regierung zur Förderung der land wirtschaftlichen Produktion daraus zu achten, daß die kleinbäuerlichen Betriebe eine besondere Be rücksichtigung finden. Vie 2ottvorisge. Eigener Fernsprechdienst des „Wilsdruffer Tageblattes". Berlin, 5. Mai. Wie die Morgenblätter melden, hat das Reichskabinett in seiner gestrigen Sitzung die Zollvorlage in ihren wesentlichsten Teilen durchberalen. SDie schwarzen Pocken in London. Berlin, 5. Mai. Wie der Lokalanzeiger meldet, wur den in London mehrere Fälle von schwarzen Pocken festgestellt. Annahme des Goldstandardgefetzes im Uvterhause. Eigener gernsprechdienst des „Wilsdruffer Tageblattes". Berlin, 5. Mai. Wie der Lotalanzeiger aus London mel det, zog die Arbeiterpartei nach der Rede des Schatzkanzlers ihren Abänderungscntrag zurück. Dann wurde das Gold- standardgeseh in zweiter Lesung ohne Abstimmung angenommen. Starke Kontrolle durch die französischen Besatznngsbehörden. Eigener Fernsprechdienst des „Wilsdruffer Tageblattes" Koblenz, 5. Mai. Die französischen Besatznngsbehörden üben jetzt eine immer schärfere Kontrolle auf den Landstraßen aus. Besonders eingehend werden die Automobile untersucht. Ein Kaufmann wurde, weil sein Personalausweis kein Lichtbild enthielt, vom Kriegsgericht zu 45 Tagen Gefängnis verurteilt. Die kommunistische Bewegung in Bulgarien. Sofia, 4. Mai. Die Kriminalpolizei entdeckte eine neue kommunistische Organisation bei Warna. En Munitionslager wurde beschlagnahmt. Außerdem wurde in den Archiven eine Liste mit ungefähr 50 Namen von Personen gefunden, die beim Gelingen der Revolution erschossen werden sollten. Die Kom munistenführer Matrow, Mischkow und Teodor Smokow wurden verhaftet. Rach einem Beschluß der Regierung sind alle Privatunternehmen, Gesellschaften, Banken usw. aufgefordert worden, die kommunistisch gesinnten Angestell ten zu entlassen. Oie Ankunst -es Reichspräsi-enien Berlin, 4. Mai. Dem Vernehmen nach wird Reichspräsident von Hindenburg zur Vermeidung von Verkehrs störungen auf keinem der Berliner Hauptbahnhöfe, sondern auf dem Bahnhof Heerstraße eintresfcn. Hier kommt der fahrplanmäßige Zug, au deu ein Salonwagen für den Reichspräsidenten angehängt ist, am Montag, den 11. Mai, nachmittags 5 Uhr, an. Zur Begrüßung des Präsidenten werden auf dem Bahuhof Reichskanzler Dr. Luther uud ein anderer Vertreter der Neichsregierung, S^ats- sckretär Dr. Meißner vom Reichspräsidium, Staats sekretär Dr. Kempner von der Reichskanzlei, Oberbürger meister Böß und der stellvertretende Polizeipräsident von Berlin Dr. Friedensburg, der bekanntlich früher Landrat des HeimaLkreises von Hindenburg gewesen ist, erscheinen. Geleitet vom Reichskanzler Dr. Luther begibt sich daun der Reichspräsident im Auto nach dem Präsiden tenvalais in der Wilhelmstraße, wo er Wohnung nimmt. Hier gibt ihm zu Ehren am Abend der Reichskanzler ein Essen für einen kleineren Kreis geladener Persönlichkeiten. Am 12. Mai ist dann der Vereidigungs- und Amts antrittstag.