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NchMMKW Beilage zu No. 19. Freitag, den 8. März I88S. Tagergeschichte. Es war im vorigen Jahre am 3. März, als weiland Kaiser Wilhelm I. sich seinen Berlinern zum letzten Male an dem historischen Eckfenster zeigte, und zwar al- die Schloßwache, welche vom Gardefüsilierregiment gestellt wurde, unter den Klängen des Hohenfriedcberger Marsches vorüber zog. Am 3. März d. I. waren es wieder die Gardefüsiliere, welche die Wache bezogen. Sie sahen anstatt des greisen Kaisers seinen jugendlichen Enkel, Kaiser Wilhelm II., welcher den Gardefüsilieren besonders zu- gethan ist. Die beiden ältesten Söhne unseres Kaiserpaares, der Kronprinz und Prinz Eitel-Friedrich, empfangen seit dem 1. Februar d. I. durch den König!. Seminarlehrer Fechner den ersten Elementarunterricht. Herr Fech ner war am preußischen Hofe bereits einmal in gleicher Stellung thätig, und zwar als Jugendlehrer der Prinzessin Luise Margarethe von Preußen, der jetzigen Herzogin von Connaught. Wie mitgctheilt wird, besitzen die kleinen Prinzen, welche jetzt seiner Leitung anvertraut sind, fast keinerlei Vorkenntnisse. Einige Kindergcbete, ein wenig Zahlenkenntniß — das ist Alles. Aus vielen Landesthcilen werden, im Hinblicke auf die anhaltende Schneewilterung Besorgnisse laut, daß bei dem bald zu gewärtigenden Eintritte von Thauwetter die Ueberschwemmungsgefahr, welche in den Nie derungen der Elbe, Weichsel und Nogat, sowie in dem Bereiche der Ge birgswildwasser voriges Jahr so große Verheerungen angerichtet, diesmal womöglich in noch verstärktem Maße sich geltend machen dürfte. Vieler- ortcn fangen denn die Bewohner auch schon an, Vorkehrungen zu treffen, damit sie den etwa kommenden Ereignissen nicht ganz unvorbereitet gegen- uberstehcn. Auch von Staatswegen geschieht, was sich irgend thun läßt. So sind eine Anzahl Pioniere sammt ihren Booten nach Dömitz an der Elbe entsendet worden, und es wird angenommen, daß die dortige, im vorigen Jahre durch Uebersckwemmungen heimgcsuchte Gegend in diesem Jahre durch Vorsichtsmaßregeln gegen etwaigen abermaligen Uebertritt der Elbsluthen bei eintretendem Thauwetter, wenn möglich, geschützt werden soll. Durch die Nachricht, daß sich das preußische Staatsministerium mit dem Sozialistengesetz beschäftigt habe, ist dieser Gegenstand wiederauf die Tagesordnung der öffentlichen Erörterungen gebracht. Bekanntlich ist die Geltungsdauer des Sozialistengesetzes bis Ende September 1890 ver längert. Die Aufhebung des Gesetzes würde insofern zu einer Klärung unserer Parteiverhältnisse führen, als die schrankenlose Entfesselung der sozialdemokratischen Bewegung auch die schwerfälligsten und dunkelsten bürgerlichen Köpfe wohlthätig erleuchten und die letzten Reste der deutsch freisinnigen Partei aus den Parlamenten wie aus der Bevölkerung hin- wegsegen würde. Aber es ist die Frage, ob der Vortheil, der offenbar darin liegt, daß das liberale Bürgerthum sich noch mehr als bisher auf sich selbst besinnen, den Bruderzwist überwinden und sich geschlossen um die Fahne der großen nationalen und liberalen Partei sammeln würde, durch die unvermeidlichen Nachtheile, die Erweiterung der Kluft, welche Bildung und Besitz von den Massen trennt, die Verhetzung der Arbeiter, die Verrohung der politischen Sitten nicht mehr als ausgewogen würden. Daß an eine einfache Aufhebung des Sozialistengesetzes nicht zu denken ist, versteht sich, meint die „Nat.-Lib. Corresp.", von selbst. Was in den sozialdemokratischen und ähnlichen Bestrebungen an offenbarer re volutionärer Gefahr enthalten ist, wird eben bekämpft werden müssen. Möglicher Weise ist man im Staatsministerium auch der Ansicht, daß eine Aenderung des bisherigen Zustandes insofern nicht möglich sei, als der vielfach empfohlene Boden des gemeinen Rechts nicht bestritten werden könne, es vielmehr bei der bisherigen Weise der Spezialgesetzgebung be wenden müsse und höchstens einige Milderungen derselben in Frage kom men könnten. In einem Punkte aber wird man wohl auch in der preußi schen Regierung von der Nothwendigkeit einer wesentlichen Aenderung des bisherigen überzeugt sein — wir meinen im Punkte der Dauer der frag licher^ Gesetzgebung. Die ewig erneuten Debatten über die Verlängerung des Sozialistengesetzes haben in unser öffentliches Leben eine Vergiftung hineingetragen, die in Zukunft unter allen Umständen vermieden werden muß. Es läßt sich deshalb vorhersehen, daß der demnächstige Antrag Preußens beim Bundesrathe mit dem System einer Gesetzgebung auf be schränkte Heit brechen wird. In der Presse war mehrfach von einer Broschüre „Auch ein Pro gramm aus den 99 Tagen" die Rede. Die Schrift hatte das besondere Mißfallen der Deutsch-Freisinnigen erregt, weil darin mit großer Bestimmt heit von damals unternommenen intriganten Versuchen gegen die Politik des Reichskanzlers die Rede war. Die „N. Pr. Ztg." schreibt mit Be zug auf ein Gerücht über die Autorschaft der Broschüre, welches von der deutsch-freisinnigen Seite als unglaubhaft behandelt worden war: „Es Ard uns bestätigt, daß der Herzog Ernst von Sachsen-Coburg- Gotha der Verfasser der Broschüre „Auch ein Programm aus den 99 Wien, 6. März. Die meisten Abendblätter reproduziren ein iden tisches Telegramm, wonach König Milan von Serbien heute vor dem Ministerrathc und vor dem diplomatischen Corps erklärte, daß er zu Gunsten seines Sohnes abdanke. Der Kronprinz wurde zum König proklamirt. Die Regentschaft fuhren Ristitsch, Protisch und Belimarkovitsch. Die „N. fr. Pr." meldet ein Telegramm aus Belgrad, König Milan habe in seiner Ansprache betont, daß die politischen und wirthschaftlichen Be ziehungen zu Oesterreich-Ungarn unverändert bleiben. — Die „Presse" meldet in ihrem Nachtrag: „Bis zum Schluffe des Blattes ist noch keinerlei Bestätigung der Nachricht von der Abdankung des Königs von Serbien «»getroffen." „ Belgrad, 6. März. Um 1'/? Uhr Nachmittags wurde, die Thron entsagung des Königs zu Gunsten seines Sohnes feierlich verkündet. Zur Führung der Regentschaft wurden Ristitsch, Belimarkovitsch und der Kriegs minister Protitsch ernannt. Die Regentschaft betraute den Führer der Radikalen, Tausanovitsch, mit der Bildung des Kabinets. Abends findet Galadinerstatt, an welchem die Regenten, die Minister,die Generalität, die ober sten Würdenträger und das diplomatische Corps theilnehmen. Die Stadt wird am Abend illuminirt. Es herrscht musterhafte Ordnung und Ruhe. London, 6. März. Das „Bureau Reuter" meldet aus Zanzibar vom heutigen Tage: „In Bagamoyo fand ein ernstes Gefecht statt. Buschin griff die deutsche Station an, worauf deutsche Matrosen gelandet wurden, welche die Araber in der Flanke und im Rücken angriffen. Viele Araber wurden getödtet, Buschiri ist verwundet. Er wurde von seinen Anhängem vom Schauplatz entfernt. Die Deutschen eroberten zwei von Arabern früher in Rangani erbeutete Kanonen, welche Eigenthum der ostafrikanischen Gesellschaft waren." Am Montag, den 4. März, ist der aus der Partei der „Republi kaner" hervorgegangene neue Präsident der Vereinigten Staaten, General und Rechtsanwalt Benjamin Harrison, in das Weiße Haus zu Washing ton eingezogen und hat Grover Cleveland, mit welchem die „Demokraten" vor vier Jahren zum ersten Male seit nahezu einem Vierteljahrhundert wieder ans Ruder gekommen waren, abgelöst. Die Antrittsbotschaft des Präsidenten Harrison sieht hoffnungsvoll der Fortdauer des Schutzzollsystems und einer darauf folgenden Entwicklung der Manufak turen, wie der Bergwerksinteressen entgegen. Die Naiuralisationsgesetze müssen dahin verbessert werden, daß tiefer gehende Nachfragen nach dem Charakter der Personenen, die neutralisirt werden wollen, gemacht werden. Wir müssen nicht aufhören, gastfrei gegen die Einwanderer zu sein, müssen aber sorgfältiger vorgehen. Leute aller Rassen, deren Gegenwart eine Last auf die Staatseinkünfte und eine Bedrohung der sozialen Ordnung ist, sollten ausgeschlossen werden. Wir haben uns glücklich eine Politik der Vermeidung aller Einmischungen in die europäischen Angelegenheiten erhalten und waren nur interessirte Zuschauer ihrer diplomatischen Strei tigkeiten; wir waren aber immer bereit, unsere guten Dienste im Interesse des Friedens anzubieten und gaben nie ungebetenen Rath, versuchten auch nie, die Schwierigkeiten der anderen Mächte zu Nutzen unseres Handels zu verwenden. Dies ist offenbar, und unvereinbar ist es daher mit unserem Frieden und der Sicherheit, daß eine kürzere Wasserstraße zwischen den östlichen und westlichen Küsten von irgendwelcher europäischen Regierung beherrscht werden soll, sodaß wir zuversichtlich erwarten können, daß keine befreundete Macht einen solchen Schritt beabsichtigt. Wir werden nach wie vor bemüht sein, die freundschaftlichen Beziehungen mit allen Groß mächten aufrecht zu erhalten, diese müssen aber nicht erwarten, daß wir irgendwelches Unternehmen, welches uns einer feindlichen Ueberwachung und Umgebung aussetzen würde, mit Wohlwollen betrachten würden: wir sind berechtigt, zu erwarten, daß keine europäische Regierung versuche, ab hängige koloniale Niederlassungen in unabhängigen amerikanischen Staaten zu gründen, sind aber auch nicht so exklusiv amerikanisch, daß die anderswo vorkommenden Ereignisse uns nicht interessiren. Die eigenen und die Handelsrechte unserer für Zwecke des Handels in anderen Ländern und Inseln wohnenden Bürger müssen beschützt werden; passende Häfen und Kohlenstationen sind nothwendig. Wir sehen uns genöthigt, diese Privi legien nur durch freundschaftliche Mittel zu erlangen, sei die Regierung, von der wir sie erlangen, auch noch so schwach. Haben wir sie aber einmal erreicht für Zwecke, die mit freundschaftlichen Dispositionen gegen andere Mächte ganz vereinbar sind, so wird unsere Zustimmung für jede Modifikation einer solchen Konzession nöthig. Amerika werde nicht ver säumen, die Flagge einer anderen befreundeten Macht oder die Rechte ihrer Bürger zu achten. Amerika werde aber für sich und seine Bürger die gleiche Behandlung in Anspruch nehmen. „Ruhe und Gerechtigkeit sollten das bezeichnete Merkmal unserer Diplomatie sein, die Dienste einer intelligenten Diplomatie oder freundschaftliches Schiedsgericht sollten im Stande sein, alle internationalen Schwierigkeiten zu beseitigen." Die Aufgabe des Kongresses werde es sein, alle finanziellen Gesetze so zu regeln, daß kein bedeutender Ueberschuß bleibe, der Überschuß könne zur Einlösung der Staatsschuld verwendet werden. Harrison hält sich von der Möglich keit überzeugt, daß der Ueberschuß reduzirt werden könne, ohne daß der Schutzzolltarif umgestoßen oder irgend eine Industrie geschädigt werde und empfiehlt schließlich eine Verstärkung der Flotte. Vaterländische». Wilsdruff. Ein Geizhals und Sonderling, der 70^ Jahr alte Junggeselle und Hausbesitzer Christian Lucä im nahen Limbach, starb am 4. März auf Lumpen und Schmutz gebettet und muthmaßlich bald auch erfroren. Ganz gute Betten und Kleider fand man in Laden gut verwahrt. Bei Durchsuchung seiner Wohnung fanden die Ortsgerichts personen das hübsche Sümmchen von 15 000 Mark, (3250 M. an gutem Geld, W-rthpapieren und Sparkassenbüchern). Außerdem wurden 6 Kilo alte Kupfermünzen, 1-, 3-, 4- und 6-Pfennigstücken mit den Jahrzahlen bis ins vorige Jahrhundert, 5 ältere Goldstücken, 1 ungültiger 20mark- schein, 5 Fünfmarkscheine, 1 Fünfthalerschein, 2 alte Thalerscheine, circa 70 Guldenstücke und 77 Fünfgroschenstücke vorgefunden. Fleisch aß der Verstorbene in der Regel erst dann, wenn es halb verdorben war, so hat er erst kürzlich eine Portion Karpfen an 7 Wochen aufgespart. — Der Jahresabschluß der Königlichen Altersrentenbank zu Dresden (Altstadt, Landhaus, König Johannstraße) für 1888, dessen Ergebnisse wir vor einiger Zeit mittheilten, hat wiederum gezeigt, wie sehr dieses Institut seinem hauptsächlichen Berufe, daß dem minder bemittelten Theile der Bevölkerung Gelegenheit geboten werde, sich für das Alter ein festes Einkommen zu sichern, zugeführt worden ist. Auch erkennt wan aus der regen Vetheiligung der sächsischen Landbevölkerung, wie gern der allen unsicheren Geldspekulationen abholde Landmann seine Ersparnisse einem Institut anvertraut, welches ihm dieselben völlig sicher und mit Zinsen und Zinseszinsen in Gestalt von jährlichen bis an sein Lebensende lau fenden Renten zurückgiebt. Die Königliche Altersrentenbank nimmt, wie nicht genug hervorgehoben werden kann, jederzeit Einlagen bis zu 1 M. herab an und verbucht für dieselben feste, durch Landesgesetz bestimmte Renten, welche namentlich für die späteren Jahre eine von keiner ähnlichen Anstalt gebotene Höhe erreichen. — Nach einer im neuesten Gesetz- und Verordnungsblatte erschienenen Verordnung sind diejenigen Landgendarmen, welche zeither mit Doppel- Pistolen bewaffnet gewesen sind, an deren Stelle mit Revolvern ver sehen worden, welche als die dienstlichen Schußwaffen der betreffenden Be amten anzusehen sind.