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MMatt,U NlsiiE Beilage zu Nr. 102. Donnerstag, den 29. August 1901. WMiMk-kiMW. Für Monat Leptenrbev werden Bestellungen auf das IchMtt sm Nikttck ck/ für die Stadt Wilsdruff bei unterzeichneter Geschäftsstelle zu 44 UvLOiiriSK«-, für auswärts bei allen Kaiserlichen Postämtern, sowie Landbriesträgern zu entgegengenommen. Hochachtungsvoll Geschäftsstelle des Amts- und Wochenblattes für Wilsdruff etc. Mein Bursche j)rzysl. Eine Manöverepisode, erzählt von Ludwig Nestel. (Nachdruck verboten.) Es war Anfangs der neunziger Jahre, als ich zum ersten Mal Gelegenheit hatte, ein Manöver mitzumachen. Es ging hinauf in die üppigen Gefilde der Kaschubei, nach jenem Dreieck, das von Stolp im Norden und von Neustettin und Konitz im Süden begrenzt wird. Gegend, Land und Leute, die prickelnde Unruhe des Manöverlebens: Alles hatte für mich etwas Neues. Mein allergrößtes In teresse aber nahm mein Bursche mit dein unaussprechlichen Namen in Anspruch, dessen Deutsch eine ebenso starke Achnlichkeit mit Haväisch hatte, wie mit irgend einem der zentralafrikanischen Negeridiome. Natürlich „war er sich ein Pollack". Mittelgroß, untersetzt, semmelblond und große wasserblaue Augen, die über einer Nase mit aufgestülpten Nasenlöchern leuchteten, das war sein Signalement. Sein Charakter war der eines Kindes: gutmüthig bis zum Lachen. Sein Benehmen hat mir so viel spaßige Standen bereitet, daß ich gern und oft an ihn zurückdenke und auch hier einmal eine spaßige Episode aus jenen Mauövertagen, die ich mit ihm zusammen verlebte, niederschreiben will. Natürlich spielte auch hier Gott Amor meinem guten Przysl einen artigen Schabernack. Ist man doch nirgends vor diesem Erzhallunken, dem Herzensbrecher, sicher; selbst nicht einmal in der Kaschubei, und selbst nicht einmal, wenn man Przysl heißt. In einer Ortschaft, eine Stunde von Lantenburg, hatte er sein Herz verloren — au eine Pfarrersköchin. Schon den ganzenTag über merkte ich einen selig-melan cholischen Zug m seinem Gesicht. Ich roch wohl Lunte, allein erst der Abend sollte mir Gewißheit geben Es mar einer jener milden Spätsommerabende, wie sie sich in unseren Breiten oftmals Ausgangs August oder Anfangs September einzustellen pflegen. Schon früh senkt sich eine blaue Dämmerung über Stadt und Laud, die, wie nichts Anderes, eine weiche Sinumung im Meuscheu- hcrzen hcrvorzuzauberu versteht. . Ein solcher Abend war es, als ich plotzltch, wre durch Zufall, meinen Burschen vermißte. Da er mir schon den ganzen ^ag über etwas eigenihümllch vorgekoimnen war, beschloß ihn mal genauer auf's Korn zu nehmen und mich darüber zu orientiren, was er in seiner freien Zeit wohl anfangen möchte. Gesagt, gethan. Ich machte mich also auf, meinen Herrn Urian ausfindig zu machen. Und ich sollte Glück haben und nicht allzu lange suchen. Ein zärtliches Ge flüster hinter der Buxbaumhecke verrieth mir, auf welchem Pfade mein Herr Marsjünger wandelte. Vorsichtig und lautlos schlich ich mich näher an die Hecke heran, nm das Pärchen nicht zu stören und um mir zugleich das Vergnügen zu bereiten, meinen guten Przysl Liebesbetheucrungcn stammeln zu hören. , Keck und verliebt hatte er die kurze, rundliche Pfarrers' köchin um die Hüfte gefaßt, just an der Stelle, wo bei anderen weiblichen Personen die Taille zu sitzen pflegt. Sie war still, ihre Liebe schien nur gelegentlich mal einen Seufzer, aber kein einziges Wort zu finden. Nicht einmal den Namen ihres Anbeters hörte ich sie aussprechen; viel leicht auch fürchtete das Mädchen, sich dabei die Zunge zu zerbrechen. Desto beredter aber war mein Przysl. In einem girrenden Kauderwelsch betheuerte er seine Liebe. Einige Redensarten gelang cs mir zu verstehen. Sie haben sich unauslöschlich in meinem Gedächtniß eingeprägl und ich werde sie wohl bis an mein Lebensende niemals wieder vergessen. „O sich meine Liebe wird verbrennen noch Herz Deiniges." Keine Antwort. „Hat sich Przysl lieb, weil sich ist ein scheenes Mädchen!" Man hörte deutlich erst einen Seufzer und dann einen lebhaften Schmatz. „Ach! Hat sich geschmeckt so süß. Möcht ich haben gern noch einen Schmatz!" Wiederum das Geräusch zweier küssender Lippen. Dann wurden die Worte leiser aber dafür desto inniger. Hin und wieder ein Kuß. Es konnte einem ordentlich das Wasser im Munde zusaiumenlaufen, selbst wenn man an Przysl's unrasirtes Stoppelkinn dachte. Lautlos, wie ich gekommen war, schlich ich mich zurück. Morgen war ja auch noch ein Tag, an dem ich meinen Schwerenöter zur Rede stellen konnte. Und dieser andere Tag kam. Es war ein freier Vor mittag. Przysl brachte mir daher erst um sieben Uhr meinen Morgenkaffee. Noch derselbe selig-melancholische Zug in seinem Gesicht, nur die kleinen Schnurrbartspitzen waren mit mehr Eleganz, als ich bisher an ihm bemerkt hatte, aufgewirbelt. Das verlieh seinem gutmüthigen Ge sicht einen gewissen Grad von Keckheit. „Na, Przysl, wo warst Du denn gestern Abend?" „Wollt ich mich ein wenig frische Luft schöpfen." „Na, ich danke, die hast Du hier doch zur Genüge. Du bist mir doch nicht etwa auf Abwegen?" — Przysl wird bis in seine keck aufgewirbelten semmel blonden Schnurrbartspitzen hinein roth. Ich drohe mit dem Finger: „S'sind doch keine Mädels im Spiel?" Die Gesichtsröthe wird immer intensiver: „Ja." „Na, wer ist denn die Glückliche?" „Ist sich die Maruschka, bei Herrn Pfarrer die Köchin." — „Also eine Köchin hast Du Dir ausgesucht. Sieh einmal einer den schlauen Kerl an? Schmeißt der mit der Wurst nach der Speckseite!" Przysl's Augen blitzen auf, er hat mich falsch ver standen: „Nein, wirklich nicht, nicht nach Speckseiten ich hab' geworfen." „Na, willst Du sie denn heirathen?" Der alte Sünder schweigt. „Na?" „Muß sich denn immer geheirathet sein? Ist sich doch bloß Manöver!" Jetzt verstehe ich ihn. Er scheint eine saible für Liebe auf Zeit zu haben. Solch' ein Himmelhund! „Du kannst abtreten!" Er macht kehrt, bleibt aber an der Thür noch einmal stehen, als ob er noch etwas auf dem Herzen habe. „Na, willst Du noch was?" „Zu Befehl!" „Raus mit der Sprache!" „Will mich erwarten Maruschka zu Mittag mit Essen, wenn ich bekäme Urlaub auf eine Stunde." „Du gehst wohl jetzt unter die Feinschmecker? — Na meinetwegen, geh! Um einhalb eins bist Du aber wieder hier." „Zu Befehl!" Sein ganzes Gesicht glänzt. Kehrt machen und aus der Thür heraus war eins. Hol der Teufel die Weibs leute, nainentlich im Manöver. Przysl mochte wohl darüber etwas anders gedacht haben, als ich. Jedenfalls hat ihm das Essen seiner Ma ruschka nicht schlecht geschmeckt. — Jie Schmie mi KMiiM Roman von Emmy von Borgstede. (28) (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Am Abend des anderen Tages erscheint Demidoff abermals. „Machen Sie sich ein wenig hübsch," sagt er lachend, „ich will Sie einigen Beamten vorstellen. Bevor Sie Konzerte geben, müssen Sie bereits ganz St. Petersburg für sich haben." Friede wählt ein schwarzes Seidenkleid, auf dessen Besitz sie sehr stolz ist. Demidoff aber will sich todtlachen. „Liebes Kind, so kann ich Sie unmöglich mitnehmen. Sie sehen wie Ihre eigene Großmutter aus. Wissen Sie was, Frau Kusky führt Sie erst in eines der besten Schneider-Ateliers, daun zum Friseur. Ich warte hier so lange. Sie müssen in jeder Beziehung glänzen." Ehe Friede etwas erwidern kann, klingelt der Fürst und bittet Frau Kusky zu sich, welche zu jedem Einkauf bereit ist, als sie einen Hundertrubelschein in ihrer Hand fühlt. Friede folgt der bereitwilligen Wirthin und er kennt ihr eigenes Spiegelbild kaum, als sie in dem Mode- bazar dasselbe zurückwerfen sah. Jetzt wird sich der Furst ihrer gewiß nicht mehr schämen, nein, gewiß nicht. Em winziges Hütchen aus schwarzen Flittern und Veuchentuffs bringt ihr gewelltes Goldhaar zur schönsten Geltung. Ueber den schwarzen Atlas des Leibchens bauscht sich ein Geriesel von Seidentüll und Spitzen in einer wundervollen lichten Fliederfarbe. Gleichfardene Seidenstrümpfe lugen aus den tief ausgeschnittenen Schuhen von feinstem Leder. Hellgraue Handschuhe, ein zarter Spitzenschirm vollenden den hochmodernen Anzug. Fürst Demidoff ist in der That zufrieden und klopft Frau Kusky vergnügt auf die Schulter. „Jetzt schnell in den Wagen!" befiehlt Demidoff. „Die Freunde werden bereits ungeduldig sein." Diese Bekannten, welchen der Fürst seinen Schützling vorstellen will, sind einige Gardeoffiziere und Diplomaten, welche ihr Dienst in der todten Saison in St. Petersburg zurückhält. Friede erschrickt Anfangs vor allen diesen neugierigen und bewundernden Männeraugen, dann aber faßt sie sich schnell. Sie darf ja nicht mehr feige und schüchtern sein, wenn sie etwas erringen will. Die Bewunderung, welche ihre Schönheit erregt, hilft ihr dann ebenfalls über die erste Befangenheit hinweg. Fremd und wie ausgetauscht kommt sie sich so wie so vor. Von allen Seiten trinkt man dem Mädchen zu, aber Friede bleibt standhaft, sie hat wohl bemerkt, daß der Wein ihre Sinne verwirrt und sie müde macht. Von den feinen Leckerbissen hingegen kostet sie gern und mit Genuß geht sie lachend auf die Neckereien der Tafelrunde ein. Alles versteht sie freilich nicht, denn meistens sprechen die Herren unter sich französisch. Den folgenden Tag will man sich in einem entfernt liegenden Lokal treffen und demnächst im Sommerhaus des Grafen I .... Friede hat gar keine Zeit zum Neinsagen, so wird sie von allen Seiten bestürmt. Der Fürst bringt sie bis zur Hausthür und verabschiedet sich mit einem Handkuß. Auch Magdalene hat, wie die anderen Damen der Hofgesellschaft, die Hauptstadt verlassen und auf Reisen oder auf eines der Güter gehen wollen, Demidoff aber hat beides verweigert. Ihre Anwesenheit ist ihm unent behrlich, denn noch immer ist sein Ziel nicht erreicht. Als Woche auf Woche verging und der Großfürst immer in derselben ehrfurchtsvollen Entfernung blieb, da ist es zwischen den Gatten zu einer heftigen, erbitterten Aus einandersetzung gekommen. „Du bist ein einfältiges Geschöpf," hat Demidoff in wildem Zorn seinem schönen Weibe zugerufen. „Ist das der Dank, daß ich Dich geheirathet habe!" Und Magdalene hat herb erwidert.: „Du verlangst Dank! Als ich Deinen Namen und Deine Hand annahm, da ist Dir Ehre widerfahren." „So meinst Du, mein holder Schwan! Nicht alle Männer hätten gleich mir großmüthig Deine Armuthüber sehen, das kannst Du mir glauben. Deshalb fordere ich auch, daß Du Dich meinen Wünschen fügst." „So sprich endlich offen aus, was ich thun soll, was Du von mir verlangst!" sagt die junge Frau, bebend vor Erregung, denn sie weiß es ja längst, zu welcher Ver mittlerrolle sie ihr Gatte erniedrigen will. „Ich dächte, das könntest Du Dir selbst sagen. Du wirst bewundert und sollst dies bemerken, anstatt Dich als Eiskönigin zu benehmen. Ich will, daß man Dir als der Schönsten zu Füßen liegt. Ich will, daß Du Einfluß an höchster Stelle gewinnst, ich —" — „Du kannst Dir weitere Auseinandersetzungen er sparen!" unterbricht Magdalene den Sprecher eisig. „Jetzt endlich habe ich Dich verstanden. Du willst Dir durch mich Ehre und hohe Stellungen erschmeicheln, weil Dein eigenes Verdienst nicht ausreicht. Du hast in diesem Rechenexempel, das Deinem Herzen alle Ehre macht, nur die Hauptziffer vergessen, nämlich — mich." „Wer weiß!" Demidoffs Augen funkeln vor Grimm. „Röthigenfalls werde ich Dich zu zwingen wissen!" „Du mich zwingen, Du!" Mehr als Kälte, Veracht ung liegt in dem Ton ihrer Stimme. „Du könntest Dich doch täuschen, Gregor. Ich bin nicht Deine Sklavin!" „Du thätest gut, mit mir in Frieden zu verkehren", sagt Demidoff eisig. „Sonst möchtest Du es eines Tages bereuen." Magdalenes Briefe an Adeltraut sind immer seltener und kürzer geworden. Alles, was die junge Frau der Schwester beichten und klagen möchte, muß sie verschweigen und wortlos tragen. Adeltraut hat sie gewarnt, hat ihr ein anderes Dasein bereiten wollen, und tiefe, heiße Sehn sucht nach der einst mißachteten Schwester, nach dem stillen Scbwanthal erfüllt das Herz der einsamen Frau. Und langsam, aber stets wachsend und zunehmend keimt noch ein anderes Gefühl in Magdalenes Brust empor — die Reue, nagende Neue, einem ehrenhaften, guten Manne weh gethan zu haben. Jedesmal, wenn Adeltraut von Cornel berichtet, steht sie seine dunklen Augen in Pein und Schmerz auf sich ruhen, hört sie wieder seine schmerz volle Stimme. Er hat sie geliebt, sehr geliebt sogar, De midoff wollte nur ihre Schönheit! Allein in der Fremde, ohne Freund, ohne Berather kommt allmählich eine dumpfe Verzweiflung über Magdalene. Ihre einzige Zuflucht ist jetzt die Natur und ihr un- endlicher Zauber. Täglich fährt sie hinaus nach Zars- kose Selo und wandelt dort in den zauberschönen, kaiser- uchen Garten stundenlang. Ein alter Diener begleitet sie. Er ist ein Kurländer und spricht Deutsch. Sie winkt ihn eines Tages an ihre Seite und fragt nach seiner Heimath, nach seiner Familie. Die Augen des Mannes glänzen. Er erzählt von seinem Geburtsort vom Ostseestrand, wo dunkle, schattige Wälder rauschen und die Wogen ewige Hymnen donnern. Er stockt, seine Stimme bricht, das Heimweh kommt über ihn mächtig und allgewaltig. Auch