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WriM, DD, MMn und dik UmgtMdkn. Imtsblntl für die Agl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den ^tadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Agl. Forstrentamt zu Tharandt. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen 1 Mk. 55 Pfg. — Einzelne Nummern 10 Pfg. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittag 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 10 Pfg. pro dreigespaltene Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Firma H. A. Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion H. A. Berger daselbst. No. 91. Dienstag, den 30. Oktober 1894. Freitag, den 2. November ds. Js., gelangen an hiesiger Gerichtsstelle 1 Tisch und 1 Reisekorb zur Versteigerung. Wilsdruff, den 27. Oktober 1894. 10 Uhr Bormittags, Sekretär Busch, Ger.-Vollz. Zum Reformationsfeste. Licht und Wahrheit! das sind zwei Begriffe, welche jedes ernstgesinnten Menschen Ziel sein müssen, wonach er streben soll und streben wird mit aller Macht; das Gewissen treibt ihn dazu, das Herz verlangt darnach. Licht und Wahr heit! das sind die Zielpunkte der ganzen Menschenwelt und müssen es bleiben, wenn nicht der Gottesfunke in ihr gar er löschen soll; daher überallher Kampf mit den Mächten der Finsterniß, der Lüge und Täuschung. Das Dürsten nachdem Lichte und die Liebe zur Wahrheit hat einst einen Luther, wenn auch zuerst nur unter starkem inneren Widerstreben, Hineinge trieben in den Kampf mit der Kirche, deren treuester Sohn er war und gern geblieben wäre, wenn sie von ihren Jrrthümern sich hätte frei machen lassen. Durch Gährung führte der Weg in heiligem Kampfe zu siegreicher Klärung. Die Geister schieden sich und dem Gewissen des deutschen Volkes wurde allmählich auch die äußere Freiheit seiner Stellungnahme zu Licht und Wahrheit errungen. Das ist uns ein Trost in der Gegenwart, die mehr als eine andere Zeit so voll Gährung ist, daß man nichr absieht, wie und wann es besser werden soll. Große Unzufriedenheit herrscht in breiten Schichten des Volkes, nicht bloß bei der großen Masse, auch unter den höheren Ständen, ja den besten Geschlechtern des Landes. Reformen begehrt Jedweder und der Einzelne meint und behauptet immer, seine Pläne und Vor schläge seien die besten. Das treibt die Parteien gegen ein ander und durch einander; das trübt den freien Blick, der un beirrt und unbeeinflußt das Rechte treffen und verfolgen soll. Die allerärgsten Täuschungen, oft zum großen Schaden des Volkes, begegnen sich: seine treuesten Freunde hält man für Gegner und bereitet ihnen Schwierigkeiten, grundsätzliche Feinde thun sich zusammen, um die Oberhand zu gewinnen, und Licht und Wahrheit scheinen dem unbefangenen Gemüthe oftmals schwer bedroht. Allein das darf uns nicht irre machen, an der in Gottes Wort wurzelnden Wahrheit festzuhalten und immer wieder unerschrocken für sie einzutretcn. Mögen auch die Jrrgeister noch so große Anstrengungen machen, das Licht zu trüben, -- es mag ihnen vorübergehend gelingen, auf die Dauer nie. Und wir glauben zuversichtlich, daß in unserem Volke noch ein guter Kern lichter Wahrheitsliebe vorhanden ist, der sich wieder, wenn auch unter noch so schweren Kämpfen, durchringen und mit der geistlichen auch seine leibliche Wohl fahrt heben wird. Freilich, ein Volk kann nur dann lichtvolle Wege wandeln, wenn es sich zu der Lichtquelle hält, die Gott der Menschheit in seinem heiligen Worte eröffnet hat, wenn eö in wahrer, echter Religiosität nach Wahrheit ringt. Und das müssen wir unserem Volke immer wieder zurufen: Laßt euch die rechte Klarheit in allen Hauptfragen des Lebens durch das Wort der Wahrheit bringen! thut alle Unlauterbarkeit und Selbstsucht von euch und stellt euch mit voller Entschlossenheit auf den Giund der geoffenbarten, göttlichen Wahrheit! Jedes deutsche Herz suche zunächst sich und sein Leben zu reformiren nach dem Worte des Herrn, so wird auch diese trübe Zeit vorüber gehen, die Gährung wird zur Klärung führen, die Unzufrieden heit wird wieder weichen, die Unsicherheit in den einzuschlagenden Wegen wird überwunden werden, und die Gefahren, die immer verhängnißvoller drohen, werden wie Wolken verschwinden. Darum wünschen wir unserem deutschen Volke zum Re- lormationsfeste von ganzem Herzen: neuen, mannhaften Ernst mm Trachten nach Licht und Wahrheit! Die Kanzler- und Ministerkrisis. Die Frage der gesetzgeberischen Maßnahmen gegen die Umsturzbestrebungen bat sich durch den Rücktritt des Reichs kanzlers Grafen Caprivi und des preußischen Ministerpräsidenten Grafen Eulenburg über Nacht zu einer ernsten politischen Crisis für Preußen und das Reich verdichtet. Allerdings hatten schon Gerüchte der letzten Tage die Möglichkeit des Eintrittes einer Crisis in den Berliner Regierungskreisen angedeutet, aber von einem Rücktritte des Reichskanzlers war hierbei nicht die Rede gewesen, vielmehr wurde versichert, derselbe stehe nach wie vor fist in seiner Stellung. Umso größere Ueberraschung hat da her allseitig die Kunde von der erfolgten Demission des Grafen Caprivi und der Annahme seines Entlassungsgesuches seitens des Kaisers hervorgerufen, während die Nachricht, daß gleich- zeitig auch der preußische Ministerpräsident Graf Eulenburg von seinem Posten zurückgetreten sei, weniger überraschend wirkte. Vorläufig wendet sich daher das allgemeine Interesse mehr der neuen Kanzlerkrifis zu, deren nächste Ursachen man im Ver laufe der gemeinsamen Conferenz der stimmführenden Minister der Bundesstaaten vom 25. Oktober sucht. Es scheint, das Graf Caprivi in dieser Versammlung mit seinen Vorschlägen zur Bekämpfung der Umsturzparteien nicht durchgedrungen ist, infolgedessen er hieraus die einzige ihm übrig bleibende Conse quenz zog. Allerdings wollen andere Nachrichten wissen, daß der Reichskanzler seine Demission schon vor der Minister-Con- ferenz gegeben hätte, und daß das Gesuch dann in der Au dienz Caprivis beim Kaiser die Genehmigung des Monarchen gefunden habe; wahrscheinlich hat aber nachher der Verlauf der Conferenz Caprivi bestimmt, seinen Rücktritts-Entschluß auf recht zu erhalten. Jedenfalls wurzelt die neue Kanzlerkrifis noch in anderen Vorgängen weit älteren Datums. Man weiß ja, daß die Gegensätze zwischen den Spitzen der Reichsregierung und der preußischen Regierung schon zu Beginn der Aera des „neuen Curses" auftauchten und daß sie trotz aller Ueberbrückungsver- suche doch immer wieder in die Erscheinung traten. Es konnte freilich auch nicht gut anders sein, die Trennung der Aemter des Reichskanzlers und des preußischen Ministerpräsidenten mußte nothwendig zu Reibungen und Differenzen zwischen den maß gebenden Gewalten im Reiche und in Preußen führen und dieser auf die Dauer unhaltbare Zustand hat jedenfalls zudem Wechsel in den höchsten Reichs- und Staatsämtern beigetragen. Ob die Crisis mit der Wiedervereinigung des Reichskanzler postens mit dem preußischen Ministerpräsidium enden wird, was ja die natürlichste Lösung der Crisis wäre, dies steht freilich noch dahin, offenbar wird aber ein solcher Schritt unter dem Drucke der Verhältnisse früher oder später erfolgen müssen. Vierundeinhalbes Jahr hat Graf Caprivi als erster Nach folger des Fürsten Bismarck die Reichskanzlerwürde und das hier mit verbundene Amt eines preußischen Ministers des Aeußeren bekleidet. Auch die entschiedensten politischen Gegner des bis herigen Kanzlers werden zugeben müssen, daß er seines schwierigen und verantwortungsreichen Amtes mit größter Hingebung, Ge wissenhaftigkeit und Ueberzeugungstreue gewaltet hat, daß er die Reichsgeschäfte unter Hintansetzung aller persönlichen In teressen mit Eifer, ehrlicher Offenheit und unermüdlicher Arbeits freudigkeit leitete. Freilich sind aber anderseits unter seiner Amtsthätigkeit an der Spitze der Reichsregierung so mancher lei bedenkliche Schwächen und offenbare Fehler der Reichspolitik hervörgetreten, welche schließlich zu einer immer heftigeren Op position gegen den „neuen Curs" innerhalb wie außerhalb des Parlaments führten. Indessen muß auch erwogen werden, welche überaus schwierige Stellung Graf Caprivi in dem immer schärfer entbrennenden Streite der Parteien hatte, und daß er beinahe schon vom Beginne seiner ministeriellen Thätigkeit an mit stets wachsenden Schwierigkeiten und Hindernissen kämpfen mußte. Sicherlich wird es dem Kaiser nicht leicht geworden sein, sich von seinem bisherigen ersten Berather in Reichsangelegen heiten zu trennen, der so selbstlos die Politik des Monarchen vertrat und der sich wiederholt glänzender Vertrauensbeweise seitens seines erlauchten Souverains zu erfreuen hatte. Sehr leicht möglich ist es daher, daß nur ganz besondere Erwägungen den Kaiser zur Genehmigung des Entlassungsgesuches des Kanzlers bestimmt haben. Als muthmaßliche Nachfolger Caprivis auf dem Reichskanzlerposten werden eine ganze Reihe von Persönlichkeiten genannt, wie Finanzminister Dr. Miquel, Kriegsmimster Bronsart v. Schellendorf, General Graf Walder- see, Stattbalter Fürst Hohenlohe und andere Staatsmänner. Die Entscheidung ves Kaisers wird bald Klarheit in dieser Frage bringen. Tagesgeschichte. Selten ist eine bedeutungsvolle Nachricht so unerwartet ge kommen, wie die von dem Rücktritte des Reichskanzler Grafen v. Caprivi. Außer wenigen in die Vorgänge ein- zeweihten Persönlichkeiten wird man wohl nirgends eine Ahnung von dem Vorhandensein einer Kanzlerkrifis gehabt haben. Es kenntzeichnet treffend die Lage, wenn es in einem uns zugangenen Berichte heißt: die Berliner MorgenblÄter varrathen allgemeine Ueberraschung über die eingetretene Krisis. War doch erst kürzlich von angeblich verläßlicher Seite betont worden, der Reichskanzler v. Caprivi sei mit seinen Anschauungen über die gegen die Sozialdemokratie zu ergreifenden Maßregeln durchge drungen, der Kaiser habe die Ansichten des Reichskanzlers voll kommen gebilligt und ihn seiner vollsten Unterstützung versichert. Heute herrscht nun völlige Gewißheit darüber, daß der Reichs kanzler seine Entlassung bereits am vergangenen Dienstag ein- gereicht und daß der Kaiser dieses Gesuch in der dem Grafen v. Caprivi am Freitag gewährten Audienz angenommen hat. Mehrere offiziöse Berliner Meldungen bestätigen dies, wenn auch bis Sonnabend Nachmittag eine eigentliche amtliche Nachricht noch nicht hierüber veröffentlicht worden ist. Gleichzeitig mit der Meldung von der Demission des Reichskanzlers hat der preu ßische Ministerpräsident Graf Eulenburg sein EntlassungSgesuch eingereicht und auch dieses ist von, Kaiser angenommen worden. Allseitig wird nun die Frage aufgeworfen, welche Gründe für den Rücktritt beider Staatsmänner maßgebend gewesen sind, da wohl Verschiedenheiten in ihren Ansichten über die demnächst auch an den Reichstag herantretenden Fragen vorhanden waren, nichts aber darauf schließen ließ, daß sie zu einer Kanzler- krists führen würden. Zwei Strömungen, die im Ministerium vorhanden waren, haben sich dort bekämpft: die Ansicht deS Ministerpräsidenten Grafen Eulenburg, der schon im Jahre 1875 als Minister des Innern bei der Berathung der damals dem Reichstage vorgelegten Novelle zum Reichsstrafgesctzbuche mit aller Schärfe für energische Maßnahmen gegen die Sozial demokratie eingetreten war, auch jetzt Vorschläge für ein scharfes Vorgehen gegen die Umsturztendenzen gemacht hatte, und die Anschauung des Reichskanzlers. Wie der Reichskanzler v. Ca privi den Kampf geführt haben wollte, ist, wenn auch etwas unklar, doch in allgemeinen Umrissen von der „Nordd. A. Z." mitgethcilt worden. Von Spezialgesetzen will er nichts wissen, vielmehr Ergänzungen zu dem Strafgesetzbuche und moralische Bekämpfung der Umsturzparteien durch alle wohlgesinnten Klassen der Bevölkerung. Wahrscheinlich hat man sich in dem Ministerrathe nicht über die zu treffenden Maßregeln zu einigen vermocht, so daß die Ministerkrisis entstand. Eine bedeutende Entscheidung ist erfolgt, die Zeit des Abwartens dürfte zu Ende gegangen sein und dies dürfte >ehr bald nach der Wiederbesetzung des Reichs kanzlerpostens in die Erscheinung treten. Aber nicht allein der Kampf gegen die Sozialdemokratie war es, welcher zur Krists führte, sondern auch die allgemein verfahrene Lage. „Es schien in den letzten Jahren manchmal faßt,* so sagt die „M. Z.*, „als hätten wir keine zielbewußte Regierung; man hörte be ständig von gegenseitigen Befehdungen der obersten Regierungs- Vertreter, soweit diese Kämpfe wenigstens in den Artikeln der ebenfalls in zwei Parteien gespaltenen Offiziösen sich wiederzu spiegeln schienen; von einer klaren, festen, einheitlichen Aktion war dagegen nur sehr selten etwas zu spüren. Wenn etwas Wichtiges geschah, dann konnte man deutlich wahrnehmen, daß jene Kämpfe eben nur durch ein Machtwort für einen Augen blick zur Ruhe gebracht waren. Schwächliche Kompromisse waren es nur, die für kurze Zeit von den erbitterten Gegnern geschlossen wurden, damit die Staatsmaschine eben überhaupt in ordnungs mäßigem Gange erhalten werden konnte. Ueber ein festes Pro gramm konnten sich die beiden Richtungen auf die Dauer nicht verständigen. Diese Tage der Plan- und Ziellosigkeit dürften nunmehr gezählt sein. Man muß den Kurs so oder so wählen; aber man muß einheitlich und kräftig zusammenstehen, wenn der Staat nicht Schaden leiden und die nothwendige Autorität der Regierung erhalten bleiben soll. Zwischen der Reichspolitik und der Politik der preußischen Regierung darf keinerlei Dis harmonie herrschen; hier muß alles festgeregelt und wie aus einem Gusse sein." Daß mit dem Rücktritt des Grafen von Caprivi, der seit dem 20. März 1890 im Auftrage des Kaisers die Reichsgeschäfte geleitet hat, der sogenannte neue Kurs sein Ende erreicht hat, wird selbst von den Blättern eingestanden, die seiner Zeit sich mit der Berufung des Grafen zufrieden erklärten. Im allgemeinen werden die hohen Eigenschaften deS zweiten Reichskanzlers anerkannt und seine Ehrlichkeit, sowie Ge- , radheit hervorgehoben, indessen werden auch die offenbaren Miß griffe erwähnt. Daß dem Grafen v. Caprivi bei der Weiter-