Volltext Seite (XML)
MsdmfferTageblatt I Das Wilsdruffer Tageblatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meißen, des Amtsgerichts und Stadtrats zu Wilsdruff, Forstrentamts Tharandt, Finanzamts Noffe«. Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, An» »WUsdimffer Tageblatt- erscheint täglich uachm. 8 Uhr für den folgende» Tag. Bezugspreis: Bei Abholung in b« »efchästssteSe und de« Ausgabestellen 2 Mk. im Monat, bei Zustellung durch die Boten 2,30 Mk., bei Postbestellung »N WWAA», Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend P°ftd°t-nun'Ä Wäger und Geschäftsstellen — nehmen zu jeder Zeit Be- LeLnngen entgegen. Im Falle höherer Gewalt, Krieg oder sonstiger Betriebsstörungen besteht kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur. wenn Porto beiliegt. für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter. Anzeigenpreis: die Sgespaltene Baumzeile 20 Doldpfennig, die 2gespaltene Zeile der amtlichen Bekanntmachungen 40 Gold- pfEnnig, di« ZgespalteneNeklamezeNe im textlichen Teile 100 Goldpfennig. Nachweisungsgebühr 20 Goldpfennigc. Dor- geschriebeneGrscheinungs- . rse i er Q tage und Platzvorschristen werden nach Möglichkeit Fernsprecher: Amt Wllsdruff Nr. 6 berücksichtigt. Anzeigen, annahmebisvorm. 10Uhr — - Für die Richtigkeit der durch Fernruf übermittelten Anzeigen übernehmen wir keine Garantie. Jeder Rabattanspruch erlischt, wenn derVetrag durch Klage eingezogen werden mutz oder der Auftraggeber in Konkurs gerät. Anzeigen nehmen alle Vermittlungsstellen entgegen. Nr. 209 83 Jahrgang Tciegr.-Adr.: »Amtsblatt" Wilsdruff-Dresden Posticheck: Dresden 2640 Sonnabend 6 September 1924 knglisAe SesorgnM. Es ist doch ein merkwürdiges Zwiegespräch, das sich am Schluß der Londoner Konferenz zwischen Herriot und Macdonald abgespielt hat: der Franzose macht seinem englischen Kollegen Mitteilung davon, daß er mit Deutschland in Verhandlungen über einen Handels vertrag eintreten werde; ob England etwas dagegen habe? Das verneint Macdonald: „wenn nicht die Interessen, die ich vertrete, davon berührt werden". Worauf Herriot verspricht, die englische Negierung über den Gang der Ver handlungen auf dem laufenden zu halten. Weniger bezeichnend als diese Unterredung selbst ist die Tatsache, daß sie jetzt, gerade jetzt veröffentlicht wird mit der Zusatzbemerkung, daß das Versprechen Herriots in Gegenwart von drei weiteren Zeugen vor sich gegangen sei In England stellt sich nun doch ein ziemlicher Katzen jammer nach dem Londoner Konferenzrausch ein, und das Abkommen weniger, aber seine Folgen haben namentlich die englischen Wirtschaftler sehr nachdenklich gemacht. Sind doch sogar vom Ministerpräsidenten selbst je ein Arbeit geber und ein Arbeitnehmer aus jedem Industriezweig zu einer Kommission zusammenberufen worden, die dar über zu wachen hat, ob nicht aus der Erfüllung des Lon- doner Abkommens sich f ü r d i e e n g l i s ch e Ind u st r i e, infolge des Wiedererwachens der deutschen, gefähr liche Schwierigkeiten ergeben. Doch darüber hinaus wird eine wilde Agitation gegen die Auflegung der Anleihe für Deutschland ge trieben; die „Times" drohen sogar mit der Veröffent lichung des Namens eines jeden Anleihezeichners, und vor ein paar Tagen brachte die liberale „Westminster Gazette" einen Aussatz aus der Feder eines hervorragen den englischen Industriellen, der den bezeichnenden Satz schrieb: „Jedenfalls wird man von englischer Seite alles tun, um die deutschen Produktionskosten in die Höhe zu treiben und damit die deutsche Konkurrenzfähigkeit aus dem Weltmarkt zu vermindern." Und es wird gesprochen von einer gemeinsamen Front der englischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Industrie gegen den Dawe s- Bericht. Die ansteigende Arbeitslosenziffer wird dafür auch ausgenutzt werden; andererseits haben aber bekannt lich die Gewerkschaften auf ihrem Kongreß in Hull gegen die Herabdrückung des Lebensstandards der englischen Arbeiterschaft aus Kosten der deutschen Arbeiter heftig pro testiert. Freilich liegt hier die Zwickmühle vor, auf die schon wiederholt hingewiesen wurde: keine Reparationen ohne das Wiederaufblühen der deutschen Industrie, die ihren Export forcieren muß. Und auf der andern Seite die bevorstehenden deutsch- französischen Wirtschaftsverhandlungen, bei deucn die für Deutschland ungünstige Situation, die Zwangslage gerade durch das Nachgeben Macdonalds in der Nuhrräumnngs- srage geschaffen wurde! Daher die heftige englische Kritik am Londoner Abkommen, daher die abfällige Be urteilung der „Erfolge" der bisherigen Politik Mac donalds. Nicht zuletzt in seinen eigenen Reihen; denn eine derartige Politik hätte der Konservative Baldwin auch machen können. Und man muß immer bedenken, daß Macdonald parlamentarisch auf die Unterstützung wenig stcus einer der andern beiden Parteien angewiesen ist. Wacklig ist seine Stellung ja immer gewesen, er hat sich schorl anderthalb Dutzend Niederlagen im Unterhaus ge holt, und in der Fühlung der Weltpolitik schiebt sich der amerikanische Vetter jenseits des Atlantik immer stärker in den Vordergrund. Der letzte Anker, der Macdonalds Regierungsschiff im Sturm, der es umbrauft, noch halten soll, ist Genf. Bloß hat Herriot schon jetzt erklärt: Erst „Sicherung", dann Ab rüstung. Er kennt genau die schwachen Stellen seines engli schen Kollegen, der nun endlich mit einem wirklichen Erfolg nach Hause kommen muß. Aus wessen Kosten, ist klar: aus Deutschlands. Herriot hat der Ruhrräumung ja grund sätzlich zugestimmt, sie aber praktisch hinausgeschoben. Desto fester wird er, grundsätzlich wie praktisch, in der „Sicherungs"frage bleiben; davon zeugt schon, was über die erste Unterredung der beiden Ministerpräsidenten in Genf gemeldet Wird. Vorläufig ist Macdonald — seine vorsichtigen Äußerungen englischen Journalisten gegen über beweisen es — mit den Plänen, ja mit der Grund einstellung Herriots gar nicht einverstanden und polemisiert sogar ein wenig dagegen; aber das sind nur Vorposten gefechte, die die Schwäche der englischen Position nicht verhüllen können. Und am Anfang der französischen Vor schläge steht der Satz, daß an eine Rüstnngsherabsetzung nicht zu denken sei, ehe nicht die Sicherheitsfrage gelöst ist, — soweit sie überhaupt durch Garantieverträge gelöst werden kann! Macdonald im Krack. In einer Versammlung von Pressevertretern in Gens gab der englische Premier Macdonald gleichsam als Vororientierung einige Aufschlüsse über seine Absichten bei den zu erwartenden Auseinandersetzungen. Etwas Aufsehen und einige Heiterkeit erregte es, als er im ele ganten Frack und mit einer Zigarre in der Hand auf einen Tisch stieg und seine „Kollegen", wie er die Zeitungs- m-nktben nannte, anredete. Seine Erscheinuna bildete Abrüstung und Schiedsgericht. Der große Tag in Genf. Riesige Menschenmengen sind heute um den Neformationssaal versammelt, in dem der Völkerbund tagt. Es sind zum großen Test diejenigen, die keinen Einlaß mehr fanden, um der mit Spannung erwarteten Rede Macdonalds über Abrüstung und Völkerbund beizu wohnen. Im Saal ist bis aus den letzten Tribünenplatz alles überfüllt. Um 11 Uhr ertönt die Glocke des Präsi denten Motta zur Eröffnung und unvermittelt erscheint Macdonald im grauen Stratzenanzug, von stürmischem, minutenlangem Beifall empfangen, und besteigt das Rednerpult. Die Delegierten erheben sich von den Sitzen. Unter größter Aufmerksamkeit beginnt der englische Mi nisterpräsident seine immer wieder von Beifall unter brochene Rede. Er spricht mit großer Lebhaftigkeit, manchmal mit beschwörender und eindringlicher Stimme, an den wichtigsten Stellen mit den Fäusten aus das Pult schlagend, mit oft hinreißendem, rednerischem Schwung, der spontanes Händeklatschen auslöst, ab und zu unmittel bar an die französischen Delegierten gewandt, die in gespanntester Aufmerksamkeit seinen Ausführungen folge». * Macdonalds Rede. Schon bald nach Beginn seiner Darlegungen kommt Macdonald auf die Kriegsschuldfrage zu sprechen und sagt mit großer Erregung, die Welt könne heute nicht darauf warten, bis die Schuldfrage in allen ihren Einzelheiten sestgeftellt sei. Das sei vielleicht erst nach fünfzig Jahren möglich. Dannwerde die Welt geschichte ihr Urteil fällen. Macdonald ruft aus: „Ich bin hier im Namen einer Regierung, um zu versichern, daß sie alles tun wird, um den Zweck zu er füllen, den Frieden auf Erden zu sichern. Die Zukunft hangt von dem Völkerbund ab. Der Garantie- Vertrag, der auf militärischer Gewalt beruht, kann nicht den Frieden der Völker sichern. Die militärische Verein barung wäre ein Senfkorn, das neue Kriege bedeutete, die kick entwickeln und den Völkerbund zersvlittern. Die Zu sammensetzung des Völkerbundes muß allumfassend sein. Europa bietet in den letzten zwei Jahren kein einiges Bild. Amerika ist immer loyal gewesen. In London ist der Anfang zu einem besseren Verhältnis zwischen Deutschland und Europa gemacht worden. Deutschland darf nicht außerhalb des Völker- Snndes sein. Die Lösung der Rüstungsfrage und der Minderheitenfrage ist ohne Deutschland nicht möglich. Wir müssen eine europäische Gemein schaft begründen, in der Deutschland seinen Platt haben wird. Der russische Vertrag ist ein Zeichen für die Sinnes änderung der Sowjetregierung. Wir haben die Hoffnung, daß es gelingen wird, auch mit Sowjetrußland in andere Beziehungen zu treten. Ein Schiedsgericht für Streitigkeiten zwischen den Staaten sollte zusammentreten, sobald die ersten Wolken am Horizont erscheinen. Das Schiedsgericht muß in den Stand gesetzt werden, den Frieden zu sichern. Der Gerichtshof muß geschaffen werden. Die Verpflichtungen müssen festgesetzt werden. Wir müssen die Geistesverfassung Europas ändern. Ein wesentlicher Bestandteil der Sicherheit ist die Gerechtigkeit. Einer allgemeinen Abrüstungskonferenz würde ein voller Mißerfolg beschieden sein. Nur durch eine Schiedsgerichts- c konscrenz, die noch in diesem Jahre stattfinden müßte, sind dir Probleme zu lösen. Alle hier vertretenen Nationen sollen zu einer Schiedsgerichtskonfercnz zusammentreten, f die in Europa stattfinden müßte. Der Völkerbundsvertrag ermöglicht das Schiedsgericht. Lassen Sie uns alle für eine Schirdsgerichtskonserenz eintreten und eine Kom mission zu ihrer Vorbereitung einsetzen. Die einzelnen Nationen sollen in ihrem Gedeihen nicht eingeengt werden. Die Welt muß aber für einen Völkerbund gewonnen wer den. Die britische Regierung tritt dafür ein. Nach Beendigung der Rede Macdonalds, in der er sich mitunter an einzelne Delegierte, auch an seinen „lieben Freund Herriot", wandte, setzte nicht endenwollender Bei fall und stürmisches Händeklatschen ein. Herriot, der morgen sprechen wird, applaudierte lebhaft mit. ciuen ziemlichen Gegensatz zu der k l e i n b ü r g e r l i ch c r Behäbigkeit Herriots, der ebenfalls sich mit der Press« unterhielt. Macdonald blieb in seinen Änhenmger natürlich sehr vorsichtig und zurückhaltend. Jmmcrhir sagte er, der wichtigste Gegenstand der Genfer Tagung sei die E n t w a f s u u n g s - und S i ch e r h e i t s f r a g e. Die großen Aufgaben, denen die europäischen Völker gegcn- überstehen, müßten auf praktische Probleme zurückgcführi werden. Macdonald kam im Verlauf seiucr Ausführun gen, zu denen er durch die Vorlegung von Fragen ange regt wurde, aus eine Reihe von Einzelheiten zu sprechen Ein internationaler Gerichtshof wäre seiner Überzeugung nach im Garantievertrag vorgesehen Die Entwaffnung, die bei den einzelnen Ländern schon durch geführt sei, wäre nur eine Vorbereitung für eine allge meine Entwaffnung. Im geeigneten Augenblick würde der Völkerbund die Kontrolle der gesamten Rüstun gen der Welt übernehmen. MesgutüWMIMsMe Volkswirtschaftliche Betrachtung von Ober!. M eyer, Wilsdruff. Es ist ein Grundübe'l des Deutschen, Hast er sich zu allem und jedem politisch einstellt, ohne daß er besondere politische Veranlagung an den Tag legt. Das hat sich wieder ganz deut lich gezeigt in den letzten Wochen, die beherrscht wurden von zwei höchst bedeutsamen Ereignissen, von der Londoner Konferenz und den damit in Verbindung stehenden Sitzungen von Reichsrat und Reichstag. 'Es ist eine andere Äs die rein politische Stel lungnahme hierzu nicht nur möglich, sondern sogar empfehlens- wert, ich meine die volkswirtschaftliche Einstellung, die den Vor zug der Sachlichkeit hat. Borausgeschickt sei, daß wir unter Dawes-Gutachten das Gutachten der Sachverständigen auf Grund des Berichtes vom amerikanischen General Dawes verstehen und mit den Dawes- Gesetzen jenen ganzen Komplex von Gesetzen meinen, aus Grund besten die Durchführung des Gutachtens zu erfolgen hat. Wr unsere unpolitische Betrachtung ergibt sich somit folgende Richtlinie: :-LWWU I. Das Dawes-Gutachten: a) Vorgeschichte und Zusammensetzung der Sachverständigen kommission, b) Inhalt des Gutachtens. II. Die Dawes-Gesetze: a) Wesenseigenart derselben, b) Behandlung im Reichstage als dem Organ der Vvlks- staatsgewalt. I. Das Dawes-Gutachten. n) Wenn wir die Vorgeschichte der Einsetzung einer Sach verständigenkommission kurz behandeln, müssen wir bis Kriegs ende zurückgreisen. Durch den Vertrag oder richtiger: das Diktat von Versailles mußten wir umfangreiche Schuldverpflichtungen übernehmen, die Kriegsschäden durch Zahlungen und Sachleistungen zu heilen, zu reparieren. Die Auszeichnung der Schäden, die Eintreibung der Geld- und Sachleistungen und die Verteilung aus die geschädigten Feindbundmächte ist Sache einer Reparationskvmmisiion (Repko), in der das Deutsche Reich weder Sitz noch Stimme hat. Die Berechtigung unseres immerwährenden Einspruchs gegen die unausbringbaren Forderungen der Repko ist deuiäch belegt durch den wirtschaftlichen Verfall im D. R., der sich an einem Teile in der Erwerbslosenziffer ausdrückt, und durch die In- slatlonswelle, der in der Rentenmark ein emslweiliger Damm ent gegengesetzt wurde. Das fälschlicherweise in den guten Willen der Reichsregierung gesetzte Mißtrauen, besonders das Poin eures und seiner Anhänger, war die Triebfeder zu der vor 1°/» Jahr — Januar 1923 — bewirkten zwangsweisen Bei treibung durch die unrechtmäßige, vertragswidrige Militärische und wirtschaftliche Besetzung des Ruhrgebietes und angrenzender Landstriche bezw. wirtschaftlich bedeutsamer Städte. De unaus gesetzten Bemühungen der Reichsregierung blieben erfolglos, und der passive Widerstand brach zusammen. —Das ist die eine Seite, aus der anderen Seite: durch Unterbinden einer bei stärksten öeutschen Wirtschaftsadern, vielleicht der wirtschaftlichen Schlag ader des Reiches blieben die Zahlungen an die Entente aus. Demzufolge griff die Repko zu folgenden Zwangsmaßnahmen: 1. Micum-Verträge, d. h. Zwangszahlungs- und Leistungs verträge zwijchen Repko und Ruhr-Schwerindustrie, 2. Französisch-belgische Eisenbahnregie, d. h. eigner Eisen bahnbetrieb der Franzosen und Belgier auf den Linien des besetzten Gebietes, 3. Steuer- und Zolleintreibung im Ruhrland. Senat und Kammer von Frankreich mußten sehr bald trübe Erfahrungen in bezug aus die Rentabilität dieser neuen Unter nehmungen der grande Nation machen, und so kam man auf einen amerikanischen Vorschlag von 1922 durch Repka-Beschluß vom 30. 11. 23 zurück: Errichtung einer Sachverständigenkommission, d. h. einer Kommission von Wirtschaftskammern des Feindbundcs. Ihr erwuchs die Afgabe, ein Urteil über die wirtschaftliche Lei stungsfähigkeit Deutschlands zu fällen und auf Grund dessen die Höhe der Reparationsleistungen auf Jahre hinaus sestzulegen. Grundsätzlich mit dieser Maßnahme einverstanden fand die Reichs regierung für ihr berechtigtes Verlangen, daß deutsche Sachver ständige der Kommission angehören müßten, keine Liebe in dem unter Frankreichs Vorherrschaft stehenden Feindbund. Den ftan- zösifchen, belgischen, englischen, italienischen und amerikanischen