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Amts-! Nr. 29 t. Sonnabend den 14. Dezember 1918 ! 77. Jahrg. Der amtliche Teil befindet sich auf der vierten Seite und Llmgegend. Erscheint seit dem Lahre 4841. Wie Postanstalten, Postboten sowte unsere Austräger und Geschäftsstelle nehmen jederlei! Bestellungen entgegen. / Im Salle HSHerer Gewalt — Krieg oder sonstiger irgendwelcher StSrungen der Betriebe der Zeitungen, der Lieferanten oder der BeiSrderungseinrichtungen — bat der Bezieher »einen Anspruch auf Lieferung oder Nachlieferung der Zeitung oder auf Nachzahlung des Bezugspreise«. Ferner hat der Inserent in den obengenannten Fällen leine Ansprüche, fast« die Zeitung verspätet, in beschränktem Umfange oder nicht erscheint. / Einzeb- oerlaufspreis der Nummer 10 pfg. / Zuschriften sind nicht persönlich zu adressieren, sondern an den Verlag, die Schrtstleitung oder die Geschäftsstelle. / anonyme Zuschriften bleiben unberüchsichiiat. / Borliner Vertretung: Berlin 8W. 4S. Vd e Postaus das Tausend »Ml.. Lagen uNSn* Lwäd' Aufschlag ohne Nabati. / Sie Nabattsähe und Netto^eile Bo» zahlung binnen ro Tagen Güliiglcit: längeres Ziel »re ^"lerenten bedingen die Berechnung des Brusto-Zeilen. MlsdruffÄewbart^^^ k"" stillschweigend als Erfüllungsort Amtsgericht und den Stadtrat zu Wilsdruff rentamt zu Tharandt, ^»,114,«.^»»,«: M. für die Amlshauptmannschaft Meißen, für das Fernsprecher: Ami Wilsdruff Nr. k. fstMte fUr dsts Fürst- Der neue Waffenstillstand. Deutscher Ostmarkeutag. Die Interessen der 880 000 Deutschen. Posen, 12. Dezember. Zu einer imponierenden Kundgebung gestaltete sich der heutige Deutsche Tag in Posen, zu dem Zehntausende von Deutschen herbeigeströmt waren und mit schwarz- weiß-roten Fahnen unter Absingen des Liedes „Deutsch land, Deutschland über alles" durch die Straßen zogen. In einer gewaltigen Vcesammlnng wurde der Beschluß gefaßt, einen Provinzialvoltsrat zu gründen. „Wir", so heißt eS in der einstimmig angenommenen Resolution, „ver wahren uns vor allem gegen die Entschließungen des polnischen Teilgebiets-Landtages, die Wortlaut und Sinn des Punkte- 13 der Friedensbotschaft des Präsidenten Wilson vom 8. Januar 1918 vergewaltigen. Sie haben der Entschließung deS Friedenskongresses vorgegriffen, einen Staat im Staate geschaffen und Gebiete beansprucht, welche in jahrhundertelanger deutscher Arbeit zu leben- notwendigen Bestandteilen des Deutschen Reiche- geworren find. Zum Schluß wurde dann auch von dieser Seite die schleunigste Einberufung der Nationalversammlnrw ge fordert, von der allein man bis zum Friedenskongreß d.n Schutz der Deutschen im Osten erwartet. Der neue Waffenstillstand. Beginn der Verhandlungen. Da die ursprünglich festgesetzte Dauer des Waffen- stillstandes bald abgelaufen und ein Präliminarfriedcn, wie Deutschland ihn beantragt hat, nicht zuwege gekommen ist, so haben sich bekanntlich die beiderseitigen Waffm- stillstandskommissionen geeinigt, in Beratungen über eine Verlängerung des Waffenstillstandes einzutreten. Trier, 12. Dez. Die deutschen Delegierten der Waffen, stillstandskommisston sind nun sämtlich in Trier augekommen und in zwei Hotels abgestiegen. Die Delegierten find in ihren Hotel- völlig interniert und niemand hat Zutritt zu ihnen. Die Verhandlungen haben heute um 11 Uhr vor mittags begonnen. Sie finden in einem D-Zug ans dem Bahnhof Trier statt. Die Nachricht von der Internierung wirkt etwas befremdend und es bedarf noch der Aufklärung, welche Gründe die Amerikaner dazu veranlaßt haben. Im übrigen haben die deutschen Vertreter aber ständige Fern sprechverbindung mit Berlin, stehen also mit der Reichs leitung in unbeschränktem Verkehr. England und die Entschädigungsfordcrungen. Ganz klar ist man sich in England über die an Deutschland zu stellenden „Entschädigungsansprüche" doch noch nicht; möglichst viel, das ist natürlich klar. So sagt Lloyd George, er halte eS für möglich, die ganzen Kriegs kosten von Deutschland zu erhalten, ohne eine Besatzungs armee für eine lange Zeitperiode in Deutschland zurück zulassen. Man ist der Ansicht, daß von den Alliierten mit wirtschaftlichen und internationalen Mitteln der nötige Druck auf Deutschland ausgeübt werden kann. Die Alliierten werden in erster Linie die Interessen der Völker berücksichtigen, mit denen Deutschland Krieg führte, nicht die Interessen des deutschen Volkes, das sich dieses Ver brechens gegen die Menschheit schuldig gemacht bat. Lloyd George wünscht nur, daß nicht für unbestimmte Zeit eine Besatzungsarmee in Deutschland gehalten in d die Zinsen des Geldes von Deutschland nicht dadurch a - getragen werden soll, damit England nicht mit billige i Waren überschwemmt werde. Wie die Neutralen denken. Das keineswegs deutschfreundliche sozialdemokratische Organ in Finnland schreibt zu dem Vorgehen der Entente: Die den germanischen Nationen auferlegten schimpflichen Bedingungen machen einen um so negativeren Eindruck, als sie sich gegen das in großartiger Weise von Reaktion und Militarismus befreite deutsche Volk richten. Auf diese Weise geht man einem neuen Brest-Litowsker Frieden entgegen. Die Triumphatoren der Entente Haden, vom Siegesrausch verblendet, sich nicht bemüht, die UrsachiN der deutschen Niederlage zu studieren. Um so kälter wird der Wafserguß sein, den die eigenen Völker über ihre Köpfe ausgießen werden. * Verschiedene Meldungen. Aachen, 12. Dez. Belgische Soldaten haben in Aachen schwere Ausschreitungen begangen. Sie plünderien Kauf läden, mißhandelten Bewohner und erstachen einen Juwelier. Französische Soldaten stellten die Ordnung mit Waffengewalt wieder her. London, 12. Dez. Barnes sagte in einer Rede in Glasgow, er würde ek nicht für richtig kalten, von DeuNcklanü arc »- Entschädigungssummen emzutrewen, da Deutschland nie mals imstande sein werde, sie zu bezahlen. Berlin, 12. Dez. Trotz Hinweis auf die bedenklichen Folgen für die deutsche Volksernährung zeigte die englische Marinekommission kein Entgegenkommen in der Frage der Freigabe der Fischerei und des Verkehrs zwischen den deutschen Häsen und bezog sich aus die diesbezügliche, bereits ablehnende Antwort Beattys. Wilsons Absichten. Ernste Konferenzen mit Italien und Frankreich. Von dem Dampfer „Washington", auf dem Wilson fährt, wird drahtlos gemeldet, daß der Präsident „ernste Konferenzen" mit dem italienischen und französischen Bot schafter gehabt hat. Wenn auch nichts über den Inhalt derselben verlautet, soviel weiß man doch, daß gerade zwischen Wilson und den übrigen Milgliedrcn der Eniente nicht unbeträchtliche sachliche MeiiiungsoeNckirdrüdeilen be stehen, deren Ausgleich nicht ganz leicht sem durste. Ein großer slawischer Ring. Ein österreichischer Diplomat, der offenbar tiefer in die Geschehnisse aus der Weltbühne geblickt hat, weiß zu. berichten, daß der tschechische Präsident Masaryk ein! intimer Freund Wilsnns sei und einen gröberen Einfluß! auf die Gestaltung der Dinge habe, als man gemeinhin annehme. So behauptet er von Masaryk: Von dem Augenblicke an. al« der deutsche Reichstags- abgeordnete Naumann den Versuch machte, auszuzrigen, wie das österreichische Slawentum dem ErvonfionSdrange Deutsch lands nach Asien dienstbar gemacht werden könnte, begann Masaryks eigentliche Laufbodn. Es gelang ihm, sowohl England wie Amerika zu überzeugen, dab nur ein grober slawischer Ring, von der Ostsee bis zur Adria gezogen, Deutschlands Bestrebungen durchkreuzen könnte. Dazu balf ihm, daß damals die Entente bereits den Krieg für verloren gab und sich nach jedem Strohbalm umsah. Auch die berühmten 14 Punkte Wilsons sollen ein Werk Masaryks sein, von dem außerdem behauptet wird, er wäre mit Wilson durch dessen Frau verwandt. Ferner habe insbesondere der berühmte Selbstdessimmungsvuntt gar keinen anderen Zweck gehabt, als den moralischen Rahmen für die tschechischen, polnischen und südslawischen Bestrebungen abzugeben. Einen andern Zweck ha, hie Selbstbestimmungssormel nicht, und der tragisch« Kampf Deutsch-BühmenS und wahrscheinlich auch Wiens mit Niederösterreich für dieses Seldstbeslimnmngsiecht wird, wie ich fürchte, völlig nutzlos sein. Republik Nixdorf. AuS dem Paradies Les Spartakusbundes. olk. Berlin, 12. Dezember. Die Vorgänge, die sich in der Groß-Berliner Vorstadt Nixdorf, die seit einigen Jahren Neukölln heißt (bös« Lungen behaupten, der Hauptmann von Köpenick, der I aus der Rirdorfer Kopfstrabe stammt, habe den letzten j Anstoß zur Namensänderung gegeben) jetzt ereignen, sind dem Außenstehenden ziemlich unverständlich. Trotz aller Regierungsverordnungen herrscht nämlich dort der Sparta kusgeist völlig ungebunden, nach eigenen Methoden und nach eigenen Gesetzen, oder besser gesagt, ohne alle Gesetze. Wer die Residenz der Spartakusleute, das Neuköllner Rathaus, betritt, wird sofort umweht von dem radikalen Geist, der hier in der rauhen Wirklichkeit das Paradies schaffen wifl, das weltentrückte Theoretiker in verzückten Stunden auf dem Papier entwarfen. Wie vor dem Sitz der Sowjetregierung in, Moskau, so weht auch hier über dem Portal die rote Fahne mit der gestickten Inschrift: Proletarier aller Länder vereinigt Euch! Im groben Treppenhaus aber grüben grelle Plakate, die die Rote Fahne, das Organ des Spartakus anpreisen, weisen An kündigungen auf die Meldestellen für „Urlauber — Deser teure und heimkehrende Krieger" hin. Im Rathause aber herrscht oerordnungsfreudig wie der schreibwütigste Land rat der guten alten Zeit die Masse der Spartakusleute. Was schafft nun Spartakus? Unbekümmert um die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Stadt ordnet er an, dah künftig keine Mietssteigerungen mehr vorgenommen werden dürfen, befiehlt er, daß alle Gehälter und Ein kommen von Kriegsteilnehmern und Personen, die unter 8000 Mark verdienen, jeder Pfändung und Zwangs vollstreckung entzogen sind. Mit anderen Worten, auch der wohlhabende Kriegsteilnehmer braucht Hinfort keine Miete oder andere Verpflichtungen zu zahlen und jeder Luftikus, der 4800 Mark verdient, kann Schulden machen, wie em Major des früheren Regimes, ohne faßbar zu sein. Neu-, kölln-Rixdorf war einst düs Paradies dunkler Lebemänner. Sie alle werden jetzt das Spartakusparadies aufsuchen, das moderne Schlur^'-uland. wo eine Handvoll Leute. gestützt aus Deserteure (die man sonst überall in den'. Soldatenoertretungen ablehnt) eine neue Weltordnung für! ein Gemeinwesen entwirft. Und Spartakus läßt sich seine Kreise nicht stören. Dem Magistrat, der ewige wichtige Vorlagen der Stadt»! Versammlung vorlegen wollte, wurde kurzerhand erklärt,! der Stadtverordneten seien erloschen, der ASR werde mit dem Magistrat die Vorlagen beraten. Bemerkenswert ist, daß man aus diesem ASR vor einigen Lagen die Mehrheitssozialisten verdrängt hat. Er besteht E aus Unabhängigen, Spartakusleutcn und Deserteuren! Und diese Volksbeauftragten regieren in dem selbständigen Gemeinwesen ohne Rücksicht auf Staat und Reich, ohne Rücksicht auf Bürger und Gesetze, weil sie die Macht an! sich gerissen haben und weil fie über die Gelder — und wie — verfügen. Und wenige Schritte vom Schauplatz der Taten dieser Velden aus „Schlaraffia" liegt das alte Nixdorf, das be rühmte Dorf, verträumt und wirklichkeitsfremd, das die Revolution nicht versteht, von Spartakus nichts weiß und nur besorgt ist, daß die weiteren Verordnungen vom Rat haus den Ruf Neuköllns in Ler ganzen Welt so h-illoS bloßstellen, wie es einst die Verbrecher mit der» stufe RixdorfS taten . . . Czernins neue Enthüllungen. Klagen über versäumte FriedenSmöglichkeitem Wien, 12. Dezember. Die vom Grafen Czernin angekündigten Enthüllungen» Lie er nun vor einem Kreise von Politikern und Zeitungs männern gemacht hat, erweisen sich bei näherer Betrachtung weit weniger sensationell, als man allgemein erwartet hatte. Die nach dem Muster „Ich habe es vorher gesagt" aufgemachte Rede mutete eigentlich recht nüchtern an, wenn nicht mancherlei Streiflichter auf Nebendinge fielen, die des Interesses nicht entbehren. Eine versäumte Gelegenheit. Wenn der ehemalige Minister des Äußeren behauptet, daß nach der Schlacht von Gorlice der geeignete Augen blick zum Friedensschlub gekommen gewesen sei, so ist das eine bloße Vermutung. Czernin meint, „Majorescu, der damalige Leiter der rumänischen Politik, war nicht abgeneigt, sich aktiv auf unsere Seite zu stellen." Sehr schön! Aber Rumänien verlangte Gebiets? erweiterungen auf Ungarns Kosten, und die Entente wäre für einen Frieden nie zu haben gewesen, der für die Mittelmächte Verzicht bedeutete. Aber Graf Czernin er klärt außerdem selbst, er wolle „nicht positiv behaupten, daß es in diesem oder einem anderen Falle möglich ge wesen wäre, den Frieden zu erreichen". Mit diesem Zu geständnis fällt die Anklage des Grafen gegen die deutsche Militärpartei zusammen, die angeblich immer unnachgiebig gewesen sei. Wesentlicher sind Czernins Ausführungen über Vic veutschc Hilfe. „Immer und immer wieder", so sagt er, „brauchten wir die deutsche Hille, in Rumänien und in Italien, in Serbien und in Rußland. Wir waren in der Lage des verarmten Verbündeten, welcher von der Güte des reichen Vetters lebt. In zweiter Linie war unsere Abhängigkeit begründet durch den Stand unseres Ernährungswesens. Die Hungerblockade, welche Ungarn einerseits und die k. k. Behörden mit ihrer Zentrale andererseits gegen die Bevölkerung machten, zwang uns, immer wieder in Berlin uni Hilfe zu erluchen. Drittens endlich war unsere Ab hängigkeit bedingt durch die finanzielle Lage. Wir bczozr» monntlich von Deutschland über hunvert Millionen Mark, um unsere Valuta zu stützen, eine Summe, die im Laufe des Krieges auf über vier Milliarden angewachsen ist. Trotz dieser Abhängigkeit blieb der einzige Weg, zum Frieden zu gelangen, Deutschland zu bewegen, einen Frieden mit Opfern zu schließen. Immer war die Situation nur die, daß wir in denkbar günstigen militä rischen Momenten einen Frieden hätten vorschlagen können, der, mit bedeutenden Opfern verbunden, vielleicht die Aussicht gehabt hätte, von dem Feinde angenommen zu werden." Vielleicht! Graf Czernin, der schließlich Anklage gegen Ludendorff erbebt, der alle Machtfülle an sich gerissen, aber kein politisches Augenmerk gehabt habe, er klärt ja selbst, daß Ludendorff genau so.wie die Staats männer in Frankreich und England gedacht habe; d. h. er wollte siegen. — Das ist billige Weisheit und Czernin will doch wohl nicht behaupten, er oder Österreich hätten sich am Krieg beteiligt, um nicht zu siegen.