Volltext Seite (XML)
Wilsdruffer Tageblatt Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, desrStadt-s rats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt 7^777 »alle anderen Stände des Wilsdruffer Bezirks ^Anzeigenpreis: die l spaltige Millimeterzeile (46mm breit) 7 Rpsg., die 2spaltige Millimeterzeile der amtlichen Bekannt«, imachungen bei direkter Auftragserteilung 11 Rpsg. ohneNachlaß, die 1 spaltige Text-Millimeterzeile (90mm breit) 20Rpfg^ LNachweisungs - Gebühr : _ 20 Rpsg. Dorgeschriebenei '^Erscheinungsrage u.Platz- Fernsprecher . Ami Wl!8drUsf Nr. 6 Vorschriften werden« nach! MSglichkeit berücksichtigt. —— ' ' Anzeigen - Annahme biss vormittags 10 Uhr Für die Richtigkeit der durch Fernruf übermittelten Anzeigen übernehmen wir keine Gewähr. ^IedeE Radattonspruch erlischt, wenn der Betrag durch Klage eingezogen werden mutz oder der^Auftraggeber in Konkurs^gerät^ Nationale Tageszeitung für Landwirtschaft und IDas »Wilsdruffer Tageblatt" erscheint an allen Werktagen nachmittags 4 Uhr. Bezugspreis monatlich 2.— RM. Acer Haus, der Postbestcllung 1.80 AM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Rpsg. Alle Postanstalten und Post- »oten, unsere Austrägern. .. — Geschäftsstelle, nehmen zu flederzert Bestellungen ent- Wochenblatt kÜV WllsdrUff U. UMgegeNd gegen Im Falle höherer tGewalt.Krieg od.fonsttger —! L-L Betriebsstörungen besteht «ein Anspruch auf Lieferung. der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. Rücksendung-^cingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Rückporto beiliegt. Nr. 38 — 93. Jahrgang Wilsdruff-Dresden Mittwoch, den 14. Februar 1934 Telegr.-Adr.: „Tageblatt* Postscheck: Dresden 2640 Blutschuld. In Wien und in größeren Städten Österreichs krachen Geschütze, knattern Maschinengewehre, ertönen die dumpfen Knalle der Handgranaten. Das bisherige Er gebnis dieser.schwersten inneren Erschütterung, die Öster reich seit dem 15. Juli 1927, der Erstürmung und In brandsetzung des Wiener Justizpalastes durch die roten Horden erlebt, besteht darin, daß die sozialdemokratische Vorherrschaft in der Bundeshauptstädt beseitigt ist, eine Anzahl weiterer roter Stützpunkte im Lande von Bundes- Iruppen mit Unterstützung der Polizei in blutigen Kämp fen genommen, eine Reihe sozialdemokratischer Funk tionäre hinter Schloß und Riegel gebracht ist und einige von ihnen sich der Negierung „zur Verfügung gestellt" haben, wie sie es nennen. Nach dem äußeren Ergebnis wäre man versucht, von einer Umwälzung in Österreich zu sprechen und sie der Ausschaltung der Sozialdemokratie in Preußen vom Sommer 1932 gleichzusetzen. In Wirklichkeit handelt es sich in Österreich um eine völlig andere Lage; dort geht es nicht um die Beseitigung der Marxistenherrschaft durch die legale Macht, sondern letzten Endes lediglich um den Kampf zweier illegaler Macht gruppen gegeneinander, nämlich der Starhem- bergschen Heimwehr, die — bestenfalls! — über 40 000 Mann verfügt, gegen die Austro-Marxisten, die sich noch im vergangenen Jahre wahrheitswidrig rühmten, 42 Pro zent der österreichischen Bevölkerung hinter sich zu haben. Sieht es nun nicht so aus, als hätten die Starhem- Lergschen Heimwehren Österreich vor dem Marxismus bewahrt? Es scheint nur auf den ersten Blick so. Tat sächlich haben Starhemberg und die Seinen diesen zwei ten größeren Putsch vom Zaun gebrochen, nach dem der erste kleinere Putsch in der vergangenen Woche in Salzburg und Tirol ihnen nur einen halben Erfolg gebracht hatte. Gewiß, jedes Kind in Österreich wußte, daß die Sozialdemokraten, obwohl im Verlauf der letzten Jahre manches große Waffenlager, darunter das im Wiener Rathaus, aufgeflogen war, reichlich mit Waffen aller Art versehen waren, die meistens über die tschechische Grenze her gekommen waren. Und die Wiener Spatzen pfiffen es sich von den Dächern zu, daß die großen Wohnblock-Neubauten, die unter der Herr schaft des sozialdemokratischen Wiener Bürgermeisters Seitz besonders in den äußeren Bezirken der Bundes hauptstadt schon vor Jahren errichtet worden waren, von vorneherein in ihren ausgedehnten Kellereien Lager von Waffen aller Art enthielten. Die gleichen Spatzen zwit- sc-'erten es sich genau so zu, daß diese Zustände der Wiener Polizei bekannt waren, daß die Sicherheits organe aber „höheren Ortes" immer wieder zurück gepfiffen wurden. Die Sozialdemokraten in Österreich waren zwar seit ihrer Ausschiffung aus der Regierung nur noch fünftes Rad am Wagen; aber ihre Duldungspolitik gegenüber der Regierung Dollfuß hatte erst den Ausbau dieser Regierung zum Diktatursvstem ermöglicht. Beide Teile, sowohl die Regierung Dollfuß wie die Sozialdemokraten, wußten somit ganz genau, was sie einander wert waren. Und da die Sozialdemokraten ja schließlich immer noch die un beschränkte Herrschaft sowohl im Wiener Rathaus als auch in dem Bundesstaat Wien innehatten und darüber hinaus auch sonst im Lande noch eine Anzahl einträglicher Posten bekleideten, so hatten sie in dieser Stellung, die ihnen wenig Verantwortungslast und manche fette Pfründe sicherte, von sich aus gar keinen Anlaß, jetzt loszuschlagen. Sie waren, um nach außen hin das Gesicht zu wahren, „die Opposition", aber sie waren des Herrn Dollfuß aller getreueste Opposition. Auf der anderen Seite waren disStarhemberg- schen Heimwehren — im österreichischen Volk ver haßt und durch die politische Großmannssucht ihres Führers Starhemberg längst um jedes innere und äußere Ansehen gebracht — in der Zwangslage, entweder vor dem unaufhaltsamen Vormarsch des Nationalsozialismus in Österreich zu kapitulieren oder einen letzten Versuch zur Ergreifung der Macht zu wagen. Fürst Starhemberg, Politischer Dilettant, den niemand mehr ernst nimmt, ent schied sich für das letztere, erfand den Reklamebegriff des „österreichischen Faschismus" für seine persön lichen Bestrebungen, wurde damit wiederholt von Dollfuß abgewiesen und veranstaltet nun auf Biegen oder Brechen seinen privaten Bürgerkrieg, der nach den bisherigen Meldungen außer vielen Hunderten von Verletzten schon über hundert Tote an Blutopfern gekostet hat. Den äußeren Anlaß dazu gab die Erklärung, des der Heimwehr seelenverwandten Vizekanzlers Feh vom Sonntag, man müsse in Österreich mit der Sozialdemo kratie „ganze Arbeit" machen. Die Antwort, Herrn Star hemberg und seinen Leuten höchst erwünscht, war der sozialdemokratische Aufruf mit der Bereitschaft zur bewaff neten Auseinandersetzung. Bei dieser Auseinandersetzung zwischen zwei illegalen Machtgruppen ist es nun dazu gekommen, daß pflichttreue Soldaten des österreichischen Bundesheeres und Beamte der österreichischen Polizei aeaen die Maschinengewehre der.^ österreichischen Marxisten anstürmen unh die Merle m TM in Sestmeil-. Immer noch Kanonendonner und Stratzenkämpse. Zahl der Todesopfer unübersehbar. Die Zahl der Todesopfer ist noch nicht zu übersehen. Von der Regierung werden über die Höhe der Verluste bei Militär, Polizei und Heimwehr keine genauen An gaben gemacht, können wohl auch bei der allgemeinen Ver- Wirrung noch gar nicht gemacht werden. Um so weniger lassen sich die Verluste der Marxisten, die ihre Toten und Verwundeten, soweit es möglich ist, mit sich schleppen, übersehen. Jedoch dürften allein die Todesopfer in die Hunderte gehen. An dieser Ziffer sind die Regierungs- kräfte sehr hoch beteiligt. Artillerie und Haubitzen bei -en Wiener Giraßenlämpfen. Auf eine Nacht, die durchtost war von Artillerie- und Maschinengewchrfeuer folgte ein nicht weniger unrnhiger Morgen. Beim Weichen der Dunkel heit lohten die Stratzenkämpse in Wien an zahlreichen Stellen wieder aus. Kleinkrieg s la Moskau. Wie von amtlicher Seite mitgeteilt wird, ist es in Wien infolge des vollen Einsatzes der Machtmittel ge lungen, die Bildung einer zusammenhängenden Stellung der Schutzbündler zu verhindern, so daß sich der Kampf in Teilaktionen auslöste. Diese Teil aktionen machten den Truppen aber fast noch mehr zu schaffen, als der Sturm auf die zusammenhängenden Stellungen, wie Einzelberichts über die Straßenkämpfe in Wien zeigen. So explodierte in Ottakring durch einen Volltreffer ein Gasometer. In diesem Bezirk wurden Truppen von den Dächern und einem Feuerwehrturm aus beschossen, worauf die Truppen zum Sturm ansetzten. Aus einem Gemeindebau eröffneten die Roten ein scharfes Maschinengewehrfeuer, worauf Haubitzen die Stellung unter Feuer nahmen. Bei der Besetzung eines ebenfalls in diesem Bezirk gelege nen großen Gemeindehauses, das durch Artilleriefeuer schwer beschädigt war, wurden 50 Schutzbündler verhaftet, bei denen man volle kriegsmäßige Ausrüstung, jedoch keine Munition mehr vorfand. Vier Polizei flugzeuge stiegen auf, um die kommunistisch-marxisti- fchen Nester auszukundschasten. In den noch arbeitenden Betrieben sind die Arbeiter teilweise zum passiven Wider ft and übergegangen. Mehrere hundert Schutz bündler, die verhaftet sind, sollen vor das Standgericht gestellt werden. Der Adjutant des Vizekanzlers Fey, Major Wrabel, ist, während er mit dem Vizekanzler die Kampfhandlungen inspizierte, durch einen Schuß am Arm verletzt worden. Nach einer privaten Meldung ist die Frau des bekannten sozialdemokratischen Nationalraisabgeordneten Sever bei der Erstürmung des Arbeiterheims in Ottakring erschossen worden. planmäßige und einheiitiche Ausstandsiaklik. DteKämpseindenösterreichischenLändern. Die Nachrichten aus den österreichischen Län dern lauten von überall her ziemlich gleichartig, so daß die Vermutung zur Gewißheit wird, daß der Aufstand nach einem einheitlichen Plan und gründlicher Vorbereitung durchgeführt worden ist. überall in den größeren Orten setzten sich die Marxisten und Schutzbündler in den Bahnhöfen, großen Lndustriewerken und sozialdemokratischen Parteihäusern fest und verbarrikadierten sich. Die ängreifenden Ab teilungen des Militärs und des österreichischen Heimat schutzes wurden mit Maschinengewehrfeuer und Handgranaten empfangen. Die fester verschanzten Plätze mußten durch Artillerievorbereitung sturmreif gemacht werden, um von den Truppen erstürmt zu werden. Wo die Schutzbündler aus ihren Nestern vertrieben wurden, flüchteten sie in nahegelegene Wälder und auf die Dörfer, um dort den Kleinkrieg weiterzuführen. Die Säuberungsaktion durch Militär und Heimatschutz ist auch hier im Gange. Von verschiedenen Orten an der böhmischen Grenze und an der Donau kommt die Nach richt, daß sich die Aufständischen dort zu sammeln ver suchen, um zu neuen Schlägen und zu neuem Widerstand auszubolen. Das Verbot d«SoMbemokralWen Partei Ssterreichs. Nach einer Verordnung der Bundesregierung, die daA Verbot der Betätigung der Sozialdemokratischen Partei nusspricht, wird der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs jede Betätigung verboten. Die bestehenden Organisationen dieser Partei sind aufgelöst. Die Bildung neuer ist untersagt. Das Tragen von A b - zeichen dieser Partei ist auch untersagt. Die Ausübung eines Mandats im Sinne der Sozialdemokratischen Partei Österreichs gilt als Betätigung für die Sozial- demokratische Partei und unterliegt dem Verbot der Be tätigung für diese. Die ersten Originalbilder vom Bürgerkrieg in Österreich. Diese Originalausnahmen von den Unruhen in der Donau stadt zeigen, daß Wien in diesen Tagen einem Heerlager gleicht, in dem blutiger Bürgerkrieg tobt. — Lastautos mit Truppen auf der Wiener Ringstraße. Arbeit für die Diktatur gelüste der Herren Starhemberg und Fey machen mußten! Aus den gebrochenen Augen der in diesen Kämpfen Gefallenen spricht die furchtbarste Anklage gegen jenes politische Abenteurertum, spricht aber auch noch schwerere Anklage gegen das System Dollfuß selbst, das durch die ver fassungswidrige gewaltsame Niederhaltung der nationalen Bewegung in Österreich diesen blutigen Bürgerkrieg direkt mitverschuldet hat. Es ist dabei gleichgültig, daß die Sozialdemokratie in Wien ihre dortige Machtstellung im Rathaus so kampflos räumte wie die Genossen Braun und Severing ihre Positionen in Preußen; es ist auch gleichgültig, daß der Bundeskanzler selbst, der Hals über Kopf aus Budapest nach Wien zurückeilen mußte, zur Zeit ein Spielball der Starhemberg-Leute einerseits und der noch am Buder.bekindliLen Parteireüe üLdererleits iü. Entscheidend bleibt, daß Dollfuß, der ja seit der Auflösung des österreichischen Parlaments im Frühjahr vergangenen Jahres und feit seinem Verbot aller Neu wahlen verfassungswidrig regiert, seit jenem Frühjahr 1932 jeden Tag die Möglichkeit gehabt hätte, der heutigen Mehrheit in Österreich, der nationalsozia listischen Bewegung, im Wege der Neuwahlen ihr Recht werden zu lassen und damit auf friedlichem Wege endlich wieder die Bahn zu einer nationalen Politik freizugeben. Die unblutige Revolution vom Januar 1933 in Deutschland hätte »hm Wegweiser sein müssen. Das System Dollfuß war seit dem Frühjahr 1932 fall reif wie kaum ein anderes in Europa. Mit schwerster Blutschuld beladen sieht es heute als Angeklagter vor dem Richterstuhl des österreichischen Volkes und der Geschichte. P. A. R.