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WgcheMM Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sievenlehn und die Umgegenden. Amtsölatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den StadLrath daselbst. 16. Freitag den 25. Februar 1876. Tagesgeschichte. Die C. Z. berichtet: Wir haben schon ost auf die Nothwendig keit hingewiesen, daß der norddeutsche Bund die Regelung der Pa- Piergeldfrage vornehme, oder daß wenigstens zwischen Preußen und Sachsen durch Vertrag die preußischen und sächsischen Cassenanwei- sungen gegenseitig als giltige Zahlung anerkannt werden möchten. Nachstehend einen neuen eclatantcn Beweis dafür: „Ein sächsischer Fabrikant verkauft nach Berlin gegen Wechsel für 50 Thaler Waare; der Empfänger zeigt an, daß er mit der Lieferung zufrieden sei und das Geld bereit liege. Der Wechsel wird an ein Bankhaus zum Jncasso geschickt, kommt aber mit Protest-Mangels-Zahlung zurück, da sich bei dem vom Bezogenen vorgeleaten Gelde außer drei preu ßischen Zehnthaler-Scheinen auch ein k. sächs. Zwanzigthaler-Cassen- billet befunden habe." Am 20. Februar traten in Dresden die national-liberalen Landtagsabgeordneten und eine Anzahl von Vertrauensmännern aus allen Theilen des Landes zu vertraulicher Besprechung über den durch die in der preußischen Hauptstadt am 5. Februar stattgefundcnen Versammlung veranlaßten weiteren Ausbau der Parteiinstructionen, insbesondere aber auch über die nächsten Neichstagswahlen zusammen. Nach dreistündiger Bcralhuug wurde die vollste Einigkeit über alle Punkte erzielt; es wird darnach im Laufe des Frühjahrs oder Som mers eine größere allgemeine Parteilandesversammlung nach Dresden einberufen werden. Am 21. d. M. früh 5 Uhr ist bei der Hüsnerin Schröder in Heinitz Vei Meißen ein Schadenfeuer ausgebrochen, durch welches nicht nur deren Gehöfte, sondern auch die der beiden Halbhüfner Hennig und Lehmann und das Haus des Handarbeiters Hausmann daselbst gänzlich zerstört worden sind. Auch sind der genannten Schröder I Kalbe, 5 Schweine und 1 Kettenhund mit verbrannt. Ueber die Entstehung des Feuers ist noch nichts bekannt. Die Pfennigsammlung für den Schulbau und die Schuljugend in Frauenstein hat nach der neuesten Quittung die Summe von 931 Thlr. 21 Ngr. 8 Pf. ergeben. Am 16. Februar wurde in der Nähe der Schloßmühle zu Glauchau ein gegen 3 Monate altes Kind weiblichen Geschlechts aus dem Mühlgraben gezogen, welches ungefähr 8—10 Tage im Wasser gelegen haben mochte. Durch die sofort angestelltcn Recher chen ist es gelungen, die leibliche Mutter des Kindes in der Person einer Handarbeiterswittwe Z. in Feldwiesc bei Elsterberg zu ermitteln und zur Haft zu bringen. Dieselbe war von da am 5. Februar nebst dem Kinde auf der Eisenbahn nach Glauchau gefahren, hatte hier das Kind ins Wasser geworfen und nach vollbrachter That per Bahn ihren Heimweg wieder angetreten. Gotha, 18. Februar. Heute morgen um 10 Uhr ward in dem nahen Städtchen Tonna, wo sich das Zuchthaus des Herzogthums befindet, der Chirurgus Kühlt aus Ohrdrufs am Fuße des Thürin ger Waldes durch die Guillotine hingerichtet. Es ist dies die erste Hinrichtung, welche seit 37 Jahren im Herzogthum Gotha vollstreckt wurde, da der Herzog Ernst in seiner bisherigen 26jährigen Regie rung nie ein TodcSurtheil unterschreiben wollte und die von den Gerichten zum Tode Verurtheilten stets zu lebenslänglicher Zuchthaus strafe begnadigt hatte. Der Chirurgus Kühn ist trotz seines beharr lichen Leugnens durch den Jndicicnbeweis überführt worden, ein von ihm geschwängertes Mädchen im Walde mit Chloroform betäubt und ihm dann mir einem Rassirmesscr den Hals abgeschnitten zu haben. Der Fall erregte um so größeres Aufsehen, da das erste Geschwor- ncngericht den Schuldigen auf Grund der freilich sehr belastenden Jndicien schon im Frühling v. I. einstimmig zum Tode verurtheilt hatte. Sein Vertheidiger wußte jedoch nachzuweisen, aß dder Prä sident des Schwurgerichts sich Formfehler bei der Abhörung von Zeugen hatte zu Schulden kommen lassen, und auf Grund der er hobenen Nichtigkeitsbeschwerde verwarf das Oberappellationsgericht zu Jena das ganze Urtheil und ordnete ein erneutes Verfahren an, so daß die ganze weitläufige Untersuchung von Neuem beginnen mußte. Auch das zweite, zu Eisenach abgehaltene Schwurgericht sprach einstimmig das Todesurtheil aus, auf Grund dessen dann end lich heute die Hinrichtung erfolgt ist. Der Scharfrichter und die Guillotine sind aus Mainz dazu herbeigeholt worden. Der kürzeste Tag des Jahres 1870 ivar bis jetzt der Reichstag in Berlin. Er hat drei Tage gar uicht tagen können, weil er nicht beschlußfähig war. Ein Wunder ist das Ausbleiben so vieler Mit glieder nicht, sondern ziemlich erklärlich. Die Erklärung liegt I) in der Diätenlosigkeit der Mitglieder, die unsern deutschen Verhältnissen nicht entspricht, 2) in dem drückenden Gefühl der Machtlosigkeit par lamentarischer Körperschaften und 3) in der unverkennbaren Ueber- sättignng am parlamentarischen Leben, hervvrgerufen durch die seit drei Jahren fast ohne Unterbrechung mit steigender Dampfkraft ar beitende Gcsetzgebungsmaschine. Die Gesetze 'werden wie aus einem Füllhorn geschüttet und betäuben Gesetzgeber und Gesctz-Empfangcnde. Die Flüchtigkeit, mit welcher dabei gearbeitet werden muß, ist sehr bedenklich. Die Folgen haben sich u. a. in der so spät entdeckten ungesetzlichen Ausgabe der 24-Millionen-Anleihe durch v. d. Heydt gezeigt. Sogar Bismarck hat zu spät von der Sache erfahren. Das war ein Venust von 820,000 Thlr., heydtemnäßig viel Geld. Der Reichstag hat seine früheren Präsidenten wieder gewählt, Simson, den Herzog von Ujest und v. Venningsen. Die Herren des preußischen Herrenhauses sind von neuen Erfindungen überhaupt keine Freunde, auf die Bismarck'schc Erfin dung des Reichstages aber find sie am übelsten zu sprechen. Als sic sich neulich dem Reichstag zu Ehren vertagen sollten und nicht woll ten und Bismarck ihnen Vorwürfe machte, entgegnete Graf Brühl: „Ich erkläre mich hiermit der vom Grafen Bismarck uns.vorgewor- enen Eifersucht auf den Reichstag schuldig, ich erkläre mich schuldig, der Auflehnung gegen die Ohnmacht, wozu der Graf Bismarck uns verdammt, ich erkläre mich schuldig des Bekenntnisses, daß durch ei nen alle erblichen Rechte ausschließenden, rein aus direkten allgemei nen Wahlen hervorgchenden Reichstag die Interessen des preußischen Vaterlandes verrathen werden." Umsonst suchte Bismarck die Herren zu beruhigen. Auch Gras Lippe erhob sich und sprach: „Ich er kläre mich auch für schuldig, der norddeutsche Bund ist wider die ewige göttliche Ordnung. Das ist kein Boden für gute Preußen; wo bietet er Garantie, daß Preußen, das alte, bewährte Preußen, nicht beschädigt wird? Das Herrenhaus brachte den Red nern laute Zustimmung. Pastor Lasius in Berlin schreibt merkwürdige Briefe. Hier ist der neueste, der an eine Ehefrau in seiner Gemeinde gerichtet ist. Wie gefällt er den Lesern? „Gnade sei mit Ihnen und Frieden von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesu Christo! Ihr Schwiegervater hat nur vor län gerer Zeit Folgendes angezeigt: „Meine Schwiegertochter, die Ehe srau meines Sohnes Arthur, kümmert sich seit längerer Zeit weder um den Gottesdienst, noch um das heilige Abendmahl und ist ganz irdisch gesinnt. Ich habe sie deswegen schon wiederholt ermahnt, es hat aber nichts gefruchtet." Deswegen sind Sie im Februar v. I. von den Vorstehern Kupper undLocillot de Mars zur Buße ermahnt worden. Da dies auch nichts gefruchtet hat, so fordert dasKirchen- callegium Sie hierdurch auf, Mittwoch, den 16. d. M., des Abends 8 Uhr, in meiner Wohnung vor demselben zu erscheinen, um zur Buße ermahnt zu werden. Wenn Sie nicht erscheinen, so bezeugen Sie dadurch, daß Sie in den genannten Sünden fortwandeln und von dem Kirchencollegio keine Ermahnung annehmen wollen. Es wird daher alsdann die weitere Kirchcnzucht gegen Sie cintreten. Gott der Herr wolle Ihnen Buße zum Leben geben." Zum Schutz des deutschen Protestantcu- Vereius, dem in Berlin im vorigen Herbste die Thüren der Gotteshäuser ver schlossen worden sind und dessen Mitglieder ein hoher Kirchenbe amter (General-Superintendent I)r. Hoffmann) den Freigcmeindlern und Judeu gleichstellte, hat sich soeben der bekannte Professor der Theologie Baumgarten in Rostock in einem ausführlichen Schrei ben, das nunmehr durch den Druck veröffentlicht worden ist, an den König Wilhelm von Preußen gewendet. Es ermuthigt ihn zu die sem Schritt die Ansprache des vormaligen Prinz-Regenten von Preu-