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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Giebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. -^5 12. Ireitag den 11. Jebruar 187Ü. Tagesgeschichte. Nachdem von Seiten des Ministeriums des Innern für die Geusdarmerie eine neue Kopfbedeckung gewünscht, auch die Pickel haube dabei mit in Betracht gezogen worden war, hat man sich, wie die C Z. mittheilt, bei der Ausführung für die Form der öster reichischen Dragoner-Helme entschieden. Während es früher beim sächstscheit Militär Vorschrift war, daß jeder eine Schildwache passirende Soldat derselben eine Ehrenerwei sung zu machen hatte, hat das königliche Generalcommando, um die Gleichförmigkeit mit den königlich preußischen Bestimmungen herzu stellen', neuerdings angeordnet, daß diese Vorschrift in Wegfall kommt. Infolge dessen haben Soldaten in Zukunft nicht mehr nöthig, den Wachtposten Ehreuerweisungen zu machen und nur Offiziere und Unteroffiziere sind verpflichtet, erhaltene Ehrenerweisungen zu er- wiedcrn. Die erste Nummer des neuen Jahrgangs des sächsischen Jüstiz- ministerial-Blattes enthält mehrere zum Theil auch für weitere Kreise nicht uninteressante Verordnungen. Vor Allem dankenswcrth ist die jenige, wornach die Gerichte angewiesen werden, alle Civilrechtssachen, welche von den Prozeßgerichtcn zum Versprach versendet werden, ohne alle Saumniß sofort nach cingetretener Spruchreife abzusenden und das erlangte Erkenntnis; sofort zu publiciren. Eine Ordnungs strafe von 1—5 Thaler soll dem allerdings oft gerügten schleppen den Herumliegcn der Acten bei Registranden-Führern ans in den Schreibstuben energisch Vorbeugen. Die Oberpostdireclion zu Leipzig beabsichtigt, bei den Postex- peditionen 2. Klasse eine regelmäßige Packetbestellung im Ortsbestell- bezirke.für Rechnung und Gefahr der Vorsteher dieser Postanstalten einzuführen. Die Bestellgebühr soll gleichmäßig für Packele über.'/r bis zu 15 Pfund auf '/? Groschen, für solche über 15 Pfund auf 1 Groschen pro Stück normirt werden, während Sendungen unter Pfund unentgeltlich zu bestellen sind. Zunächst hat die Oberpostdi- rection Bericht eingefordert, ob diese Einrichtung beim Publikum Anklang finden würde. Auf der Straße von Sohra nach Pretschendorf fand man am Sonntag früh den Bergmann Kästner aus Freiberg erfroren. Der am Donnerstag von Wien in Bodenbach ankommende Schnellzug kam, durch falsche Weichenstellung geführt, nicht in die Personenhalle, sondern in das Telegraphenbureau. Mehrere Wa gen wurden zertrümmert, namentlich Pferdewagcn rind wurden meh rere Pferde beschädigt. Die Mauer des Telegraphenburcaus ward gänzlich zertrümmert und zum Entsetzen sahen die Telegraphisten den Zug in ihrer Expedition ankommen. Mehrere Noßärzte wurden von Dresden requirirt. Berlin, 7. Februar. Wie die Kr. Z. hört, hat der Kaiser von Oesterreich dem Könige feinen innigen Dank für die Aufnahme, die dem Erzherzog Carl Ludwig am königlichen Hofe zu Theil geworden sei, durch den preußischen Gesandten in Wien übermitteln lassen. Es ist schwer, ein anschauliches Bild von den Kammerverhand lungen in Bayern über die deutsche Frage zu geben. Um die deutsche Frage, um das Vcrhältnitz zu Preußen und dem Nordbunde handelt es sich, obgleich meist nur von dem Fürsten Hohenlohe, dein Ministerpräsidenten, die Rede ist. Der Redestrom hat beide Ufer überschritten und ergießt sich immer voller 'über das Land und über dessen Grenzen hinaus. Jgnoriren kann Niemand diesen Ausbruch; denn Bayern ist der größte deutsche Staat außerhalb des Nordbun des und was man dort fühlt, denkt und sagt über die wichtigste deutsche Angelegenheit, ist bedeutsam für Alle, ob es gefällt oder mißfällt. Eines ist klar, alles, was irgendwo in Deutschland an alter oder neuer Abneigung, an Groll und Zorn gegen Preußen und die neue Gestaltung Deutschlands seit 1866 vorhanden ist, hat sich in Bayern bergehoch aufgchüuft und kommt nun zum Durch bruch. Die Männer und Parteien sind wunderlich durch einander gewirbelt, Römlinge und protestantische Orthodoxe, politische Con- fervative und Demokraten vom reinsten Wasser, Kirchliche und Kir chenfeindliche reichen sich in instinktivem oder bewußtem Groll die Hand, angeblich zur Aufrechterhaltung der Selbstständigkeit Bayerns. Alle fühlen, wir müssen uns entscheiden, über unser Verhältnis; zum Nordbnnd. Die Einen erklären, wir sind bereits gebunden durch die Militärverträge mit Preußen, eintreten in den Nvrdbund, wie er jetzt ist, wollen und können wir nicht, aber wir müssen unser Verhältniß zu ihm regeln; den Andern sind im Stillen schon diese Vertrüge vom Uebel, sie beklagen sich laut über den Abbruch der bayrischen Selbstständigkeit und unterdrücken nur mühsam die Seuf zer inach Umstünden, welche von diesen Verträgen entbinden. Air diese nicht ganz unterdrückten Seufzer knüpfte Fischer von Augsburg an. „Die Reden der Patrioten, sagte er, müssen den Eindruck bei Preußen machen: wir gehen darauf aus, die Verträge zu brechen und dieser Eindruck ist ein schädlicher. Seien sie versöhnlich, gerecht, seien sie mindestens klug!" — Es bleibt dabei, das die patriotische Partei in Bayern dem Ministerpräsidenten, Fürst Hohenlohe, wegen seiner Preußenfreundlich- keit mißtraut. Der Verfasser und Berichterstatter der Adresse, Abg. Jörg, hat dies in seinem Schlußwort rund heraus erklärt; man könne sei ner Politik nicht vertrauen, sagte er, denn der Schwankungen und Widersprüche in ihr seien zu viel. Zn guter Letzt warf er noch ein böses Wort in die Kammer und in das Land, eine Saat des Miß trauens, die hoch aufschießcn wird. Dieses Wort lautet: „Als ich heute früh in die Kammer ging, hat man mir ins Ohr geflüstert, es gehe das Gerücht: in Bezug auf den Fürsten Hohenlohe seien dem König die Hände gebunden, er dürfe den Fürsten nicht entlassen." Dieses Wort erregte ungeheures (beabsichtigtes) Aufsehen. Der Fürst und Minister scheint die beste Antwort darauf geben zu wollen, er soll den König dringend um seine Entlassung gebeten haben, sie sei unter allen Umständen nothwendig. Die patriotische Partei muß es glauben; denn sie nennt den Fürsten seitdem einen „vollendeten Gentlemann." Paris, 5. Februar. In Marseille hat sich ein furchtbares Un glück zugetragen. Zwei neben einander stehende Häuser stürzten ein und begruben zwölf Personen unter ihren Trümmern. Zwei Per sonen wurden getödlet und zehn schwer verwundet. Die Gelödteten sind ein junger Mann von 24 Jahren und eine Frau. Das Rrl- tungswcrk begann sofort. Man schreibt das Unglück dem schlechten Material zu, mit welchem die Häuser gebaut worden waren. Die goldene Hochzeit. Erzählung von Ludwig Habicht. Es war Abend. Auf seinem blaugewürfclten Sopha saß, in einem Winkel gedrückt, der alle Bäckermeister Nöstel. Er hatte die Hände in den Schooß gelegt, das kleine, runzlichte Gesicht vornttberhüngend, und beachtete in seinem Hinbrüten nicht im Mindesten die Außenwelt. An seiner Seite saß sein getreuer „Muff", ein alter gichtbrüchi ger Dachshund, der nur noch das Gnadenbrot erhielt und matt und schläfrig die Schnauze zwischen die Vorderpfoten gesteckt, sich nach- denkend, wie sein Herr, in alte, vergangene Zeiten verlieren mochte. Der alte Mann hatte seit Jahren schon die Führung seiner Wirthschaft seiner Frau und seinen Kindern überlassen und so^ ging Alles den gewohnten Gang, ohne daß man ihn von seinem Sopha aufscheuchte, ihn um etwas fragte, weil er doch keine rechte Auskunft mehr geben konnte. Er saß dort, wie eine alle Menschenruine, der man ihren Platz gönnt, für die man aber zur zeitweiligen Einhauchung neuen Lebens keine Zeit findet. Nur seine Enkelin Auguste beschäftigte sich liebevoll mit dem alten, bei Seile geschobenen Großvater; sie saß oft, wenn sie gerade Zeit halte, Stunden lang bei ihm und plauderte mit ihm, so gut sie es verstand, lind der' Alte schien dann immer auszuhorchen und an allem Interesse zu nehmen: wenn sie aber auf früher Erzähltes Bezug nahm, da hatte er cs doch immer wieder vergessen und ließ e-S sich gern noch einmal erzählen. Der Alte hing daher an seiner Enkelin mit einer Wärme und