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1872. Freitag den 25. Oktober Wochenbialt Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebenlelm und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. Tagesgeschichte. Der erste Gegenstand, mit dem sich die 2. Kammer nach ihrem Zusammentritt beschäftigen wird, soll die Städteordnung für mittlere und kleine Städte sein (Referent Abg. von Könneritz). Daran schlie ßen sich die Gesetzentwürfe über Bildungen, Bezirksvcrtretungen (Nef. Dr Pfeiffer) und über die Behörden-Organisation (Res. vr. Bieder mann). Gegen den letzteren will Abg. Haberkorn eine größere An zahl Anträge einbringen. Vor dem Geschwornengericht zu Dresden wurde am 14. d. M. die Verhandlung gegen den Schuhmachergescllen Friedrich Herrmann Beck aus Siebenlchn abgehalten, welcher am 20. Mai d. I. in der Nähe Nossens den Bahnwärter Selig erschlagen hatte. Beck wurde durch das Abends Uhr gesprochene Erkenntniß wegen Raubmor des zum Tode verurtheilt. (8 211 des Neichs-Straf-Gesetzbuches.) Die Studirenden Tharandts brachte- am Montag dem Dircc- tor der Akademie, Herrn Oberforstrath vr. Judeich, einen solennen Fackelzng, aus Dankbarkeit dafür, weil der geliebte Lehrer einen ehrenvollen Ruf nach Oesterreich abgelehnt hat und somit der Tha randter Forst-Anstalt erhalten bleibt. Zittau, 21. October. Am gestrige» Abend leuchtete ein Feuer schein am südlichen Himmel. Das Feuer soll in Gabel gewesen und 23 Häuser (darunter die Post) nebst 5 Scheunen abgebrannt sein. Graf zur Lippe hat bei Gelegenheit seiner Berufung an die Uni versität Rostock an die landwirthschaftlichen Vereine Sachsens eine Zuschrift erlassen, in welcher er seinen Abschied anzeigt und u. A. sagt: „Mit wie schwerem Herzen ich scheide, brauche ich nicht auSzu- sprechen; die Vereine wissen, wie sehr ich ihnen in meinem Herzen gewidmet gewesen bin! Ich hoffe aber auch ferner wenigstens in einiger Beziehung mit ihnen zu bleiben, da ich nach wie vor das Vercinsblatt (für die kleinern sächsischen Landwirthe schreiben werde. Möchten sie mir alle ein freundliches Andenken bewahren!" Dieses hat er sich durch seine gediegenen und anziehenden Vorträge in den einzelnen Vereinen und durch sein landwirthschaftliches Blatt für den kleinern Landwirth, seinen landwirthschaftlichen Kalender und die vielen größeren ausgezeichneten Schriften über Landwirtschaft ge sichert. Am Nachmittag des 13. d. M. brannten in Zwönitz 3 Scheu nen mit etwa 300 Schock Getreide ab. Aus der Lausitz, 16. October. Der sächsische Hofprediger Potthof, welcher jüngst in Breslau seine deutschen (!) Gesinnungen in so eigenthümlicher Weise Präcisirte, erfährt jetzt von einem evangelischen Geistlichen dis ihm gebührende Zurechtweisung. Ehr! Elßner in Zittau richtet nämlich in der von ihm heraus- gegcbenen Zeitschrift „Die Morgenroths, Blatt zur Erbauung und Belehrung im Geffte echter Religion", ein „offenes Wort an einen Vaterlandslosen, den sächsischen Hofprediger Herrn Potthof zu Dresden, den Verehrer der römischen Dummheit." In dem ebenso scharfen wie schlagenden Schreiben Elßner's heißt es: ... Fast ist es unmöglich zu glauben, daß Sie die Aeußerung gethan: „daß Sie sich Ihres Vaterlandes schämten, weil cs die Jesuiten austreibe!" Fast nicht möglich ist es, zu glauben, daß Sie ferner ausgesprochen: „es sei mit der deutschen Wissenschaft vorbei, es gebe überhaupt keine deutsche Wissenschaft mehr," und „die römische Dummheit sei Ihnen lieber als jene"! ... Da wir einem „Hofprediger" eine solche . . . Sprache nicht zutrauen mochten, so haben wir bis heute, leider vergebens, auf eine Zurückweisung solcher Beschuldigung gewartet. Sic, Herr Hofprediger, haben aber geschwiegen und »damit das bestätigt, dessen Sic beschuldigt werden. Durch Ihre Auslassungen haben Sie Volk und Vaterland, Sie haben die deutsche Reichs- regicrung beschimpft und mit Koth beworfen. ES ist darum aber auch die höchste Zeit, daß das deutsche Volk sich ermanne und auf solchen Goliathhohn die rechte Antwort gebe; die höchste Zeit, daß die deutsche Reichsregierung ihre Aufmerksamkeit nicht blos aus die ossicielle Jesuiten richte, sondern auch den noch weit gesährüchern Loyoliten das Handwerk lege, die, wie Sie, Herr Hofprediger, weil Sie nicht im Ordenshabit der Gesellschaft Jesu paradiren, frank und frei die Geschäfte der Aus gewiesenen versehen dürfen, sodaß im großen Organismus weiter keine Stockung cintritt . . . -Sie, Herr Hofprcdiger, fühlen sich nicht mehr heimisch auf deutscher Erde, Weil Sie sich sagen müssen, daß die Zeit alter jesuitischer Herrlichkeit zu Ende sich neige. Was kann Ihnen und dem deutschen Vaterlands daher ersprieß licher sein, als daß Sic Ihr Bündel schnüren, den Stab ergreifen und recht bald in den Reihen der Gesellschaft Jesu marschiren, deren Bundesbruder Sie doch nun einmal sind? Das ist das Beste, was Sie nach Ihrer Erklärung zu Breslau noch thun können. Suchen Sie sich cin Ihnen würdigeres Vaterland, da Deutschland es Ihnen nicht mehr sein kann, ein neues Vaterland, wo Sie die Würdigung finden, die Ihnen gebührt) Sie begnügen sich aber nicht damit, daß Sie sich Ihres Vaterlandes schämen; „Sie schämen sich auch der deutschen Wissenschaft!" Die deutsche Wissenschaft, deren Ruhm die Welt erfüllte, sie ist todt! Und wer sagt dies? Der Hofprediger Potthof von Dresden! Wohlan, ihr Männer der deutschen Wissenschaft, auf welche bis diese Stunde das Vaterland mit gerechtem Stolze blickte, die es seine Söhne nannte; schließt die ehrwürdigen Hallen und Säle, in welchen die deutsche studirenve Jugend zu euern Füßen lernend sitzt; denn eS gibt keine deutsche Wissenschaft mehr! Nom hat gesprochen, gesprochen durch den Hofprcdiger Potthof zu Dresden, und Rom, die Welt hat es vernommen, ist insallibel! An die Stelle deutscher Wissenschaft aber wird Herr Potthof der Welt eine andere Nahrung für die Geister bieten; er wird ihnen bieten, was ihm lieber als deutsche Wissen schaft ist: „die römische Dummheit", wieder höchsteigene Ausspruch des Hochwürdigen von Dresden lautet. Berlin, 21. October. Von der „Kreuzzeitung" wird die An nahme der Dresdner Blätter von der Anwesenheit des Kaisers Wil helm, der Kaiserin Augusta und des Kronprinzen bei der goldenen Hochzeitsfeier des sächsischen Königspaares als richtig bezeichnet. Die selbe fügt hinzu, daß der Besuch des Kaisers von Oesterreich zur selben Zeit zu erwarten stehe. Die Trauerfeierlichkeit für den Prinzen Albrecht fand im Dom in Berlin statt. Den Zug aus dem königlichen Schlosse eröffneten Gardeducorps, die Beamten und Diener des Prinzen, sowie Deputationen der Regimenter desselben: 10 Obersten mit den Ordensinsignien folgten. Der Leichenwagen wurde von 8 Pferden gezogen. 4 Obersten hielten die Zipfel des Leichentuchs; zur Seite schritten 16 Majore zum Tragen des Sarges. Unter Vorantritt von 4 Oberhofschargen folgten der Prinz Albrecht Sohn und der Herzog von Meiningen, Herzog Wilhelm von Mecklenburg, vom Kaiser und vom Prinzen Karl geführt, der Kronprinz, sämmtliche übrige Prinzen des königlichen Hauses, mehrere andere deutsche Fürsten, die Abgeordneten fremder Souveräne, die Ministerien und die Generalität. Am Eingänge des Domes empfing die Domgeistlichkcit den Sarg, der Domchor stimmte ein Lied an, alsdann fand die eigentliche Trauerfeierlichkeit statt. Generalsuperintendent vr. Hoffmann hielt die Leichenrede. Bei der Spendung des Segens wurden 36 Kanonenschüsse gelöst und ertönte dreimaliges Geivehrfeuer. Abends wurde die Leiche nach Charlotten burg gebracht und im Mausoleum beigesetzt. Die Armee legt 14 Tage Trauer an. Der lange dauernde Kampf zwischen der großen Pflug'schen Fabrik für Eisenbahn-Bedarf und den Arbeitern in Berlin hat zu Gunsten der Arbeitgeber ge endet. Als die von den Agitatoren verheißenen goldenen Berge ausblieben, die Frauen und Kinder aber zu Hause immer lauter nach Brod schrieen, da kehrten die Arbeiter in die verlassenen Werkstätten zurück, um sich nicht länger vom Leuten am Narrenseil herumführen zu lassen, welche allen Capitalisten, Fabrikanten und Arbeit gebern den Untergang zugeschworen haben. Diesen Ausgang hat dieser große Strike genommen, obwohl angeblich hinter ihm nahezu 30,000 Maschinenbauer und viele Gewerke Berlins standen, und obwohl Sendlinge nach allen Richtungen ausgcschickt worden waren, um Beiträge für die Strikenden zu sammeln. Neber das schreckliche Schicksal der nach Algier ausgewanderten Elsaß-Lothringcr giebt ein Rundschreiben Aufschluß, welches das Hülfscomitce von Constantine (in Algier) unter dem Datum des 29. September erlassen hat: „Seit ungefähr einem Monat, heißt es in demselben, nimmt die Einwanderung in steigendem Maaßc zu, ob gleich die heiße Saison noch nicht ganz zu Ende ist. Die Nähe des l. Octobers (des Schlußtermins der Option) macht allem Zögern ein Ende. Fast alle Einwanderer haben bei ihrer Ankunft den größten Theil ihrer Mittel verbraucht und der Staat, obwohl er sich große Opfer (welche?) auferlegt, befindet sich in der Unmöglichkeit, ihnen etwas anderes zu bieten, als ein Stück Land, ein Dach und Arbeit für kurze Zeit. Werkzeuge, Möbel, Saameu, Alles seht. Diese Wackeren bringen kaum etwas mit, als ihre Arme, eine Geduld und eine Ergebung, welche jede Prüfung überdauert und jenes instinktive Nationalitätsgefühl, welches die Stärke der Völker auSmacht. Aber schon richten die Krankheiten Verwüstungen an; die Fieber, wenn sie auch nicht tödtlich sind, ziehen eine Arbeitsunfähigkeit nach sich, welche längere Hülfe nothwendig macht. Dringlichst müssen wir für unge fähr 200 Familien Arbeit schaffen und zwar binnen weniger als einen Monat. Es handelt sich um die Existenz dieser Familien wäh rend eines ganzen Jahres und dieses Jahr ist das wichtigste. Von jedem Gesichtspunkte aus, vou dem des Patriotismus wie von der Menschlichkeit müssen wir helfen. Wenn Ihr, wie wir, diese armen Menschen gesehen hättet, würdet ihr besser, als wir es können, den Gedanken in Eurer Umgebung verbreiten, daß es eine große und gute Handlung ist, ihnen zu Hülfe zu kommen. Fast alle haben vier bis sechs Kinder; welche Menge von Arbeit ist nöthig, um diese Ju gend aufzuziehen. Fügt die Härte des Klimas noch das Heimweh hinzu, und Ihr werdet begreifen, daß es nöthig ist, unsern Lands leuten eine ganz ausnahmsweise Sympathie zu bezeigen, um ihre