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WschekÄÄ Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sievenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerrchtsamt Wilsdruff und den Madtrath daselbst. 46. Freitag den 14. Juni 1872. Tagesgeschichte. Rochlitz, 10. Juni. Bei dem gestern hier stattgefundcnen ziemlich heftigen Gewitter hat der Blitz in den beiden, znm hiesigen Gerichtsamtsbezirke gehörigen Dörfern Armsdorf und Penna cingc- schlagcn, in Folge dessen in ersterem Orte die znm Hunger'schen Gute gehörige Scheune, in letzterem das wegen Abtragung und anderweiten Aufbauens der übrigen Gebäude isolirt stehende und ebenfalls zur Abtragung bestimmte Jnppsche Wirthschaftsgebäude ab gebrannt ist. Menschen sind nicht beschädigt worden, doch ist indem Juppschen Gebäude ein Pferd mit verbrannt. Borna, 7. Juni Vorgestern Nachmittag entlud sich über den Fluren der Dörfer Beucha, Dittmannsdorf und Kitscher ein heftiges, von Hagelschlag begleitetes Gewitter, in Folge dessen die Feldfrüchte stark gelitten haben. In Chemnitz ward am 4. Juni auf dortigem Gerichtsamte eine Civilehe (auf Grund des sogenanntenDissidentengcsctzes) voll zogen. Die Chemnitzer Nachrichten schreiben darüber: Die verschie denen Hindernisse, welche insbesondere die Geistlichkeit den Brautleuten entgegengestellt — da die Braut der katholischen Konfession angehvrte — hatten endlich das Brautpaar bewogen, den kürzeren Weg cinzu- schlagcn. Der Gerichtsamtmann hielt eine tiefergreifende, warmem- pfundene Ansprache, sodaß die nnn Getrauten sicherlich nicht in Ge- wißensscrupel wegen der Mutter Kirche zu sein brauchen. Aus Zwickau vom 8. Juni wird dem „CH. Tgbl." berichtet: Gestern Abend vor 8 Uhr hatten einige Knaben an der über die Werdauer Straße führenden Eiscnbahnbrücke unmittelbar vor Ankunft des Chemnitzer Zuges mehrere große Steine auf die Schienen gelegt. Der Aufmerksamkeit des Weichenwärters, welcher dem Zug das Sig nal zum Langsamfahren gab und dadurch Zeit gewann, das Hinder niß zu beseitigen, hat eine möglicherweise sehr traurige Katastrophe verhütet. Die Uebelthüter, Knaben von ca. 9Vr Jahren, sind schließ lich ermittelt worden und gaben als Ursache ihrer Frevelthat an, daß sie gern einmal den Zug die Brücke hcrunterfallen sehen wollten. Am 8. d. M. brannten im Dorfe Schönnewitz bei Oschatz die Wohn- und Wirthschaftsgebäude des Gutsbesitzers Schneider voll ständig nieder. Im Dorfe Löwenhaut bei Altenberg ereignete sich kürzlich folgender Unfall: Einige Knaben von 5—7 Jahren spielten aufsichts los in der Scheune eines Gutsbesitzers, wobei sic den scharfen Messern der Futterschneidemaschine zu nahe kamen und der 7jährige Knabe Siecher dem Sjährichen Knaben Oelschlägel den Ring- und Mittel finger und ein Glied des Zeigefingers der rechten Hand, und zwar die erster» beiden so vollständig wegschnitt, daß sie der herbeigeeilte Vater des Knaben, als er mit demselben zum Arzte fuhr, in ein Tuch wickelte. Nerchau, 8. Juni, unser Städtchen und seine Umgegend wurde am 5. Juni Nachmittags gegen 5 Uhr von einem heftigen Ge- wittn mit Hagelschlag betroffen. Es sind eine Menge Fenster zer trümmert, außerdem die Fcldfrüchte arg beschädigt worden. Der diesjährige Sommer wird für das Turnen von ganz be sonderer Bedeutung werden. In die kurze Zeit von noch nicht vier zehn Tagen drängrn sich verschiedene turnerische Versammlungen und Feste zusammen: Am 30. und 31. Juli wird in Darmstadt die VI. deutsche Turnlehrer-Versammlung abgehalten und gleichzeitig daselbst das Denkmal des um das Schulturnen sehr verdienten Adolph Spieß cnthüut werden. Vom 3. bis 6. August wird zu Vonn die Feier des IV. allgemeinen deutschen Turnfestes und wenige Tage darauf zu Berlin die Enthüllung des Standbildes des Turnvaters Friedrich Ludwig Jahn stattfindcn. (In vorstehend genannte Turnfeste wird sich auch das „Gauturnfcst der sächsischen Niederelbe" einschließcn, welches in unserm Wilsdruff im Monat Juli stattsinden wird, worüber wir seiner Zeit Näheres mittheilen werden. D. Red.) In Paris hat inan niit den Arbeiten zur Wiederherstellung der Siegessäule auf dem Vcndomeplatz begonnen. — Die deutschen Occupationstruppen in Frankreich halten im August und September ihre vierwöchigen großen Manöver ab. Der Beginn derselben ist den Präfekten der betreffenden Departements feiten des deutschen Obercommandos bereits angezeigt worden. — Die französischen Blätter hören mit ihren Nörgeleien zur Unterhaltung des Deutschen hasses nicht auf. Jetzt beuten sie wieder die Reise des italienischen Kronprinzen nach Berlin auf jcdmögliche Weise gegen Preußen aus. Da soll Preußen „Allianzen suchen" und diese Reise soll eine unver- kemtbare Kundgebung an Frankreichs Adresse sein u. dgl. a. Aus Versailles, 8. Juni, berichtet man: Vor der Eröffnung der National-Versammlung herrschte große Erregung, da man in Un gewißheit war, welchen Einfluß di« Intervention von Thiers habe. Gleich nach Eröffnung der Sitzung nahm Thiers das Wort. Die Versammlung ist sehr erregt. Er sagt zuerst, daß die Negierung sich mit der Commission geeinigt habe, und erklärt, daß, da jedes Wort, das in der Kammer gesprochen, von ganz Europa gehört werde, man kein einziges sagen dürfe, welches zu gefährlichen und irrigen Aus legen Anlaß geben könne. ES sei wichtig, vor der ganzen Welt feier lich zu konstatircn, daß die Discussion jeder kriegerischen Präoccupa- tion oder Absicht fremd sei. Ja! Frankreich will den Frieden, es will ihn so lauge als möglich. Er versichert dieses auf seine Ehre, auf die der Versammlung und die des Landes. (Beifall.) Thiers geht nun ans die Frage selbst ein. Er bemerkt zuerst, daß die kaiserliche Regierung einen großen Fehler begangen, nämlich den Krieg geführt, ohne bereit zu sein, und außerdem zum Kriege die Initiative einem Feinde gegenüber ergriffen zu haben, der nur verlangt habe, daß man ihn angreife. Man habe so Frankreich die Schlacht und dem Feinde die schöne Nolle vor ganz Europa gegeben. Das Gesetz von 1832 könne man daher gerechter Weise nicht für die Unglücksfälle verant wortlich machen. ThierS thut dann dar, daß die allgemeine Wehr pflicht nie bestanden habe und nirgends bestehe, selbst m Preußen nicht, wo man auch nur den tüchtigsten Theil der Jugend zu Sol daten mache. Nachdem er dieses weiter ausgeführt, erklärt er, daß die Regierung bereit ist, den Neueren die Hand zu reichen, aber es sei ihr unmöglich, zuzugeben, daß man einen Soldaten in einen oder zwei Jahren ausbilden könne. Thiers führt dann aus, weshalb er sich der Ansicht der Commission angeschlossen, und erklärt schließlich, daß die bewaffnete Nation eine Chimäre sei. Thiers sagt ferner u. A., was die Kraft Preußens und des um Preußen geschaarten Deutschlands ausmache, war der Umstand, daß Preußen eine starke und feste Regierung hat, eine Negierung, wie sie sein soll. „Ja, cs gab zu Berlin eine große Regierung, einen großen Poli tiker, einen großen Kriegsmann, eines der Genies, welche man Organi satoren des Sieges nennt. Und über allen stand ein König, festen, vorsichtigen und praktischen Geistes, der keine Eifersucht empfand gegen den Ruhm irgend eines Generals, sondern eng mit allen verbunden war, sodaß er es vermochte, Preußen beinahe einen zweiten Friedrich den Großen wieder zu geben." Der Entwurf der Commission würde einen Effectivbestand von 1,100,000 Mann ergeben. Derselbe genüge vollkommen, wenn Frankreich eine vorsichtige Politik befolge und sich Bundesgenossen sichere. Die Nationalversammlnng verwirft nach dieser Rede mit 402 gegen 228 Stimmen die Anträge, welche auf drei jährige Dienstzeit lauten. Versailles, 11. Juni. Die Nationalversammlung nahm Ar tikel 37 des Kriegsdicustgcsctzes an, welcher Folgendes festsetzt: 5 Jahre Activdicnstzcit, 4 Jahr Reserve, darauf 5 Jahr für den Dienst in der Territorialarmee und 6 Jahr Reserve in letzterer, nach dem sämmtliche Amendements zurückgezogen oder verworfen worden waren. Die neueste „N. A. Z." schreibt: Das persönliche Auftreten des Präsidenten der Republik Frankreich in der Berathung über das neue französische Wehrgesetz ist von bedeutenden Erfolgen für denselben be gleitet gewesen. Hr. Thieres hat zuerst die Anhänger der dreijährigen, später auch die der vierjährigen Dienstzeit aus dem Felde geschlagen. Letzteren gegenüber, welche als Verfechter eines Kompromißantrages vielleicht größere Chancen für sich hatten, warf er seine Person und seine amtliche Stellung in die Waage und erklärte, daß er lieber von der Präsidentschaft zurücktreten, als zu einem solchen Gesetz die Hand bieten werde. Seit der großen Krisis vom Januar hat Hr. Thiers zu diesem Mittel feine Zuflucht nicht mehr genommen und in diesem Falle vielleicht auch nur, weil er im Voraus wissen konnte, daß die