Volltext Seite (XML)
Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sievenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 38. Dienstag den 17. Mai 1870. Tagesqeschichte. Die diesjährige Recruteneinstellung soll den bis jetzt getroffenen Bestimmungen zufolge bei der Cavallerie und Artillerie Mitte Octo ber, bei den Linientruppen Mitte December stattfindcn. Wie der „Dr. Anz." meldet, sind die vom Professor Semper gefertigten Baupläne für das neu zu errichtende Hoftheater, nachdem der Obel landbaumeister Hänel auf Wunsch Sempers noch einmal zur Rücksprache über Einzelheiten des Baues in Zürich gewesen ist, zur Wahl an das k. Finanzministerium eingesendet worden, und sollen beide Pläne die von den Kammern bewilligte Summe zur Ausführ ung weit übersteigen. Die beiden in Riesa garnisonirenden Ulanen-Escadrons sollen, obgleich die Stadt um Belassung der Garnison gebeten, im nächsten Jahre nach Oschatz verlegt und dort das ganze erste Ulanenregiment zusammengezogen werden. Bei Gelegenheit eines am 9. Mai in Herrnskreischen in der Wohnung eines Schiffers stattgefundenen Brandes ist dessen Sjähriger Knabe von der zusammenbrechenden Stubendecke in dem Augenblicke verschüttet und auch sofort getödtei worden, als er noch einmal ver sucht hatte, in die Stube hineinzugchen. Das Feuer hat außerdem noch drei andere Häuser zerstört. Vorige Woche wurden in einer Sandgrube bei Döbeln drei Arbeiter verschüttet, Welche trotz sofort geleisteter Hilfe erstickt aufgefunden wurden. Als die Leichen nach der Stadt gebracht wuroen, schante sich auf einem Neubau der Maurerpolier neu gierig nach denselben um, verlor das Gleichgewicht, stürzte aus die Straße und brach das Rückgrat. Wie das „Zw. W." berichtet, soll am II. Mai Abends in der IO. Stunde im August Falck'schen Schacht zu Bockwa bei Zwickau eine Explosion schlagender Wetter stattgefunden haben, wobei ein Steiger feinen Tod fand, wärcnd die Belegschaft sich rettete. Im Forstschachtc ist an demselben Tage der Bergarbeiter Hilbert ans Planitz durch Deckeneinbruch erschlagen worden. Aus Frauenstein berichtet der neueste „Bote von Geising: „Am 4. Alai ist nun endlich der gütige und genehmigte Bauplan der Stadt eiugetrosfen, Welcher aller dings den Wünschen der Wiedersacher desselben nicht gerecht wurde, doch müssen sich letztere dem allgemeinen Interesse unterordnen. Die Bauthätigkeit wird sich nunmehr rasch entfalten. Am 5. Mai wurde bereits das erste Haus — das Uhle- mampsche am Markte — gehoben, welches früher ganz massiv war und nur das Dach verloren hatte. Aus Oberwiesenthal vom 11. Mai wird dem „CH. T." be richtet: „Gestern Abend brannte das an der Straße von hier nach Karlsbad, fast unmittelbar an der böhmischen Grenze gelegene Gast haus zum Fichtelberg, auch das „Neue Haus" genannt, ab. Das selbe lag 1092 Meter über der Nordsee und war demnach das höchst- gelegenc, bewohnte Haus in Sachsen. Nach Berliner Blättern coursiren jetzt wieder eine Anzahl gefälschter Ein- und Zweithalerstückc. Dieselben bestehen aus einer Composition von Zink und Zinn und tragen die Jahreszahl 1865. Der Berliner Arbeiterverein hat einstimmig eine Petition an den Reichstag angenommen, in welcher u. A. um gänzliches Verbot aller Prämienanleihen und Lotterien innerhalb des Norddeutschen Bundes gebeten wird. Einem Leitartikel des durch seine feindliche Haltung gegen Preu ßen und den norddeutschen Bund verrufenen „Baierischen Vaterlan des" vom II. Mai, überschrieben „der Traum vom Zollparlament und sein Ende", entnehmen wir wörtlich folgende Stellen: „Ob wir im Jahre 1871 den preußischen Mordbund, den Zollverein oder so gar die preußische Monarchie noch haben werden, — wer kann das wissen, wer kann das voraus sagen! Der europäische Lontinent hat seit dem preußischen Raubzuge von 1866 ein ganz anderes Gesicht bekommen. In handelspolitischer Beziehung neigen wir jetzt nach ganz anderen Verbindungen und Richtungen und cS wäre in naher Zeit nichts weniger als undenkbar, daß Preußen nicht blos die fa mosen Bündnisse, sondern auch der Zollverband gekündigt würde. Wir stehen am Vorabende großer Ereignisse und müssen jeden Tag darauf gefaßt sein, daß sich die europäischen Allianzen mit einem Schlage so gestaltet haben und als vollendete TlMsachc hervortreten, daß infolge dessen dem Mordbund-Scandal ein kurzes Ende bereitet wird. Am 8. Mai dürften in Frankreich die Würfel gefallen sein, welche unser künftiges Schicksal bestimmen werden." Die Gerüchte, als ob die Stellung des Grafen Beust erschüttert sei, haben soeben dadurch eine augenfällige Widerlegung gefunden, , daß Graf Beust vom Kaiser zum Kanzler des Maria-Thcrcsicn-Or- i dens ernannt worden ist, eine Würde, welche einstmals Fürst Met ternich bekleidet hatte. Den Wiener Familien, die iin Sommer aufs Land ziehen, er wächst eine Extraausgabe für die Jungfer Köchin. ' Sie empfängt zweimal wöchentlich die Besuche ihres Bräutigams und Kosten der Hin - und Rückfahrt muß die Herrschaft bezahlen,, denn die Köchin kann nicht darunter leiden, daß die Herrschaft aufs Land geht. In Paris schreiben sich die beiden Parteien den Sieg zu. Die Regierung verweist triumphirend auf die nahezu 7,300,000 Ja's, die der Kaiser erhalten hat, die Opposition spricht spöttisch von dem gnädigen Landregen, der dem Kaiser bescheert worden sei, nur die Städte verträten die Intelligenz des Volkes und die Städte hätten weit überwiegend mit Nein! gestimmt. Dazu komme die überraschend große Zahl der Neins bei den Soldaten. Täuscht euch nicht ruft die Negierung der Opposition zu, die Regimenter, die mit Nein gestimmt haben, werden erbarmungslos auf ihre Freunde und Brüder schießen, wenn sie ihnen bei einem Aufstand gegenüber gestellt werden. Kaiser Napoleon hat an den MarschallCanrobert geschrieben: Man hat über das Votum der Pariser Armee so lächerliche und übertriebene Gerüchte verbreitet, daß es mir wohlthut, Sie zu bitten, den Generalen, Offizieren und Soldaten zu sagen, daß mein Ver trauen in sie niemals erschüttert worden ist. Paris, 13. Mai. Sämmtliche Souverainc Europas haben den Kaiser über den Ausfall des Plebiscits beglückwünscht. Auf die Frage des Kaiser Napoleon: Seid Ihr mit mir und meinem Re- gimente zufrieden? haben 7,160,000 Franzosen mit Ja, 1,522,000 mit Nein! ge antwortet und 1,733,000 haben keine Antwort gegeben. Die Zahl der Zustimmen den ist unerwartet groß, aber auch die Zahl der Verneinenden und der Schweigen den ist gegen 1851 und 1852 bedeutend gewachsen. Die schwarzen Punkte sind die Städte, voran das tonangebende Paris. Paris hat 164,000 verneinende und nur 139,000 bejahende Stimmen abgegeben; in fast allen andern Städten von ei niger Bedeutung überwiegen die Nein, Bordeaux z. B. gab 9000 Ja, 15,000 Nein, Lyon 22,000 Ja, 36,000 Nein, Marseille 13,000 Ja, 30,000 Stein; Straßburg stimmte Napoleon günstig mit 6000 Ja und 5000 Nein. Die Armee ist im Sinne Napoleons wahrscheinlich ein noch schwärzerer Punkt: 44,000 Soldaten haben mit Nein gestimmt (227,000 mit Ja), in manchen Kasernen stimmte fast die Hälfte mit Nein. — Kurz, die ländlichen Wähler, die Bauern, haben den Ausschlag zu Gunsten des Kaisers gegeben. Wir werden bald hören, welchen Vers Napoleon aus die Abstimmung macht. Jules Lermina, der in einer großen Volksversammlung zu Paris vor eini ger Zeit den Antrag gestellt, das französische Volk solle Napoleon HI. zu lebensläng licher Zwangsarbeit vcrurtheilen, ist am 10. Mai zu zwei Jahren Gekängniß und 10,000 Fres. Strafe verurtheilt und sind ihm auf zwei Jahre die bürgerlichen Rechte entzogen worden. Am selben Tage wurden von dem Zuchtpolizeigerichte wegen Be leidigung des Kaisers in öffentlichen Reden die Herren Guzot zu sechs Monate» Gesängniß und 1000 Fres., Lissagary zu einem Jahre Gefängnißund 2000 Fres., Alphonse Humbert zu derselben Strafe, Roullier und Serizier je zu acht Mo naten Gefängniß und 1000 Fres. Strafe verurtheilt. Rom. Dem römischen Correspondenten der in Berlin erscheinenden „Post" ist es gelungen,sich den Wortlaut der Canones zu verschaffen, die von der Unfehlbar keit des Papstes handeln. Die kühnsten Erwartungen werden hierdurch übertroffen. Es wird nicht blos Jeder verflucht, der da behauptet, das Concil stehe nicht unter, sondern über dem Papste, es trifft auch Jeden, „Gläubigen wie Ungläubigen", das Anathema, der ' a sagen sollte, von zwei Päpsten, die einander in ihren Decrete» widersprachen, müsse doch offenbar wenigstens Einer nicht unfehlbar gewesen sein. Die Canones auten: Canon I. Wenn Jemand sagt, der bischöfliche Lehrstuhl der römischen Kirche sei nicht der echte und wahre unfehlbare Stuhl des heiligen Petrus oder der von Gott auserwählte, unendlich feste, unzerstörbare und unüberwindliche Fels der gan zen christlichen Kirche — so sei er verflucht. Canon 2. Wenn Einer sagt, es gebe auf der Welt neben dem Lehrstuhle des heiligen Petrus einen anderen unfehlbaren Lehrstuhl der Wahrheit des Evangeliums unseres Herrn Jesu Christi — so sei er verflucht. Canon 3. Wenn Einer leugnet, das heilige Lehramt des Stuhles Petri sei allen Menschen, ' Gläubigen wie Ungläubigen, Laien wie Bischöfen zum wahren Wege des ewigen Heiles nothwendig — so sei er verflucht. Canon 4. Wenn Einer sagt, die einzelnen legitim gewählte» römischen Päpste seien nicht in Kraft göttlichen Rechtes die Nachfolger des heiligen Petrus auch in Bezug auf die Unfehlbarkeit des Lehramtes, und wenn Einer leugnet, jeder derselben habe die Prärogative der Unfehlbarkeit, um die Kirche das von jedem Jrrthume und jeder Fälschung reine Wort Gottes zu lehren — so sei er verflucht. Canon 5. Wenn Einer sagt, die ökumenischen Concile seien von Gott ,n der Kirche eingesetzt als Macht, die göttliche Heerde zu weiden, und in Glaubenssachcn höher gestellt, als der römische Papst, oder diesem gleich oder kraft göttlicher Ein setzung nothwendig zur Unfehlbarkeit des Lehramtes de? römischen Bischof; — so sei er verflucht.