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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebcnlchn und die Umgegenden. Amtsölatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Madtrath daselbst. 36. Dienstag den 10. Mai 1870. Tag esgesch ichte. In der „Dresdner Gewerbevereinszeitung" giebt der Landtaasab geordnete Walter einen ausführlichen Artikel über die Steuerreform, welcher sich gegen die Einführung der reinen Einkommensteuer aus spricht, — die im Princip ganz gut sein möge, aber im Leben, wo man mit vorhandenen Factorcn rechnen müsse, sich nicht bewähren und so lange eine große Ungerechtigkeit gegen den kleinen Mann bleiben würde, als nicht sämmtliche indincte Steuern aufgehoben wären — und der darauf hinauskommt, der Regierung zu empfeh len, das Grundstcuersystem, wie die Gewerbe- und Personalstcuer in der bisherigen Weise beizubehalten, jedoch eine neue Bonitirung der sämmtlichen Grundstücke vornehmen und eine gleichmäßige Vertheilung der Steuern cintreten zu lassen, auch eine Grundsteuer auf ländliche Gebäude einführen zu wollen. Man erzählt sich vielfach in Dresden folgende Anekdote: Be kanntlich weilte vor Kurzem der Herzog von Meiningen in Dresden und benutzte die wenige Zeit seiner Anwesenheit hierselbst unter An derem auch zu einigen Spaziergängen durch die Residenz. Zufällig in eine Kunstsammlung eingetreten, wollte Seine Hohheit das übliche Entree bezahlen. Der Cassenbeamte kannte den Herzog nicht, um so mehr, als Letzterer in Civil und ohne alle Begleitung war. Als es zur Bezahlung kam, gab der Fürst eine Meininger Einthaler-Cas- senanweisung hin, die sich der Beamte besah und mit den Worten zurückgab: „Das thut mir leid, denn kann ich nicht nehmen, das ist ein wilder." Durch Hinzukommen des Adjutanten wurde später das Hinderniß beseitigt. Leipzig, 6. Mai. Gestern hat sich in der Kaserne der Soldat Karl Friedr. Schulz von der 6. Compagnie erhängt. Schulz war Offiziersdiener und hatte sich eine unbeträchtliche Unterschlagung zu Schulden kommen lassen, weshalb er seine Stellung als Diener cin- büßen sollte. — Einen raschen und traurigen Tod hat gestern Abend auf der Bavcr'schen Bahn der Gutsbesitzer und Ortsrichter Müller aus Zeh men bei Gaschwitz gesunden. Derselbe hatte hier die Messe besucht und war mit dem letzten Chemnitzer Zuge V4H Uhr Abends nach Gaschwitz gefahren. Dort kreuzt sich der Zug mit dem letzten von Hof nach Leipzig gehenden Zuge. Müller wollte vor diesem vorüber nach dem Dorfe zu gehen, wurde aber von den Puffern der Loco- motive erfaßt, zu Boden geschleudert und überfahren. Er war nach wenigen Minuten eine Leiche. Das Schicksal hat seine Launen, das beweist diesmal die Nummer 78,448 unserer Lotterie, auf welche der Gewinn von 150,000 Thaler fiel, und zwar in die Collection von Heinrich Pöland in Hainichen. An einem Achtel waren 7 Personen aus Pappendorf betheiligt, welche alle dem Arbeiterstande angehören. Darunter befindet sich ein altes Mütterchen, die zu diesem Achtel einen Antheil von nur 11 Pfennigen beigetragen. Der „Döbelner An;." schreibt: Der massenhafte Umlauf ausländischer Kupfer münze, vorzüglich preußischer Dreier, welcher dem Handels- und Gewerbestande nicht unerheblichen Schaden verursacht, hat unter Andern in Döbeln einen Beschluß der Kaufmannschaft hervorgerüfen. Preußische Dreier fortan nur zu ihrem wirklichen Werthe, nämlich 2 Dreier zu 5 Pfennigen sächsisch anzunehmen, und 80 Mitglieder des dortigen Gewerbevereins haben sich, da nur ein möchlichst gemeinsames Handeln dem gerügten Unwesen ein Ende machen kann, dieser Vereinigung angeschlossen. Es wäre sehr zu wünschen, daß diese Maßregel auch in anderen Städten bald Nach ahmung fände. Marienberg, 2. Mai. Heute Nachmittag '/,3 Uhr hat sich der 20'/, Jahre alte Secondeleutenant Wolf von Wolfersdorfs oahier durch unvorsichtige Behand lung eines Revolvers erschossen. Die Landfiändische Bank zu Bautzen macht wiederholt darauf aufmerksam, daß der Präclusivtermin für Einlösung, resp. Umtausch ihrer Fünf-Thaler-Noten, und ihrer Banknoten zu 10 Thaler vom Jahre 1861 der 30. Juni 1870 ist. Am 5. Mai früh in der dritten Stunde ist in der Scheune des Gutsbesitzers Adolph Kitze zu Portitz Feuer ausgebrochen und dieselbe nebst Wohnhaus und Stall total abgebrannt. Leider ist dabei sämmt- liches Vieh, 5 Kühe, 2 Schweine, 6 Enten und 35 Hühner mit ver brannt. Vermuthlich ist das Feuer durch Brandstiftung entstanden. Das Zollparlament wird populär werden, es hat die Er höhung des Kaffeezolls abgelehnt. Auch die Besteuerung des Stärke- shrups und Stärkezuckers wurde abgelehnt. Dem Berichte des k. Commifsairs Grafen Nadah über das Räubewesen in Nieder-Ungarn entnehmen wir folgende Angaben: Bon 554 Verbrechen sind 234 Naubthaten oder solche Verbrechen, die nach ungarischem Gesetze mit dem Tode bestraft werden, 320 aber solche, auf welche langjährige Kerkerstrafe stehen, dieselben wur den von 513 Individuen begangen, von welchen 435 in Szegedin und Peterwardein eingesperrt sind. Von den 554 Verbrechen sind, wie bereits erwähnt, 234 solche, welche nach vaterländischem Gesetze mit dem Tode bestraft werden. In diese Kategorien gehören fol gende Verbrechen: Der Ueberfall verschiedener Eisenbahnzüge, meh rere Postveraubungen, der Macsvanßk'schc Giftdicbstahl in den sla- vonischen Glashütten, der Einbruchsdiebstahl desselben Verbrechers in Apotheken zum Zwecke um sich Gift zu verschaffen, der Schönfeld- sche Raubmord in Szegedin, der noch aus dem Jahre 1853 herrührt; der Naraysche Raub aus dem Jahre 1854 (Rozsa Sandor läugnete bxi seiner Schlußvcrhandlung die Theilnahme an demselben), die vier Naubthaten, welche Nozsa Sandor seit seiner Begnadigung be gangen (zwei mit dem Ausreißen von Eisenbahnschienen verbunden), der Postraub zwischen Jzsak und Keskemcnt, wobei sämmtliche Paffa giere ermordet wurden; der Poftraub im Szegediner Bahnhof, wo bei 14,200 fl. geraubt wurden; der Postüberfall in Szegedin selbst, wobei der Postcouducteur ermordet wurde; der Uebersall der Post zwischen Szegedin und Csongrad, wobei die Militärescorte niederge schossen wurde; dann noch zahlreiche Doppel- und dreifache Moroe, Raubmorde mit Brandstiftung, complicirte Morde u. s. w. — Eine schöne Gegend! Auf dem Markte in Athen stecken sieben Köpfe auf Pfählen; es sind die Köpfe der Räuber, welche die Engländer ermordet haben. Manchem Mann in Athen mag es bange sein um seinen Kopf; denn es ist ein öffentliches Geheimniß, daß die Räuber durch politische Gegner der Minister von der Reise der Engländer unterrichtet wur den. Als der Fang gelungen war, gingen Boten der Räuber zwi schen ihnen und ihren Gönnern in Athen hin und her, sie ließen sich ihre Uhren und Fernrohre ausbessern und von ihren Advokaten Rath ertheilcn, wie viel sie wagen könnten, zahlreiche Briefe wurden ge wechselt. Man erfährt bei dieser Gelegenheit, was für naive ein jährige Freiwillige es in Griechenland gibt. Einem Engländer, der kürzlich mit einer Bedeckung von fünf Soldaten im Lande reiste, er zählte ein junger Soldat, er werde nur kurze Zeit dienen; denn er wolle unter den Soldaten nur den Gebrauch der Waffen rc. lernen und dann als Räuber fein Brod verdienen. — Als die Räuber be schlossen, einen ihrer Gefangenen nach Athen zu schicken, um das Lösegeld auszuwirken, loosten die Engländer unter sich; das Loos fiel auf Lord Vyner; er lehnte aber die Sendung ab und drang in Lord Mancaster, szu gehen, weil er nicht verheirathet sei, Mancaster da gegen eine junge Frau zu trösten habe.. Vhncr wurde das Opfer seines Edclmuthes. Freunde, die sich nie sehen. Unter der Neberschrift: „Von der russischen Grenze," schreibt die „I. Z": In einer Gesellschaft wurde neulich die Frage aufgeworfen, welches Volk sich am meisten dem Laster der Trunk sucht zuneige. Man sprach von Irländern, von Deutschen, und Je der gab aus seiner Erfahrung und aus geschichtlichen Reminiscenzen die nöthigen Belege dazu. Endlich sagte ein Russe: Meine Herren, das, was sie vorgebracht haben, will noch nicht viel sagen. Die tollsten Säufer sind die Russen. Dafür will ich Ihnen den Beweis liefern: „Zwei Univcrsitätsfreundc waren seit ihrer Studienzeit nicht mehr zusammen gekommen. Der eine war Beamter in Petersburg gewor- geworden, der 'andere Gutsbesitzer an der sibirischen Grenze. Sie hatten fortwährend einen herzlichen Briefwechsel unterhalten, und da ihre Jugendfreundschaft echt und wahr gewesen, sehnten sie sich nach einem Wiedersehen, um die alten Erinnerungen aufzufrischen. End lich gelang es dem Petersburger, sich auf acht Tage frei zu machen. Er fährt fröhlich ab und kommt eines Morgens unerwartet auf dem Gute seines Freundes an. Dieser ist nicht gu Hause. Der Diener, dem sein Name wohl bekannt war, setzte ihm ein Frühstück und zwei Karaffen voll Stara-Wutki (alten starken Schnaps) vor. Der Gast