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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. -^5 31. Ireitag den 22. April 1878. Tag esgeschichte. Bei der kürzlich in Gegenwart des Kronprinzen abgehaltenen Jahresversammlung des Verivaltungsraths der sächsischen Jnvaliden- ftiftung wurde der bisherige Vorsitzende, Generallieutenant a. D. Graf v. Holtzendorf wieder gewählt, zu dessen Stellvertreter aber General lieutenant a. D. v.Stieglitz, zum Schatzmeisterder Generallieutenant a. D. v. Löben und zum Schriftführer der Gouvernementsauditeur v. Göphardt gewählt. Die Militärvereine waren dabei durch De- putirte vertreten und empfingen am Schluß anerkennendes Lob vom Kronprinzen. Dresden. Ein Kind von drittehalb Jahren, dessen Eltern auf der Ammonstraße wohnen, spielte neulich mit einem preußischen Vier groschenstück, nahm solches nach Manier kleiner Kinder in den Mund und verschluckte es. Die bekümmerten Eltern zogen einen Arzt zur Hilfe, doch die von selbigem angcwendeten Mittel blieben ohne Er folg. Vierzehn Tage lang klagte das Kind über einen Druck und Schmerz in der Magcngegcnd, cs verschmähte alle Speise, und die Sorge der Eltern um das geliebte Kind mehrte sich von Tag zu Tag. Wie groß war jedoch die Freude, als eines Morgens nach einem heftigen Husten das Kind das verschluckte Viergroschenstück durch den Mund von sich gab, welches schon oxydirt und mit einem grünen, schleimigen Ansatz versehen war. Von der bevorstehenden Leipziger Ostcrmesse verspricht man sich in geschäftlicher Beziehung nicht viel; sie fällt diesmal zu spät, so daß für viele Artikel gar kein Geschäft mehr zu erwarten ist. Schon die Frankfurter Messe ist ja auck, weil sie zu spät fiel, schlecht gewesen. Waare ist übrigens bereits übergenug angekommen und die Gütcrböden der Bahnhöfe waren schon vor den Feiertagen tüchtig gefüllt. Zur Ersparung des Meßzolls, der nach den Feiertagen von dem eingehenden Meßgute zu entrichten ist, sandten nämlich viele Verkäufer ihre Waaren schon so frühzeitig hierher. Man schreibt aus Leipzig, den 15. April. Unter der Bevöl kerung unserer Oberlausitz herrscht gegenwärtig nicht geringe Entrüst ung über die neuerdings bekannt gewordene Thalsache, daß im Por tefeuille der landständischen Bank zu Bautzen über 400,000 Thlr. in Österreichischer Rente und nur 18,000 Thlr. in Sächsischen Staats papieren angelegt sind, daß also die Lausitzer Landschaft fast den gesammten 'Stock ihres Fundationsvermögens auf die Finanzkraft Oesterreichs sicher gestellt hat. Die Dresdner Nachrichten vom 15. April schreiben: „AusMahlisbci Werms dorf erfahren wir, daß der dortige Gärtnergutsbesitzer Schurig, nachdem er vor gestern in der zehnten Vormittagsstunde seine zwei Kinder im Atter beziehendlich von 2'/- Jahren und 1t Monaten ermordet und deren Leichname in die Panse seiner Gutsscheune geschafft gehabt, die letztere in Brand gesteckt und sich hierauf selbst in derselben an einem Balken erhängt hat. Die gedachten Kinder sind, nachdem die Scheune bis auf die Umfassungsmauern niedergebrannt gewesen, iu ziemlich verkohl tem Zustande vorgefunoen worden, während man Schurig nur von den Füßen bis zum Knie schwarz gebrannt aus dem Schutte bervorgezogen hat. Ehelicher Unfriede soll das Motiv zu. dieser That gewesen sein." Den Chemnitzer Nachrichten schreibt man aus Hohenstein vom 14. April „Vorgestern früh -and man einen fünfzehnjährigen Schuhmacherlehrling von hier, welcher unweit des hiesigen Bahnhofs durch Hängen an eine Telegraphenstange sei nem jugendlichen Leben ein Ende gemacht hatte. Man sagt, die Furcht vor Strafe wegen eines kleinen begangenen häuslichen Vergehen? soll dis Ursache gewesen sein. Bekanntlich sollen nach einer Bestimmung der Bundesmilitärbe- hörde die Studirendcn der Theologie vom 1. Januar ab nur dann noch Zurückstellung evenO Befreiung vom Militärdienste genießen, wenn sie bereits vor gedachtem Termine in das militärpflichtige Aller getreten sind. Neuerdings ist aber diese Verfügung, „durch welche die allgemeine Wehrpflicht hinsichtlich der Theologen zur principielleu Durchführung gelangen sollte," durch eiue sämmtlichen Generalcom- mandos gegebene Erläuterung dahin abgemildert worden, daß wegen des Mangels an Aspiranten für den Kirchendienst die thatsächliche Befreiung der Studirenden der Theologie vom Militärdienst thuulichst aufrecht erhalten und den letzteren daher jede zulässige Berücksichtig ung zugewendet werden soll. Wie uns aus Berlin, Sonnabend, 16. April, verlautet, bean tragt Sachsen, die Zollfreiheic auf sännntliche Chemikalien auS- zudchueu und die Aushebung des Ausgangszolles auf Lumpen. Wegen der Todesstrafe hat die preußische Regierung den Par teiführern des Reichstags bis jetzt noch keinerlei entgegenkommende Propositionen gemacht. Wenn daher gesagt wird, die Regierung wolle sich herbeilassen, die Todesstrafe nur für Mord und Hochver- rath beizubehalten, so ist das eben nur Vermuthung. Die Zeitungen schlagen das letzte Kapitel eines Romanes auf, in dessen erstem Kapitel eine wunderschöne polnische Grafentochter (aus Posen) mit ihrem Koche durchgeht. Schon in den ersten Wochen griff die rauhe Hand der Polizei in das fahrende Liebeslcben, der Koch kam ins Gefängniß, die Grafentochter in das dunkelste Zimmer des väterlichen Palastes. Vor Kurzem brachte die Frau Gräfin in tiefstem Jncognito die unglückliche Tochter nach Berlin und miethete in der Vorstadt ein stilles Quartier. Da genas die Tochter eines Knäbleins, das nach drei Tagen starb und die junge Mutter folgte ihm nach acht Tagen. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt die preußische Re gierung die Bewegung der Oppositionsparteien in Bayern, Würt temberg und Baden. Im auswärtigen Ainte laufen wöchentlich Be richte ein, welche über die Agitationen in Süddeutschland interessante Einzelheiten enthalten. Die Preußen sind den Russen immer einen Schritt Voraus. In Preußen dürfen schon lange nur die Marinesoldateu und Ma trosen 2. Classe geprügelt werden; in'Rußland aber ist jetzt erst ein kaiserlicher Ukas erschienen, welcher genau bestimmt, welche Staats diener geprügelt werden dürfen und wie und womit. Der 12. April war in Wien ein Mobilmachungstag. An die sem Tage hat Kaiser Franz Joseph 12 Handschreiben auf einmal erlassen, acht an die abgehenden Minister, vier an die antretenden Minister, von denen jeder zwei Ministermappen zu tragen bekommen hat. Die Schreiben lesen sich ganz gemüthlich. Der Kaiser ist streng constltutionell, jeder Minister, er mag abtreten oder antreten, fit ihm gleich lieb, er wird mit „Lieber" angeredet. Andern eisernen Mi nistern gegenüber macht diese Dutzend-Minister-Mobilifirung cigen- thümlichen Eindruck. Der Wiener „Presse" wird aus Paris vom 16. April berichtet: „Hier ist das Gerücht verbreitet, daß England und Rußland gemein sam den Antrag auf allgemeine Entwaffnung stellen werden ; ferner spricht man von einem Congreß." In Paris wachen täglich 100,000 Menschen auf, die Morgens noch nicht wissen, wie und wo sie ihr Mittagsbrod verdienen werden. Der Herzog von Montpensier in Madrid, der seinen Vetter Bourbon erschossen hat, ist zu 1 Monat Gefängniß, Entfernung von Madrid und zu 30,000 Fr. Entschädigung verurtheilt worden. An der Whiteneßhead Sandbank, drei Meilen nördlich von Nairn, an der Schottischen Küste, spülte vor einigen Tagen das Meer eine Flasche an's Ufer, in welcher sich ein Zettel mit folgender Inschrift fand: „Schiff „Ocean Spray" 51° nördlich. Breite, 300" östlich. Länge. Eine Woge hat die Decks hinwcggespült. Das Schiff ist beschädigt und sinkt. 14. Februar 1870. Wer dies findet, mache den Inhalt bekannt." — Welch namenlose Leidensgeschichte mag in diesen wenigen Worten verborgen liegen! ReLseglück. Novelle von Ludwig Habicht. Fortsetzung. Welches Recht hatte er jetzt auf ihre Liebe — ihre Treue? Der Doktor horchte weiter; aber die Worte seiner Frau, die rein und groß aus diesem Konflikt des Herzens hervorging, brann ten auf seiner Seele, sie schmolzen die Eisrinde, die sich um sein Herz gelegt, und glühende Reuethränen perlten ihm aus dem Auge. Er hatte diesen reichen, unerschöpflichen Schatz von Liebe und Güte so schnöde und rücksichtslos von sich gestoßen, jetzt erschien sei nem erregten Geiste die stille Frau plötzlich in einem anderen höheren Lichte. Sein Gemüth war nicht verhärtet, vielmehr für alles Schöne einvfänglich; nur von abenteuerlichen in seinem Kopfe anfsteigcnden Ideen zu rasch fortacrissen, hatte er dies Institut gegründet, war damit nicht fortgekommen und suchte jetzt seinen Unmuthinallerhand tändelnden, leichtsinnigen Zerstreuungen zu verscheuchen und gerade damit die mahnende Stimme seiner Vernunft, sich wieder aufzurich ten und ein neues Dasein zu beginnen, zu betäuben. „Dies Weib habe ich nicht verdient, aber ich will ein anderer, ein besserer Mensch werden, ich will sie in ihre Heimalh führen und glücklich machen!" so schwur er sich feierlich und wollte eben wieder