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Zweites Blatt. Wochenblatt siir Mckuff Erscheint wöchentlich zweimal u.zwarDienstags und Freitags. — Abonnementspreis vierteljährlich 1 Mk., durch die Post ^bezogen 1 Mk. 25 Pf. — Einzelne I Nummern 10 Pf. Tharandt, Wn, Siebenlkhn nnd die UmMnden. Imtsölutt Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Jnsertionspreis 10 Pf. pro dreigespaltene Corpuszeile. für die Agl. Amtshauptmannschaft Meißen, siir das Agl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Agl. Forstrentamt zu Tharandt. No. S1. Freitag, den 11. November 1892. Die Stiefmutter. Von M. Dobson. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Auf dem weiteren Nachhausewege forderte er mich auf, für den Mittag sein Gast zu sein, wo wir dann in Ruhe noch weiter sprechen wollten. Da seine Frau verreist, er also allein und meine Patienten für den Augenblick besorgt waren, willigte ich in seine Bitte und wir lenkten unsere Schritte seiner Wohnung zu. Während des Mahles, bei dem das aufwartende Mädchen ein- und ausging, sagte gelegentlich Dr. Stohlmann: „Trotz Allem, was Du mir schon von dieser Angelegenheit erzählt, mein Freund, habe ich doch noch nicht erfahren, wer eigentlich Frau Hochheim früher gewesen, woher sie stammt, und wo sie gewohnt, denn offenbar ist sie nicht aus unserer Stadt gebürtig, sonst würden ihre früheren Verhältnisse uns wohl noch be kannter sein. „Sie war, so viel ich erfahren, die noch jugendliche Tochter eines schon alten Beamten aus dem südlichen Deutschland, ich meine aus K., eine Räthin Sternfeld, die Herr Hochheim und seine Tochter in einem Bade kennen gelernt, und die ihm in weiser Absicht hierher gefolgt ist. Da ich mit ihrem jetzigen Gatten nie über sie gesprochen, weiß ich von ihrer Vergangenheit weiter nichts " „Aber ich," sagte mit bedeutungsvollem Lächeln jetzt das Mädchen, welches, mit Aufträgen beschäftigt, unserer Unter redung zugehört hatte. „Wie? Sie Louise?" fragre Dr. Stohlmann, indem wir beide sie überrascht anblickten. „Jawohl, Herr Doktor, und wenn ich nur reden wollte und dürfte " „Nun, wer hindert Sie denn daran?" fragte mein Freund, nachdem wir einen vielsagenden Blick gewechselt „Ich bin zwar ein Feind von allen Klatschereien, in diesem Falle jedoch kann Ihre Mittheilung von großer Wich- ligkeit sein." Also aufgefordert, begann mit funkelnden Augen die Dienerin ihren Bericht, aber im süddeutschen Dialekte und mit solcher Geschwindigkeit, daß wir kaum zu folgen vermochten, und deutlich aus der Hast, uns Alles mitzutheilen, die Freude ent nahmen, die sie empfand, ihrem Herzen einmal Luft zu machen, und ihrem Rachegefühl genügen zu können. Was sie uns er zählt, werde ich später erwähnen, es war aber der Art, daß uns die jetzige Frau Hochheim, in einem ganz andern Lichte als bisher erschien, und uns kein Zweifel übrig blieb, wie namen loses Unrecht sie ihrer Stieftochter zugefügt, die wir bald wieder in ihr Vaterhaus einziehen zu sehen hofften. Als sie voll Befriedigung ihren Bericht geendet, nahm ich das Wort und sagte zu ihr: „Sie haben uns durch Ihre Mittheilung einen großen Dienst geleistet, einen bei Weitem größeren aber noch Herrn Hochheim. Seien Sie verschwiegen wie bisher, wodurch sie uns noch wesentlich nützen können, und Sie werden ohne Zweifel eine reiche Belohnung erhalten. In unserer beiderseitigen Aufregung vergaßen wir ganz zu fragen, weshalb sie über die Sache nicht schon früher gesprochen, was uns im Grunde auch gleichgültig sein konnte, da wir sie früh genug erfahren hatten. Nach unserm echten Junggesellenmahl, bei dem wir je doch nur einzig und allein den uns beide so sehr interessiren- den Fall besprochen, verabschiedete ich mich bald von meinem Freunde und beschloß, Frau Linden aufzusuchen, um ihr das Erfahrene mitzutheilen, damit sie sich auf den ihr schon bald bevorstehenden Glückswechsel vorbereitete. 5. Kapitel. Obgleich ich gern der Sache schnell ein Ende gemacht, konnte ich es doch, so lange Johann's Krankheit währte, nicht -vagen. Auch hatte ich Frau Hochheims zweite Mitschuldige, Christine noch nicht gesprochen, wozu ich eifrig nach einer Ge legenheit suchte, und daher öfter noch als bisher ihre Herrschaft besuchte. Um hier keinen Verdacht zu erregen, wandte ich meine ganz besondere Aufmerksamkeit der Tochter des Hauses zu, die durchaus nicht unempfindlich dagegegen war, und deren Eltern sie ebenfalls mit großem Wohlgefallen zu bemerken schienen. Nach einiger Zeit hatte ich es soweit gebracht, daß ich allge mein für einen Bewerber um die Hand der reichen Elfriede Hochheim galt. Ich hütete mich wohl, dem Gerücht zu wider sprechen, konnte ich doch unter diesem Schilde meine Pläne ruhig und ungestört fortsetzen. Demungeachtet waren diese nahe daran, zu scheitern, denn als ich eines Tages den noch immer kranken Johann besuchte, gerieth ich in nicht geringe Verlegenheit, als ich ganz uner wartet Frau Hochheim bei ihm eintreten sah. Schnell mich fassend, gab ich ihm verstohlen einen bedeutungsvollen Wink, den er glücklicherweise verstand, und sagte dann zu seiner Ge bieterin: „Frau Hochheim, Sie sind gewiß überrascht, mich bei Ihrem Diener zu finden; ich besuche ihn jedoch im Auf trage meines Freundes, Dr. Stohlmann, dem seine langwierige Krankheit bedenklich erschien. Uebrigens begreife ich nicht, wes halb Sie mich nicht selbst mit seiner Behandlung betraut " „Ich mochte Sie meines Domestiquen wegen nicht be lästigen, Herr Doktor," erwiderte sie freundlich, allein mit einem forschenden Blick, dem ich indeß fest begegnete, „Ihre Zeit ist schon so sehr in Ansprucy genommen —" „Sie ist einmal der leidenden Menschheit gewidmet, Frau Hochheim," antwortete ich ihr ernst, „und in dieser kenne ich keinen Unterschied des Ranges." Sie blieb nach dieser etwas strengen Zurechtweisung nur noch wenige Minuten, und als sie gegangen, trat bald zu meiner Freude Dr. Stohlmann ein. Ich führte ihn ans Fenster, um Johann glauben zu machen, wir hielten eine Con- sultation, und theilte ihm mit, daß ich eine Entscheidung wagen wolle, da unfehlbar Frau Hochheim meine Besuche zu hindern suchen werde, und bat ihn, mich hierin zu unterstützen. Er billigte meine Absicht, wir verständigten uns bald, und während ich an meinem Platze blieb, trat er ans Bett und sagte zu dem uns aufmerksam betrachtenden Johann, wobei er nach seinem Puls fühlte: „Es geht heute schlimmer mit Euch, mein Lieber. Habt Ihr irgend etwas genossen oder Aufregung gehabt, was Alles den fieberhaften Zustand, indem ich Euch finde, hervorgebracht hätte?" „Daß ich nicht wüßte, Herr Doktor", fuhr er ernst fort. „Lieber Freund," wandte er sich dann an mich, „ich finde den Patienten ungleich kranker als vor einigen Tagen —" „Ja, Johann," sagte ich jetzt näher tretend, „ich fürchte — alle Symtome " „Ach, helfen Sie mir, helfen Sie mir Herr Doktor!" rief er händeringend. „Sie können cs gewiß, wenn Sie nur wollen." „Wir werden thun, was wir können," erwiderte Doktor Stohlmann, „doch müßt Ihr das Eurige dazu beitragen. Eure Nerven sind in großer Aufregung — habt Jbr etwas auf Eurem Herzen und Gewissen, daß Euch quält, worüber Ihr nachdenkt? Sprecht Euch offen gegen mich aus, unserer Verschwiegenheit dürft Ihr gewiß sein, denn nur so kann Euer Gemüth zur Ruhe kommen und Ihr darnach auf sichere Genesung hoffen." Der Kranke blickte uns angstvoll an, und die Wirkung der Worte meines Freundes bemerkend, setzte ich nach kurzer Pause hinzu: „Johann, Euer Gesicht verräth mir, daß Dr. Stohl mann Recht hat; ich selbst aber glaube schon lange, das Eure ganze Krankheit aus geängstigtem Gemüth und Ge wissen entstanden ist. Seit ich indeß Frau Linden, die Ihr auch unter dem Namen Fräulein Malwine Hochheim gekannt, kennen gelernt, gesprochen und in ihrem Unglück beigestanden, bin ich ganz fest davon überzeugt. Der geängstigte Johann wälzte sich unruhig auf seinem Lager hin und her, waö ich nicht beachtete, sondern ernst und bestimmt fortfuhr: „Ich weiß durch sie, daß Ihr, wenn auch nicht freiwillig, doch dazu beigetragen, daß sie aus dem Vaterhause verstoßen ward, und dadurch seid Ihr auch Mitveranlassung geworden, daß sie mit ihrem zarten Kinde lange im Elend gelebt. Ich habe sie getroffen, als sie, die einzige Tochter des reichen Herrn Hochheim, so arm war, daß sie für ihren sterbenskranken Sohn keinen Arzt rufen mochte, habe dann diesen behandelt und so ihre traurige Geschichte erfahren. Durch einen glücklichen Zu fall weiß ich genug, um schon heute ihre Unschuld vor aller Welt erklären, und über ihre Stiefmutter Schmach und Schande bringen zu können; allein auch von Euch will ich noch wissen, ob das, was Ihr auf Frau Hochheims Geheiß von der früheren Malwine Hochheim auösagen solltet, streng der Wahrheit ge mäß gewesen, wenn nicht, so gesteht Eure Schuld ein, und macht gut, was Ihr gegen die Unschuldige gesündigt, die doch Euch ganz gewiß nie mit einem Worte gekränkt oder beleidigt hat." Meine ernste Rede blieb nicht ohne Wirkung. Den Thränen, die schon längst seine Augen gefüllt, freien Lauf lassend, erwiderte er mit stockender Stimme: „Nein, nein, sie hat mich nie gekränkt, ist immer gütig und freundlich gegen mich und die Meinen gewesen, und ich habe Unrecht, das größte Unrecht gethan, daß ich mich verleiten ließ, gegen die ganz Schuldlose zeugen zu wollen." „So gesteht uns ehrlich und offen, was ihr wißt, und was vorgefallen ist." > „Ich darf es nicht," stöhnte der Beklagenswerthc, „Fürchtet Euch nicht länger vor Frau Hochheim, sie wird Euch nicht mehr schaden können, denn ihre jetzige Rolle ist sehr bald ansgespielt." „Und versprechen Sie mir, daß ich genesen und ganz ge sund wieder werde?" „So viel es in der Macht der Aerzte liegt, ja! — Da- zn aber versichern wir Euch die gänzliche Verzeihung Eures Herrn, die er Euch uni so eher angedeihen lassen wird, wenn er erfährt, wie sehr ihr schon durch eigene Gewissensbisse gelitten." Nach nochmaligen Zögern erzählte uns nun Johann, daß er wie auch Christine von ihrer Herrin durch ein Geldgeschenk bestochen seien, Alles das von Ihrer Stieftochter auszusagen, was sie von ihnen verlangte und sie ihnen vorher mittheilen werde. Wollten sie es nicht thun, so würde sie sie augenblick lich fortjagen, was Beide gleich sehr gefürchtet, da er sich erst kürzlich in der Stadt verheirathet, und Christine sich mit einem braven Mann verlobt hatte. Mehr verlangten wir von dem Kranken nicht zu wissen, ich aber sah meinen Freund mit triumphirendem Lächeln an, worauf wir Beide ihn zu beruhigen suchten, ihm einige stärkende Tropfen verschrieben und uns dann entfernten, nachdem wir ihm versprochen, am folgenden Morgen wieder zu kommen. „Eine sonderbare Fügung," bemerkte mein Freund, als wir das Haus verlassen, „daß gerade ich Dich zu dem armen Johann führen mußte! Uebrigens kannst Du Dir Glück wünschen, in der Sache so weit gediehen zu sein —" „Ohne Deinen, wenn auch unfreiwilligen oder zufälligen Beistand wäre ich nicht soweit gekommen! — Jetzt aber will ich gleich zu Fran Linden gehen, damit sie die stattgehabte Unterredung erfährt. Willst Du mich dorthin begleiten?" — „Ich glaube, es ist besser, ich bleibe ihr noch fremd. Wer weiß, wie bald schon mein Zeugniß erforderlich ist —" „Da magst Du Recht haben," entgegnete ich ihm, und nach diesen Worten trennten wir uns Beide nach verschiedenen Richtungen abgehend. Ich fand Malwine Linden mit einer feinen Strickerei be schäftigt, die sie für ein Magazin anfertigte. Sie mußte mir meine ungewöhnliche Erregung ansehen, denn nach der ersten Begrüßung, als eben der kleine bildschöne Edmund, der jetzt wieder frisch und munter war, seinen gewohnten Platz auf meinen Knien eingenommen, und mit meiner Uhrkette spielte, sagte sie, ihre schönen Augen mit freundlichem Ausdruck auf mich heftend: „Herr Doktor, Sie haben heute entweder schon eine sehr glück liche Cur vollführt, einem Menschen das Leben gerettet, oder sonst etwas sehr Freudiges erfahren " „Und wenn'iLetzteres der Fall wäre, Frau Linden," ent gegnete ich mit einem Blick der Bewunderung auf das jugend liche Antlitz, das so vertrauensvoll sich mir zuwandte. „Wenn ich heute durch eine höhere Fügung oder durch einen glücklichen Zufall, ich weiß nicht, wie Sie es nennen wollen, zur Kenntniß von Thatsachen gelangt wäre, die Sie als rein nnd schuldlos, Ihrer Stiefmutter ganze, ich möchte wohl sagen verbrecherische Handlungsweise dagegen in ein grelles Licht stellen, und wenn selbst einer ihrer Zeugen eingestanden, wie er von ihr gezwungen sei, gegen Sie zu sprechen, was würden Sie da sagen?" Die Aufregung über diese unerwartete Nachricht war so groß, daß alle Farbe aus dem Gesicht der jungen Frau wich, sie ihre Hände fest gegen ihre Brust preßte und nur halblaut zu sagen vermochte: „Herr Doktor, ist dies Alles wahr? Habe ich Sie recht verstanden?" „Ja, es ist wahr," antwortete ich mit tiefempfundener Rührung, „und es wird nicht lange mehr dauern, bis Sie wieder in Ihr Elternhaus einziehen und unter dem Schutze Ihres Vaters, der sich, wie ich sicher weiß, schon nach seinem Enkel sehnt und Sie mit unveränderter Liebe liebt, die Rückkehr Ihres Gatten erwarten können." Diese letzten Worte riefen einen freudigen Ausdruck auf dem Gesicht der schönen, jungen Frau hervor; ich aber mußte mir gestehen, daß aus dem anfänglichen Mitleid zu ihr eine warme Sympathie für sie entstanden war, bereits wußte ich, daß das Verweilen in ihrer Nähe und ihre anregende Unter haltung für mich zum Bedürfniß geworden, und daß mir das Fernbleiben von ihr und ihrem Kinde, welches in baldiger Aus sicht stand, schwer werden würde. Sie war ihrem Gatten von ganzem Herzen zugethan, und erwartete ihn mit großer Sehnsucht täglich heim von der Reise und empfand die ganze Freude und den so verzeihlichen Stolz einer jungen Mutter, dem Vater seinen noch nicht gesehenen schönen Knaben gesund und wohl behalten in die Arme zu legen. Schon suchte sie dem Kleinen auszu malen, wie der Vater aussehe, und was für hübsche Sachen er in seinem Reisekoffer mitbringen würde. Ich ehrte und achtete Frau Linden zu hoch, um auch nur