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Wochenblatt für für für die Königl. Amtshauptmannschaft zu Meißen, das Königl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff. Zweiun-vierzigster Bahrgang. Erscheint ivichettMch L Mal Dienst«« un» Freitag.) Lbvnnementspreis vierteljährlich 1 Mark. Eine einzelne Nummer kästet^« Ps. Jnseratenannahme MantagS u. Donnerstags vis Mittag 12 Uhr. Erscheint wöchentlich 2 Mal (Dienstag und Freitag AbonnementspreiS vierteljährlich I Mark Eine einzelne Nummer kostet 10 Pf Wilsdruff, ThkMlldl, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Nr. AI. Dienstag, den 14. November 1882. .t" , , , , ,u , c .. . . ... Bekanntmachung. Für die Rittergntsbezirte Neukirchen und Steinbach ist als Gutsvorsteher Herr Oeeonomie-Inspektor Otto korkt« in Neu kirchen verpflichtet worden, was hiermit bekannt gemacht wird. Meißen, am 7. November 1882. Königliche Amtshauptmmmschaft. v. Boffe. Tagesgeschichte. Der preußische Justizminister hat neuerdings an die Amtsgerichte eine nachahmenswerthe Verfügung erlassen. In derselben wird darauf hingewiesen, daß zwar eine besondere Ladung der Schöffen zu jeder einzelnen Sitzung, an der sie theilzunehmen haben, gesetzlich nicht vor- gefchrieben fei, es liege aber in der Natur der Sache, daß die im Laufe des Jahres erfolgte allgemeine Vorladung leicht in Vergessenheit kommen könne; es werde deshalb als eine Härte empfunden, wenn ein lediglich aus Vergeßlichkeit ausgebliebener Schöffe in Strafe genom men werde. Da es überdies dem Anfehen der Strafrechtspflege nicht förderlich fei, wenn häufig die Festsetzung von Strafen gegen Personen erfolge, welche zur Theilnahme an der Rechtsprechung berufen feien, so empfiehlt der Minister den königlichen Amtsgerichten, an alle Schöffen neben der gedachten allgemeinen Benachrichtigung noch besondere La dungen zu den einzelnen Sitzungen und zwar etwa 8 Tage vor den bezüglichen Sitzungstagen zu erlassen. Der Reichskanzler Fürst Bismarck sah in den letzten Tagen auf seinem pommerschen Tusculum Varzin verschiedene hohe Gäste bei sich. Unter ihnen sind Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst, der deutsche Bot schafter in Paris, ferner der deutsche Botschafter in Wien, Prinz Reuß VII., nebst Gemahlin, und der deutsche Botschafter in London, Graf Münster zu erwähnen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß dieser auffällige Verkehr der hervorragendsten Vertreter des deutschen Reiches auf dem Landsitze unfers leitenden Staatsmannes mit Fragen der auswärtigen Politik zusammenhängt. In den letzten Tagen wurde auch Herr von Puttkammer, der preußische Minister des Innern und Vizepräsident des Staatsministeriums, in Varzin erwartet, jedenfalls um mit dem Fürsten Bismarck Rücksprache über die parlamentarische Situation und über die dem Landtage zu machenden Vorlagen zu nehmen. Herr v. Puttkammer macht im Reichsanzeiger bekannt, daß die Eröffnung des auf den 14. November d. I. einberufenen Landtages an diesem Tage, Mittags 12 Uhr, im Weißen Saale des königlichen Schlosses erfolgen und daß zuvor Gottesdienst um 11 Uhr im Dome für die evangelischen, und um 11'/? Uhr in der St. Hedwigskirche für die katholifchen Mitglieder stattfinden wird. Wie man in gouvernementalen Kreisen wissen will, ständen für die neue Session des preußischen Landtages, gegen alle Erwartungen, sehr bedeutungsvolle Vorlagen kirchenpolitischer Natur in Aussicht. Es scheint, daß Fürst Bismarck gesonnen ist, in das Verhältniß zur Kurie jetzt endlich volle Klarheit zu bringen, nachdem die diskretionären Vollmachten sich in ihrer bisherigen Ausdehnung und Anwendung dazu nicht ausreichend erwiesen haben. Man behauptet deshalb in gut unterrichteten Regierungskreisen, daß Fürst Bismarck die bevorstehende Session dazu benutzen dürfte, um den Schwebezustand, in welchem sich unsere Beziehungen zum Vatikan noch immer befinden, durch einen gewaltigen Anstoß in eine direkte Krisis zu verwandeln. Der leitende Staatsmann, so fügt man hinzu, wäre fest entschlossen, die Konse quenzen dieser Krists, möge dieselbe ein positives oder negatives Re sultat zeitigen, mit aller Unerbittlichkeit zu ziehen. Die „Kreuzzeitung" meldet: Die Nachricht, daß Fürst Bismarck sich gegen die Verlängerung des Sozialistengesetzes ausgesprochen habe, scheint auf einem Mißverständnisse zu beruhen. Gegen die Verlänger ung an und für sich dürfte, zumal unter den gegenwärtigen Verhält nissen, kaum ein Widerspruch erhoben werden, wenn es sich auch bei derselben um einzelne Modifikationen handel» mag, die jedoch dem Ganzen gegenüber kaum ins Gewicht fallen. In Wien ist es in letzter Zeit verschiedentlich zu Ruhestörungen auf den Straßen gekommen, wobei sich besonders Mitglieder der Schuh- machergcwerkschaft betheiligten. Als diese Gewerkschaft darauf aufge löst wurde, nahmen die Unruhen einen so ernstlichen Charakter an, daß die Straßen durch Militär gewaltsam gesäubert werden mußten. Die Ursachen dieser Unruhen werden von der N. Fr. Pr. in Mangel an Arbeit dargestellt, der wiederum eine Folge des seit Anfang dieses Jahres in Kraft getretenen Lederzolles fei. Mehr als 10 österreichische Schuhfabriken haben feitdem ihre Zahlungen eingestellt. Schlagender seien die Wirkungen des Schutzzollsystems wohl nie zu Tage getreten als hier. Wien. 9. November. Die Straßenraufereien, die seit Sonn tag allabendlich in der Josefstadt stattfinden, nahmen gestern leider den ernsthaften Charakter eines gewaltthätigen Auflehnungsversuches gegen die Behörden und die bewaffnete Macht an, ohne daß sich für den ganzen Skandal irgend ein greifbares Motiv oder Ziel absehen ließe. Denn die polizeiliche Schließung des Leselokals, daß die Schuh machergewerkschaft in der Hauptstraße jenes Bezirks hält und das als sozialistischer Herd verdächtig ward, hat nur den ersten äußeren An laß zu jenen Aufläufen gegeben. Was sich gestern daraus entwickelte, war nicht mehr ein Schuhmacher- oder Arbeiterrummel, es war ein echter Proletarieraufstand. Es war der Krawall um der Lust am Exzesse selber willen, blos aus Freude, der gesellschaftlichen Ordnung ein Schnippchen zu schlagen — vorläufig noch, Gott sei Dank, ohne jede Beimischung von Vergehen gegen das Eigenthum, aber ausge führt von Elementen, die bei einer Wiederholung solcher Auftritte schnell genug auch eine Stufe tiefer sinken würden. Denn nachdem die Polizei, durch die vorhergehenden Abende gewarnt, in der Kaiserstraße rechtzeitig Aufstellung genommen, verlegten die Tumultuanten den Schau platz des Skandals außerhalb der Linie an den nahegelegenen West bahnhof und in die berüchtigten Gegenden des Lerchenfeldes, wo die eigentliche Heimstätte der arbeitsscheuen und besitzlosen Vagabunden ist. Schon dieser Wechsel der Kampfesarena verräth eine leitende und organisirende Hand hinter den Coulissen; mehr noch die Art, wie das Polizei und Militär mit Steinen bewerfende Gesindel sich in den Liniengräben versteckt und an den Fenstern postirt hielt; am meisten die Umsicht, mit der Drahtgeflechte über die Straße gezogen waren, um die Pferde der Ulanen zum Sturze zu bringen. Für Frankreich bildete der Donnerstag erfolgte Wiederzusam mentritt der Kammern das Hauptereigniß der Woche. Die neue Session der französischen Kammern wird unter sehr ungünstigen Verhältnissen eröffnet; einerseits finden die Kammern ein neues Ministerium vor, mit dem sie erst Fühlung zu gewinnen haben, andererseits ist das Land mehr als je durch die Parteikämpfe der Gambettisten, Monar chisten u. s. w. durchwühlt und mitten unter diesen Kämpfen zeigt das „rothe Gespenst" drohend sein Haupt. Daneben ist auch die aus ¬ wärtige Politik Frankreichs, namentlich in Bezug auf Egypten, so verfahren wie nur möglich und das Ministerium Duclerc befindet sich daher in Anbetracht all dieser mißlichen Verhältnisse in einer keines wegs beneidenswerthen Stellung, und es hängt lediglich von seiner Klugheit und Energie ab, sich auf seinem dornenvollen Posten zu be haupten. Ein wichtiges Projekt ist dem Präsidenten der Republik vorgelegt worden. Es handelt sich um die Errichtung von zwanzig Häusern oder landwirthschaftlichen Kolonien für die Arbeiterkinder in den zwanzig Arrondissements der Stadt Paris. Diese Häuser sollen für 500 Knaben und 500 Mädchen im Alter zwischen 3 und 6 bis zu 21 Jahren eingerichtet werden. Die Pension für ein Kind soll auf 60 Centimes per Tag festgesetzt werden, worin alle Kosten für professio nellen Unterricht, Nahrung und Kleidung inbegriffen sind. Eine Ver sicherungsprämie von 2500 Francs soll jedem Kinde bei seinem Aus tritte aus der agrikolen Schule übergeben werden. Dieses Projekt, für welches sich die Regierung sehr interessirt, soll in kürzester Frist ausgeführt werden. Paris. Der Sohn des Fürsten Polignac steckte heute die Wohnung seines Vaters mit Petroleum in Brand. Nach feiner Ver haftung erklärte er, daß er dies gethan habe, um sich an seinem Vater zu rächen, der ihm das von ihm verlangte Geld verweigert habe. Zwischen England und Spanien ist ein Konflikt ausgebrochen, der immer lebhaftere Formen annimmt. Vor einiger Zeit landeten drei Männer au der Felsenküste von Gibraltar. Es waren Führer des kubanischen Aufstandes, welche die Flucht in ferne Länder der Unterwerfung vor den spanischen Waffen vorzogen. Sie vertrauten auf die Asylfreiheit auf englischem Boden, wurden aber von den Be hörden in Gibraltar Wegen Mangels an irgend einer Legitimation zurückgewiesen, an der Grenze von spanischen Polizeibeamten arretirt und befinden sich seitdem im Gefängniß. Das Peinlichste jedoch ist, daß, wie der Londoner „Standard"' behauptet, die spanische Polizei von der englischen in Gibraltar auf die drei kubanischen Flüchtlinge aufmerksam gemacht worden ist, so daß die moralische Verantwortung für das den Letzteren bevorstehende Schicksal auf die englische Regier ung und das englische Volk fällt. Die Mittheilung des „Standard" machte in England einen derartig deprimirenden Eindruck, daß Glad stone der spanischen Regierung offiziös die Bitte unterbreiten ließ, die gefangenen Kubaner den englischen Behörden wieder zurückzuliefern. Die spanische Regierung weigert sich jedoch, obgleich an die fprüch- wörtliche „Ritterlichkeit" der Spanier appellirt wurde, dieser Bitte zu willfahren, weil die Flüchtlinge von spanischen Behörden auf spanischem Boden verhaftet worden feien, mithin eine andere Macht sich nicht in diefe Angelegenheit einzumischen habe. Diese Antwort hat die Engländer nur noch mehr gereizt. Man verlangt von der Regierung, daß sie die Angelegenheit nicht mehr offiziös, fondern offiziell als eng lische Ehrensache behandle. Der Unterstaatssekretär Dilke antwortete im Unterhause auf eine diesbezügliche Aeußerung Lord Churchill's, bis zum Empfang des Berichts über die in Gibraltar stattfindende Unterfuchung bezüglich der kubanischen Flüchtlinge seien offizielle Schritte Englands zu Madrid unmöglich.