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Wochenblatt für für die Königl. Amtshauptmannschast zu Meißen, das König!. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff. Zweiun-vierzigster Jahrgang. Erscheint wöckentlrch 2 Mal Licnstag und Freilag. Abonnementsprcis vierteljährlich I Mark. Eine einzelne Nummer tostet 10 Ps. Inseratenannabme Montags ».Donnerstags bis Mittag 1z Uhr. Erscheint wöchentlich L Mal (Dienstag und Freitag.) AbonncmentSpreiS vierteljährlich 1 Mark Eine einzelne Nummer für kostet^o Pf Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Nr. 24. Freitag, den 24. März 1882. ,v.ff -»v,. ... --- -I ai , I- ri - .... s«» Unter Stürmen. Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Zwei Höse", „Schein und Sein" rc. (Fortsetzung.) „Warum sagst Du nicht endlich dem Papa, wie es mit Dir steht?" Die klugen Augen der Komtesse ruhten dabei forschend auf ihrem Bruder. Ottomar war unruhig und nachdenklich durch das Zimmer ge wandert; er blieb jetzt vor seiner Schwester stehen und entgegnete un sicher: „Ich wollte nicht die ersten Tage des Wiedersehens durch mein Bekennlniß trüben und doch —" „Und doch hast Du mit Deinem süßeu Geheimniß im Herzen keine ruhige Stunde gehabt", ergänzte Hermine und das Buch weg- legend, indem sie soeben geblättert, setzte sie in ihrer kurzen, entschlos senen Weise hinzu: „Dein Zögern birgt nur die schlimmsten Ge fahren in sich. Jetzt ist Papa noch so überglücklich, daß er Dich wieder hat und so Deinen Bitten am wenigsten unzugänglich. Der junge Graf blies nachdenklich den Rauch seiner Cigarre vor sich hin: „Wäre es nicht besser, wenn ich zuerst der Großmama beichtete? Sie vermag viel über Papa und ich hoffe wohl, sie am ehesten für mich zu gewinnen." „Du scheinst zu vergessen, daß sie gegen alle Bürgerlichen noch ein stärkeres Vorurtheil besitzt, als selbst Papa." Ottomar senkte ein wenig den Kopf. „Das ist wahr," sagte er seufzend und als er sah, daß Hermine wieder nach ihrem Buche greifen wollte, als sei sie es müde, ihn zu einem entscheidenden Schritte zu drängen, setzte er lebhaft hinzu: „Halte mich nicht für feig! Wenn ich einmal den Kampf aufnehme, dann werde ich ihn durchzufechten wissen; aber Papa thut mir doch leid. Ich weiß im Voraus, wie furchtbar ihn Herzensbekenntniß aufregen wird und ich möchte ihn gerne so lange wie möglich schonen." „Aus einer bloßen Schwäche kann niemals etwas wahrhaft Gutes entstehen!" entgegnete die Komtesse und auf ihrem Antlitz prägte sich wieder einmal die Energie aus, die sie beseelte. „Du zögerst aus Gutmüthigkeit, etwas Unangenehmes dem Papa zu sagen und bedenkst nicht, wie viel Du dabei auf das Spiel setzest. Es ist ritterlich von Dir und hat meine ganze Zustimmung, daß Du Angelika nicht eher Wiedersehen willst, als bis nicht alles entschieden; aber ahnst Du auch die Qual eines liebenden Herzens, daß plötzlich auf nichts, als auf seinen Glauben an Dich angewiesen ist und dem seine Umgebung be ständig Mißtrauen predigt? — Zwischen Dir nnd Papa ändert sich nichts- wenn Du entschlossen bist, Dein Wort gegen Angelika einzu lösen, dann wird ihn Dein Bekenntniß heute so hart wie nach einem Jahre treffen, wenn dann nicht noch härter. ...Du hast Recht, Hermine! rief Ottomar, und seine schlanke Ge stalt in die Höhe richtend, setzte er mit jener ritterlichen Keckheit hinzu, die ihm eigcu war: „Für mich taugt keine Hamlet-Stimmung; ich habe dies Schwanken und Brüten nie geliebt, und Du bist meine liebe gute Schwester' die mich stets auf den rechten Weg bringt und mich immer mir selbst zurückgiebt." Er reichte ihr herzlich die Hand hin und blickte ihr freundlich in ihr ernstes, festes Antlitz. „Aber sag' mir, Hermine, setzte er dann theilnahmevoll hinzu, „was hast Du mit Papa gehabt? — Ihr standet Euch zwar niemals zum besten, jetzt scheint mir jedoch eine völlige Spannung zwischen Euch zu herrschen, die mich beunruhigt. Kann ich Euch denn nicht wieder mit einander versöhnen?" Sie schüttelte ruhig das Haupt. „Was ist denn vorgefallen? So beichte doch! Zwischen uns haben ja nie Geheimnisse bestanden." „Weil ich Pap" bekannt, daß ich Arno liebe." .„Hui!" zog Ottomar durch die Zähne und machte ein bedenkliches Gesicht. „Und wie nahm er die Sache ans?" »Er zweifelte an meinem klaren Verstände," antwortete Hermine ruhig. „Das ist so bequem. Und doch, was sind diese Vorurtheile anders, als eine Verirrung der Vernunft? In unseren Tagen gilt nur derjenige etwas, der sich selbst zu einer Bedeutung emporgearbeitet hat. Auf die Thaten und^Verdienste der Väter zu pochen, heißt nur, seine eigene Armuth und Schwäche anerkernen." „Du bist ja eine ganz förmliche Demokratin geworden!" rief Ottomar lachend, der so gern selbst die ernstesten Dinge in einen Scherz zog. „Ich war es immer!" entgegnete die Komtesse, ohne eine Miene zu verziehen. „Was mich zu Arno unwiderstehlich zog, war gerade seine bürgerliche Abkunft. Ihm fehlt die Sucht zu scheinen, und das habe ich stets an ihm bewundert." „Du hast Recht. Kein Anderer würde sich dazu verstanden haben, den Schew der Feigheit auf sich zu nehmen und Du, Tyrannin, hast es doch fertig bekommen, den sonst so energischen Menschen Deinem Willen zu unterjochen." Jetzt flog ein Lächeln über das Antlitz Herminens und verschönte es. „Nun, ich will auch nicht länger zögern, mir ein Glück zu grün den," und der Schwester die Hand reichend, setzte er rasch entschloßen hinzu: „Noch heute muß sich alles entscheiden." „Du wirst einen schweren Kampf bestehen, aber der Sieg ist stets nufer, wenn wir nicht vor der Zeit feige die Flucht ergreifen. „Habe keine Sorge!" und mit der ganzen Energie, die auch in ihm lebte und nur immer so deutlich zur Erscheinung kam, verließ er die Schwester. Ottomar fand den Vater im Waffensaale, der in schönster Ord nung Mordwerkzeuge aus dem Mittelalter, aber auch die kostbarsten und prächtigsten Gewehre der Neuzeit barg. Es war eine reichhaltige Sammlung, die einen stattlichen, fast imponirenden Anblick gewährte, und der Graf hatte seine ganz besondere Schwärmerei für die Waffen sammlung; sie immer wieder durch ein kostbares oder seltenes Stück zu vermehren, war sein Vergnügen. Auch heute war er in den Besitz eines alten Ritterschwertes gekommen und deshalb in bester Laune, wie Ottomar beim Eintritt sofort bemerkte, denn der Graf zeigte ihm nach herzlicher Begrüßung triumphirend sogleich die alte Waffe und sagte lebhaft: „Nicht wahr, unsere Vorfahren waren doch ganz andere Männer!? Welch gewaltige Hiebe lassen sich mit diesem Dinge aus- theilen!" Er nahm das Schwert noch einmal in beide Hände und führte damit, nicht ohne die größte Anstrengung, einen Streich durch die Luft. „Unsere Ahnen würden über unsere heutigen Waffen noch mehr erstaunen entgegnete Ottomar. „Was wir an Körperkraft eingebüßt, hat der menschliche Geist reichlich wett gemacht." Zu anderen Zeiten würde dieser Widerspruch den Grafen unan genehm berührt haben; heute in seiner milden guten Stimmung sagte er nur: „Du weißt, ich kann mich mit unserer modernen Welt nicht befreunden. Dieses Jahrhundert der Erfindungen mit seinen albernen sozialen Fragen ist mir verhaßt. In unser ganzes Volk ist ein revo lutionärer Geist gefahren, den man völlig ausrotten müßte, dann erst bekämen wir die alte, gute Zeit zurück!" — Obwohl der Graf nur künstlich eine gewisse Ritterlichkeit in sich erzeugt hatte, wiegte er sich doch gern in den Jrrthum ein, daß er in seinen Anschauungen und Gedanken noch ganz einem früheren Jahrhundert angehöre und er hätte denjenigen für seinen schlimmsten Feind angesehen, der ihn der Selbsttäuschung bezichtigen gewollt. Auch lag es iu Ottomars Bestreben heute, den Vater möglichst zu schonen und in bester Laune zu erhalten; er entgegnete deshalb: „Vielleicht lerne ich auch einmal jene Tage besser schätzen, jetzt aber bin ich noch zu jung, und die Gegenwart allein hat für mich den höchsten Zauber. Der Graf legte mit bedauerndem Achselzucken das alte Ritter schwert aus den Händen; ehe er noch zu antworten vermochte, fuhr Ottomar fort: „Deshalb hab ich Dir schon längst eine Mittheilung machen wollen. — Aber wirst Du mich auch ruhig anhören — und mein lieber, guter Papa sein, wie Du es immer gewesen bist?" — er legte schmeichelnd beide Arme um die Schulter seines Vaters und iah ihn mit seinen Hellen Augen bittend an, der nun verwundert seinen Sohn betrachtete. „Was hast Du auf dem Herzen, Ottomar?! Sprich gerade heraus! Du weißt, daß ich Dir jeden Wunsch gern erfülle. Ist cs mir doch, als wärest Du mir von Neuem geschenkt worden!" „Ja, das weiß ich!" rief der junge Mann in tiefer Erregung, „und gerade deshalb fällt es mir so schwer — denn ich fürchte — nein, nein," fuhr er leidenschaftlich fort, ohne den lebhaften Einspruch des Vaters zu beachten, „ich habe nichts zu fürchten! Du liebst mich ja so unendlich, Du wirst meinem höchsten Lebensglück nicht entgegen sein." „Sprich nur!" sagte der Graf, der seine aufsteiaende innere Unruhe zu beherrschen suchte, denn er hatte bereits die Ahnung, daß ihn irgend etwas Unangenehmes erwarte. „Du wirst mich hoffentlich nicht mehr für einen unreifen Schwär mer halten," begann Ottomar von Neuem und seine Stimme hatte eine noch größere Sicherheit gewonnen, „wenn ich Dir bekenne, daß ich mein Herz an ein junges Mädchen verloren habe, daß mit der ganzen Gluth einer echten, wahren Liebe von mir Besitz genommen." „Und wer ist die Dame?" fragte der Graf; er hatte dabei, um seine innere Unruhe zu beschwichtigen, wieder nach dem alten Schwert gegriffen, als wolle er es noch einmal sorgsam betrachten. Erst bei dieser Frage richtete er seine Augen forschend auf den Sohn. Ohne zu stocken, ohne eine Miene zu verziehen, doch mit leiserer Stimme antwortete Ottomar: „Angelika Federigo!" Das alte Schwert fiel dröhnend zu Boden und regungslos, in sprachloser Aufregung starrte der alte Graf in das ruhige Antlitz seines Lieblings. Ottomar achtete wenig auf die furchtbare Bestürzung seines Vaters; auf das Geräusch des fallenden Schwertes schien er kaum gehört zu haben, denn er fuhr eifrig fort: „Ich weiß, zwischen Dir und Fede rigo besteht eine alte Feindschaft. Warum, habe ich nie erfahren; aber unsere junge Liebe soll Euren Haß auslöschen und" — Weiter kam er nicht, denn erst jetzt erwachte der alte Graf aus seiner zornigen Erstarrung: „Ottomar, das wagst Du mir wirklich zu sagen?! So ruhig zu sagen, als ob Du mir die freudigste Mitthei lung zu machen hättest. Nein, nein, es ist ja nicht möglich!" beschwich tigte er sich selbst. „Die entsetzlichen Ereignisse haben Dein Gemüth