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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlelm und die Umgegenden. Amtsblatt für die König!. Amtshauptmannschaft zu Meißen, das König!. Gerichtsamt und den Stadtrath zu Wilsdruff. Z. Dienstag, den 15. Januar 1878. Bekanntmachung, die Anmeldung der Wehrpflichtigen znr Necrutirungs Gtammrolle betreffend. Auf Grund der Bestimmung in Z 23 der Deutschen Wehrordnung vom 28. September 1875 fordern wir alle am hiesigen Orte aufhältlichen männlichen Personen, welche im Jahre 1858 innerhalb des deutschen Reichsgebietes geboren sind oder deren Eltern oder Fa- milenhäupter an irgend einem Orte desselben ihren Wohnsitz haben, sowie alle Diejenigen, welche bei früheren Gestellungen vom Militärdienst zurückgestellt worden sind oder ihrer Militärpflicht überhaupt noch nicht Genüge geleistet haben, bei Vermeidung von Geldstrafe bis zu dreißig Mar! oder von Haft bis zu drei Tagen andurch auf, in der Zeit vom 15. Januar bis zum 1. Februar 1878 unter Abgabe ihrer TeburtS- oder LosungLscheine sich Persönlich zur Aufnahme in die RecrutirungsstammroUe in der hiesigen Raths-Expedition anzumelden. Diejenigen Militärpflichtigen, welche keinen dauernden Aufenthalt haben oder von hier al^ dem Orte, wo^sie ihren dauernden Auf enthalt haben, zeitig abwesend si d, — wie auf der Reise begriffene Handlungsdiener, auf der See befindliche Seeleute, u. s. w. — sind von ihren Eltern, Vormündern, Lehr-, Brod- oder Fabrikherren, bei Vermeidung der angcdrohten Strafen, während des oben festgesetzten Zeitraumes zur Stammrolle anzumelden. Wilsdruff, am 5. Januar 1878. Der Stadtgemeiuderath. Ficker, Brgmstr. Wo dich der Schuh drückt? Das solltest du billig fragen. Denn daß er dich drückt, spürst du wohl. Vergnügt bist du nicht, und froh noch viel weniger; mit dem Verdienste hapcrt's; im Hause ist schlecht Wetter; das Lachen wird rar, und ein fröhliches Lied hört man seit lange nicht; die Frau macht ein griesgrämig Gesicht, wenn sie aufsteht, und ein verdrossenes, wenn sie zu Bette geht. Die Kinderdrücken sich auf die Gasse hinaus, so oft sie nur können, und wenn du nach Hause kommst, springt dir keines entgegen. Wenn du sie suchst, findest du sie zankend und balgend, und die Schläge, mit denen du sie traktirst, helfen weder ihnen noch dir, sondern machen den Rebel und den Zugwind im Hause nur noch ärger. Und zum Schluß noch die Noth mit der Dienstmagd, der unerträglichen Person, die jeden lieben Tag, den Gott werden läßt, zu einem Stein macht, der euch in der Kehle stecken bleibt. Es ist aus der Haut zu fahren, und wenn du nicht wirklich aus der Haut führst (was freilich auch seine Schwierigkeiten hätte), so ist das wahr lich nicht dein Verdienst. Du sagst: Wie komme ich unschuldiges Geschöpf zu dem Jammer? Bin ich doch von Kindesbeinen an ein ordentlicher Kerl und thue rechtschaffen meine Schuldigkeit. Suchet — sagst du — in der ganzen Stadt, oder im ganzen Dorf und eine Meile rund um mit Laternen, ob ihr noch solch einen Kerl findet, wie ich bin! Dann ist's aber doch, antworte ich, ganz kurios, daß ein so ordentlicher und außerordentlicher Kerl wie du, der den Kopf hoch trägt wie ein Held, ins Hinken gerathen ist und sein ganzer Hausstand mit ihm. Dn behauptest, nicht lahm zu sein. Gut, so wird dich der Schuh drücken. Aber wo drückt dich der Schuh? Und wenn einer auch ein Doktor ist, der sich auf Leder und Sohle, Zuschnitt und Gang, Absätze und Vorsätze und nicht blos auf die Hacken, sondern auch auf die Haken versteht, die in dem wunderlichen Ding, dem Menschenherzen, sitzen, so kann er doch meist weit besser sehen, wo einen Andern, als wo ihn selber der Schuh drückt. Wenn ich dir also heute sage, wo er dich drückt, so sollst du nicht räsonniren, sondern mir zur rechten Stunde denselben Freundschaftsdienst thun. Höre zu! Du hast den Sonntag vergessen! Wenn er vom Himmel herabschwebt auf goldenen Flügeln und will sein Morgenlicht dir m's dunkle Hous nnd in's Herz tragen, dann sperrst du die Fenster und sperrst dein Herz zu. Wenn seine Glockentöne dir Ruhe und Frieden bringen wollen, dann verstopfest du die Ohren und fliehst vor ihnen. Wenn er als ein Engel des Himmels an deine Thür klopft, tragt ein Füllhorn von Gaben, mit denen er dich und dein Weib und deine Kinder reich machen will, dann schließest du ihm die Thüre und löstest ihn traurig von dannen ziehn. Der Engel kehrt dann betrübt zum Himmel zurück und klagt vor Gottes Thron, daß du ihn hinausge- stoßen und seine Gaben verachtet hast. Und du wunderst dich, daß es mit dir trotz all deiner Rechtschaffenheit schief geht? Ich Will dir ein Bild deines Sonntags malen, nnd werde nicht ungeduldig darum, wenn das Conterfei getroffen ist. Schmerzt es dich, so denke, daß dies die Stelle ist, wo dich der Schuh drückt. Der Sonntag ist da! Acht Uhr Morgens. Draußen scheint die Sonne. Drinnen bei euch noch alles in den Betten, Kind und Kegel. In den Stuben dicke Luft zum Ersticke«. Kleidungsstücke und Wasche auf den Stühlen und am Fußboden umher. Kein reines Sonntags hemde liegt bereit. In der Nebenstube auf dem Tische ungewaschene Teller und Reste vom gestrige« Abendbrod, die dort die Nacht durch bivouakirt haben. Draußen hat die Magd eben zu handtiren be gonnen. Man sieht es ihr an, daß sie erst vor zehn Minuten auf- zestanden ist. Schlumpig ist sie von oben vis unten, ein lebendiges Bild des Hasses gegen Kamm, Seife und Nadel. In der Schlaf stube wird es lebendig. Die Buben fangen an aus den Betten zu kriechen. Bald schelten sie auf einander los und prügeln sich mit ihren Hosenträgern. Den Einen trifft eine Schnalle an den Kops und er heult. Du springst scheltend und keifend dazwischen und deine Ehefrau hilft dir. — Draußen lauten die Glocken den Sonntag ein. — Ob ihr vor dem Frühstück mit einander die Hände faltet? — Freund, hast du schon einmal am Sonntags-Morgen mit deiner Frau und deinen Kindern einen Psalm gelesen und ein Vaterunser gebetet? Oder hast du mit ihnen je einen Choral gesungen? „Morgenglanz der Ewigkeit, Licht voni unerschöpften Lichte!" oder „Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren!" — Wie konntest du das? Dein Herz stand dir nicht danach. Dein Herz war ohne Morgenglanz der Ewigkeit, lichtlos und trübe, und von dem Gotteslobe, das allein die Menschenseelen froh und frei macht, wußte die deine nichts. Freilich läßt es sich auch schlecht singen und beten, wenn man bis in den lichten Tag hinein geschlafen hat, wenn die Stube nicht gelüftet und der Tisch nicht sauber ist; wenn die Kinder nicht rein gewaschen und sonntäglich geschmückt sind, und die Hausfrau, wie die ganze Welt im Argen liegt, — und wenn du selbst dir sagen mußt: Ich habe nichts gethan, daß es besser werde. Hernach siehst du wohl, wenn du zum Fenster hinausschaust, wie die Kirchgänger vorüberziehen. Aber dir und euch kommt nicht . einmal die Frage in den Sinn, ob ihr zur Kirche gehen möchtet. Seit wie lange bist du in keine Kirche gekommen? Hast du es ver lernt, dich mit der Gemeinde vor Gottes Angesicht zu beugen? Kennst du Gottes Wort schon genug, um es dir nicht verkünden zu lassen? Hast du keine Noth und kein Leid und kein Begehren nach Frieden im Herzen, das nur an des Herrn Altären gestillt werden kann. Ich fürchte, du fliehst Gott, weil du die Einkehr in dch selber fliehst. Sonntagszeit ist Einkchrzeit. Aber du sprichst: Nein! Sonntagszeit ist Arbeitszeit! Ich muß mein täglich Brod verdienen! Ich muß ar beiten! — Und wenn ich nun Glockzehn dich suche, finde ich dich in der Werkstücke, oder an deinem Schreck tische, oder in deinem Geschäft. Tu armer Sklave! Nimmst du doch sonst den Mund voll, wenn du von Freiheit redest, und du selbst schmiedest c ich in Ketten und willst auch am Sonntag von der Freiheit der Kinder Gottes nichts wissen. — Wo ist deine Hausfrau zur Zeit des Gotte dienstes? Da sitzt sie in einem Aufzuge,'der auch für den Werkeltag zu unsauber ist, und flickt ihr Sonntagskleid, das vor acht Tagen in dem Gedränge des Biergartens höchst unangenehme Risse bekommen hat und dem die Schleppe von einem Kürassier fast abgetreten ist. Die ganze Woche hindurch hat sie das trübselige Staatskleid in seinem Jammer liegen lassen, nun muß eS um die elfte Stunde, nämlich Sonntag Vor mittags, kurirt werden, damit sie heute Abend die Straße entlang und beim Coneerte im Biergartcn wieder darin paradire. Die Buben treiben sich a..f der Straße umher oder lungern in den Winkeln. - Der Sonntag ist ihnen nur bekannt als ein Tag des Müssigganges s und des Unfuges. Dann bis zum Mittagessen steht die Frau am . Heerd, und die Suppe ist nicht rechtzeitig bereit, d na am Kleide i war allzuviel zu flicken, und dann muß es noch geplätiet werden, j Du bist bei deiner Arbeit hungrig geworden und wartest auf die i Mahlzett. Du fängst zu schmollen an, daß sie nicht bereit ist. Dn schilts die Frau, und die Kinder hören es. Die Frau wird döse, und weil sie ihre Bitterkeit nicht gegen dich auslassen kann, so bekommen die Kinder sie zu schmecken. Da werden die Buben frech gegen die Mutter, denn sie haben's gehört, daß du sie gescholten hast. Der Mutter läuft die Galle über, und euch Allen schmeckt das Mittagbrod bitter wie Galle. Kaum ist es hinuntergewürgt, so drehst du den Rücken und gehst deiner Wege. Dir steht der Sinn nicht danach, mit Fran und Kindern )en Nachmittag zu theilen. Keine stille Stunde häuslicher Gemeinschaft ist euch vergönnt. Du gehst zu deinen Freunden,