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für Wilsdruff, Tharandt, Rvffen, Sievenlehn und die Umgegenden. Mmtsöl'att für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. ML. Dienstag, den 28. Decemöer 1868 Tag esgeschichte. Wilsdruff, am 27. December 1869. So liegt denn wieder einmal das liebe schöne Weihnachtsfest hinter uns. Wahrlich, immer wieder, in jedem Jahre, begrüßen wir es mit der reinsten uneigennützigsten Freude. Fort dann mit den Sorgen des Lebens, mit den Zänkereien der Politik, denn „Friede auf Erden" soll es sein, auch der Verstand will einmal Feiertag ha ben und sich der Macht des Herzens willig unterwerfen. Uns Deut schen ist das Weihnachtsfest ein Genuß tiefinnerster Art, den keine Nation der Erde so verlangend mitempfindet. Die Kirche hat den religiösen Grundton des Festes mit den Sitten und Sagen des Vol kes zu verweben gewußt und so ist das Weihnachten nicht nur ein religiöses, sondern auch ein volksthümliches Fest geworden und wird es bleiben. Dann rauscht der deutsche Märchenwald an uns vorüber und jede deutsche Seele thut sich auf, jeder Sinn versenkt sich in die Seeligkeit der Kindheit. Die Alten werden wieder jung; sie wollen es an diesem Tage in ihrem Gemüth sein; sie wollen ihr Weihnachts fest dadurch begehen, daß sie des Lebens Sorge und Widerwärtig keiten mit der holden Erinnerung ihrer Kindheit vertauschen, damit sie bei den Lichtern des dunklen Waldmärchcn sinnenden Tannenbaums, bei dem Glanz der freudestrahlenden Augen ihrer Kinder sich die schöne Zeit der Jugend zurückrufen. Das Genießen des Vergangenen, des nie Wiederkchrcnden — gerade am Weihnachtsfeste übt es einen mächtigen Zauber auf die Seele aus. Der Bejahrteste wirft an dem Festabende, wenn der Baum in Lichtglanz prangt und feine Familie dankbar die Gabe der Liebe empfängt, einen Blick auf die eigene Jugend zurück. Er sagt sich: „So freutest Du Dich einst, wie diese Kinder; so beschenkten auch Dich einst Vater und Mutter, die längst im stillen Grabe ruhen; so werden Deine Kinder, wenn sie alt geworden und ihre Familie beschenken, an diesem Fest auch Deiner und der Freude gedenken, die Du ihnen bereitet hast.". Liegt nicht in diesem Gedanken ein wunderbarer Zauber? Die eigne Kindheit taucht in der Seele auf, das Bild von Vater und Mut ter belebt sich mit frischen Zügen und zugleich blickt man weit in die Zukunft hinaus, sich nur noch als ein lheures Andenken seiner Kinder wähnend. Und dabei die Freude, so recht innig die Wahrheit des Wortes zu empfinden: „Geben ist seliger, als nehmen!" Arm und Reich haben die gleiche Freude; da hat Niemand etwas Voraus, ob er viel geben kann, ob winzig wenig. Der einzig Bedauernswerthe ist nur der, welcher kein Gemüth besitzt, diesen wahrhaft heiligen Kin dessinn des Weihuachtsfestes zu verstehen, dem — und stünde er vor Diamanten und Perlen — doch die Thore der Zauberwelt des Kind lichen verschlossen bleiben. Denn seht, das macht uns so glücklich, weil es uns geistig er hebt, weil es uns poetisch durchdringt und eine reine ungetrübte Feier der Empfindungen aufruft, welche sonst, im Sorgen um das Leben, bei harten Arbeiten jUiimöglich ist. Da muß immer der Verstand sinnen und sinnen, wie dem Leben und seinen Tücken zu trotzen sei; da muß die Hand immer und immer arbeiten, damit wir uns und den Unsrigen die Noth — die alle Freude mordet und alles Men schenwürdige vernichtet — fernhaltcn. Aber am Weihnachtsabend — da kommt das Herz zu Ehren und sein Reichthum breitet sich vor uns aus. Selbst da, wo die Freude nur unter Thrünen Hervorbrechen kann, wo Wehmuth sie verschleiert, schöpft die empfängnißvolle Seele tiefer und labender aus dem Brunnen der Hoffnung. — In der letzten Sitzung der zweiten Kammer vor den Ferien hat noch das Cultusministerium eine cclatante Niederlage erlitten, die da durch in ihrem Effecte nicht abgeschwächt wurde, daß der Chef die ses Departements, Frhr. v. Falkenstein, der Sitzung nicht beiwohnte, vielmehr in Leipzig war und die Vertretung seiner Handlungen le diglich seinen Rächen überließ. Auf die früheren Veranlassungen der Entstehung und Steigerung der bedauerlichen kirchlichen Zerwürfnisse in Riesa kam es hier weniger an und sie wurden auch bei den De batten in der Kammer nur nebenher berührt; hier handelt es sich einfach um das große Princip der Versammlungsfreiheit auch in kirchlichen Dingen. Dieses Princip war offenbar vom Cultusmini- sterium infolge einer einseitigen Auslegung von 8 30 der Kirchenvor standsordnung verletzt worden. Der Anerkennung dieser Thatsache vermochten selbst die Conservalivsten in der Kammer sich nicht zu ent ziehen, und so geschah das allerdings kaum noch Dagewesene, daß für einen von der einen Seile der Kammer heftig angegriffenen Mi nister auch nicht Eine Stimme von der andern, selbst nicht aus der Mitte der eigentlich ministeriellen Partei sich erhob und schließlich die ganze Kammer wie Ein Mann das Verfahren des Ministeriums ver- urtheilte. Die Abgeordneten haben jetzt durch die längere Pause in ihren Arbeiten Gelegenheit und Muße, mit ihren Wählerschaften persönliche Rücksprache zu pflegen nnd sich auf diese Weise zu überzeugen, theils ob ihr bisheriges Vorgehen deren Beistimmung und Unterstützung findet, theils welche Ansichten und Wünsche in Betreff der in beiden Kammern noch rückständigen Berathungsgcgenstände in den Kreisen des Volks sich kundgeben. Gewiß werden sie von dieser Gelegenheit nach Möglichkeit Gebrauch machen. Das Land hat offenbar an dem Gange des diesmaligen Landtags mit lebendigen« Interesse als seit langeher theilgenommem Eine Aussprache des Volks in kleinern oder größeren Kreisen über das von der Volksvertretung schon Gethane und noch zu Thuende kann dieser letzter» nur erwünscht und dem Er folge ihrer Arbeiten nur förderlich sein. Der Verkauf der königl. sächs. Staatseisenbahnen, den der Abg. Schnorr im Landtag beantragt und in einer besonderen Brochüre vcrtheidigt hat, findet im Sprechsaal der Leipziger Zeitung eine ein gehende und schlagende Abfertigung. Mit Bestimmtheit läßt sich wohl annehmen, daß selbst die zweite Kammer jedes solche Verkaufs- prozect der Staatseisenbahnen zurückweisen wird. Die letzte Nummer dieses Jahrganges des „Amtsblattes für die landwirthschaftlichen Vereine rc. des Königreichs Sachsen" bringt eine Erklärung des bisherigen Redacteurs, des Geh. Regierungsraths vr. Reuning, daß er mit dieser Nummer die Redaction niederlegt und die weitere Anzeige, daß die Kreissecretäre Koch und Richter mit Ge nehmigung des Ministeriums des Innern die Fortführung der Ne daction vöm nächsten Jahre an übernommen haben. Die Arbeiten zur Rettung der in Dresden beim neuen Mili- tärfouragc-Magazin verunglückten Brunnenarbeiter sind am Dienstag sistirt worden, da aufs Neue Senkungen wahrgenommen worden sind. Die Bergleute haben ihre Arbeit eingestellt. Ain Montag hielt in dem von Zuhörern dicht gefüllten Ver sammlungslokale des Berliner Arbeitervereins Jacob Venedey, der alte Kempe aus der Paulskirche, einen Vortrag, wobei er, den Geist das Wesen und die Erfolge des SoldateuthumS characterisirend, ein vernichtendes Urtheil über dasselbe aussprach. „Wo das Soldaten thum jemals geherrscht hat, zerstört es die Cultur und führt zur Barbarei. Das ist eine geschichtliche Wahrheit, welche von dem Soldatenthum Alexanders von Makedonien bis in die neuste Zeit gilt. Auf diese übergehend, wies Redner zunächst nach, daß Europa jähr lich 1710 Millionen Thlr. für das Soldatcuthum verschwende, eine Summe, von der 3'/^ Mill. Familien ohne Noth leben könnten. „Aber die Geldverschwendung ist eS nicht allein, wa-S daZ Soldaten thum verwerflich macht; weit schlimmer ist es, das allüberall da, wo das Soldatenthum herrscht, alle höher« Begriffe der Memschcnwürde verlöre« gehe«. . . . Diese« Uebelstände« ist «ur abzuhelfe« durch wahrhafte Rüstuug der ganze« Nation. Löse« Sie das Soldaten- thum auf und bewaffnen Sie die ganze Nation, dann haben Sie 5 Mill. Bürgersoldaten, die, wenn cs sein muß, gegen die ganze Welt ihre Freiheit, ihr Vaterland, ihre Ehre mit Erfolg Vertheidigen. (Stürmischer Beifall.) Ein seltenes Jubiläum feierte in einer der letzten Nächte ein sehr beachlenswerther Mann, der namentlich bei der Behörde eine lange, große Nolle gespielt. Es wurde nämlich in Leipzig ei« Man« zur Haft gebracht, der als ei« unverbesserlicher Corrcctionär bekannt und bereits 99 Mal — arretirt worden isfl Dies war das hun dertste Mal — und somit feierte er sei« hundertstes Jubiläum als Arrestat und sieht auch seiner hundertste« Strafe entgege«. Wege« Herabwürdigung des Vaternnsers (Art. 232 des Straf gesetzbuchs) ist in Leipzig die Nummer 22 des Organs der unter Lei tung der Herren Bebel nnd Liebknecht stehenden social demokratischen