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Zweites Blatt. I WlM, NO«, Mkckh« I«d die UMWdii. Amts b tcrtt für die Kgl. Kmtshauptmannlchaft zu NeWn. das Kgl- KmtsgerichL und den Siadiralh zu Wilsdruff. Grschcint wöchentlich zweimal, Dienstag und Freitags. — Abonnementpreis vierteljährlich 1 Mark. Einzelne Nummern 10 Pfg. — Inserate werden Monta-S und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. r^Nr. 20. Freitag, den 11. März 1887. rot ik n. rf- I e 'utsch el»». Irauenuriheil. Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane „Im Sonnenschein", „Der Stadtschreibcr" rc. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Das junge Mädchen schien auf den Spott nicht zu achten und er zählte in seltsamer Hast weiter: „Ich wußte, daß der Jäger immer Arse nik habe und bat darum. Er gab mir auch die Büchse dort, und ich brachte sie dem Scholzen." Die Angeklagte hielt verlegen inne, als fände sic sich selbst noch nicht in ihrem Lügengewebe zurecht. „Ich hatte gesehen, daß er das Gift in den Schrank schloß," fuhr die Angeklagte unsicher und schwankend fort; „da nahm ich ihm den Schlüssel heimlich weg und das Gift heraus, und dann —" sie vollendete nicht und brach in heftiges Weinen aus. Als Bertha etwas ruhiger geworden war, blickte sie scheu und furcht sam in das strenge Antlitz des Gerichtsraths, der jetzt über die plumpen Lügen der Angeklagten ein verächtliches Lächeln kaum unterdrücken konnte. „Warum händigten Sie dem Scholzen das Arsenik ein, wenn Sie allein die Frau vergiften wollten?" Die Angeklagte erschrak; diese Frage hatte sie nicht erwartet und mit ihrem scharfen Verstände begriff sie sogleich die Richtigkeit derselben. Wieder mußte sie einige Augenblicke die Antwort schuldig bleiben, dann entgegnete sie lebhaft, als sei sie erfreut, noch einmal einen Ausweg gefunden zu haben: „Erst als ich Ferdinand das Gift gebracht hatte, kamen mir die bösen Gedanken — nun fühl' ich wohl, daß ich ihn selbst damit recht unglück lich gemacht hab'." — Die Antwort war eines schlauen Kammerkätzchens völlig würdig, und der Gerichtsrath fühlte eine gewisse Genugthuung, daß er bald die List und Verschlagenheit der Angeklagten durchschaut und an ihrer Unschuld gezweifelt habe. „Und dann bekennen Sie sich auch des ersten Verbrechens schuldig?" war jetzt seine ruhige Frage. Bertha fuhr erschrocken zurück — ihre blassen Wangen rötheten sich und mit großer Heftigkeit entgegnete sie: „Nein, das Kind habe ich nicht getödtet, das nicht!" und ihre Augen glänzten, während sie zur Betheuerung die Hand auf die Brust legte. Weitere Geständnisse waren dem verschmitzten Geschöpf nicht abzu pressen. Die Angeklagte wurde wieder in das Gefängniß zurückgeführt. Aus dem ganzen Benehmen Berthas ging hervor, daß sie den Scholz schonen wollte — auch dieser suchte die Schuld von seiner Geliebten ab zuwälzen; aber Beide hatten sich schon zu sehr in Widersprüche verwickelt als daß noch ein Zweifel an ihrer gemeinschaftlichen Schuld hätte vor walten sollen. Die Unwahrheit der letzten Angaben Bertha's stellte sich bald über zeugend heraus. Mit großer Theilnahme hatte sich die Gräfin von dem weiteren Gange der Untersuchung berichten lassen, und als ihr beim näch sten Besuch der Gerichtsrath msttheilte, daß Bertha jetzt ihr Verbrechen bekannt habe, und damit wenigstens ihre Mitschuld außer Zweifel sei, fragte sie lebhaft: „Wann ist die Scholzenfrau gestorben?" „Acht Tage vor dem Tode ihres Kindes, also am 16. März," ant wortete der Rath. „Sehen Sie, lieber Rath, daß ich Recht hatte," bemerkte die Gräfin lächelnd; „Bertha kann den Mord nicht begangen haben, denn ich war zu jener Zeit in der Hauptstadt, die Kleine mußte mich begleiten, und ich kam erst am 18. März zurück." Der Gerichtsrath konnte sein Erstaunen nicht unterdrücken. „Sie zweifeln noch, lieber Rath?" fuhr die Gräfin fort. „Kennen Sie nicht meine Neigung für heimliche Reisen? Oft wissen es nur meine vertrautesten Leute, daß ich fort bin. Und da ich Ihnen das Alibi Bertha's nachgewiesen, werden Sie nun das arme Mädchen von dem schweren Ver brechen freisprechen?" „Wenn Sie Ihre Aussage beschwören, Frau Gräfin; dann ist we nigstens ihre Unschuld an der Vergiftung der Scholzenfrau festgestellt." „Muß ich das wirklich?" fragte die Gräfin erschrocken. „Was Ihr Herren vom Gericht doch umständlich und argwöhnisch seid. Gilt Euch denn niemals das einfache Wort einer ehrlichen Frau?" Der Gerichtsrath zuckte nur mit den Achseln. „Schon gut," entgegnete die Gräfin mit liebenswürdigem Lächeln; „wenn es gilt, einen Unschuldigen zu retten, schwinden alle Bedenken. Ich werde meine Aussage beschwören und kann Ihnen schlimmsten Falls noch andere Beweise liefern, daß ich zu jener Zeit mit der Kleinen in der Residenz war." Der Gerichtsrath mußte jetzt ebenfalls lächeln und sagte artig: „Ihre Aussage genügt vollkommen." Die Gräfin leistete den Eid, und es konnte nun keinem Zweifel un terliegen, daß die Angeklagte von der Anschuldigung des zweiten Mordes freigesprochen werden mußte. Sowohl die Gräfin als auch Frau v. Z. suchten dem Gerichtsrath dadurch zu beweisen, daß Bertha überhaupt un schuldig sei und auch das Kind nicht vergiftet habe. Der Gerichtsrath hingegen fand in diesem Umstand nur einen neuen Beweis der Schlauheit dieser verschlagenen, einschmeichelnden Person und behauptete: „Sie bekennt sich dort schuldig, wo sich bald ihre Unschuld heraus- ! stellen muß und leugnet dort, wo sie den Mord begangen hat; das ist der Kunstgriff eines echten Verbrechers." Vergeblich suchten die beiden Frauen dem Gerichtsrath eine andere Meinung beizubringen, und je lebhafter die Frauen für Bertha Partei nahmen, desto mehr beharrte der junge Kriminalbeamte bei seiner Ansicht, die ihm durch jahrelange Praxis gerechtfertigt erschien. Er strengte jetzt all' seinen Scharfsinn an, um die Angeklagte hinsichtlich des ersten Mordes immer mehr in ein Netz von Widersprüchen zu verstricken. Alle Mühe des Rathes blieb vergeblich. Bertha war auch durch das lebhafteste Kreuz feuer von Fragen weder in Verwirrung noch zu einem Geständniß zu bringen. Als sie der Rath mit der Aussage der Gräfin bekannt machte und ihr damit die Unwahrheit ihrer Angaben vorhielt, rief sie mehr er schrocken als erfreut: „Das hat die Gräfin gesagt? O, sie ist engelgut, das hab' ich nicht verdient!" „Sie haben also durch Ihre falschen Angaben bewiesen, wie wenig auf Ihre Wahrheitsliebe Gewicht zu legen ist," sagte der Gerichtsrath streng. Die Angeklagte erbleichte, ihre Augen irrten unruhig umher. „So habe ich ihn doch nicht retten können!" flüsterte sie vor sich hin und brach dann in einen Thränenstrom aus. Alle Bemühungen waren vergebens, sie zum Bekenntniß zu bringen, weshalb sie sich gerade des zweiten Mordes für schuldig erklärt habe? Sie verharrte in einem hartnäckigen Schweigen und wiederholte nur: „Ich fühl, daß ich dem Untergang geweiht bin, und finde mich schon in mein finsteres Schicksal." Es waren die alten Redensarten, die Herrn v. Z. immer widerlicher wurden. Bald sollte der Gerichtsrath die Genugthuung haben, daß sein Vorurtheil gegen Bertha Lindner nur allzu gerechtfertigt war. — Nachdem der Gerichtsrath auch gegen den Scholzen vergeblich inquirirt hatte und es ihm nicht einmal gelungen war, den schlichten, einfachen Mann zu einem offenen, ehrlichen Bekenntniß seiner Schuld zu bewegen, fand sich eines Tages im Gerichtszimmer ein Mann ein, dessen Zeugniß plötzlich der Sache eine andere Wendung geben und sie zum Schluß führen mußte. Es war der Kammerdiener der Gräfin. Der Zeuge mußte ein hoher Vierziger sein; — nur spärliches, bereits grau gewordenes Haar bedeckte seinen Scheitel. Das gelbe, runzelige Gesicht zeigte ein fortwährendes, freundliches Grinsen, und sein ganzes unterwürfiges Auftreten verrieth einen Mann, dessen Rücken sich im jahrelangen Herrendienste die größte Ge schmeidigkeit erworben hatte. Der Kammerdiener war ein langer hagerer Mann, und seine ungewöhnlich langen Arme befanden sich durch die Ge wohnheit des Servirens fortwährend in einer Stellung, als müßten sie ein Theebrett halten. Benno Greiner, so hieß der Kammerdiener, entfaltete das Benehmen eines vornehmen Mannes; nur hatte sein ganzes Auftreten etwas Lauerndes, und das gelbe, scharf geschnittene Gesicht deutete auf einen neidischen Charakter. Er schien geneigt, eine weitläufige Auseinandersetz ung vorauszuschicken, ehe er auf den Kern der Sache übergehen wollte, und der Gerichtsrath mußte erst alle seine Bedenklichkeiten mit den un geduldigen Worten abschneiden: „Kommen Sie zur Sache!" „Wie Sie befehlen, Herr Gerichtsrath!" antwortete der Kammerdiener geschmeidig, „aber ich wollt' mich nur entschuldigen, warum ich so spät vor Gericht erscheine." Der vorsichtige Mann blickte dabei aufmerksam in das Antlitz des jungen Richters, und als seine scharfen Augen keinen weiteren Widerspruch entdecken konnten, fuhr er rasch und mit großer Gewandtheit fort: „Meine gnädige Herrin hat ein solch' ungewöhnliches Interesse an der elenden Mörderin genominen, daß ich bisher nicht gewagt hab', mit meiner Wissenschaft vorzutreten, um nicht die Frau Gräfin zu erzürnen." „Sie nennen mit solcher Entschiedenheit Bertha Lindner eine Mör derin, während nicht einmal das Gericht sie schuldig finden kann," bemerkte der Gerichtsrath. „Sie ist eine Mörderin, ich kann es beweisen!" entgegnete der Kam merdiener mit einem gewissen Pathos und warf sich in die Brust. Der Gerichtsrath blickte den neuen Zeugen verwundert an. „Welche Beweise haben Sie dafür?" „Die schlagendsten!" war die Antwort. „Ich selbst hab' durch's Kammerfenster gesehen, wie sich die elende Dirne über die Wiege des Kin des hinweggebeugt und dem armen Würmchen Etwas eingeflößt hat." „Das haben Sie gesehen?" fragte der Gerichtsrath erstaunt, „und Sie machen erst jetzt eine Anzeige davon?" setzte er entrüstet hinzu. Der Kammerdiener ließ sich nicht außer Fassung bringen, mit der ganzen Unterwürfigkeit eines Bedienten entgegnete er höflich: „Ich sagte schon vorhin dem Herrn Gerichtsrath, daß ich aus Furcht vor der Frau Gräfin geschwiegen habe, und dann — ich wollte das arme Mädchen nicht vollends unglücklich machen." Das gelbe Gesicht des Kammerdieners legte sich in die rührendsten Falten; es schien Etwas wie eine Thräne in seinen grauen Augen zu schimmern. Eines gewissen Widerwillens gegen diesen Mann konnte sich der Ge richtsrath nicht erwehren — ihm erschien das Benehmen des Kammerdieners wie eine elende Heuchelei. Und doch — darf ein Richter solch'Persönlichen