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MochcMcül für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sicbenlchn und die Umgegenden. Amisökaii für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Gtadtrath daselbst. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags und lostet vierteljährlich 10 Ngr. — Jnseratenannahme bis Montag rcsp. Donnerstag Mittag. 71. Dienstag, den 9. September. 1873. Tagesgeschichte. Aus vielen deutschen Städten, namentlich auch aus den ver schiedensten Städten unseres engeren Vaterlandes, ergehen die erfreu lichsten Berichte über die oft in sehr großartigem Maßstabe durchge- sührte Feier des 2. September. Die tiefempfundene Freude über die dem deutschen Vaterlande errungene würdige Stellung nicht zum kleinsten Theile gewiß auch das wohlthuende Bewußtsein, daß das im deutschen Volke tief wurzelnde Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit nun cinen sichern Grund und im deutschen Kaiserreiche einen greifbaren Ausdruck gefunden, haben durch Begehung des Tages von Sedan cinen Centralisationspunkt sich erwählt, auf welchem stch, gleich dem Gedenktage der Schlacht bei Leipzig, alljährlich die patriotischen Em pfindungen concenlriren werden. Der 2. September 1870 ist einer von jenen Welt-Pfingsttagen, deren Schwerterklirren wie das Einläuten einer neuen Epoche hinäus- klingt in die fernsten Jahrhunderte. Ihn wird nicht nur die Geschichte der Könige, der Waffenerfolge, der Eroberungen, ihn wird auch die Geschichte der Cultur verzeichnen als cinen Befreiungstag der Seelen. In der dunklen, von Kanoncnblitzen zerrissenen Rauchwolke, die über dem weiten Schlachtfelde von Sedan lagerte, war ein erlösender Frühling verborgen. Aus dem Krachen der Geschütze, dem Knattern der Gewehre, aus dem Aechzen der Verwundeten und dem Seufzen der Sterbenden heraus klang das vorahnendc Echo des Victoriarufes in dem Geisterkriege gegen" Rom. In der Sommernacht, die mit barmherziger Kühle sich über Tausende von Verwundeten legte und nstt schwarzem Tuche die Gestorbenen deckte, war das Morgenroth der einst weltbcherrschenden Gewissensfreiheit geborgen. Nicht allein zu Eroberungen deutschen Gebietes zogen die fränkischen Legionen aus. Gleich der spanischen Armada kamen sic mit Kettenklaug und einem neuen Gotte. Dem deutschen Geiste freier Forschung wäre durch Napolcon's Siege das Knie des Unfehlbaren auf die Brust gesetzt, die Würgerkralle des Jesuitismus um den Hals geschlungen worden. Es ist anders gekommen. Sedan ist zum Marathon der modernen Cultur geworden. Deutschland muß wider die Seclenhenker den Kampf auf geistigem und politischem Gebiete zu Ende führen. Es Muß siegen oder'untergehen, und es muß siegen, weil cs bestehen Mill. Diesen Kampf känipft es nicht für sich allein, es kämpft ihn für die Menschheit. Und zu diesem Streite sammelt am Sedan-Tage das deutsche Volk neue Kraft aus der Erinnerung an den Triumph in dem furchtbaren Waffengange. So schreibt am 2. September eine deutsche Zeitung, aber nicht in Berlin, München, Stuttgart oder Augsburg, sondern in Wien, die N. Fr. Pr. Der Enthüllungsfeier des Siegesdenkmals in Berlin am 2. Sep tember wohnte der Kaiser mit allen Prinzen und Feldmarschällen bei. Feldpropst Thielen hielt die Weiherede. Als die Hülle fiel, intonir- len alle Musikchöre die Volkshvmne, die Artillerie löste 101 Schliffe und alle Glocken läuteten. Der Domchor schloß die Feier mit dem Choral: Nun danket Alle Gott! Bei der Festtafel richtete Kaiser Wilhelm folgende Worte an die Versammelten: „Am Denkmal aus dem Krcuzberge treten uns die Werke entgegen: „Den Gefallenen zum Gedächtniß, den Lebenden zur Anerkennung, den künftigen Ge schlechtern zur Nacheiferung." Kriege werden nicht geführt, Siege nicht errungen ohne große Opfer. Die letzten Kriege haben deren nur zu schwere und schmerzliche gefordert. Den Gefallenen im Stillen Unser erster Trank! Während des segensreichen Friedens eines halben Jahrhunderts ist in Preußen die Anerkennung der ruhmreichen Thaten der Befreiungskriege nie erloschen. Diese Erinnerung hat im Herzen der jungen Generation wicdergetönt und sic gehoben als es galt, von Neuem zu den Waffen zu greifen, sie hat die Armee gestählt zu neuen «legen, sie hat die Opferfreudigkcil des Volkes belebt und geschlagene Kunden sorglich und liebend gepflegt. So ist jene Mahnung zur Nacheiferung in erhebendster Art in Erfüllung gegangen. Die Sieges säule verkündet der Mit- und Nachwelt, was Hingebung und Aus dauer vermögen. In Verbindung mit unseren treuen Verbündeten im letzten glorreichen Kriege schritten wir von Siegen zu Siegen, welche Gottes gnadenreicher Wille uns bescheiden wollte bis zur Einigung Deutschlands im neuen Kaiserreich. So leere ich denn mein Glas zum Dank dem opferwilligen Volke, zum Danke meinen hohen Verbündeten und zum Danke für unsere ruhmreiche Armee." Der 5. September, bietet für Deutschland sowohl als auch für Frankreich ein ganz besonderes Interesse, da an diesem Tag die letzte Zahlung von 250 Millionen Franken derFünfMil- liarden betragenden Kriegsschuld Frankreichs an Deutschland erfolgt ist. Nach übereinstimmenden offiziellen Mittheilungen aus Berlin und Paris ist dieser wichtige Schlußact der größten Kriegs- contributionsleistung, die bisher in der Weltgeschichte vorgekommen, bestimmt in Berlin vor sich gegangen, und Frankreich ist somit seiner Verpflichtungen gegen Deutschland, die es für den muthwillig hcrauf- beschworenen Krieg'übernehmen mußte, ledig! Drei Tage darauf, am 8. September, erfolgte als Gegenleistung Deutschlands die gänzliche Räumung des französischen Gebietes durch die Occupalionstruppen. Die außerordentlich schnelle Abtragung der französischen Kriegsschuld beweist am deutlichsten, daß die Summe, welche beim Friedensschlüsse deutscherseits verlangt wurde, gar nicht zu hoch gegriffen gewesen ist, denn trotz der mannichfachen Störungen, die das Regierungsshstem in Frankreich seit dem Jahre 1871 erlitt, gelang die Zahlung weit früher als Anfangs stipulirt war. Frankreich hatte Zeit bis zum I. März 1874, aber der außerordentliche Credit, der ihm zu Gebote stand, ermöglichte die schnellere Abstoßung. Der außerordentliche Reichthum dieses Landes zeigt sich eben darin, daß es nicht nur mit Leichtigkeit die Zinsenlasten für die ungeheure angewachsene Staats schuld (in runder Zahl 23 Milliarden Franken) aufbriugt, sondern daß auch Handel und Gewerbe noch immer sich in blühendem Zu stande befinden, die Bevölkerung sonach den Druck der hohen Steu ern gar nicht zu empfinden scheint. Wie sehr infolge dieser raschen Abtragung der Kriegsschulden den Franzosen wieder der Kamm ge schwollen ist, davon haben die französischen Zeitungen zur Genüge den Beweis geliefert und leider wird es auch an diesem 5. Septmber wenige Organe der französischen Presse geben, welche mit nüchternem Auge die Stellung Frankreichs und seine Zukunft betrachten. Wir müssen also nach wie vor mit der größten Aufmerksamkeit die Vorgänge in diesem Lande verfolgen und zwar ganz besonders jetzt, wo der NltramontauismuS und die Jesuiten es sich zur Aufgabe ge setzt haben, durch ihre pfäffischen Bestrebungen den Haß der fran zösischen Bevölkerung gegen uns Deutsche und unser neubegründetes Reich zu nähren. Aus Straßburg 3. September schreibt man der „N. Z.": Zwei hiesige junge Leitte, ein Kaufmann und ein Eisenbahubeamter, die von Avricourt aus mit einem dortigen Freunde, ebenfalls einem Eisenbahnbeamten, letzten Sonntag einen Abstecher nach Luueville unternahmen, erfuhren dort Seitens der Bevölkerung die größten Beschimpfungen und Mißhandlungen. Als man sie erkannt hatte (der Eine trug seine Dienstmütze) wurden sie umringt, gestoßen, ge treten, mit Steinen und Koth beworfen und schließlich au die Meurthe- brücke gedrängt, über deren Geländer mau sic bereits, um sie hinuntcr- zustürzen, emporhob, als sich ein französischer Hauptmann noch recht zeitig ins Mittel legte und sie unter eigener Lebensgefahr in eine nahe gelegene Kaserne entführte. Die Menge schwoll bis aus 3000 Personen an, umstellte und erkletterte zum Theil die Kaserne, so daß es der herbeigeeilte Kommandant aus Furcht vor einem Aufruhr nicht wagen zu können glaubte, die Deutschen unter dem Schutz einer Es korte durch die offene Straße nach dem Bahnhof führen zu lassen, sondern sie unter der Begleitung des obengedachten Kapitäns und von