Volltext Seite (XML)
Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. ^Dieser Blatt erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags und kostet vierteljährlich 10 Ngr. — Jnseratenannahme bis Montag resp. Donnerstag Mittag. 69. Freitag, den 4. September 4874 Der Tag von Sedan. Eine erhebende Festfeier vereinigte gestern das ganze deutsche Volk allen Gauen unseres schönen Vaterlandes. Die tägliche Arbeit ruhte. In bewegter dankbarer Erinnerung gedachten Millionen der streßen Ereignisses deren Zeuge wir gewesen sind, — jener Ereignisse, die uns ein einiges Vaterland geschaffen, die Schmach der Jahrhun derte von uns genommen und uns mit Muth und Kraftgcsühl für alle Znkunsl durchdrungen baden. Wer unter uns wollte leugnen, daß die Tage vom August 1870 bis in den Februar 1871 die größten, die aufregendsten, die erinner- rmqsreiä'sten gewesen sind, die er je erlebte? Waren wir nicht wäh rend dieser Monate mit allen unseren Gedanken dort, wo sich für lange Zeit die Geschicke zweier Nationen entscheiden sollten? Wem von uns stand nicht damals die Zukunft deS Vaterlandes näher, als jede andere Pnvatsorgc? Wen erfüllte es nicht mit höchster Begeister ung, alle deutschen Stämme in ihrer waffenfähigen Jugend auf blu tigen Kampfgcsildcn vereinigt zu sehen, Freiheit und Einheit unserer schwergeprüften Nation zu crstreiten? Es war eine große, eine außerordentliche Zeit! Wer kann an sie zurückdcnken, ohne daß er sich, erhoben fühlt und den festen Vor satz faßt, zu halten an dem, was jene Zeit errungen, den Gesinnungen treu zu bleiben, mit denen sie Alt und Jung belebte? Von Anfang an war cs es ein allgemeines Vedürfniß des deut schen Volkes, einen der großen und entscheidenden Tage in der Reihe dieser Ereignisse herauszuheben und ihn alljährlich als festlichen Er- inncrungstag zu begehen. Ohne viel Grübeln und Verabreden hat sich der Tag von Sedan als der rechte ergeben. Schon in den ersten Jahren nach dem Kriege wurde er an vielen Orten Deutschlands fest lich begangen, und nunmehr begegnen sich aller Gedanken in der Be vorzugung dieses Tages. Denn cs war der zweite September, der mit der Nachricht von der Waffenstrcckung bei Sedan und Napoleons Gefangennahme einen unerhörten Siegesjubel in allen deutschen Gauen hervorbrcchcn ließ. Es war der Tag, wo ganz Deutschland die Ahnung durchzuckte, der Sieg könne uns nicht mehr entrissen werden und das längst ersehnte einige Vaterland sei gewonnen. Wer den Enthusiasmus dieses Tages vor vier Jahren mit erlebte, der sagt sich: ein solcher Moment kann nicht vergessen werden, der Gedanke an ihn wird uns noch bis ins späteste Aller über alle Sorge, allen Streit, alle Plage des Augenblicks erheben! Ja ist cs rmd so wird es nocb lauge, lange bleiben! Darum können wir so recht von Herzens Grunde an keinem andern Tage die großen Erinnerunucn des Sieges und Krieges feiern, als an dem Tage von Sedan! Freilich war der Krieg mit dem in der Geschichte beispiellosen Siege von Sedan noch nicht zu Ende; aber nachdem am 2. Septem ber die einzige „och im freien Felde operircnde Armee Frankreichs ca- pitulirt hatte, war ein erfolgreicher Ausfall der in Metz cingeschlosse- nen Rheimrrmcc nicht mehr möglich. Denn, wenn sie sich mit uner meßlichen Opfern durch den BelagerungSring hindurchschlug, wer hätte sie, die doch E auf eine ganz kurze Zeit verprovianlirt sein konnte, vor Mangel schützen, vor der Vernichtung durch die verfolgenden deutschen Truppen testen können? Mil dem Tage von Sedan ging also auch Metz dem sicheln ^all entgegen und damit schied Frankreichs letzte disciplittirle Ännee ans dem Kreise der gegnerischen Widerstands kräfte. Waö der Aeind uninn deutschen Änneen noch entgegen- werfen konnte, waren schlecht vorbereitete, mehr oder weniger undis- ciplinirte Massen, die allerdings Frankreich noch in gewaltigen Massen "usbot, welche aber selbst gegen^ eine Minderzahl geübter deutscher Truppen nichts auszuricbtcn im Stande waren. So wurde mit dem Tage von Sedan doch eigentlich Alles entschieden. Kein Unbefangener kann sich verhehlen, daß trotz aller schönen Vorsätze und trotz aller Prahlereien Frankreich die Kraft, die Einigkeit und Disciplin nicht wieder Erreichen konnte, die es unter Napoleon III. besaß und die am 2. September 1870 zersplitterte. Frankreich ist seit jenem Tage bis auf diese Stunde ein Chaos voll wider einander kämpfender Ele mente geblieben. Wir können diesen Tag, der unserm anmaßenden, übermüthigen Gegner den Fluch, dem deutschen Volke aber die Gewißheit seiner Einigung und seiner Wiederherstellung in den alten nationalen Gren zen brachte, mit reinem Herzen begehen, denn nicht die Deutschen waren der angrcisende Theil, nicht die Deutschen die Eroberungssüch tigen. Die Franzosen stürzten sich in den Krieg, weil sie nach der Nheingrenze und noch weiter trachteten. Napoleon war es, der durch den Krieg und Sieg seine Dynastie für immer befestigen wollte. Die Vorsehung entschied anders; sie ließ den bedrohten, den ange griffenen Theil siegen; sie gab ihm die Macht sich festere Grenzen zu schaffen und hinterlistig geraubte Städte und Landschaften wieder an sich zn bringen. Es ist eines großen und edeldcnkenden Volkes würdig, den Tag, da sich die Vorsehung ihm so sichtbar in ihrem Walten enthüllte, u lt Dank zu begehen. Nicht eine Partei, nein das ganze deutsche Volk fühlt sich gedrungen, diesen Tao zu feiern und'Gott seinen Dank darzubringen für das Große, das er an uns gethan. Preisen wir ihn cinmüthig, daß er unser herrliches Vaterland, wetches durch die Uneinigkeit seiner Fürsten und Stämme im Laufe der Jahrhunderte so schwere Demüthigungen erfahren, wieder in alter Kraft und Einig keit aufgerichtet und uns einen Tag hat schauen lassen, wo die helden- müthigen Söhne aus Süd-, Nord- und Mitteldeutschland einig und stark den Gegner deutscher Macht und Einigkeit nicderwarfen; einen Tag, dessen Andenken uns allezeit erheben und ermahnen wird, mit vereinten Kräften nur die Einheit, Größe und Herrlichkeit des theuren Vaterlandes zu suchen. (CH. Tgbl.) Wilsdruff, 3. September 1874. Unsere Scdanfeier. Hat unsere Stadt niemals zurückgestanden, dem Patriotismus auch in äußerlichen Zeichen zu bethästgen, und hat sie mit allen Städten unseres Vaterlandes gewetteifert, den Tag von Se dan auf das Feierlichste zu begehen, so hat sie auch dieses Jahr nicht darin zurückgestanden, sondern schon seit längerer Zeit Vorberei tungen getroffen, eine würdige Feier des erinnerüngsreichen Tages zu veranstalten. Eingeleitet wurde der Festtag durch eine früh 5 Uhr stattfindende Reveille des Stadtmusikchors durch die Straßen der Stadt, sowie von 6—7 Uhr durch Glockengeläute von der Stadtkirche. Der herrliche Morgen, der Anblick der geschmückten Häuser, das ergreifende Glocken geläute rief gewiß bei sedem Einzelnen die rechte Fesistimmung hervor. Halb 9 Uhr bewegte sich vom Gasthof zum Löwen der Militärverein mit seiner schönen Fahne in Begleitung eines Gesangvereins zu den am Eingänge der Kirche angebrachten Gedenktafeln, uin dieselben mit Lorbeerkränzen zu schmücken, zu welcher Schmückung sich auch eine Deputation vom Turnverein init einem Lorbeerkranze eingefunden hatte; eingeleitet wurde diese kurze, aber ernste Feier mit Gesang, worauf der Vorsteher des Vereins in wenigen Worten auf die Be deutung des Tages hinwies und die Schmückung der Tafeln vorneh men ließ; hierauf ertönte zum Schluß: „Mag auch die Liebe weinen." Um 9 fand Festgottesdienst statt, die Predigt hielt Herr Diac. Canitz, welcher in fließenden Worten die ereignißvollen Jahre 1870/71 an den Augen seiner Zuhörer vorüberführte, dabei den 2. September als einen der bedeutendsten Marksteine in der deutschen Geschichte feierte und den begeisterten Kampf von damals und die Segnungen des er rungenen Friedens betonte. Nach dem Gottesdienste wurde vom Rathhausthurme der Choral: „Nun danket alle Gott" ge blasen und um 11 Uhr fand Concertmusik auf dem Markt platz statt. Der Nachmittag war lediglich dem Kinderfeste gewidmet, während welchem Concert auf der Festwiese stattsand. Daß das Treiben hier bei einer Kinderzahl von 500 ein sehr bewegliches und lustiges war, brauchen wir wohl nicht erst zu sagen, aber auch glück-