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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sievenlehn und die Umgegenden. MmtsölatL für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags und kostet vierteljährlich 10 Ngr. — Jnseratenannahme bis Montag resp. Donnerstag Mittag. 7» Freitag, den 23. Januar 1874. Tagesgeschichte. Wilsdruff, 22. Januar 1874. Das zweite von Herrn Stadt-Musikvirector Kiessig veranstal tete Abonnement-Concert fand am 16. dss. M. statt und gestaltete sich zu einer bedeutenden Leistung. Neben verschiedenen von auswärts hinzugezogencn Kräften interessirte diesmal ganz besonders die soli- stische Milwirkung des Herrn Kluge, die des Herrn Capell- meister Kiessig aus Nossen und die des Herrn F. Zimmermann, Mitglied des Stadt-Orchesters. Ersterer ist uns schon als Sänger bereits Vortheilhaft bekannt; er gab uns Gelegenheit, ihn auch als vielseitigen, tiefempfindendcn Liedersünger durch die Lieder: „Es weiß und räth es doch Keiner!" von Mendelssohn, Ständchen von Schu bert und : „Mein Engel" noch mehr werthschätzen zu lernen. Hr. E. Kiessig aus Nossen dagegen zeigte sich als Violinist und Dirigent von höchst vortheilhaster Seite. Gute Technik und eine solide und gedie gene LortragSmanier vereinigten sich bei ihm, um jede» Kenner im höchsten Grade zu befriedigen. Auch das zahlreich anwesende Publi kum gab Herrn Zimmermann durch warmen Beifall zu erkennen, wie sympathisch berührt es sich von der Original-Cavatine fühlte. Durch guten Ansatz und prachtvollen Ton, verbunden mit tüchtiger Fertig keit und feinen Vortrag, zeichnete sich Hr. Zimmermann abermals aus. Die Wahl der Vortragsstücke stand mit der gekennzeichneten Richtung im Einklänge. Mit Ausnahme der Ouvertüre: „Die Stumme" gelangten alle übrigen Orchesternummern durch das Orchester vortreff lich zur Ausführung und erntete dasselbe nebst seinem Dirigenten wohl verdienten Beifall. Die Ausspeicherung von Eis für den Bedarf Dresdens hat in großartigster Weise stattgefunden; werden doch jährlich für Dres den und Umgegend für mehr als 100,000 Thlr. davon verbraucht. Die Brauerei zum „Waldschlößchen" hat allein einen Bedarf von mindestens 160,000 Etr. jährlich, hat aber dieses Jahr über 200,000 Ctr. eingcbracht. Das Teicheis wird dem Flnßeis weit vvrgezogen und daher sehr gern ersteres selbst aus Weiler Ferne nach Dresden bezogen. Am vorigen Sonntag hat sich in Dresden im Kammergebäude des Regiments Nr. 100 ein Sergeant erschossen, in der Jnsanterie- casernc der Neustadt ein Necrnt desselben Regiments erhängt. Am vergangenen Freilag hatte im Dorfe Winkeln bei Rochlitz ein Mädchen von 14 Jahren, welches daselbst bei ihrem Bruder, einem dortigen Gutsbesitzer, bei der Dreschmaschine behilflich war, das Un glück, von der Maschine erfaßt und dermaßen verletzt zu werden, daß sic wenige Stunden darauf eine Leiche war. In der Nacht vom 16. zum 17. Januar ist in Mohsdorf bei Burgstädt die Spinnfabrik der Herren Scharschmidt u. Wolf bis auf die Umfassungsmauern niedergebrannt. Die Entstehungsursache ist unbekannt. Lausigk, 10. Januar. Gestern früh wurde in einer Waldung bei dem Dors« Großbuch ein Soldat vom Jnfanterie-Negimeut Nr. 107, Namens Walter, erhängt aufgcsunden. In der Nacht vom 20. zum 21. d. M. brach in dem aus 5 Ge bäuden bestehenden Gehöfte des Gutsbesitzers Wächtler in Wald kirchen plötzlich ein Schadenfeuer aus, welches in kurzer Zeit die sämmllichen Gebäude in Asche legte und bei dem rapiden Umsich greifen des Feuers auch die vorhandenen Getreide-, Stroh- und Futter- vorräthe vollständig verzehrte. Gleichzeitig sind dabei 7 Stück Rind vieh, 3 Schweine und sämmtlichcs Federvieh in den Flammen um- gekommen. Dem Vernehmen nach hat man leider auch am Morgen ein altes schwerhöriges Frauenzimmer noch vermißt. Deutschland darf dem Herrn v. Mallinckrodt, dem bekannten Ultramontauen im Preuß. Abgeordnetenhaus«:, dankbar sein, daß er am 16. Januar nicht bei der Stange, d. h. bei der Civilehe, geblie ben ist, sondern ganz gemächlich den Fürsten Bismarck als den größten Revolutionär »nd Vaterlandsverräther angeklagt hat. Es sind dadurch alte und neue gehässige Verläumdungen, die wie Repti lien im Dunkeln zischelten, ein für allemal widerlegt und die Lust ist gründlich gereinigt worden. Hr. v. Mallinckrodt behauptete gemäch lich, seine katholischen Rheinländer seien viel patriotischer als Bis marck, sie wollten durchaus nicht französisch werden und hätten 1870 tüchtig auf die Franzosen geschlagen, Fürst Bismarck dagegen habe selbst erklärt, er wäre weit weniger deutsch als preußisch und es würde ihm gar nicht schwer werden, einen Theil des linken Rheinufers an Frankreich abzutretcn: die Rheinpfalz und die Theile der Regierungsbezirke Coblenz und Trier, die auf dem rechten Moselufer liegen. —Sie rufen, meine Herren, nein, nein! Ich habe aber, was'Uch behaupte, in amtlichen Acten- stücken gelesen und vergeblich auf Widerspruch gewartet. (Mallinck rodt bezieht sich auf das berüchtigte Buch des früheren italienischen Ministers und Generals La Marmora, in welchem eine Unterredung des italienischen Generals Gavone mit Bismarck im Jahre 1866 mit- getheilt ist.) Bismarck wurde telegraphisch von dieser öffeicklichen An klage benachrichtigt, er erschien sofort unter Blitz und Donner wieder alle Zeus im Hause und erbat sich das Wort: Ich habe niemals, sagte er, dem General Gavone etwas von der Abtretung deutschen Landes gesagt, ich erkläre dies für eine lügenhafte Erfind ung. Auch nicht eine Silbe ist davon wahr, ich habe Nie mandem die Abtretung auch nur eines Dorfes oder Klee feldes zugesagt. Diese Behauptung erkläre ich nochmals für eine dreiste, tendenziöse Lüge, die zur Anschwärzung meiner Person erfunden ist. Ich bin, schloß er, sofort in das Haus gekommen, um eine solche Lüge auch nicht 24 Stunden unwider legt in die Welt hinauStelcgraphircn zu lassen. — Die „K. Z." schreibt: Fürst Bismarck hat durch die Schlagfertig- kUl, die er am. 16. d. im Abgeordnetenhaus«! nach allen Seiten hin entwickelte, namentlich aber gegen Lamarmora, wieder einmal gezeigt, daß er sich völlig gestärkt hat. Sein Erfolg war vollständig. Las ker sprach das Zeugniß der großen nationalen Mehrheit des Hauses aus und die Herren im Ccnlrum werden sich nach der vorgestrigen Erfahrung hüten, noch einmal leichtfertig die Verläumdungen aus wärtiger Pamphletisten auf die parlamentarische Tribüne Preußens zu bnngcn! Alles, was man hier und da über Bismarcks mißliche Stellung auszustreuen sucht, ist unbegründet. Im Ministerrath, im Landtage und im Reichstage, überall findet seine Politik im Wesent lichen Zustimmung. Wenn im Reichstage jetzt eine verstärkte Oppo sition zu erwarten ist, so bilden die Ultramontanen mit allen Neichs- seindeu zusammeugenommen doch immer nur eine Minderheit. Und es hat sich gezeigt, daß die Eivilehe und die kirchenpolitische Gesetz gebung die Billigung des Kaisers gefnnden haben. Die Versuche deS Papstes und der ultramontane» Partei, zwischen dem Kaiser und sei nem Reichskanzler Unfrieden zu säen, sind vergebens gewesen. Im Laufe der letzten Woche haben der Fürst und die Fürstin Bismarck zweimal im kaiserlichen Palais gespeist und der Kronprinz hat beim Fürsten gespeist und aus seinen langen Meerschaumpfeifen mit vielem Vergnügen türkischen Tabak geraucht und sich lange und angelegent lich mit dem Fürsten unterhalten. Solche kleine Dinge geben wie aufgeworfene Strohhalme am Besten an, welche Lnft augenblicklick» weht. Und noch weniger Sorge machen Bismarck vor der Hand die Sozialdemokraten. AIS er am 10. Januar in das Wahllocal ging und ihm beim Eingang eilt Zettel mit dem Namen Hasenclever ver abreicht wurde, gab er ihn lächelnd zurück mit den Worten: „Nein, lieber Freund, soweit sind wir noch nicht!" Die Berufung deS Reichstages selbst ist schon für den 5. Februar in Aussicht genommen. Die Reichstagsscssion soll dann vom genann- Termine bis Ostern sich erstrecken, indessen wird schon jetzt vielfach darauf hingewiesen, daß diese Frist selbst bei der angestrengtesten Thäligkeil der ReichSbehörden und des Reichstages keinenfalls aus reichen dürfe.