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WHMMMTyM kM Früher Wochen- und Nachrichtsblatt Tageblatt sik HMns, Mit. VMbis, M,ls, Ei. Win, Hmitsnt Rinn«. Miisä, Munsdns. MlnZt-Wis, St. Meli, SüM-N, Nim, MemWi, WltuM «ü BMa» Amtsblatt für das Kgl. Amtsgericht UN- den Stadttat zu Lichtenstein Älteste Zeitung im Königlichen Amtsgerichtsbezirk — —— - »4. Jahrgang. Nr. 175. Sonnabend, den 30. Juli 1904. Dieses Blatt erscheint täglich (außer Sonn- und Festtags) nachmittags für den folgenden Tag. Vierteljährlicher Bezugspreis 1 Mark 25 Pfg-, durch die Post bezogen 1 Ml. 50 Pfg. Eimelne Nummern 10 Pfennige. — Bestellungen nehmen außer der Erpedition in Lichtenstein, Zwickauerstratze 397, alle Kaiserlichen Postanslatten, Postboten, sowie die Austräger entgegen. Inserate werden die fünfgespaltrne Grundzeil« mit 10, für auswärtige Inserenten mit 15 Pfennigen berechnet. Im amtlichen Teil kostet die zweispaltige Zeile SO Pfennige. — Jnseraten-Annahme täglich bis spätestens vormittags 10 Uhr. Mn ui 8ain u lirWWn Wiel. In der Erkenntnis der wirtschaftlichen Dinge in Deutschland zeigen sich manchmal Zeichen und Wunder. Diese Tatsache wird schlagend durch zwei seltsame Erscheinungen bewiesen. Der sozialdemo kratische Reichstagsabgeordnete Schippel führt unge fähr in seinem Leiborgan aus, daß der „Zollwucher" eine Fabel, eine nichtssagende Redensart sei, denn trotz der angeblich so hohen Schutzzölle sänken in Deutschland die Preise für die meisten Waren immer tiefer, zumal für das Getreide, und wenn er, Schippel, nicht Sozialdemokrat sei, so würde er Agra rier sein. Das ist aus dem Munde eines sozialdemokra tischen Führers eine Sprache, die an Erkenntnis der wirtschaftlichen Lage Deutschlands nichts zu wünschen übrig läßt. Allerdings sind die Schutzzölle Schippels Ideal nicht, sondern er spricht von sozialistischen Heilmitteln gegenüber der immer schlechter werdenden wirtschaftlichen Lage. Was er aber unter diesen wirtschaftlichen Heilmitteln versteht, sagt er nicht klar, er erwähnt nur den gesellschaftlichen Betrieb der Landwirtschaft. Da dieser Betrieb aber in weiter Ferne liegt, so müßten doch Schippel und seine An hänger nun folgerichtig die Schutzzölle als zeitweilige Abhilfemittel anerkennen. Schippels Meinung über die wirtschaftliche Lage wird nun allerdings nicht von allen Sozialdemokraten geteilt, aber er gibt den Gegnern scharfe Lektionen. So schreibt er, daß er in dem wirtschaftlichen Streite bis jetzt weiter nichts gehört habe, als unsinnige Denunziationen wegen angeblich mangelnder Gesinnungstüchtigkeit, und er kündigte darüber in der „Chemnitzer Bolksstimme" persönliche Auseinandersetzungen an. Dann sagt er den Genossen noch eine bittere Wahrheit mit den Worten: Ihm sei es lediglich darauf angekommen, daß man die Kraft des Zusammenhalts zwischen Industrie und Landwirtschaft, zwischen industriellem und agrarischem Unternehmertum nicht fernerhin maßlos unterschätze, was sich gelegentlich sehr bitter rächen könnte und sich wohl auch schon gerächt habe. Warum solle man als Sozialdemokrat nicht derartigen Gedanken nachgehen? Wenn nun so von sozialdemokratischer Seite eine Erkenntnis der Notwendigkeit der Schutzzölle sür Deutschland und ein Verständnis für die Lage der Landwirte und Industriellen kommt, so erscheinen in einer Anzahl freihändlerisch gesinnten Zeitungen auf einmal Ausführungen, daß die Produktion in Deutschland schon wieder in einem Mißverhältnisse zum Absätze stehe. Es heißt in solchen Artikeln, daß die deutsche Kohlenindustrie eine mächtige Ueberproduktion zeige. Wir fördern weit mehr Kohlen, wir produzieren weit mehr Koks, als wir verbrauchen können. In den Draht- und Drahtstist- werken wirft eine nimmer rastende Produktion un übersehbare Mengen heraus. Die Emaillierwerke häufen, trotz ausgedehnter Verwendung menschlicher Arbeitskraft, unermüdlich Berge von Erzeugnissen auf. Ein eklatantes Beispiel für die starke Produktion bietet ferner die Kaliindustrie. In der Eisen» und Stahlbranche, ferner in den anderen Zweigen der Metallindustrie, dann auch noch in der Maschinen industrie und in der Elektro-Technik finden wir überall dieselben Erscheinungen der Ueberproduktion. Und was den Getreidebau anbetrifft, so erzeugt eben die Gesamtlandwirtschaft der Welt auch eine Ueberproduktion, wie das Sinken der Getreidepreise beweist. Da muß man doch fragen, ob die Herren Freihändler vielleicht in Deutschland die wirtschaft liche Lage dadurch besfern wollen, daß wir in Deutsch land die Zölle ermäßigen oder aufheben, während das Ausland seine Zollmauern stehen läßt und den deut- schenMarkt mit seinerUeberproduktionüberschwemmt?! Die Ueberproduktion der Güter ist eben seit Jahrzehnten insolge der hohen Entwickelung der Technik nnd der Verkehrsmittel eine schwere und dauernde Kala- mität de» ganzen Wirtschaftslebens geworden und zur Bekämpfung derselben ist der Freihandel ganz und gar ungeeignet, zumal wenn denselben nur ein Staat ein führen sollte, während die anderen Staaten an ihren Schutzzöllen festhalten. Die große gefährliche lieber- Produktion hat ja auch schon zu den großen Produzenten- und Kapitalistcnvereinigungen, zu den Syndikaten und Trusten geführt, und alle diese Abhilfemittel wie auch die Schutzzölle selbst werden von dem großen Gesetze diktiert, das für Groß und Klein in allen Zweigen gilt und das da heißt: Der Kampf um das Dasein. Der russisch-japanische Krieg. Tokio, 29. Juli. Ueber die Einnahme von Jinkau und Taschitschiao fehlt noch die offizielle Bestätigung, aber sie scheint sicher zu sein. Kuro- patkin soll an der linken Schulter verwundet wor den sein. Tokio, 29. Juli. Das Wladiwostok-Ge schwader liegt noch immer in der Nähe von Tokio. Man ist um das Marineschul- und Uebungsschiff „Kotomookaru" und auch wegen des Postschiffes ,,Korea" besorgt. Mehrere Schiffe sind überfällig. Politische Stnndsa-«« Deutsches Reich. * B e r l i n. „Wolffs Tel. Bureau" meldet: Der neue deutsch-russische Handelsvertrag wurde gestern hier durch den Reichskanzler Grafen Bülow und den Präsidenten des russischen Ministerkomitees v. Witte unterzeichnet. * In der Bewältigung des Aufstandes der Hereros in Deutsch-Südwestafrika ist auch in dieser Woche ein entscheidender Schritt nicht ge schehen, doch sind von General v. Trotha die weiteren Vorbereitungen getroffen worden, um, wenn irgend möglich, die Hauptmacht der Herero in den Water- berqen festzuhalten und zur Unterwerfung zu zwingen. Es kann aber auch noch zu großen Kämpfen kom men, da die Hereros noch 5000 gut bewaffnete Krieger stark fein sollen. * Zum Fall Mirbach teilt die „B. Z." mit, daß der Pfarrer Diestelkamp in Berlin durch das Kabinett der Kaiserin im Jahre 1899 genau 60000 M. zur Regelung seiner Finanzen erhalten habe, die durch Verquickung mit allerhand verfehlten Unternehmungen arg in Unordnung geraten waren. Das Blatt meint, es unterliege keinem Zweifel, daß dies die 60 LOO M. sind, die Freiherr von Mirbach seiner Aussage am 15. Juni d. I. im Jahre 1899 von Kommerzienrat Schultz erhoben und gleich „an die Vereine" weitergegeben hat. * Gemäß dem Beschlusse des Bundesrates vom 23. Juni 1904 hat der Staatssekretär des Reichsamtes des Inneren nunmehr den Bundesregierungen vorgeschlagen, der Resolution des Reichstages Folge zu geben und über den Umfang und die Art der Kinderbeschäftigung eine Aufnahme durch die Lehrer an den öffentlichen Volksschulen unter Zugrundelegung eines einheitlichen Formulars am 15. November dieses Jahres stattfinden zu lassen. Die Erhebung soll sich auf diejenigen volks schulpflichtigen Kinder erstrecken, welche im Laufe des Jahres vom 15 November 1903 bis 14. November 1904 im Haushalt oder in der Landwirtschaft und deren Nebenbetrieben gegen Lohn beschäftigt wurden. * Kiel. Die Reichswerft hat neuerdings reichlich 400 Arbeiter entlasten oder ihnen gekündigt. Ent lassungen von geringerem Umfange stehen noch bevor. Es ist eine dauernde Verminderung der Arbeiterzahl im Schiffsbaurcssort beschlossen. * Die Angelegenheiten mit Rußland haben auch in letzter Woche die politische Ruhe des Hoch sommer unterbrochen. Auch Deutschland hatte sich in Petersburg wiederholt wegen der Beschlagnahme deutscher Handelsschiffe durch die russische Freiwilligen-Flotte zu beschweren. Die russische Re gierung hat aber eiligst die Beschwerde berücksichtigt und die festgenommenen Schiffe wieder freigegeben. Ob damit immer solche Streitsälle während der Dauer d«S russisch-japanischen Krieges beseitigt sind, ist freilich zu bezweiseln, da russische Kreuzerschiffe noch immer auf solche Handelsschiffe, die der Mit führung von Kontrebande verdächtig sind, fahnden. * Die sanitären Verhältnisse in den preußischen Gefängnissen sollen nach der „Deutschen Med. Wochenschr." auf Anordnung des preußischen Justizministers bis zum 1. Oktober durch beamtete Aerzte untersucht werden. Insbesondere soll über die Wasserversorgung, Entfernung der Abwässer und Abfälle, Beschäftigung der Gefangenen, Heizung und Beleuchtung dem Minister Bericht erstattet werden. * Die Sozialdemokraten bereiten für den 7. August in Friedrichshagen bei Berlin ein solzialde- mokratisches Riesensängerfest vor. Auf die Anwesen heit von 100000 Genosten und Genossinnen wird bei diesem sozialdemokratischen Sängerfeste gerechnet. Die Privatbeförderungsgesellschaften treffen große Vorkehrungen, um diese Menschenmassen fortzu schaffen; auch die königliche Eisenbahnverwaltung will ein übriges tun, damit am 7. August alle Genoffen und Genossinnen bequem nach Friedrichs hagen zum sozialdemokratischen Riesensängerfest hin auskommen können. Sogar für viele Exlrazüge ist gesorgt. * Im Königsberger Geheimbund prozeß haben nach der .National. Zeitung" der Staats anwalt und die Verurteilten Revision eingelegt. * Der ,,V. A." schreibt zur Ermordung des russischen Ministers v. Plehwe u. a. folgendes: Ein arbeitsreiches und noch vielversprechendes Leben ist der Petarde des Meuchlers zum Opfer gefallen, der Mörder hat sich gegen den gewandt, der am wenigstens von asiatischer Härte an sich hatte. Ob der Mord eine Quittung auf den Königsberger Prozeß, ob er eine Visitenkarte der Herren Mandel stamm und Genossen ist, das läßt sich im Augen blick noch nicht sagen. Zunächst vereinigt sich Eu ropa in Trauer an der Bahre des Mannes, der in Erfüllung seiner Pflicht, in Ausübung eines ost unerquicklichen Dienstes sein Leben hinopfern mußte. Mag seine Politik hie und da Widerspruch gefunden und verdient haben, in dem stark korrumpierten russischen Staatswesen war er eine der reinsten und einwandfreiesten Gestalten. Die Aufrichtigkeit seines Strebens gibt ihm auch bei uns Deutschen, obschon er uns nicht besonders geliebt hat, das Recht, nach dem Spruch behandelt zu werden: Do mortius nil nisi bene, man soll über Tote nicht feindselig reden. * Zur Ermordung des russischen Ministers des Innern v. Plehwe schreibt das „B. T." u. a.: Die erschütternde Kunde, die der Draht blitzschnell aus Petersburg in die Welt getrogen, wird überall die peinlichste Erregung Hervorrufen. Minister Plehwe durch einen Bombenwurf getötet! In den natür lichen Abscheu, den die gesittete Welt vor jeder Mord tat empfindet, mischt sich in diesem besonderen Falle die Empfindung, daß ein Aufschrei der gequälten Kreatur aus Hunderttausenden, ja aus Millionen Herzen die verderbliche Bluttat als einen Akt der immanenten Gerechtigkeit erscheinen läßt. Denn in Plehwe verkörperte sich alles, was das Selbstherrscher- tum, wie es in Rußland geübt wird, verabscheuens wert und verhaßt machte. Der so schmählich Hin gemordete war der Vertreter eines Systems der Willkür, das sich mit den Anschauungen moderner Menschen in keiner Weise mehr versöhnen ließ. Es war dos System der Beamtenkamorra, der polizei lichen Willkür, der Ungerechtigkeit und Härte, die vor nichts zurückschreckte, wenn es galt, die absolute Herrschergewalt, die im Namen des Zaren von einer Kaste geübt wurde, ungestört aufrecht zu erhalten. * Die „deutsche Wacht" schreibt: Plehwe, der einer jüdischen Familie entstammt und allge mein unbeliebt war, ist, wie sein Vorgänger Syp» jaghin das Opfer eines politischen Mordes geworden und die blutige Tat beweist, daß die russischen Verhältnisse auch im Innern einer Katastrophe zu treiben. Plehwe war Senator für Finnland im russischen Reichkrate, wo^er die schärfsten Maßregeln