Volltext Seite (XML)
railtu-Zeitun Ein Ergnn für die höheren weiblichen Interessen. Preis: 15 Tgr. vieneljäbrlich. 8. Inhrganft. Redigirt Begründet und fortgesetzt vcn Inserate: 2' 2 Sgr. die Zeile. 8. .Lnartal. unter Verantwortlichkeit der Verlags-Handlung. Dem Reich der Freiheit werk' ich öürgcrinnen. 28. ' Sonnabend, den Z8. Juli. 1851. Unsere Arbeit ist unsere Ehre. Einfache Erzählung von Louise Otto. Ein reicher Kaufmann hatte an der Wittwe eines reichen Oeconomen Gefallen gefunden und hciralhete sie. Sie hatte einen Knabe» von zwölf Jahren, der auf dem Dorfe aufgewachsen war und ein wenig derbe und bäuerische Gewohnheiten hatte. Tie Mutter, die nun in der Stadt als reiche Kaufmaunsfrau gern eine große Rolle spielen wollte, war so »nvernünstig, sich ihres früheren Standes, und so unnatürlich, sich sogar ihres eigenen Kindes zu schämen und wollte es nicht mit in die Stadt haben. Der Stiefvater sagte auch: „Es ist mit dem Lümmel nichts anzufangcn, er mag Bauer bleiben." Und so ward der Knabe auf ein entferntes Dorf geschickt und bei einen strengen Occonom in die Lehre gethan. DaS äl- terliche Paar that womöglich, als wäre Gott lieb, so hieß der Knabe, gar nicht auf der Welt. Wie sie im Laufe der Jahre noch einen Sohn und eine Tochter bekamen, so ward an Gottlieb gleich gar nicht mehr gedacht. Nur selten, kaum einmal im Jahre, ließen sie ihn in ihr Haus kommen, aber dann war er auch meistens froh, wenn er weg war. Es gab da immer nur ein stetes Reden über seine bezweckten Stiefeln, mit denen er Risse in den lackirten spiegelblanken Fuß boden machte, oder in die glatten Meubles von kostbarem Mahagoni. Wenn er die hohen Flügcl- thüren hinter sich in's Schloß warf, so schrie die Mutter jedesmal laut vor Schreck auf, und bet Tische entsetzte sie sich wieder über seinen gesunden Appetit und die hastige Art seines Essens. In die Putzstube, sie nannten es vornehm „Salon", durfte er niemals wagen seinen Fuß zu setzen, weil man die Bekanntschaft seiner derben Stiefeln mit dem wunderschönen, kostbaren Teppich ein für allemal vermeiden wollte. Auch standen darin auf Eaminen und Pscilcrtischchen eine Menge zierlicher Niedlichkeiten, Figurchen und allerhand Sächelchen von Glas und Porcellan, mit Silber und Gold verziert, die zu gar nichts nütze waren, denn als Spielerei und Aufputz zu dienen — wie leicht hätte Gottlieb etwas davon herabreißen oder zerbrechen können! meinte die Mutter, darum durfte er gar nicht in dies Zimmer. Wie seine Stief geschwister auswnchsen, wurden sie erzogen wie Prinz und Prinzessin, daß sie nichts lernten, als befehlen im ganzen Hause, wo Alles sich ihnen fügen mußte — da hatte Gottlieb gleich gar keine Lust mehr, zu seinen Verwandten zu kommen, und blieb lieber auf seinem Dorfe, wo ib» alle Leute gern halten, weil er ein braver, fleißiger Bursche war. Er ward Verwalter auf einem Gute, dessen Besitzer sehr mit ihm zufrieden war. Denn mit dem ersten Hahnenkrähen war Gottlicb auf, ging auf dem Felde hinter'm Pfluge her und war,,ob wohl er auch einige Knechte mit unter sich hätte, doch sellbst immer der Rührigste von Allen. — Aber mit den Mägden konnte er weniger zurecht kommen und er sah ein, daß er eine Hausfrau haben mußte. So verlobte er sich denn mit Nach bars Röschen, die eben so brav und fleißig war wie er. Aber er war ein zu gewissenhafter Sohn, als daß er hätte ohne den Segen seiner Mutter heirathen wollen. So schrieb er denn nach Hause, er werde mit seiner Zukünftigen hinkommen.