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Staatsaryeiger für Erschrint Werktag« nachmittag« mit dem Datum de« ErscheinungStaget. Bezug«prei«: Monatlich 3 Mark. Einzelne Nummern 1k Pf. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 2129k — Schriftleitung Nr. 14K74. Postscheckkonto Dresden Nr. 2486. — Stadtgirokonto Dresden Nr. 140. den Zreistaat Sachsen Ankündigungen: Die 32 mm breite Grundzeil« oder deren Raum 30 Pf, die K6 mm breite Grundzeile oder deren Raum im amtlichen Teile 60 Pf., unter Ein gesandt SO Pf. Ermäßigung auf GeschäftSanzeigen, Familiennachrichten n. Stellen gesuche. — Schluß der Annahme vormittag- 10 Uhr. Zeitweise Nebenblätter: Landtags-Beilage, Verkaufsliste von Holzpflanzen aus den Staatsforstrevieren. Verantwortlich für die Redaktton: I. V.: OberregierungSrat Han« Block in Dresden. Nr. 93 Dresden, Mittwoch, 22. April 1S25 Die Regierungserklärung des Kabinetts PainlevL. im Kriege Verbündete Frankreichs gewesen sind, dann aber, in vollem Einverständnis mit dem von allen ehemaligen Frontkämpfer« ans- gesprochenen Wunsche, das Werk, die Autorität und die Organisation des VSlkerbnudes zu entwickeln, diesem dem Beitritt aller Staaten zu sicher« und so die Wiederversöhnung der Nationen vorzubereite», ohne Weiche die gesamte europäische Zivilisation zugrunde zu gehen drohe. Die glückliche Lösung dieses außenpolitischen Problems werde in weitgehendstem Maße die von dem Lande geforderte Erleichterung der mili tärischen Lasten begünstigen, deren Verwirklichung die Regi:ruug mit vollem Nachdruck betreiben werde. Das Kinanzprogramm enthält an erster Stelle das formale Ver ¬ sprechen, daß der Haushaltsplan für das Jahr 1926 durch Streichung aller über flüssigen Ausgaben ins volle Gleich gewicht gebracht werde und der Anleihe politik ein für allemal ein Ende ge macht w.rdrn soll. Die Regierungserklärung spielt sodann auf die Ursache der augenblicklichen Krise an und gibt der Überzeugung Ausdruck, daß es dec Regierung ge- ling.-n werde, sie mit Hilfe deS Parlaments und des Landes zu überwinden. Erst dann werre die endgültige Finanzreform in Angriff genommen werden könn'n, die neue schwere Opfer von allen fordern werde. Bestimmte Angaben über die Absicht der Regierung auf diesem Gebiete enthält die Erklärung nicht. Sie beschränkt sich auf einen Appell an die Opfer- Willigkeit und Mitwirkung aller Schichten bei dem Ne MsemrWe zur MtriWssrU. Berlin, 21 April. In der Industrie- und Handelskammer Berlin fand unter Beteiligung der zuständigen Reichr und Staatsbehörden eine Versammlung der deutschen Börse «Vorstände statt, die sich mit den aus dem Entwürfe des Auf- w ertungsgesetzeS zu erwartenden Folgen für die Anleihebesitzer und den Börsenverkehr befaßte. Referent Leopold M er,bach-Frankfurta. M. führte aus, daß die «nterfchieoliche Behandlung von Alt- und Reubesitz dem Charakter des Jnhaberpapieres widerspreche. Für die Länder und Kom munen sei noch keine endgültige Regelung vor gesehen. Die Bevorzugung von Altbesitz habe mit sozialen Rücksichten nichts zu tun. stellte eine bessere Regelung der Ab- findung für die L-Schahanweisungen in Aussicht und hob zur Beschwichtigung der Ein- wände wegen der banktechnischen Durchführung des Umtausches hervor, daß die Forderungen so einfach wie möglich gestattet werden sollen. Der Vorsitzende des Aufwertungs ausschusses vr. Steiniger versprach, dem Ausschüsse über den Verlauf der Versammlung Bericht zu eistatten und bemerkte für sich per- sönlich, daß er auf Grund der AuSfüh. rungen der verschiedenen Revnerseine Ansichten über die Aufwertungsfrage und das Wesen der Spekulation in diesem Zusammenhangs zu korrigieren geneigt sei. Zum Schluffe gelangte einstimmig eine Entschließung zur Annahme, in der es u. a. heißt: An demokratisches Programm mit den Grundsätzen der Politik Herriots. Paris, 21. April. Ein Teil der französi chen Presse glaubte noch heule moige.i versichern zu können, daß die Re- gierungserklärung des Ministeriums Painlevö weitgehende Zugeständnisse an die Opposition enthalten werde. Tat- sacke ist abe , daß das Programm, mit dem sich das Ministerium Painlevö heule den beiden Häusern des Parlaments vorgestellt ha', ein demokratisches Programm im besten Sinne des Wortes ist, das sich mn Ausnahme des Streites nm die Gesandtschaft am Vatikan nna d-r Einführung der französischen Gesetzgebung in Elsaß Lochringen restlos die Grundsätze der Politik Herriots zu eigen macht. Die E klärung weist in ihrer Einleitung auf die beiden Hauptprobleme hin, deren Lösung sich das Ministerium zum Ziele gesetzt hat: die SichcrhcitSfrage und die Sanierung der Finanzen. Daß Frantteich sieben Jahre nach einem ge wonnenen Kriege sich noch mit Schwierigkeiten dieser Art hemm,uschlagen habe, sei gewiß eine schwere Enttäuschung, aber da- Kabinett halte es für seine Pflicht, den Tatsachen offen ins Auge zu sehen. Die Hoffnung, volle Wiedergutmachung für alle erlittenen Schäden zu erhalten, die an der Rea- lität der Dinge gescheitert sei, habe die früheren Regierungen manche vorteilhafte Lösung ablehnen lassen, di- jeder neue Aufschub nur ver ringert habe. Inzwischen habe das französsche Volk, der ewigen Bertröstnngen müde, seinen souveränen Willen dahin kundgegeben, daß es den Frie den und die Sicherheit auf dem Wege der Achtung der Verträge und die Festigung der Wirtscha ft durch Ge rechtigkeit auf dem Gebiete der Steuer- und Finanzpolitik Woll,. Diese Forderungen, die die letzte Meinung?- äußerung der Wählerschaft zum Ausdruck geb:achr habe, seien die Richtlinien für die Poluik deS vorangegangenen Ministeriums gewesen; sie wür- den auch für die Politik des neuen Kabinetts licktunggebcnd sein. Für ihre Verwirllichung rechnet die Regierung auf die Mitwirkung aller Bürger, denen das nationale Interesse über der Packet und dem eigenen Vorteil flehen. liber di: auswärtige Politik des neuen Sabinetts «heißt es in der Regierungserklärung: .In den bevorstehenden internationalen Verhand- lung n wird die Regierung in erster Linie die weitere Durchführung deö Dawes" planes und die Regelung des Problems der inter alliierten Schulden «"stieben. Darüber hinaus wird eS ihr ober stes Ziel sei», die Garantien für den Frieden und die Sicherheit zwischen den Völkern zn vervielfachen, die noch vor kurzem hart und tapfer in der Feuerlinie einander gegenübergestanden haben, gn unentwegter Treue gegenüber alle« seinen Verbündeten, gerecht und friedlich gegen alle Völker, hat Frankreich de« aufrichtigen «nnsch. dazu betzntrage», der Welt de« Frieden und die Ruhe zn geben, deren diese so notwendig bedarf.* Die erste Bedingung für einen dauerhaften Frieden sei allerding?, daß Frankreich selbst in Sicherheit leben könne. Sicherheit, Schiedsgerichtsbarkeit and Entwaffnung, das feie« die drei -«»pipfeiler, a«f dem« da« »e«fer Proto koll, der erste Entwurf eine« großen inter nationalen FriedenSvertrage«, aufgebant sei. Di« neue Regierung werde an diesen drei «rnndsätze» festhallen mit de« doppelten Ziele, einmal da» G«verneh«en «it d«r- j«i«en Rationen anfrech trnerhalte», di« Banktechnisch sei die Aufgabe nicht zu lösen. Der Geda ke der Tiennung fuße auf der Abneigung gegen die Spekulation, di- jedoch mit dem Spiel verwechselt we-de, während die volkswirtschaftlich nützliche Speku lation zur Unterbringung größerer Anleihen nicht zu entbehren sei. Durch die Entrechtung der Ncubesitzer werde die Möglichkeit zur Aufnahme neuer An leihen in Zukunft versperrt. Unter ter Vorau-setzung der Aufgabe der Trennung von Alt- und Neubesitz machte der Redner einen positiven Vorschlag, für den die vorgeschlagene kprozentige Auf wertung und die jährlicke Leistung von 100 Millionen Reichsmark bis zur Til gung der Anleihe vorau-gesetzt wird. Die Besitzer der Ablösungsanleihe, deren Höhe der Redner für die Schulden des Reiches und der Länder auf 3,2 Milliarden schätzt, sollen auf jegliche Verzinsung verzichten und ihre Enischädigung in der möglichst raschen Tilgung der An- l.ethe finden, die auf etwa 15 Jahre gegenüber den 40 Jahren nach dem Regierungsentwurfe zu bemessen sei. Von seilen der Vertreter der Börsen in Stutt- gart Geh. Rat Fischer, rn Hamburg Götz, in Köln Seligmann, in München Weinberger, in Mann heim Goldschmidt sowie von vr. Mosler von der DiSkontozesellschaft, von Bankier Pohl von der Firma Hardy L Comp. und von Rechtsanwalt Bernstein vom Zentralverband des demschen Bank- und BanttergewerbeS wurde den AuS- führungen des Referenten zugestimmt und eine Unterscheidung zwischen Alt- und Reubesitz vom banktechnischen Standpunkte aus für undurchführ bar erklärt. Geh. Rat Norden vom Reichsfinanz ministerium legte noch einmal den Stand punkt der Regierung dar und betonte, daß eine Abneigung gegen eine sich in vernünftigen Grenzen bewegende Spekulatinu nicht bestehe. Er papierbörsrn mit der Reichsregierung in dem Grundgedanken des Ersatzes der Papiermarkanleihen des Reiches und der Länder durch eine Ablösungs anleihe einverstanden sind und auch den Plan der Gewährung einer Zn- satzvergütung durch eine Rente an die w irtschaftlich Schwachen billigen. Sic warne» jedoch bei der Ausführung dieser Absichten vor neuen Ungerechtigkeiten und der Verletzung allgemeiner Interessen und ver werfen deshalb die verschiedene Be handlung von Alt- und Reubesitz. Abgesehen von der technisch kaum zu leistenden Arbeit durch die Banken, wäre sie durchaus ungerecht, weil Alt- und Reubesitz keines Wegs gleichbedeutend sei mit Besitz der Bedürftigen und Wohlhabenden. Unver einbar sei sie auch mit dem Wcsen der Anleihen als Jnhaberpap ere und den Grund sätzen der börsengejetzlichen Regelung und der Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel, aus die sich die Erwerber von Anleihen ver lassen haben. Deshalb würde ein solcher Vorgang das Vertrauen zu den deutschen Staatsanleihen aufs stärkste erschüttern und die notwen dige Unterbringung künftiger An- leihen ernsthaft gefährden und dem «ach Schutz und Hebung verlangenden Ansehen Deutschlands im Auslande einen kaum erträg lichen Schlag zufügr». Dringende Bedenken seiengegen die «ufwertungsvorschläge für dir L-Schatzanweisunge«, die Zwangs aul,iheund die Spa rprämienaulethe geltend zu machen. Die Vorstände der deut schen Wertpapierbörsen erhebe« deshalb im Ramen der durch sie vertret«»«» WittschaftS- kreise entschiede»«» Widerspruch grgr» de» Aufwert»ng»e«tw«rf, beto»en «ber gleichleitig, daß sie die Regier«»« i» der Durchführung der zweckmäßige«, de» berech tigte!, «ünnhe» Rechnung tragende« Ablösung zu unterstütze» brreit iw» unaufschiebbaren SanierungSwerk, das die Regie' rung im Geiste demokratischer Steuer gerechtigkeit vorbereite. Zu der Frage des Vatikans erklärt die Regierung, daß sie dem erbitterten Streit, der das Land zu spalten drohe, ein Ende zu machen wünsche, indem sie einen mit weitgehenden Vollmachten ausgestat teten Beamten in Rom beläßt. Auf der anderen Seite werde sie aber die Achtung vor der Laiengesetzgebung unter allen Umständen durchzusetzen wissen. In der Angliederung Elsaß-Lothringens auf dem Gebiete der Verwaltung und Gesetz gebung werde es das Bestreben des Mini steriums sein, alle unnötigen Reibe reien zu vermeiden und, den wohlerwor- b.'nen Rechten der elsaß-lothringischen Bevölke rung Rechnung tragend, das Werk der Anpassung organisch fortzuführen. Auf dem Gebiete der inneren Politik sehe sich die Regierung mit Rücksicht auf die Finanzlage zu ihrem Bedauern genötigt, auf kostspielige soziale Reformen zu verzichten. Um so nachdrücklicher werde sie dagegen das Werk derDemokratisierung und des sozialen Fortschritts fortführen, das uner läßlich sei, um eine Atmosphäre nationaler Ein tracht zu erzeugen und in den Massen der w.rk- täligen Bevölkerung nicht das Gefühl auskommen zu lassen, daß sie in einer Zett, wo das Leben des Arbeiters besonders hart und schwer ist, von den öffentlichen Gewalten vergessen werden. Des halb werde die Regierung die Verabschiedung des Sozialversicherungsgesetzes im Se nate mit allen Mitteln beschleunigen, das Koalitionsrecht schützen, die Wieder einstellung der Eisenbahner betreiben und die Durchführung des Achtstunden tages gemäß den Bestimmungen des Washing toner Abkommens sichern. Die Regierungs- erklärung schließt mit der an das Parlament ge- richteten Aufforderung, zunächst die Taten der neuen Regierung abzuwatten und sie danach zu beur- teilen; wenn jedoch das Parlament glaube, dem Kabinett kein Vertrauen entgegenbringen zu können, so möge es das Schicksal des Landes unverzüglich einer anderen Regierung aniertrauen, da die gegenwärtige Lage keinen Aufschub duld.-. Die Kammersitzung. Scharfe Angriffe auf Caillaux. Parts, 21. April. Seit vielen Jahren herrschte kein solber An drang zu der Kammersitzung wie heute. Von der Kammer bis zu der Konkordienbrücke hatten Hunderie Aufstellung genommen in der Hoffnung, während der Sitzung noch Einlaß zu finden. Kurz nach 3 Uhr strömten die Abgeordneten in den Sitzungssaal. Als der ehemalige Ministeipräsident Herriot erscheint, erhob sich die gesamte Linke und brachte ihm stehend minutenlang eine stürmische Huldigung dar; es ertönte der Ruf: Es lebr Herriot! Wenige Minuten darauf erfolgte der Eintritt des neuen Ministeriums. Painlevö bestieg die Tribüne, um von der ministeriellen Erklärung Kenntnis zu geben. Noch selten dürfte in einem Parlament die programmatische Erklärung der neuen Regierung stür- Mischer unterbrochen worden sein. Wiederholt unterbrachen Abgeordnete der äußersten Rechten den Minister- Präsidenten, indem sie auf Caillaux zeigten und sich in beleidigenden Zu- rufen ergingen. So vernahm man wieder holt: .Nieder mit Caillaux. Seine Ern nnung ist eine Beleidigung der Gefallenen I* Als Painlevä von der Beibehaltung des Vertreters beim Vatikan sprach, klatschte die Opposition lebhaften Beifall; einzelne ihrer Mitglieder riefen: .Jawohl, da« ist der Canossagang!" Auch die Erwähnung von Elsaß-Lothringen rief bei der Opposition ironischen Beifall hervor. Im weiteren Verlauf der Sitzung mußte der Ministerpräsident wieder-