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Staatsan^eiger für ErscheintWerktag» nachmittag» mit dem Datum de» Erscheinungstage». Bezug»prei»: Monatlich 3 Mark. Einzelne Nummern 1b Pf. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 2129b — Schriftleitung Nr. 14K74. Postscheckkonto Dresden Nr. 2486. — Stadtgirokonto Dresden Nr. 140. den Zreiftaat Sachfen Ankündigungen: Die 32 mm breite Grundzeit« oder deren Raum 30 Pf^ di« 66 mm breite Grundzecke oder deren Raum im amtlichen Teck« 60 Pf., unter Ein gesandt SO Pf. Ermäßigung auf GeschäftSanzeigen, Familiennachrichten u. Stellen gesuche. — Schluß der Annahme vormittag» 10 Uhr. Zeitweise Nebenblätter: LandtagS-Beilage, VertaufSlr,te von Holzpflanzen auf den StaatSforstrevieren. Verantwortlich für die Redaktion: Hauptschriftleiter Bernhard Jolies m Dresden. Nr. 152 i 1 Wichtige Erklärungen Herriots über Chequers und Brüffel. * Paris, 2. Juli. ' Herriot und Kriegsminister Rollet haben ^eute vor den vereinigten Senats« uS- Schüssen derFinanzen und auswärtigen Angelegenheiten Auskünfte über die Verhandlungen in Chequers und Brüssel ilnd üb.'r die Militärkontrollfrage erteilt. DaS offizielle Kommuniquü teilt darüber fol gende» mit: Der. Ministerpräsident gab eine ausführliche Darstellung über das Ergebnis seiner Reisen nach jkhequerS und Brüssel. In Chequers, so sagte Herriot, wurde als Grundlage für die Ver handlungen der Sachverständigenplan .angenommen, wie dies auch die vorangegangene Regierung getan halte. Nachdem dieser Grund satz zugelassen war, war eS notwendig, Garan- Ilen zu suchen für die Dauer der Au». Führung und für die Sicherheit. Für die Ausführung des Sachverständigenplanes ist die Hieparationskommission in? Auge gefaßt worden Aür seine Durchführung wurde der Wunsch laut, Amerika möge seinen Beistand leihen. Aber wie könnte, fuhr Herriot fort, eine etwaig« »ukünftigeverfehlnngDentsch- lands konstatiert werden. Augenblicklich sei eS -die RrparationSkommission, die damit beauftragt sri. Über diese Frag, sei in LhequerS hin sichtlich der Zukunft nicht» Präzises fest- gesetzt worden. Was die Sonirolle der Entwaffnung betreffe, so sei dar Ein verständnis vollkommen gewesen. England wünsche wie Frankreich eine allgemeine Son irolle. Die'in Shequers entworfrne Rote an Deutschland sei ein Beweis hierfür, «az die Sicherheit Frankreichs betreffe, so sei zu bemerke», daß diese Frage von der öffent lichen Meinung und dem Parlamrnt abhänge. In Chequers habe eS sich nur um eine rasche Gesamtbesprechung gehandelt. Mac- donalo habe erklärt, die Sicherheit Frankreichs 'interessiere ihn lebhaft. Er rechne mit -er Einig- keit beider Nationen, welche die beste Garantie hierfür sei. Die Formel des moralischen Paktes zwecks fortgesetzter Zusammenarbeit sei es, die nach dieser Richtung der -nkü' ftigen Kon- ferenz Vorbehalten bleibe. Hinsichtlich der militärischen Besetzung des Ruhrgebietes betonte Herriot, daß er für Krankheit volle Handlnngs- . sreih eit Vorbehalten habe. ^WaS die interalliierten Schulden be- .Ueffe, so sei Macdonald der Ansicht, der Augen blick sei noch nicht gekommen, diese Frage an- .zuschneiden. In der Frage der Kontrolle der Eisenbahnen im Rhein- und Ruhr- ' gebiet sei eS möglich, technische Lösungen in Erwägung zu ziehen. In Brüssel hätten die Besprechungen sich sehr leicht abgewickelt. Tas ^Einvernehmen zwischen be'd.-n Regierungen -über die Micumverträge sei restlos ge- wesen. Was die Zulassung zum Völker bund anlange, so werde eS sich darum handeln, .den Zeitpunkt festzustellen, an dem Deutschland eingeladen werden würde. Einige Mitglieder der Finan-kommission stellten kaut HavaS die Frage, ob man nicht eine höhere Summe als die fünf Milliarden Her im Sachverständigenbericht vorgesehenen In- dustrieobligattonen von Deutschland erzielen könnte, wenn man die hypothekarische Be- Mästung auch auf die Landwirtschaft ausdehnte, worauf Herriot antwortete, die Sachverständigen hätten geglaubt, zweckmäßiger- weise nicht weitergehen zu können. Im übrigen Hellten die industriellen Hilfsquellen die Haupt- dinnahmcquclle Deutschlands dar. Tie Sachver- ständigen hätten sich eine Stütze iu der deutschen öffentlichen Meinung sichern wollen. Schließlich erklärte »rlegsml»ifl,r Rollet, >b«ß Frankreich auf keinen Aall de» 30. Sep- . tember al» Abschluß der Kontrolle der inter- alliierte« Militärkoutrollkommtsfio« i» «erlitt mmehme» werde. Dresden, Donnerstag, 3. Juli 1924 Der Standpunkt der Gewerk schaften zum Sachverständigen gutachten. Berlin, 2. Juli. Die freigewerlschaftlichen Spitzen organisationen, ADGd, AfA-Bund und ADB haben in einer Eingabe an die Reichsregierung den Standpunkt der freien Gewerkschaften zum Sachverständigen gutachten wie folgt dargel.'gt: „Den Gewerkschaften ist bekannt, daß die Reichsregierung eifrig an der Durchführung der Anregungen arbeitet, die das Sachverständigen gutachten der Taweö Kommission für den deutschen Haushalt und die Gestaltung der Steuern gegeben hat. Sie vermissen aber jedes Anzeichen dafür, daß auch den Anregungen nachgegangen wird, die in dem Gesamturteil der Sachverständigen über die deutsche Steuergesetzgebung scharf umrissen worden sind. Tie Sachverständigen haben der Schlußfolgerung nicht entgehen können,! daß die reicheren Klassen in Deutschland in den letzten Jahren von dem in Kraft be- sindlichen Steuersystem nicht in angemessener> Weise erfaßt worden sind, weder in einem Maße, das sich mit Rücksicht auf die Besteuerung der arbeitenden Klasse rechtfertigen würde, noch in einem Maße, das mit der Belastung der reicheren Klaffe in anderen Ländern vergleichbar wäre. TaS Gutachten der Tawes-Kom- Mission unterstreicht die Notwendigkeit, schon für das laufende Einkommensteuer- jahr wichtige gesetzliche Ergänzungen vorzunehmen. Tas gilt im besonderen für die Einkommensteuer der sich selbst Ein schätzenden und für die Auslandsverdienste, aber ebenso für eine Besteuerung der Geld- entwertungsgewinne und für den Abbau der Umsatzsteuer. Auch den Ertrag der deut schen Erbschaftssteuer haben die Sachverständigen als „außerordentlich niedrig" bezeichnet. Tie Gewerkschaften ersuchen die Reichs regierung um Aufklärung darüber, welche Maßnahmen im besonderen nach dieser Richtung im Interesse einer gerechten Verteilung der Wiedergutmachungslasten in Angriff genommen worden sind. Jie haben auch das stärkste Jntereffe daran, zu er ahren, welche sonstigen steuerlichen Maßnahmen auf dem Gebiete der indirekien Steuern vorbereitet werden. Die Spitzenverbände halten eine Aussprache mit der Reichsregierung für außerordentlich dringend. Mächtige Jnteressentenorganisa- tionen organisieren systematisch den Wider stand gegen die Staatsnotwendigkeite» und schrecken dabe-, wie erst jüngst die Ver treter der Landwirtschaft, sogar vor Droh ungen nicht zurück. Die Bestrebungen dieser Kreise münden sämtlich in dem eine» Wunsch, in Zukunft möglichst von den Lasten, die Deutschland zu tragen hat, frei zu werde» und sie auf die Arbeitnehmer abzuwälzen. TaS steigert selbstverständlich die Erbitterung der Arbeitnehmer aufs höchste. Die vielen Mil lionen Arbeitnehmer, die in den Gewerkschaften vereinigt sind, lehnen entschieden die Auffassung ab, daß wachsende Entbehrungen und steigende Rot in den breiten Massen des Volkes eine zur Gesundung unentbehrliche Notwendigkeit seien Die Unterzeichneten bitten die Reichsregierung, tunlichst bald Tag und Stunde zu einer Aus sprache mit Vertretern der unterzeichneten ge werkschaftlichen Spitzenverbände bestimmen zu wollen." Der neue Strafvollzug in Deutschland. Zur Einführung der sächsischen Strasvollzugsordnnng. Seit Jahren wird in der Öffentlichkeit die Regelung des Strafvollzugs durch ein Reichs- gesetz gefordert. Unter Mitwirkung der Volks- Vertretung sollen Rechte und Pflichten der Ge fangenen in den verfassungsmäßigen Grenzen ge setzlich genau festgelegt werden. Bisher war die Durchführung des Strafvollzugs in den deutschen Ländern durch beliebig abänderliche Berwalrungs- anordnungen gerezel', die, je nah dem Geiste der Ministerien und Anstalten, in den einzelnen Län dein ganz verschiedenartig waren. Solange das geplante neue Strafgesetzbuch noch nicht fertig- gestellt i^, und Arten und Inhalt der künftigen Freiheitsstrafen noch nicht zu übersehen sind, kann an den Erlaß eines Strafoollzugsgesetzes noch nicht gedacht werden. Deshalb war es verdienstlich, daß der damalige Reichsjustizminister vr. Radbruch im Jahre 1922 die Aufstellung eines Ent wurfs zu einem Abkommen der deutschen Länder ver- anlaßte, in dem Richtlinien für die übereinstim. mende Gestaltung des Strafvollzugs in Teutsch- land aufgestellt wurden. Auf diesem Entwürfe fußt die am 7. Juni 1923 abgeschloffene Verein barung der deutschen Landesregierungen über Strafvollzugsgmndsätz: (RGBl. H S. 263), nach der bis zum 1. Juli 1924 in allen deut schen Ländern im Wege der Verordnung Straf- Vollzugsordnungen erlassen worden sind. Tie Be deutung dieser — wenn auch vielfach unvoll kommenen — „Strafvollzugsgrundsätze" liegt darin, daß sie die erste umfassendere amtliche Ausstellung eines Systems von Strafvollzugsvor- schriften sind. Sie bilden einen Markstein auf dem Wege zum Strasoollzugsgesetze und bieten, nebst den von den Ländern erlassenen Bollzugs ordnungen, die erwünschte Grundlage für die öffentliche Kritik. Sachsen hat die vereinbarten Grundsätz: durch seine Strafvollzugsordnung für die fächfischen Justizgefangnisse vom 21. Juni 1924 («Bl. S. S5S) durchgesührt. Die SlrafvollzugSoerordnung ent hält im wesentlichen die Rechtsvorschriften, die dem Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und seinen Strafvollzupsorganen einerseits und den Gefangenen anderseits das kennzeichnende Ge präge geben. Eie tritt an die Stelle der Hau«- ordnung für die Landesflrafanstakten und der Geschäftsordnung für die Justizbehörden, so weit dort die gleichen Gegenständ« geregelt werden. Die völlige Aufhebung dbr Hausordnung und der den Strafvollzug betreffenden Vor schriften der Geschäftsordnung kann erst mit dem Inkrafttreten d«r in Vorbereitung befindlichen Dienstordnung erfolgen. Diese Dienst- »rdnuna wird die Brrwaltung»vorfchriften Bon Ministerialrat vr. Starke, Dresden. (Anweisungen an die Straioollzugsbrhörden und Strafvoll-ugSbeamten) über die Handhabung der Rechtsvorschriften im einzelnen enthalten. Ferner sollen durch eine Strafvollstreckung;- Vorschrift Richtlinien für die Slra'vollstreckungs- brhördrn (StaatSanoalischasten, Amtsgerichte) über die Durchführung des Strafvollzugs gegeben und namentlich Grundsätze über die Einlieferung der G-fangeneu in die ein einen Gefängnisse, je nach ihrem Alter, Geschlecht, BefferungSfähigkeit usw. (Slra'voUstreckungSxlan), ausgestellt werden. Die sächsische Strafiollzugkordnung geht von dem Grundgedanken aus, daß Zweck des Straf vollzugs nicht die Vergeltung für die Straftat sein kann, daß vielmehr ver Gefangene durch er zieherische Einwirkung und seelische Beeinflussung gebessert werden muß, wenn die bisher so häufigen Rückfälle möglichst verhütet werden sollen. Deshalb hat die BollzugSordnunz ungeordnet, daß Strafen von längerer Dauer (mehr als 9 Monaten) i« einzelnen Ltnfen zu vollziehen sind (sogen, stufenweiser Straf- Vollzug). Das bisher in Sachsen eingeführte Disziplinarklassensystem ist mit dem 1. Juli 1924 grund ätzlich beseitigt. Alle Ge sangencn müssen jetzt nach Maßgabe der neuen Vorschriften in die drei neuen Stufen (Unterstufe, Mittelstufe, Oberstufe), die den alten Disziplinar- llaffen nicht ohue weiteres entsprechen, eingereiht we-den. Jeder Gefangene hat Anspruch darauf, daß er nach Ma aabe seines Wohlverhaltens, das auf innere Wandlung und den festen Willen zur Rückkehr zu einem rechtschaffenen Leben schließen läßt, allmählich aus der untersten Stufe in die höheren Stufen aufrückt, wobei ihm fortschreitend Vergünstigungen verschiedener Art und Milde- rvngrn deS Slratvoll ugs zuteil werden. Tie stufenweise Gewährung dieser Vergünstigungen nach dem Grade der Besserung und der Gewöhnung an Ordn mg und gesetzmäßiges Verhalten bildet ein bedeuifam:» Mittel zur Er ziehung der Gefangenen. Die Vergünstig ingen liegen zu einem erheblichen Teil auf geistigem und seelischem Gebiete. Indem der Gefangene geistig und seelisch gehoben wird, soll er aus den Verstrickungen des Verbrechens g löst und befreit werden. Die» wird in der Öffentlichkeit vielfach nicht genügend erkannt und gewürdigt. Mar be hauptet, den Gefangenen werde da; Leben rm Gefängnis zu ang-nehm gemacht. Man glaubt, wenn den Gefangenen — hie.bei kommen in Sachsen hauplsächüch nur die oberen Stufen in Betracht — belehrende und unterhaltend« Vor- träge gehalten,sowie künstlerische Musikoorführungen und geeignete Lichtbildeworträge geboten werden, wen» den Gefangenen Gelegenheit zunr Lese« bildender »nd für ihr spätere» Fortkommen nütz ¬ liche: Büch«: und Zeitungen gewährt wird, wen» ihr Körper durch willenSstärkende Turnübung«» gestählt wird, wenn die Gefangenen sich an de» Ruhetagen mit selbstgewählten Arbeiten be schäftigen dürfen, wenn sie Geduldspiele be treiben dürfen und ähnliches, werde die Strafe ihrer avfchreckenden Wirkung entNeidet und da» Ansehen der Strafjustiz gefährdet. Man will zu- weilen nicht dir Notwendigkeit einsehen, daß die Lücken in den Schülkenntniffeu jüngerer Ge fangener durch planmäßigen Unterricht au-gefüllt werden, man bekämpft die Vorschrift, daß Jugend lichen durch Erlernen eines Handwerks oder Aus bildung in einem Beruf die Möglichkeit zu besserem Fortkommen nach der Enlaffing gegeben wild, weil man darin die Schaffung einer un «lässigen Konkurrenz für die freien Arbeiter und eine Schädigung des Ansehens und der Interessen der Handwerks erblickt. Wer annimmt, daß die Ab schließung hinter festen Mauern und Ersengittern durch die erwähnten Maßnahmen ihren Schrecken verliert, befindet sich jedoch im Jntum. Richter und Staatsanwälte können ein Lied davon singe», welch- Schwierigkeiten e» bereitet, einen Ber> urteilien zur Strafverbüßung zu bringen. Ge wöhnlich versucht der Verurteilte alle» nur Er denkliche, um den Strafantritt zu vermeiden oder wenigstens hinaus uschieben. Leute, die im Ge fängnis ein Unterkommen suchen, sind seit n. An ihnen ist gewöhnlich Hopfen und Mal; verloren. Ihre Empfindungen können bei der Aufstellung von CtrafvollzuzsgrundsLtzen nicht ausschlaggebend sein. Für die überwiegende Mehrzahl der Ver urteilten stellt die Freiheitsentziehung mit ihren empfindlichen Folgen für das Fortkommen de» Betroffenen, wie für seine Angehörigen, trotz allen Milserunzen, immer noch ein sehr schwere» Übel dar. Die Geringtügigkeit der Erfolge hat zur Genüge erkennen lassen, daß ein Strafvollzug, der den Gefangenen „mürbe macht", ihn körper lich und seelisch zeibricht, die Gesellschaft nicht vor Rückfällen schützen kann. Aufgabe des Straf vollzugs muß vielmehr sein, die Gefangenen, von denen ein erheblicher Teil körperlich und geistig minderwertig und seelisch niedergedrückt ist, wieder aus,urichten und körperlich und seelisch so zu er- tüchiigen, daß sich die Gefangenen in Zukunft im Existenzkampf bester behaupten können al» vor der Straftat. Der Strafvollzug ist dazu da, dah er fick» überflüssig »nacht! Deshalb legt die Strofvollzugtordnung besoa' der«» Gewicht auf di« Vorbereitung der Ent» lastuug de» Gefangenen, dte Vermittlung a», gemessene» Unterkommen» und geeigneter Arbeit