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SächsischeSlaalszMmg den Zreiftaat Sachfen Staatsan^eiger für Ankündigungen: Die 32 mm breit« Grundzrile oder deren Raum 30 Pf , die 6« wm b«ite Grundzeile oder deren Raum im amtlichen Teile 60 Pf-, unter Ein- gesandt 90 Pf. — Ermäßigung auf Familien- und Gefchäst-anzeige«. — Schluß der Annahme vormittags 10 Uhr Fettweis« Nebenblätter: Landtag«-Beilage, ZiehungSliken der Verwaltung oer Staatsschulden und der Landeskulturrentenbank, Jahresbericht und Rechnungsabschluß der Landes» BrandversicherungSankalt verkaus-like von Holzpflanzen aus den StaatSforstrevteren Verantwortlich für die Redaktion Hauvtschnstletter Bernhard Jolle» rn Dresden Erscheint Werktag« nachwtttag« mit dem Datnm de« Erfchet»uag«tage«. Be»n,«preis: Monatlich S Mark. Einzelne Nummern 20 Pfennig. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 21295 - Schriftleitnng Nr. 14V74 Postscheckkonto Dresden Nr. 24S6. — Stadtgtrokonto Dresden Nr. 140 Nr. 278 Dresden, Sonnabend, 1. Dezember 1923 Eine Reichsregierung der bürgerlichen Mitte. Mr ein Urbergangskabinett. Der Sozialdemokratische ParlamcntSdienst schreibt: „Genau acht Tage haben die bürgerlichen Par- teien zur Lösung der Regierungskrise im Reiche gebraucht. Im Bolksmund heißt cs zwar: „Was lange währt, wird gut", aber wir zweifeln vor läufig, daß dieses Wort auch auf di« Zusammen- seyung der neuen Regierung zutr fft. Man hätte annehmen sollen, daß gerade Herr Marx, als Unterhändler des Zentrums, bei den Verhandlungen über die Bildung deS Bkbrg erb lockS aus den Ereignissen der letzten acht Tage die notwendigen Lehren ziehen, und ihm sein Außenminister Strese - mann h erbei besonder« Ratschläge angedeihen lassen würde. Im vollen Umfang ist diese Vermutung, wenig- stens soweit die personelle Zusammensetzung in Frage kommt, nicht wahr geworden. l)r. Marx hat Männer in sein Kabinett ausgenommen, deren persönliche und politische Vergangenheit unseren Befall nicht finden kann. Wir denken hier vor allem an den Innenminister Vr. Jarres, der „vorübergehend" das Ruhrgebiet preisgeben wollte und sich, im Verlauf der Krise, mehrfach als eifriger Fürsprecher der Deutschnationalen gezeigt hat. ES ist kaum anzunehmen, daß er unter Marx als Reichs kanzler in die Lage kommen wird, seine Ideen zu verwirklichen. Inzwischen ist bekanntlich die Arbeit im Ruhrgebiet zum großen Teile wieder auf- genonnne» worden, sodaß schiu dadmch di« Ver wirklichung einer vorübergehenden Preisgabe der besetzte» Gebiete und ihre spätere Zurück- eroberung durch Waffengewalt auf ab sehbare Zeit hinfällig werden dürfte. Wesentlich erscheint uns im Augenblick die Gefahr einer deutschnationalcn Beeinflussung des Innenministe riums, obwohl nicht ausgeschlossen ist, daß Jarres mit dem Tage seiner Ernennung zum Innen minister im Kabinett Marx der Rechten weniger gehorsam ist, als es, im Verlauf der letzten acht Tage, also während seiner Stellungslosig keit, der Fall war. Auch der Abgeordnete der Bäuerische» Volks- partc., l>r. Emminger, als Jvstizminister muß starke Bedenken in allen republikanisch-fortschritt lich gesinnten Kreisen Hervorrufen. Emminger kann vielleicht nicht allgemein als reaktionär an- gesprochen werden, aber sicher ist, daß Herr Marx mit ihm nicht allzu großen Staat machen kann. Wir erinnern nur an Emmingers Stellungnahme zum Falle Fechcnbach im Reichstage. Wäh rend der jetzige Reichskanzler das Urteil des Münchner Volksgerichts offen als Fehlspruch bezeichnete und sich zu einer schnellen Revi sion bekannte, zeigte sich Emminger als Vertei diger des Fehlspruchs gegen Fechenbach und An walt der Münchner Volksgcrichte. Seine Poli- tische Gesamtcinstellung vermag sich insofern be sonders rückschrittlich auszuwirken, als er sich in einer Gesellschaft von Ministern befindet, die sich in den letzten Monaten nicht gerade ein gutes Zeugnis bei der Vertretung von Volksintrresscn erworben haben. Das Programm der neuen Negierung muß deshalb aus dem Sturze des Reichskanzlers Strese mann schon weitgehend« Schlußfolgerungen ziehen, wenn es die unglückliche Wahl bei der Vergebung der einzelnen Portefeuilles wieder gutmachen und die Sozialdemokratie veranlassen will, dem tkabi- nett Marx keine Schwierigkeiten zu bereiten. Aus schlaggebend bleibt für unsere Haltung in der VenrauenSfrage in letzter Linie das Programm. Die sozialdemokratische ReichStagSfraklion wird de'halb erst nach der Abgabe der Regier »ngS- erklürung, die für Dienstag vorgesehen ist, endgültig Beschluß über die von ihr einzuneh mende Stellung fassen. Die Erklärungen der neuen Regierung über den Belagerungszustand und Vayern werden bei diesen Beratungen eine aus- stblaggebende Rolle spielen. Wir wissen nicht, welches Ergebnis die am Donnerstag abgehaltene Besprechung Marx-Seeckt gehabt hat, aber fest, gestellt werden muß schon heute, daß ohne be- friedigende Stellungnahme de« Kabinett» zu dem velagcrung-zustand eine Unterstützung oder Tole ranz der Sozialdemokratie nicht in Frage kommt. Die Regierung Mar; bestimmt also ihr Schick- M selbst, nachdem der verfuch, die Deutschnatio- nalen zur Mitarbeit im Reiche zu gewinnen, noch in letzter Stunde gescheitert ist und damit die Haltung der Sozialdemokratie eine ausschlaggebende Bedeutung erfährt. Wir betrachten an sich die neue Regierung nur als U b e rg a ng - k a b i. nett und werden, falls sie am Dienstag Zentrum, Volks-urtei und Demokraten. Berlin, 1. Dezembrr Di, Regieruugsblldu«, durch den Zentrums«bge«rd«,te» Mar; hat erst im Lause d«S gestrigen Abends ihre« Abschluß gefu«de». Bevor die endgültige «iuistetttste ferttggesteUt war, mußte« verschied««» Schwierigkeit«« partei- palitischer Art überwunde« werde«, »ar; Plante, de« deutschaatio«ale« Abg. Schiele al» K«ch- «iuister xdaS ErnShru«gS«i»isterium zu übergebe«. Schiel« war perfiftttich bereit, wurde jedvch durch sei«« Fraktiv« bera«laßt, die Annahme eme» Minister««»«» abz»leh«e« Das verailaßtr di« Bahertsche Volks» Partei, »«« als r»ftiMi«isttr t« Vp-sichi ge nommene« «bg. »mmt«ger ebnifall» zu einem Verzicht aus das ihm ««getragene Amt zu veraalasseu. Dem Abg. Mar; gekurg «» jedoch, die Bedenke« der Batzerische« BolkSpartei im Laßse des Nachmittag» zu zerstreue« ««» sie zum Si«trltt tu die Regieru«g z« be wege« U«ler dem Druck deS La«db«»deS trat abeads auch die de«tschuatio«ale Frattio» «och» mal» zusamme«, weil der NeichSlaudbuud e!«e« Eintritt de» Abg. Schiele u«d eine» zweiten dentschnation«len Ministers i« die Regie rung wünschte. Die Aratt»»« blieb jedoch bet ihrer erste« Anfsassuag und lehnte de« Ei«» tritt i» die Rrgieru«g ab. Damit war par lamentarisch enigermaße« Klarheit geschaffen, weil inzwischen die übrige« Mittelparteie«, ««ter ihn«« auch die Demokraten, gnmdfätzlich ihre Bereitschaft zur Stützung der Regie rung «ar; zugesagt hatten. Das Kabiurtt wird sich au» folgenden Per sönlichkeiten zusammensetzen: Mar; jZentrumf Reichskanzler, Jarre» jBpt.j Innere» nnd Vize- kanzler, Stresemann (Vpt.j Außere», Geßler (Dem.f Reichswehr, ve. Brauns <3 f ArbettSminister, vr Hoesle sSf Postmtnister nnd besetzte Gebiete, Emminger (B. vpt.) Jnsttz, Luther <Bpt. »ahesteheudf Ktnauzen, Oeser (Dem.) Verkehr, Sauitz, Eruährnug, Ham« sDem.) Wirtschaft. Das «teberaufbaumtuisteeinm Reibt vorläufig unbesetzt. G Die Haltung der SsziRl- demokraten. ^GsammeMritt des Steich»t«gs am Dienstag. Berlin, 1. Dezember Die soztaldcmokraiische Relch»tagg- fraktion beschäftigte sich gestern t» «retzistM- diger Sitzung mit d«n verlanfe ber »rise „v «Herr Etellnngnahme be« nenm Kabi nett Mar;. Die eudgülttgt »ntscheib«>g »»er bt« Siellnngnahmr wnrde bi» zur Abgabe ber R eglernngtzerklärnng vertagt. * Der Reichstag tritt am DtenGag zur Mtt- gege»ahme eine, «rtlsrnng des Reichs, regte,nng znsamme». * ein Verlkaueiisvoium erhält, von Fall zu Fall ihre Taten beurteilen und daraus die notwendigen Schl» folgerunge» ziehen. Schon heute aber ist damit zu rechnen, daß die Neu- Wahlen, die programmäßig im Juni des kom- menden Jahres stattsinden sollen,' früher aus- Der „Berliner Lokalanzeigcr" will wissen, der Reichskanzler habe die Absicht, die Stellungnahme der Regierung i» kurzer präziser Form nieder- zulegen und im Anschluß daran um die Er- mächtigungzu einer Reihe dringend notwendiger Maßnahmen, vor allem steuerlicher Art, zu ersuche». Da es sich nicht um die Verfassung ändernde Maßnahmen handle, werde für die Annahme im Reichstage die einfache Mehrheit genügen. Ein außer ordentliches Vertrauensvotum werde vom neuen Kabinett voraussichtlich nicht gefordert werden. * Dankschreiben Eberts an Stresemann. Berlin, 30. November. Der Reichspräsident hat an den schei dende» Reichskanzler l)r. Stresemann nach stehendes Schreiben gerichtet: Die Bloßstellung der Deutsch- nationale». Berlin, 30. November Der deutschnativnale Drang nach der „Futter krippe" erfährt nachträglich noch eine besondere Beleuchtung durch den „Parlamentarischen Dienst der Zentrumspartei". Auch er bestätigt, daß die Temenlis der Deutschnalionalen! ««wahr sind, und daß sie sehr wohl bereit waren, „alle ihre seit Jahren vertrelcnen sogena.inten prinzipiellen Förden,»gen über Bord zu werfen, ja förmlich direkt zu verleugnen um den einen Preis: die Mach» in Preußen". Im einzelnen schreibt der „Parlamentarische Dienst": „Dir be«tjch««tt»««lr« Erklär»«ge« ging»« bezügktch ber Berf*js««g boht«, baß „selbst. »erstä«bktch^ k«i»e Reb« daoo« sei» k»««t«, b«ß bt« Deutsch««»io««K« bies« B«r- f«ff«»ß ««»er» al» »tt v,rf«ss««gSm»ßtg«i Mittel« Mbe« wollte«. A«ch bezüglich v«» Feieb«»»bertr«ge» »Märle« sie, b«ß geschrieben werden. Über ven Termin dürste Sie Sozialdemokratie in ihrer jetzigen Position ein wich tiges Wort mitzureden haben. Sie wird sich dazu entscheiden, sobald das durch die Hain nq der Re gierung notwendig ist!" „selbstverständlich" gar keine Rebe d«»on sein könnte, d«ß er zer rissen werden sollte Bezüglich v«r illegale« Verbände erklärt«» st« ebeaio «IS „selbstv»rftc«»ltch-, daß solche ver bände, ob sie rechts oder links ftä»ve», «tt den Mittel« des St««te« bekämpft werde* müßte«. ll«b fchließltch erklärt«« st« hi«ftcht- lich derallgemet««« Anß««p»ltttk, b«ß auch v« k«t«e A«der««g ruttretr«, fo«der« die L1«te ber Sirefeara««- regter««g fortgesrtzt »erbe« solle Und sie stellte« sich damit ga«z a«s be« Boden der ErfüllnngSpoltttk." Die Schlußfolgerungen über die authentische« Feststellungen der Zentrums-Korrespondenz sind, daß die Deuischnationalen in d«n letzten Tagen ihre bisherige Verlogenheit selbst gestanden und zugegeben haben, daß die in den letzten Jahren von ihnen betriebene Politik nur auf Stim- menfang und Bolksverhetzung hinauslief Prefftftimmeu. Die „Deutsche Tageszeitung" spricht von einer „Verl egen Heils re gierung" und schreibt: „Die Haltung der deutschnationale« Fraktion zu einem Kabinett Marx ist im ein zelnen noch nicht festgelegt. Man will natur gemäß zunächst einmal ab war len, wie die Zu sammensetzung des Kabinetts sein wird, und welches Programnr es dem Reichstag vorzutege« gedenkt. Nachdem aber gerade durch Zentru« und Demokraten die Teilnahme der Deutsch- uatronalen BolkSpartei an einer bürgerlichen Re gierung verhindert worden ist, nachdem ge rade in der für die Deutschnatronalen grund sätzlichen Preuße »frage von den beiden ge nannten Fraktionen des Landtags eine ziemlich schroff ablehnende, feiten» der Volkspartei aber eine ausweichende Antwort ergangen ist, «- scheint es unS undenkbar, daß die Rechte i« irgendeiner Form die RegierungStät^keit eine» Kabinett» Marx unterstützen wird." Das Kabinett Marx. Sehr geehrter Herr Reichskanzler! Ihrem Anträge, Sie, angesichts der durch den Beschluß des Reichstages vom 23. d. M. gegebenen politischen Lage, von Ihrem Amte als Reichskanzler zu entbinden, habe ich mit anliegendem Erlaß entsprochen. Ihne» bei diesem Anlas, namens des Reiches herzlichen Tank und ausrichttge Anerkennung für Ihre wertvolle und hingebende Arben für unser Land und nnkcr Volk auszusprcchcn, ist mir ein leb haftes Bedürfnis. Sie haben in einer besonders ernsten Zeit die Bürde des Leiters der Reicks- regierung und der deutschen Außenpolitik auf sich genommen. Unter Verhältnissen, die an S»a a t s ku n st und Arbeirskraft die höchsten Anforderungen stellten, haben Sie, in unermüd- licker Tätigkeit, während Ihrer Amtsführung mit Ihrer reiche» polnischen Erfahrung und Be fähigung >rlle Kräfte daran gesetzt, des barten Druckes von außen wie der hierdurch entstan denen Zwietracht und Rot im Innern Herr zu werden. Daß Sie Ihre Mitarbeit als Reichs- Minister des Auswärtigen auch der neu- gebildete» Reichsregierung zur Verfügung ge stellt haben, begrüße ich ganz besonders. Mn der Versickerung meiner hohen Wertschätzung bin ich Ihr sebr ergebener Ebert, Reichspräsident. Ter „Vorwärts" spricht die Erwartung aus, daß auch die neue Regierung eine Politik trerbe» werde, die von der Rechten be kämpft und von der Sozialdemokratie geduldet wird. Weiter behauptet er, Herr Marr sei auf der Rechte» ebemo unbeliebt wie aus der Linken persönlich geachtet, und gibt das Versprechen ab, daß die sozialdemokratische Partei die Vorbereitung der Reichstags- wahlen nickt stören und mit dem alte» Reichstag ohne zwingendste Not nicht neue Krisenerperimente macken wolle Der Regierung Marx sei zu wünschen, daß es ihr gelingen möge, die Geschäfte des Reiches so- l ange zu führen, bis die Durchführung frei er Reichstag »wählen im ganzen Reiche mög lich sei. Das „Berliner Tagebtarl" »reim, Herr Marx werde wchl, klug berechnend und vorsichtig handelnd, alles tun, um über den Winter der Rot und des Elends hchwegzukommen; und wenn Vr. Stresemann als Außenminister nn Kabinett oder im Reichstag neben ibm sitzen und seine Rhetorik alles zu überschwemmen drohe» werde, dann werde Marx mit beschwichtigenden Hagyen rechtzeitig Damme herumbauen.