Volltext Seite (XML)
SächsischeStaalZzeüung Staatsaryeiger für den Freistaat Sachsen Ankündigungen: Die 32 nun breite Grundzeile oder deren Raum im Ankündigung»- teüe 7 M., die 66 nun breite Grundzeile oder deren Raum im amtlichen Teile 14 M., unter Singesandt 2V M. Ermäßigung auf Familien- u. BeschäftSanzeigeu. Schluß der Annahme vormittag» 10 Uhr. Zeitweise Rebenblütter: Landtag»-Vellage, Synodal-Beilage, Ziehungslisten der Verwaltung der Staatsschulden und der Lande-kulturrentenbank, Jahresbericht und Rechnungsabschluß der Lander-BrandversicherungSanstalt, Berkaufsliste von Holzpflanzen auf den Staatsforstrevieren. Erscheint Werktag» nachmittag» mit dem Datum de» folgenden Tage«. B ezug»pr ei»: Unmittelbar od.durch die Postanstalten Ib M.monaU. EinzelneNrn.1M. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 2129b — Echriftleitung Rr. 14b74. Postscheckkonto Dresden Rr.2486, Beauftragt mit der Oberleitung (und preßgesetzlichen Vertretung für den schriftstellerischen Teil): RegierungSrat Doenge» in Dresden. Dienstag, 27. Juni Nr. 147 1922 Die Ermordung vr. Rathenaus. Der Reichskanzler vr. Wirth halte recht, wenn er am vergangenen Sonnabend in der KabmettSsitzung unter dem unmittelbaren Eindruck d.'S Mordes an vr. Rathenau erklärte, diese furchtbare Tat beleuchte grell die innerpolitische Lage. Unleugbar ist die Tatsache, daß die wüsten Mordanschläge nur von einem Neinen Kreise nationalistischer und jeden wahren nationalen Ge fühles barer Fanatiker ausgehen. Aber diese Gruppe ebenso mordentschlossener wie feiger Re volver- und Giftgashelden schöpft den Glauben cn die Berechtigung ihrer Gewalttaten au» der ununterbrochenen Hetze, die gegen die Regierung Wirth und die Republik mit den Mitteln skrupel- losester Demagogie getrieben wird. Wenn immer wieder d e Herrlichkeit und das goldene Zeitalter der Kaiserherrschaft in Gegensatz zu der traurigen und allen Mut niederdrückenden Gegenwart ge- stellt wird, ohne daß die selbstverständliche Ein' schränkung gemacht wird, .daß nach einem so bei spiellos verheerenden, verlorenen Kriege, den die gegenwärtigen Machthaber doch wahrlich am aller wenigsten verschuldet haben, auch der größte Staatsmann das schwere Leid nicht zu wenden vermöchte, und daß kein Führer, mag er von rechts oder links kommen, den brutalen Truck zum Teil übermütiger, zum Teil salbst schwer ge- trossener Sieger zu brechen imstande wäre: kann es dann wundernehmen, daß in wirren Köpfen der Wahn sich einlebt, man brauche nur die jetzige Regierung zu beseitigen und alles würde wieder gut und heil werden! Tas aber ist die Schuld, die verantwortungs lose Agigatoren der Rechten auf sich geladen haben, daß sie diesen Irrwahn nicht nur nicht mit aller Macht bekämpften, sondern immer neu nährten. So ist auch das Wort aufzufassen, das der Reichs kanzler am Sonnabend Nachmittag in der Trauer sitzung des Reichstages gesprochen hat, daß an dem Morde schuldig seien jene, die zur Tat aufgefordert und nach einem Siaatsgerichtshof gerufen haben. Die deutschnationale Presse hat zwar bis zur „Deutschen Zeitung" hin ihr Bedauern und ihren Abscheu ausgesprochen und bekannt, wie sehr gerade die deutschnationale Bewegung durch solche Schandtaten geschädigt wird. Aber mit solch nach träglichem Bedauern ist wenig getan; man muß vorher die Wirkungen eines mit unredlichen Waffen gegen Männer, die in schwerster Zeit die undank barsten Aufgaben auf sich genommen haben, ge führten Kampfes voraussehen. Man durfte nach der Ermordung so zahlreicher Arbeiterführer und nach dem doppelten Anschlag auf Erzberger nicht vergessen, daß eine Schar irregeleiteter, durch die Kriegserlebnisse aus dem geistigen Gleichgewicht gebrachter junger Leute immer bereit steht, Männer, die ihnen tagaus, tagein als Schädlinge und Volks verderber hingesteüt werden, aus dem Wege zu räumen und die Berechtigung zum Meuchelmord aus den Reden und Artikeln nationalistischer Führer abzuleiten. Eine Aufmunterung mußten sie auch darin sehe«, daß «S bisher noch in keinem Falle gelungen war, solche Mordbuben zu fassen und gebührend zu strafen, und daß immer wieder Worte der Entschuldigung für solche AuSbrüche eine- „fehl geleiteten Idealismus" gefunden wurden. Wenn gar das letzte GiftgaSattentat aus deu Kasseler Oberbürgermeister Scheidemann als „Angriff mit der Klistierspritze" abgetan nnd der Kasseler Oberbürgermeister auch noch ge- wissenloftr Revolverschießerei bezichtigt wurde, dann muß das auf hemmungslose und entartete Gehirne geradezu verhängnisvoll wirken. vr. Rathenau stand — da» war längst kein Geheimnis mehr — als einer der ersten aus der Proskriptionsliste der geheimen Mörderseme, die außer auf ihn und Scheidemann es besonders auch aus vr. Wirth und Ebert abgesehen hatte. Lor allem darum, weil er Jude war. Und zwar einer der ehrlichen und achtbaren Juden, die ihre Ab stammung nie zu verschleiern liebten. Nichts wog da die Überlegung, daß derselbe Mann zu Kriegs beginn mit bewunderungswürdigem Organisation»« geist die Rohstoffversorgung Deutschlands sicher- gestellt und damit die Kriegsührung überhaupt erst ermöglicht hat. Ihn traf giftiger Haß, trotzdem er am Vorabend der Unterzeichnung des Friedens vertrages noch in letzter Stunde dieser Unter zeichnung widerriet, wie er auch kurz vorher noch zu einer allgemeinen Volkserhebung auflief, als alle miliärischen Fachleute eine solche für zwecklos hielten. Hohn statt Dank erntete er für seine Arbeit in Lannes und vorher in London, welche die ersten persönlichen und direkten Aussprachen mit den Ententesührern anbahnt« und zum Sturze Briands führte. Jede Erleichterung, die er dem deutschen Volke durch seine Abmachungen mit Loucheur und anderen im Fordern nicht bescheidenen Gegnem zu erwirken suchte, wurde in eine unendliche neue Belastung umgelogen, wobei seine Gegnerschaft zu einem der mächtigsten deutschen Jndustrieführer immerhin eine Rolle spielte. Muß daran erinnert werden, daß gerade in der Rechtspresse viele Stimmen den von ihm, vielleicht nicht gerade in der glücklichsten Stunde, herbeigesührte» Vertrag von Rapallo als die erste selbständige Tat einer deutschen Regie rung seit dem Kriege begrüßt haben. Und er starb durch Mörderhand zwei Tage nach der auch von den Rechtsparteien und der Rechtspresse bei- sällig ausgenommenen mannhaften ReichStagSrede, in der er das schreiende Unrecht, das dem deutschen Volke im Rheinland und im Saargebiet zugesügt wird, vor der ganzen Welt, die auf seine Stimme zu hören gewohnt war, noch einmal feststellte. Daß er auch als Ingenieur und erfolgreicher Wirtschaftskapitän Weltruf genoß, hat die Mord buben ebensowenig entwaffnet, wie sein bedeutende» Werk als Denker und WirischastSphilosoph, al- geistvoller Schriftsteller, ein Werk, das diese blöden und verbohrten Köpfe wahrscheinlich überhaupt nicht kannten, * Wie die Tat geschah. Den Mitteilungen über die Ermordung vr. RathenauS, die wir in unserer letzten Ausgabe brachten, lassen wir im Nachstehenden noch Einzel heiten folgen, wie sie von Augenzeugen der Tat beobachtet wurden: vr. Rathenau war um 10,1b Uhr mit seinem Privatauto von seiner Billä" im Grunewald ab- gefahren und fuhr die KönigSallee in der Richtung nach Halensee entlang. An der Ecke der Erdener- und Waltotstraße, unmittelbar vor einem Neubau, wurde der Wagen von einem dunkelgefärbten offenen Auto überholt, in dem sich vorn auf dem Sitz ein Chauffeur und im Innern drei junge, etwa im Alter von 2b bis 28 Jahren stehende Männer befanden. Alle In assen de- AutoS waren mit völlig neuer Lederkieidung und Leder kappen, die tief in das Gesicht hineingezpgen waren, bekleidet. Im Augenblick de» Überholens erhob sich einer der Insassen deS AutoS, griff unter den Sitz seines Vordermannes und gab au« einer großen Paravellum-Pistole innerhalb weniger Sekundcn sen « bi« sieben Schüsse auf den Minister ab, der sofort leblos in die Polster zurücksank. Der Chauffeur blieb unverletzt. Er fuhr noch ein Stückchen weiter bi» zur Einbiegung in die Wallot- straße. Die Verfolger fuh en nun abermal« an seinen Wag.» heran und i^lenk-rten ihm eine Hand ¬ granate entgegen, vr. Rathenau wurde von fünf bi» lech« Schaffen getroffen, von denen einer von hinten da« Rückenmark verletzt hat. Außerdem erhielt er mehrere schwere Kieferschüsse. Da« Auto der Attentäter ist nach dem Morde nicht nach Berlin gefahren, sondern später in Schmargendorf und dann in Zehlendorf, also an- scheinend auf der Fahrt nach Potsdam gesehen worden. Der Wagen hatte, wie die auf dem Neubau befindlichen Arbeiter feststellten, keine Nummer. Unmittelbar nach der Tat wurden alle in der Umgegend der Mordflelle liegenden Schutz- Polizeireviere alarmiert. Sämtliche für Automobile befahrbare Straßen wurden mitRadfahrerpatrouillen besetzt. Die Obduktion der Leiche wurde gestern, Sonntag, vormittag im Schauhause von mehreren Gerichtsärzten unter Hinzuziehung eines Schieß- sachverständigen vorgenommen. Die Untersuchung ergab, daß der Min ster von fünf Kugeln durch, bohrt worde« war. Wahrscheinlich war schon der erste Schuß, der links vom Rücken durch die Brust höhle ging und den rechten Lungenflügel durch bohrte, tödlich. Der erste Schuß fiel, al» das Auto der Mörder von hinten unmittelbar an den Wagen de» Minister» herangekommen war, also au« nächster Nähe. Bon der Handgranate rühren die Verätzungen an der rechten Hand und am rechten Bein her. Am Sonntag sind 10 Personen festgenommen worden, die unter dem Verdacht stehen, der au« dem Prozeß Killinger bekannten Organisation 6 anzugehören. Sie wurden inS Polizeipräsidium gebracht und einstweilen im Ge wahrsam behalten. Ihr Aufenthalt zur Zeit de» Anschläge» wird genau nachgeprüst werden. * Die Berliner Kriminalpolizei hat im Laufe deS gestrigen Sonntags unter Aufgebot aller möglichen Mittel die Fatndung nach den Attentätern auf Rathenau fortgesetzt. ES haben sich ungefähr hundert Zeugen gemeldet, welche die Mörder vor der Tat beobachtet bez. da- Auto in rasendem Tempo nach dem Mord haben fort- saren sehen. Die Ans agen eine» Oberförsters aus der Umgegend Berlins,^>er nach der Reichs- Hauptstadt zu einem Teimin geladen war, haben der Kriminalpolizei stichh.ltige Anhaltspunkt; zur weiteren Verfolgung der Täter gegeben. Der genannte Oberförster hat das Mörder-Auto eine Bi.rtelstunde lang vor der Abfahrt zur Ber- solgung deS Rathenauschen AutoS beobachtet, wußte die T ter genau zu beschreiben, desgleichen auch die Nummer des WageuS onzugeben. ES handelt sich um drei junge Leute, die von dem Zeugen auf 2b bi» 30 Jahre geschätzt werden. Einer der Mörder beobachtete außerhalb des Wagens die Abfahrt Rathenaus und gab das Signal zur Verfolgung. Aus die Ergreifung der Mörder deS Reichs- Ministers deS Äußeren vr. Rathenau sind vorläufig 1 Mill. M. Belohnung ausgesetzt worden. Berlin, 26. Juni. Tie Aussetzung der hohen Beloh ung von einer Million Mark hat einen Maffenansturm von Zeugen herbeigeführt. Die Arbeit ist so ungeheuer, daß drei Unterkommissionen zur Prüfung der Zeugenaussagen einge etzt wurden. Sämtliche in Urlaub befindliche Kriminalbeamten sind tclegraphisch zurückberufen worden. Biele hundert Beamte sind zurzeit in Gruppenstreifen, Fahndungskommandos usw. eingeteilt und durch streifen Groß-Berlin, die weitere Umgebung, wie überhaupt die ganze Mark Brandenburg. Alle Automobilsabriken werden polizeilich kontrolliert, urr festzustellen, an wen sie in den letzten Jahren Automobile verkauft haben. Alle Automobit- besitzer müssen Au-kunst über den Verbleib ihrer Wagen geben. Bi» in die kleinsten Flecken des Deutschen Reiche- hinein ist Befehl gegeben worden, auf alle verdächtigen Personen zu achten und sie unverzüglich festmuehmen. Die Grenz stationen sind durch verschärften Überwachung»- dienst gesichert. Die Beisetzung vr. Rathenaus. Da» Reiq»kahl«ett hat beschlösse«, die Be- erdig«»! Rathenau» auf ReichSlosten borzu- »ehme». Die Leiche de» Miuistrr» wird heute »««tag, im Reichstag« aiifgedahrt »erde« Morgen, DienStag, nachmittag erfolgt ««ter Teil nahme der ReichSregiem«- ««d de» Reichstage» di« Beisetzung. Die Leich« wird «ach de« Erb- begräbni» der Familie i« vderschSnewelde ge bracht werde«. Die Beileidskundgebunge». Der Reich-Präsident hat an die Mutter vr Rathenaus, an den Reichskanzler und an die Deutsche Demokratische Partei die nachstehenden Telegramme gerichtet: A« Fra« Rath««««. Die Nachricht, daß Ihr Soh« soebe« eine» grausig,« Anschlag z«m Opfer gefalle« ist, hat mich tief erschüttert. Mit ihm ist eiae der besten Kräfte unseres Bolte» weggerafft, der Ma««, der ein« große» «eistrsgabe», seine reiche Erfahrung « schwerster Zeit restlos in de» Dieust deS Vatrrlaudes gestellt hat. Daß Ihr Sohu, de» ich persönlich sehr berehrt habe, gerade jetzt, inmitten von verha«dlu«ge», die für nufere Zukunft entscheidend sei« werde«, feige hi»- gemordet wurde, ist für da» Reich und da gesamte deutsche Bolt ei« schwerer Schlag. Seit« Sie, verehrte guüdige Fra«, «ei«er auf richtigste« uud herzlichste« Teil«ahme versichert. An den Herrn Reich»kanzler. Der Reichsregierung spreche ich zu dem schweren Verluste, der sie durch das plötzliche Dahinscheiden deS Reich»ministerS vr. Rathenau betroffen hat, mein herzlichste» Beileid auS. Der feige Mord beraubt die Regierung eines hochbefähigten tat kräftigen Mitgliedes, dessen erfahrener Rat in dieser Zeit besonders schwer entbehrt werden wird. Auf dem Weg«, den Rathenau bisher uns voran, gegangen ist, wollen wir, sein Andenken in Ehre» haltend, fortschreiten und weiterarbeiten an der inneren Gesundung unseres Volkes und an der Festigung und Wiedererstarkung de» Reiches. An die Deutsche Demokratische Partei z. Hd. des Herrn Senator Petersen. Die Deutsche Demokratische Partei hat durch die Ermordung Rathenaus einen ihrer besten führende» Männer verloren. Mit der Reichs- regierung betrauere ich in dem in so hinterlistiger Weise Dahingeraffien einen treuen M tarbeiter und hochgeschätzte» Berater, dessen hervorragende Verdienste um do- Reid unvergessen bleiben werden. Der Demokratischen Partei übermittle ich meine herzlichste Teilnahme. (8t. L.) Die sächsische Regierung hat an den Reichskanzler vr. Wirth folgende» Beileidstelegramm gerichtet: Di« Botschaft von der Ermordung de» Reich»- Minister» Rathen«« hat die Regierung de» Frei staates Sachse« mit tiefer Trauer «ud Empömug erfüllt. Nach dem ruchlosen «ngefühnten «ord an dem Adg. Erzberger ist jetzt ei« ue«e» «ner- hörtes Verbrechen von natioaalistische« Kreise» verübt worden. Noch ist der Anschlag anf de» Abg. Scheidemann ««geklärt. Der Meuchelmord an Rathena« wirkt um so rrschütteruder, al» er eine« «au» tr«f, dessen reiche» Wissen «Merlan«« wurde u«d der mit festem Will,« im Begriffe war, eine» gangbare« Weg für Deutschland a«S dem Elend der Krieg», folgen z« finde«. Die Regierung de» Kreistaate» Sachse« ist mit dem Herrn Reichskanzler der Meinung, daß e» sich bei den Mordanschläge« um el«en wohl» angelegten, organisierten Plan handelt, der vo« den nationalistisch-monarchischen Parteien be günstigt worden ist. Sie spricht die Erwartung au», daß die RcichSregltr««g alle» tnn wird, um weitere Mordanschläge zu vereitel«, u«d glaubt, daß bet voller Wahrung der Meinungs freiheit doch alle» getan »erde» muß, «m der nationalistische« Hetzarbeit Einhalt zu tun u»d di« geheimen oder offenen staatsfeindliche« Organisationen zu »«terdrücken. Die Regierung de» Freistaates Sachse« hat von sich auS bereit» alle Borbr«gu«g»maßrrgel» getrosfe« nnd ist brrett, die ReichSrrgiemng in ihrem Kampfe gegen die konterrevolulionäre« Bestrebungen mit Hilfe der Arbeiterschaft z» ««lerstutz.«. Lie spricht der RelchSregtenmg die herzlich« Teil«ah«e für de» erlitte»»» schwere»