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T>»»»abe«d. Rr. 203. S« August ISS«. OrkPKiH Die Zeitung erscheint mit Ausnahme des Montags täglich und wird Nachmittags -1 Uhr aus gegeben. DtilW MiMiilk Zeitung. Preis für das Vierteljahr 1'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Jnserttonsgebühr für de» Raum einer Zeile 2 Ngr. Die spanischen Vorgänge. -i- Madrid, 20. Aug. Die Bedeutung der letzten spanischen Umwäl- -ung ist weit tiefgehender, als man bei oberflächlicher Anschauung voraus- setzen, als man es von gewissen Seiten her glauben machen möchte. ES handelt sich keineswegs blos um einen Personenwechsel, der in den Regio- nen der Verwaltung stattgefundcn; auch nicht um einen bloßen Austausch verwandter Principien, die sich durch bloße Nüancen unterscheiden, wie etwa das berühmte Programm zu Manzanares von dem Programm der Progressisten. Es ging durch den Sieg O'Donnell's für Spanien weit mehr verloren als ein Ministerium, und durch den Sturz ESpartero's wurde weit mehr in Frage gestellt als der subtile Unterschied zweier Principien, mehr als ein Princip selbst. Um die Größe und Tragweite des Verlustes zu ermessen, den Spanien erlitten, ist es nöthig, einen prüfenden Blick auf die gestürzte Regierung, auf ihre inner» und äußern Verhältnisse zu werfen. Ihre Gegner bezeichneten sie als eine „revolutionäre" und „schwache"; und sie war von Beidem das Gcgentheil. Sie war die glückliche Vercin- charung getrennter, aber zusammengehörender Elemente. Statt revolutionär zu sein, hat sie im Gegentheil der Bewegung von 1854 einen heilsamen Damm gesetzt, hat deren überbrausendes Drängen beschwichtigt; sie hat eine Vermittelung zwischen Volk und Thron gestiftet, die segensreich für daS Land werden mußte, zu werden angefangcn. ES wird wol Niemand leug- nen können, daß für Spanien vermöge seiner innersten Natur, vermöge sei ner historischen Entwickelung, vermöge des ganzen Zuschnitts seines StaatS- lebenS die Monarchie ein Bcdürfniß, ja daß sie ihm nothwendig ist. Wenn auf irgendein Land, so ist auf Spanien der Sah anwendbar: „Wo die Monarchie möglich ist, da ist sie nothwendig"; aber zugleich ist es ausge macht, daß daS monarchische Princip in Spanien seit dem Jahre 1808 große Erschütterungen, wesentliche Modifikationen erlitten, daß eS in dieser Beziehung die Einflüsse der Zeit erfuhr, wenn es auch, was Cultur und Civilisation betrifft, hinter den Foderungen des Jahrhunderts weit zurück- geblieben. Während sich französische Ideen vieler Köpfe der höher« Gesell schaft bemächtigten, wirkte Ferdinand's Vll. feige, abtrünnige Unterwerfung unter daS Scepter Napoleon's auf die zum heroischsten Widerstand empor- gerüttelten Massen in ungünstigster Weise. Der letzte SuccessionSkampf «hat ein Weiteres, die Königin Isabella II. kam durch Wahl auf den Thron; sie verdankt ihrem Programm und nicht einem angenommenen unbestritte- nen Recht ihre Erhebung zur Herrschaft; es kämpfte, blutete, siegte das Volk nicht sowol für sie als für die besondere Rcgierungsweise, welche sich in ihr darstellte; in diesem Umstand spricht sich ein entschiedenes Abweichen von der altspanischen romantischen Auffassungsweise des Königthums aus. Er gibt den rechten Maßstab für die dem sieben Jahre dauernden Kriege folgenden Ereignisse. Die Regierung der Moderados und Polacos hat es außer Acht gelassen, waß die Königin Isabella der Nation bedeute, was sie bedeuten müsse, damit ihr Thron die natürliche und folglich feste Grund- läge habe; sie vollzog in der verhaßten Weise die Staatsgeschäfte, gegen die sich die Nation erhoben und gegen die sie durch Erhebung für die Königin Isabella blutig protcstirte. Diese Regierung strich das Programm aus, wel ches ein SiegeSgeschrei geworden, und schrieb den Feldruf der Besiegten an ! dessen Stelle, sodaß die aufopfernden Kämpfer für die konstitutionelle Kö nigin bald nicht mehr wußten, warum sie gegen Don Carlos gestritten. Has war ein Fehler und ein Verbrechen, das hieß die Dinge zum Seba- d^en des Landes und des Throns verwirren. Die schlimmen Folgen blie ben nicht aus und die Bewegung von 1854 ließ keine geringe Neigung blicken, die durch die größten Aufopferungen neu gegründete Monarchie selbst zu erfassen. Espartero, derselbe Espartero, der im Jahre 1840 den Karlisten unter Cabrera den Todesstoß, dem Lande die Königin als blei- bende Beherrscherin und dem Lande den Frieden gegeben, ward an die Spitze der StaatSgeschäfte gerufen und dadurch die Dinge in das alte Geleis wie kurz nach den entscheidenden Siegen zurückgebracht. Die Re gierung von 1854 brachte Verjüngung dem durch schlimme Verwaltung abgenutzten Thron und dem Lande alle Genuglhuung. Sie war keines wegs revolutionär, sondern hob die unnatürlichen Zustande und Span nungen auf, welche das cöntrerevolutionäre Treiben und Drängen einer ge- Ivissenloftn Partei hcrbeigeführt hatte. Sic war die nach einem trostlosen Zwischenraum erfolgte Consequenz des großen, blutigen Bürgerkriegs von 4835 — 40 und seines Ausgangs. Hat man ein Recht, diese Regierung, welche den normalen Zustand des Landes hergestellt, revolutionär zu nen nen? Gewiß nicht. Ebenso wenig aber hat man ein Recht, ihr Schwäche vorzuwerfen. Ucber die Bedeutung einer schwachen oder starken Regierung sind überhaupt irrige Begriffe verbreitet. Man hält gewöhnlich diejenige Regierung für stark, wesche außerordentliche Krastäußerungen macht, eine ! Regierung, welche niederhält oder gar niederschmettert. Nichts kann irri ger sein. Diejenige Regierung ist stark zu nennen, welche die Nation oder wenigstens den größten Theil der Nation, deren Bedürfnisse und Instinkte hinter sich hat. Die Regierung des Nero war gewiß nicht stärker und nicht so stark als die dcS AugustuS oder Trajan, obgleich jene auf Perso- nen und Verhältnissen lastete und dies« sie erleichterte, obgleich jene zerstörte und diese einrichtete; die russische Regierung ist gewiß nicht stärker als die englische, obgleich jene nach Willkür bezwingt und schlägt, während diese dem Gesetz und dem Willen der Nation untergeben ist, wodurch sie gerade daS ganze Land repräsentirt und alles Gesetzliche ohne Anstrengung vermag. Bon diesem Standpunkte aus betrachtet, war die vorletzte Regierung unbe- dingt die stärkste, welche in Spanien möglich ist. Sie überwand mit Leich tigkeit alle Schwierigkeiten, welche ihr entgegentraten, und wenn sie nicht mit jener Strenge strafte, wie es der Parteihaß verlangte, so rührte diese Nachsicht gewiß nicht von Ohnmacht, sondern von der Annahme eines Sy stems der Milde her. Wenn sie seinerzeit nicht in Saragossa, in Valencia gewüthet, so ist der Grund dafür eher in einem Bewußtsein der Kraft al» in einer Schwäche zu suchen. Beweis dafür ist das energische Auftreten des Ministeriums Espartero bei Gelegenheit der in Altcastilien verübten Frevel, als die öffentliche Meinung nach Rache schrie und die Gesellschaft eine blutige Genuglhuung foderte. Als die Regierung es nöthig haben konnte, zeigte eS sich, daß die gesammte Nation mit ihr war. Wie ver trauensvoll, mit welcher Beruhigung, mit welcher Hingebung scharte sich in dem kritischen Augenblick das Land um die Regierung! Man lese alle die Vertrauensvoten, welche von den Municipalitäten an die Regierung der Königin kurz vor ihrem Sturze gerichtet wurden; sie athmen altspanische Aufrichtigkeit und Ritterlichkeit, altspanische Treue und Begeisterung. Die gestürzte Regierung war weder revolutionär im gehässigen Sinne des Worts noch schwach; außerdem hat sie die Redlichkeit wieder in Aufnahme ge bracht, welche während der elfjährigen Verwaltung durch das Ministerium Sartorius aus dem öffentlichen Leben verschwunden war; sie hat den Skandalen, die in Unzahl während dieser Zeit vorfielen, all den Verun treuungen, die ins Unglaubliche gehen, ein Ende gemacht; sie gab nach al len Richtungen hin Anstoß zum Bessern, beförderte das Heilsame und Nützliche, soviel es nach Jahren des MiSbrauchS und der Entartung nur möglich war, und stiftete eine große tiefeinwirkcnde Bewegung in Spanien, die von keiner später« Staatsverwaltung zu henimen sein dürfte. Kurz mit ihr begann eine neue Aera für das zurückgebliebene Land. Welche Berech tigung hat also selbst abgesehen von der Legalitätsfrage O'Donnell's Staats streich? Hat er etwa dem Lande einen Dienst erwiesen, das in neue Auf regungen verseht, sich neuen Verwirrungen preisgegebcn sieht. War der Streich etwa wohlthäiig für den Thron, dessen natürliches heilsames Ver- hältniß wieder verrückt worden; der, statt außer der Partei zu stehen, sich zu einer Partei gestellt und sich auf eine schädliche Solidarität mit ihr ein gelassen? Ja har O'Donnell auch nur einen Vortheil für sich gewonnen? Bietet sich seinem Ehrgeiz ein weiteres Feld, als dies seit seiner Schilderhe- bung vom Jahre 1854 bis zu der von 1850 der Fall gewesen. Nichts weniger. Zusehends entweicht die Macht seinen Händen; zwei mal bereits war er auf dem Sprunge abzudanken. Das erste mal kurz nach der Be ruhigung des Landes durch die Gewalt der Waffen; schon war der General Pezuela, welcher absolutistischen Grundsätzen huldigt, in den Palast beru fen und aufgefodert worden, sich zur Bildung eines Ministeriums bercit- zuhalten, und daS zweite mal, vorgestern, den 18. Aug., war O'Donnell den ganzen Tag über kein Minister mehr; er konnte sich mit der Krone nicht über die Lösung der schwebenden konstitutionellen Fragen einigen. Der General Concha sollte ihm auf dem Präsidentenstuhl folgen. Der Streit ward bcigclegt, aber nicht ausgeglichen. Wie wird der Minister über die Kluft, welche seine Ansichten von denen deS Hofö trennt, hinüberkommen? Nicht anders als mit dem Verlust des letzten Kredits, den er im Lande ge nießt. Er hat keine andere Wahl, als entweder seine feierlich manifestirten Grundsätze und seine Stellung oder diese allein preiSzugeben. Sein Ver bleiben im Amte ist ohne außerordentliche unvorhergesehene Umstände eine Unmöglichkeit. Er Hal somit nebst so vielen höher« Interessen sich selbst und seine politische Zukunft verscherzt. Hätte er stats gegen Espartero zu arbeiten diesen zu verstärken, statt au» den Moderados aus den Progressi sten sich ein Heer zu bilden gesucht, dann wäre er vermöge der politischen Unfähigkeit und Apathie Espartero'» früher oder später Herr und Meister der Situation geworden. Jetzt sucht rr freilich sich von den Progressisten, von einem geschlagenen Heere, dessen Niederlage sein Weck ist, stützen zu lassen; ein verzweifeltes HülfSmittel! Es ist zu spät!