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Dienstag. — Nr. 6. 8. Januar I8S6 EatPtziM» Die Zeitung erscheint mit Ausnahme de« Montag« täglich und wird Nachmittag« ä Uhr au«, gegeben. Nreia für da« Viertel jahr 1'/, Thlr.; jede ein zelne Rümmer S Ngr. Dciitschk MgmtiU Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetzt» Zu beziehen durch alte Postämter de- In- und Auslandes, sowie durch die Erpeditlon in Leipzig (Querstraße Rr. 8). JjnferH»a»gedü-r für den Raum einer Zeile L Ngr. Auch eine Neujahrsbetrachtung. Die am Sitze des Bundestags erscheinende Frankfurter Postzeitung enthält folgende Betrachtung: „Wenn wir aufrichtig sein sollen — und wozu dient die falsche Scham oder der Selbstbetrug? — so muffen wir anerken nen, daß der Jahresabschluß nicht zum Vortheil det großen Hauses ist, in dem die Deutschen sich bewegen. ES hat an Geld, an Ehre und an Ein fluß eingebüßt. Die Rüstungen, die man „Kriegsbereitschaft" nannte, sind vergeblich gewesen wie die Rathschläge; der Friede ist dadurch nicht her beigeführt worden. Man wußte, daß eS nur ein halber Ernst war, und daß, wenn ein Theil drohte, der andere versprach die Gewaltmittel unwirk sam zuHnachen. Auf das Conto der Uneinigkeit haben wir das verlorene Geld, das geschmälerte Ansehen und die noch drohende und immer näher rückende Kriegsgefahr zu setzen. Wie jeder gewissenhafte Haushälter heute seinen Abschluß macht, so sind am 31.,Dec. Fürsten und Völker eingeladen auch den ihrigen zu machen. Das Ergebniß kann nicht erhebend sein; aber belehrend ist es gewiß für Diejenigen, die sich der bessern Einsicht nicht ab sichtlich verschließen wollen. Gerade so wie 1855 ist cs in den Zeiten der Revolutionskriege gegangen. Jeder wollte klüger sein als der Andere, Jeder hat sich der Verlegenheit dcS Andern gefreut, und den Schimpf, der über ihn kam, mit geheimer Freude begrüßt. Jedem ist aber denn auch gewor den, was er verdient hatte. Und erst als Alle im Staube lagen und in der Zerknirschung des Herzens zu tem Gott beteten, den sie Alle aufs schmäh lichste verleugnet hatten, da erst ließ sich der Äegenbogcn des Friedens blicken. Wir werden entweder durch große Schmach hindurchgehen müssen, oder das Herz muß uns zur Einigkeit weisen; denn ehe sie nicht hergestellt ist, ehe ihr nicht das mächtige Wort und die That entspricht, eher wird der Segen nicht wicdcrkehren. Bis dahin wird Deutschland lediglich den Be weis führen, daß es nur geeignet ist und dazu misbraucht werden kann, der Boden der Jnlriguen zu sein, wie es früher das große Schlachtfeld war (was es obendrein auch jetzt wieder werden kann). Die Verzichtleistung auf die erste Stellung, die Verzichtleistung auf jeden politischen Ehrgeiz hat nicht einmal zu der Rolle eines Friedensrichters verhelfen können, die so schwer und so nothwendig ist, und dem Träger keinen andern Vortheil bringt, als daß um ihn herum die Ruhe (einstweilen) gesichert bleibt. Wäh rend man in Deutschland sich die Köpfe zerbricht und sich gegenseitig täuscht und verlacht, erlangt die Welt eine andere Gestaltung, und wenn morgen zwei Augen sich schliessen, wird der Dämon aufjauchzen, für den Alle gear beitet haben, während sie ihn in Fesseln zu schlagen vermeinten. Da die Bilanz so schlimm ist, so fodern wir die Gesellschafter auf, ein neues Ca pital einzuschließen, ein Capital von Vertrauen, Selbstverleugnungund Liebe zum großen Vaterlande. Dee Abschluß von 1886 wird dann ein glänzen der werden; 1855 ist eben ohne dieses Capital gearbeitet worden." Deutschlan d. Preußen. ^Berlin, 6. Jan. Man hat hier aus Petersburg bereits erfahren, daß die Annahme der westmächtlichen Friedens- bedingungen pure, wie solche begehrt wird, nicht erfolgt. Es bleibt nun noch abzuwarten, ob sich durch das russische Gcgcnprojcct sowie durch die Erläuterungen, welche sowol von russischer als von anderer Seite noch zu geben sind, ein Weg zur Verständigung vielleicht noch darbictct. Viele Chancen mögen dafür wol nicht vorhanden sein; indessen bauern die bezüg lichen Verhandlungen noch fort. Wie wir vernehmen, soll die diesseitige Regierung in den Depeschen, deren Ueberbringer der Rittmeister v. Rauch ist, sich nochmals in sehr warmer Sprache für den Frieden ausgesprochen haben. Diese Vorstellungen treffen also, was die Unterhandlungen bc- trifft, noch zu rechter Zeit in Petersburg ein. Ucbtigens hat Preußen die westmächtlichen Fciebensbedingungen als solche auch jetzt noch nicht unter stützt, wie es denn überhaupt als die unwandelbare Absicht Preußens be zeichnet werden muß, sich in nichts einzulaffen, dessen Consequcnzen die von ihm in der orientalischen Frage bisjctzt eingehaltene Stellung irgendwie ver rücken könnte. Hier ist auch die Stelle, wo wir einige falsche, auf die deut schen Mittelstädten, und namentlich auf Baiern und Sachsen bezügliche An gaben zu widerlegen haben. Man stellt eine Wandlung in der bisherigen Politik dieser Staaten so gut als ausgemacht hin für de» Fall, daß einer seits es nicht zum Frieden und andererseits auch zu keiner Verständigung kommen ollte zwischen Preußen und Oesterreich. ES liegt aber thatsäch- lich nichts vor, was eine solche Unterstellung auch nur im entferntesten recht fertigen könnte. Baiern und Sachsen haben in Petersburg Vorstellungen für den Frieden, nicht aber für die westmächtlichen Friedensbedingungen gemacht. Sie werden sich erinnern, daß wir diesen Umstand immer besonders hervorgehoben haben; die Wichtigkeit der betreffenden Unterscheidung tritt namentlich jetzt deutlich hervor. Die Richtigkeit unserer damaligen Angaben können wir auch jetzt noch mit aller Bestimmtheit behaupten, und zwar umsomehr, als wir gewiß sind, daß sich in der bezüglichen Anschauung dieser Staaten inzwi- schen nichts geändert hat. Baiern und Sachsen befinden sich also, waS di« Unterstützungsfrage betrifft, ganz in derselben Stellung wie Preußen. Wo will man demnach noch die Wahrscheinlichkeit für eine eventuelle Wand lung in der Politik dieser Staaten hernehmen? Wir können unserm Be weise aber auch noch eine weitere positive Stütze geben. Es ist zu wün- schen und auch wol zu hoffen, daß Preußen und Oesterreich, wenn es nicht zum Frieden kommen sollte, einen Weg zur Verständigung finden werden. Die mögliche Eventualität, daß die gewünschte Verständigung nicht zustande kommen sollte, ist indessen immerhin auch ins Auge zu fassen, und wir glauben gut unterrichtet zu sein, wenn wir sagen, daß Erklärungen und Mei- nungsäußerungen zwischen den deutschen Regierungen jetzt stattfinden, welch« sich unter Anderm auch auf diese Eventualität beziehen dürften, und wir glauben ferner gut unterrichtet zu sein, wenn wir dem noch beifügen, daß die Absicht als auf allen Seiten bereits feststehend betrachtet werden kann, den Deutschen Bund zu keinem Schritte drängen zu lassen, der sich mit der Stellung, welche der Bund bisjetzt eingenommen, irgendwie nicht ver- trüge. Könnte Oesterreich Baiern und Sachsen auf seine Seite ziehen, so wäre die Spaltung im Bunde fertig, und Oesterreich würde dann auch ohne weiteres mit seinen Anträgen am Bunde Vorgehen können; die Wahrheit des vorhin Gesagten wird aber dadurch am besten zutage treten, daß Oester- reich ohne vorgängiges Einverständniß mit Preußen mit keinem Antrag am Bunde vorgehen wird. — Aus Petersburg ist der Generaladjutant dcö Kaisers Mansurow hier angekommen. k Berlin, 5. Jan. Der Flügeladjutant des Königs, Oberst v. Man- tenffel, hat nach Wien, wie man hört, ein Schreiben an den Kaiser von Oesterreich mitgenommen. In gleicher Weise soll der Hauptmann v. Rauch, der Sohn des verstorbenen Generals v. Rauch, welch Letzterer bekanntlich viele Jahre hindurch Bevollmächtigter Preußens in Petersburg war und sich eines besonder« Vertrauens der kaiserlichen Familie erfreute, ein Schrei ben des Königs nach Petersburg an den Kaiser von Rußland überbracht haben. Beide Sendungen dürften in enger Beziehung miteinander stehen. Trotz aller Bemühungen für die Wiederherstellung des Friedens, die von Seiten Preußens in unermüdlicher und eifriger Weise fortwährend unter stützt werden, ist die Hoffnung für einen baldigen Frieden in den hiesigen diplomatischen Kreisen sehr schwach. — Der Geh. Oberfinanzrath Seydel hat sich gestern von hier nach Wien begeben, um den daselbst bevorstehenden Berathungen wegen einer Münzübereinkunft zwischen dem Zollverein und Oesterreich in Vertretung Preußens beizuwohnen. Diese Berathungen dürften erst im Februar geschlossen werden. Wie es heißt, würde sich auch der Gcheimrath Delbrück aus dem hiesige» Handelsministerium, welcher bekanntlich die hiesigen Verhandlungen über denselben Gegenstand zwischen Preußen und den Zollvereinsstaaten leitete, zur Theilnahme an den wiener Berathungen dorthin verfügen Es ist als erfreulich zu bezeichnen, daß unter den ZollvereinSstaaten eine größere Uebcreinstimmung als bisher über die für den Handel und Verkehr so überaus wichtige Angelegenheit erzielt worden ist, wodurch der Abschluß einer Uebereinkunft mit Oesterreich we nigstens in einem höher« Grade erleichtert worden ist, obwol man hier die außerordentlichen Schwierigkeiten nicht verkennt, welche bis zur wirklichen Erlangung eines beiderseits befriedigenden Ergebnisses noch zu überwinden sind. Die Fortsetzung der Berathungen zur Erreichung des Ziels bürgt min destens für den regen guten Willen, welcher auf beiden Seiten hinsichtlich der Beseitigung der noch entgegenstehenden thatsächlichen Hindernisse vor handen ist. — In Betreff der bevorstehenden Wahl eines ersten Präsi- den ten des Herrenhauses sind die verschiedenen Thätigkeiten jetzt im vollen Gange. Von neuen Candidaten, welche ausgestellt werden, nennen wir den Herzog v. Ratibor. Wie gegenwärtig die Dinge stehen, möchte übrigens nicht einmal annähernd zu bestimmen sein, auf wen die wirkliche Wahl fallen werde, da die Stimmungen noch sehr auScinanderzugehen scheinen und der der den Ausschlag gebende Wunsch höher« Orts noch nicht geäußert sein dürfte. — Das neueste Preußische Wochenblatt enthält einen länger« Artikel über die Politik der unbedingten Neutralität, welcher hier lebhaft besprochen wird. In dem Artikel wird unter Anderm ausgc- führt, daß, solange Preußen in der Gemeinschaft mit den andern Mächten eine entschiedene Stellung zu dem Streit und den streitenden Parteien ein genommen habe, die Verwickelung in Grenzen gehalten worden sei, welche eine baldige friedliche Erledigung als wahrscheinlich habe erscheinen lassen; dahingegen habe der Streit von der Zeit an, wo Preußen eine verändenc Stellung einzunehmen sich bewogen fand, mehr und mehr an Ausdehnung gewonnen und den Charakter eines europäischen, eines großen Gleichgc wichtskampses angenommen, dessen Grenzen schon jetzt nicht nichr abzusehen wären und für dessen baldigen AuStrag sich noch keine wirklich begründeten