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Zweite Ausgabe. MM S Uhr Donnerstag 22. Januar L8S2 Nr. 36 Deutsche Mgemeine Zeitung «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» JnserttonSgrbühr für de» Raum ciuer Zeile 2 Ngr. Zu beziehen durch alle Post ämter de« 2n- und Auslan des, sowie durch die Erpedt- tioncn in Leipzig (Ouer- straße Nr. 8) und Dretbeir (bei E. Höckner, Neustadt, An der Brücke, Nr. 2.) für da« Vierteljahr I'/.THlr.; jede einzelne Num mer l Ngr. Leipzig. Die Zeitung er. scheint mit Ausnahme de« Sonntag« täglich zwei mal und wird »»«gegeben in Leipzig Vormittag« t t Uhr, Abend« 8 Uhr; in Dresden Abend« 5 Uhr, Vormittag« 8 Uhr. Die deutschen Ständeversammlungen. — Trotz der fast allgemeinen Gleichgültigkeit, welche unter den verschie- denen Parteien in Deutschland (zum Theil aus sehr entgegengesetzten Be- weggründen) gegen das parlamentarische Wesen dermalen herrscht, haben doch die neuesten Verhandlungen der preußischen II. Kammer über den Claes- sen'schen Antrag, und mehr noch der darauf gefolgte Beschluß einiges Auf sehen, selbst außerhalb Preußens, erregt. Nicht als ob man ein wirtlich entschiedenes Auftreten von dieser Kammer erwartet, oder als ob man sich darüber getäuscht hätte, daß selbst ein solches auf das Verfahren des Mi nisteriums gegen die Presse völlig wirkungslos bleiben würde. Sogar die den Verhandlungen vorausgeschickte peremtorische Erklärung der Regierung, daß sie den Kammern ein Recht im Sinne des Antrags, gewisse Handlun gen der Regierung für verfassungswidrig zu erklären, nicht anerkennen könne, darin vielmehr einen selbst verfassungswidrigen Uebergriff in die Exe cutive erblicken müsse, sogar diese Erklärung hat nicht besonders überraschen können, denn es ist nicht das erste mal, daß das preußische Ministerium sich auf diesen Standpunkt der Landesvertrctung gegenüber stellt. Auch ist man leider von der Mehrheit dieser letztern gewohnt, daß sie in die mehr als be scheidene Nolle, welche ihr von jener Seite her angewiesen wird, sich willig fügt und selbst auf solche Rechte verzichtet, welche nach der Verfassung und den konstitutionellen Principien ihr unzweifelhaft zuständcn. Zeuge dessen sind die Verhandlungen über die regierungsseitig vorgenommene Verausgabung von Gel- dern vor der Votirung des Budgets in der vorigen Sitzung u. A. m. Allein daß die II. preußische Kammer, die durch Wahl berufene Vertreterin eines Volks von 16 Millionen, ihre Aufgabe bis zu dem Grade vergessen würde, um durch sclbsteigenen Beschluß sich förmlich das Recht abzusprechen, gegen Eingriffe der administrativen Willkür in die vom Gesetze gezogenen Gren zen, gegen die thatsächliche Annullirung eines von den drei vereinten Ge- sctzgcbungsfactorcn vollzogenen ActS durch einen derselben Widerspruch zu erheben, daß sie also dem Ministerium von sich aus selbst die Befugniß zu erkennen und es gleichsam auffodern würde, förmlich vereinbarte Gesetze ein seitig nach seinem Ermessen auszulegen und dawider zu handeln: das konnte man, bei allen vorangegangenen Zeichen von Schwäche und Unterwürfigkeit der Kammcrmajorität gegen die Negierung, dennoch kaum erwarten. Daß wenige Tage darauf die l. Kammer einen Antrag auf Abänderung der Verfassung verwarf, kann den Eindruck jenes Beschlusses über den Claessen'schen Antrag nicht verwischen, denn es ist wirklich ein sehr zweifel hafter Beweis von der Verfassungstreue einer politischen Partei, wenn sie, wie die Mittelpartei der II. preußischen Kammer gcthan, die Formen und den Buchstaben der Verfassung vertheidigt, nachdem sie zuvor selbst den Geist getödtet, der allein diesen Formen Werth und diesen Buchstaben Leben gibt. Leider steht dieses Beispiel der Schwäche einer ständischen Körperschaft nicht allein in der jüngsten Geschichte deutscher Staaten. Abgesehen von andern Vor gängen hat vor nicht langer Zeit die bairische II. Kammer in ganz ähnlicher Weise wie jetzt die preußische ihr Recht, ihre Pflicht und die ihr zukommende Stel lung völlig verkannt, damals nämlich, als sie cs ruhig geschehen ließ, daß die Regierung den Abdruck oppositioneller Kammerreden in den öffentlichen Blättern verbot, die Contravenlioncn hiergegen durch Beschlagnahme be strafte. Das Recht, die Verhandlungen der Volksvertretung dem Volke ungeschmälert überliefert zu sehen, dieses Recht, welches sogar die vor märzliche Censur und der vormärzliche Bundestag respectirten, das tastet rücksichtslos ein Minister an, welcher wenige Jahre zuvor, als März- minister Sachsens, das Princip der parlamentarischen Regierung, das Recht der Kammermajoritäten vollständig anerkannt und die Wahlkammer deS zweitgrößten rein deutschen Staats, des Staats, der die älteste in Wirksam keit bestehende parlamentarische Verfassung unter allen deutschen besitzt, läßt sich dies gefallen, geht über die dawider erhobene Beschwerde zur Tages- ordnung über! Ein rühmliches und erfreuliches Gegenstück zu den eben erwähnten Vor gängen bildet die Festigkeit und Consequcnz, womit die hannoverschen Kam mern ihre Rechte und die dem Lande errungenen Fortschritte gegen reactio- näre Bestrebungen vertheidigen. Sowol die Anmaßungen der auf Wieder herstellung ihrer Privilegien bedachten Ritterschaft und die Nachgiebigkeit der neuen Regierung gegen diese, als die von andern Seiten drohenden Eingriffe in die hannoversche Verfassung finden an dem gesunden Sinne und dem unbeugsamen Rechtsbcwußlscin der Kammern einen entschiedenen Widerstand. Auch die rechte Seite derselben hält an diesen NechtSgrundsätzen unerschüt terlich fest und weiß nichts von jener Politik der contrerevolutionären Staats streiche, welche das Recht nur da gelten läßt, wo es zu ihren Gunsten ist, cs aber zu beugen versteht, wo cs ihrem Vortheile cntgegenstcht. Stoch we niger aber gibt cs glücklicherweise in den hannoverschen Kammern ein Cen trum ähnlich der Partei Bodelschwingh Geppert in Berlin oder Lerchenfeld in München, ein Centrum, welches in Worten die ministerielle Willkür be kämpft und das Recht vertheidigt, aber durch seine Thaten jene unterstützt und ermuthigt, dieses dagegen prcisgibt. Wenn die principiellen Gegner des parlamentarischen Lebens im Lager der Restauration über diese moralische Schwäche der ausschlaggebenden Mit telparteien und über die numerische der Opposition triumphiren, so vergessen sie nur das Eine: daß die Discreditirung des Constitutionalismus, welche die na türliche Folge dieser Erscheinung ist, zunächst zwar ihnen, in weiterer Consequcnz aber einer Entwickelung der Dinge in die Hände arbeitet, welcher nur durch eine aufrichtige und konsequente Durchführung der konstitutionellen Princi pien vielleicht noch vorgebeugt werden könnte. Deutschland. HI Berlin, 21. Jan. Ihr anerkannt gut unterrichteter («)°Correspon- dent in Hannover bestätigt in einer der jüngsten Nummern der Deutschen Allgemeinen Zeitung meine bereits früher gegebenen Andeutungen über die Stellung des Ministeriums Schele zum Vertrage vom 7. Sept. In zwischen sollen aber, vielen Versicherungen zufolge, die gehegten Befürchtun gen als verschwunden betrachtet werden können. Die Ausschüsse der han noverschen Kammern haben sich für die Annahme des Vertrags ausgespro chen, man zweifelt nicht, daß die Kammern selbst sich dem Anträge der Aus schüsse anschließen werden, und dadurch wäre denn das Ministerium Schele so gebunden, daß es seine stillen Wünsche eben nur als Wünsche betrachten könnte. Diese Folgerung wäre allerdings gut und richtig, wenn die An nahme des Vertrags von Seiten der hannoverschen Kammern schon erfolgt wäre. Nicht daß ich sagen wollte, daß die Kammern den Vertrag verwer fen würden, im Gegentheil glaube ich, die Annahme als solche nicht in Zweifel ziehen zu sollen; allein cs handelt sich darum, ob die Annahme des Vertrags pure: oder nur bedingungsweise erfolgen wird. Geschieht das Letztere, so möchte der Vertrag als solcher principicll zwar nicht darunter leiden, aber immerhin können manche Schwierigkeiten entstehen, die, nament lich bei der jetzigen Lage der handelspolitischen Verhältnisse, wohl zu beachten wären. Die Entscheidung der hannoverschen Kammern, welche in den nächsten Tagen erfolgt, wird uns über alle Punkte Gewißheit geben. — Unsere in nere Vcrfassungsentwickelung befindet sich in einem eigenthümlichen Stadium. Anträge zur Revision der wichtigsten Bestimmungen der Ver fassungsurkunde werden von Kammermitgliedcrn gestellt, Adressen und Pe titionen zur gänzlichen Umänderung der Verfassung kommen aus der Mark, aus Pommern und aus Schlesien. Gestern enthielt die Kreuzzeitung wie der eine solche Petition aus der Ost-Priegnih um „Aufhebung, resp. gänz liche Abänderung der Vcrfassungsurkunde vom 31. Jan. 1850" und um Rückkehr zur alten ständischen Verfassung. Die Petition hat „über 100 Unterschriften", qualificirt in „Kaufleute, Gewerbtreibende, Handwerker, Bür germeister, Rathmänner, Aerzte, Superintendenten, Prediger, Lehrer, Ren tiers, Gastwirthe und Ackerbürger". Interessant ist ferner ein Avis, den ein „Hr. v. Wedemeyer, Erb- und Majoratsherr auf Anrode und Mitglied des Vertins für König und Vaterland", den Kammern gibt. Derselbe ist mit den Beschränkungen des Jagdgesetzes nicht zufrieden, fondern will das ganze Gesetz aufgehoben wissen, da sonst „die Gefahr des Umsturzes alles Bestehenden" noch nicht beseitigt sei. Die liberale Presse hält sich die sem Sturmlaufen auf die Verfassung gegenüber passiv, die Neue Preußi sche Zeitung dagegen hat die Vertheidigung der Verfassung übernommen. Ob die Neue Preußische Zeitung dabei denkt, daß man mit Speck Mäuse fängt, weiß ich nicht, wie ich denn überhaupt der ganzen Sache eben nur ihrer lustigen Seite wegen Erwähnung gethan habe. — Es ist hier auf amtlichem Wege die Nachricht eingetroffen, daß vier bis fünf Hacienden- besitzer in Brasilien 100 deutsche Arbeiterfamilien unter sonst äußerst günstigen Bedingungen nach ihren Besitzungen in Brasilien zu bringen be absichtigen; sogar die Ueberfahrt soll den Leuten bezahlt werden; nur der kleine Umstand waltet dabei ob, daß die Armen, welche in die listig ge legte Schlinge gehen, zeitlebens Sklaven sein sollen. In Thüringen soll es Leute geben, die sich kein Gewissen daraus machen, für einen allerdings nicht kleinen Gewinn diese elende Scelenverkäuferci zu treiben. Auch in Ham burg ist, wie ich höre, ein derartiger Werber bereits eingctroffen. Ein Nä heres behalte ich mir vor, muß aber schon heute den Wunsch aussprechen, daß diese Warnung verbreitet und beherzigt werden möge. 6 Berlin, 21. Jan. Der Etat des Kriegsministcriums wird in allen seinen Punkten von dem neuen Chef dieses Ministeriums, General v. Bonin, i» den Kammern vertreten werden. Daß dabei die Assistenz eines Regierungscommissars stattfinde, wie dies immer dcr Fall war, kann