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chungen der Harmonik berührt werden . . . Dies letzte Klavierkonzert ist auch wiederum ein Werk letzter Meisterschaft in der Erfindung — Erfindung von Jener uns bekannten .zweiten Naivität', reichster und innigster Beziehung zwischen Solo und Tutti, des transparenten Klanges, der Verschmelzung von ,Galant' und .Gelehrt'. Sie ist so vollkommen, daß die Frage des Stils wesenlos geworden ist. Der Abschied ist zugleich die Gewißheit der Unsterblichkeit." In diesem zu Unrecht weniger bekannten Werk hat Mozart eine einzigartige Einheitlichkeit und Verinnerlichung seiner Tonsprache erreicht. Vom Solisten wird wie stets eine glänzende Technik gefordert. Doch im Vordergrund steht die musikalische Gedanklichkeit, deren Entwicklung auch das schon an Beet hoven gemahnende Dialogisieren zwischen Soloinstrument und Orchester dient. Gleich der Beginn des Konzerts durchbricht den Rahmen damals üblicher „Ge sellschaftsmusik": ein lyrisch-versonnenes B-Dur-Thema, dem unerwartet ein scharfer Bläserruf antwortet. Resignation und Schwermut liegen über diesem Satz wie über dem ganzen Werk. Unvermittelt eintretende Moll-Partien ver stärken diesen Zug. Konfliktreich gestaltet sich die Durchführung: Streicher und Bläser konzertieren gegen das Soloinstrument. Mit einer überraschenden Mo dulation tritt die Reprise ein. Verklärt-träumerische Innigkeit kennzeichnet das romanzenhafte Larghetto. Von einzigartiger Wirkung ist es, wenn das Haupt thema vom Solisten schließlich aufgegriffen, von Flöten und Violinen mitge spielt wird. Das Refrainthema des verschleiert-fröhlichen Rondo-Finales hat Mozart wenige Tage nach der Fertigstellung des Konzerts für das Lied „Sehn sucht nach dem Frühling" (Komm lieber Mai und mache die Bäume wieder grün) noch einmal verwendet. Im Sommer 1927 vollendete Sergej Prokofjew die Oper „Der feurige Engel", deren Libretto er nach einem Sujet Waleri Brjussows selbst gestaltet hatte. Der vollständige Titel des Werkes, der zugleich eine Inhaltsangabe ist, lautete: „Der Feurige Engel oder die wahre Erzählung von dem Teufel, der wiederholt in der Gestalt eines lichten Geistes einem Mädchen erscheint und sie zu ver schiedenen sündhaften Handlungen verführt, von der gottlosen Beschäftigung mit der Magie, Astrologie und Nekromantie, von dem Gericht über das Mäd chen, unter Vorsitz seiner Ehrwürden des Erzbischofs von Trier, und über die Begegnungen und Unterhaltungen mit dem Ritter und dreifachen Doktor Agrippa von Nettesheim. Die erzählende Person des ganzen Werkes ist der Ritter Ruprecht — ein Mann, dem alle mystischen Vorurteile fremd sind. Er ist ein Humanist und Skeptiker, der Länder bereist und sich an Kriegshand lungen beteiligt. - Die Hauptperson der Erzählung ist die Geliebte des Ritters Ruprecht, Renata, die von religiös-mystischen Anfällen heimgesucht wird und durch die Folterung der Inquisition umkommt." Da jedoch die Oper außer einer teilweisen konzertanten Aufführung (im Früh jahr 1928 in Paris) nicht gespielt wurde (die Uraufführung erfolgte erst 1955 in Venedig, das Werk ist in der DDR gegenwärtig an der Deutschen Staatsoper in Berlin zu sehen), kam Prokofjew zunächst der Gedanke, aus dem musika lischen Material der Partitur eine sinfonische Suite zusammenzustellen: „Bei dem Gedanken wurde mir klar, daß eine der Zwischenaktmusiken die Verar beitung der im vorhergehenden Bilde gebrachten Themen bildete. Das konnte den Kern einer Sinfonie ergeben. Beim Probieren erkannte ich, daß sich diese Themen sehr willig in die Exposition eines Sonatenallegros einfügten. Nachdem ich die Exposition und die Durchführung hatte, fand ich in den anderen Akten dieselben Themen, anders gefaßt und für die Reprise geeignet. Von hier aus entstand der Plan des ersten Satzes der Sinfonie wie von selbst. Für das Scherzo und das Andante ergaben sich die Themen gleichfalls mühelos; wegen des Finales schwankte ich einige Zeit. Mit der endgültigen Formgebung, dem Glätten der Nähte und mit der Instrumentierung verging dagegen sehr viel Zeit. Die so entstandene dritte Sinfonie halte ich jedoch für eine meiner we sentlichsten Kompositionen. Ich habe es nicht gern, wenn sie die .Sinfonie des Feurigen Engels' genannt wird. Das hauptsächliche thematische Material wurde vielmehr unabhängig vom .Feurigen Engel' komponiert. Als es in die Oper einging, nahm es natürlicherweise eine Färbung vom Stoff an, die es beim Übergang von der Oper zur Sinfonie meiner Meinung nach wieder verlor, so daß ich möchte, der Hörer nehme die dritte Sinfonie einfach als Sinfonie oh^ jede gegenständliche Vorstellung." M Die auf diese Weise entstandene Sinfonie Nr. 3 op. 44, in der es dem Kom ponisten nach persönlicher Ansicht gelang, seine „musikalische Sprache zu ver tiefen", wurde dem bedeutenden sowjetischen Komponisten N. Mjaskowski ge widmet und am 17. Mai 1929 in Paris unter Pierre Monteux uraufgeführt. In den USA dirigierte Leopold Stokowski das Werk mehrmals, und in der UdSSR nahmen es verschiedene Dirigenten in ihre Programme auf. Zweifellos jedoch verdient die Sinfonie, die eine der echtesten, kompromißlosesten Schöpfungen des sowjetischen Meisters darstellt, weitaus größere Beachtung, als ihr bisher zuteil wurde. Nach der geistreichen, eleganten „Klassischen Sinfonie", nach der aus „Stahl und Eisen" geschmiedeten herben zweiten Sinfonie überraschte die „Dritte" durch ihren unerhört dramatischen, leidenschaftlich-tragischen Aus drucksreichtum. „Eine kraftvolle und wildbewegte Erzählung von menschlichem Dulden und Leiden" nannte sie ein Kritiker. „Sie umfaßt vier Sätze in der un gewöhnlichen Tempi-Folge: Moderato — Andante — Allegro agitato — Andante mosso. Im ersten, einem Sonatensatz mit drei Themen, steigert sich die Musik in einem weitangelegten Bogen zu immer intensiverem Pathos, in dem ein lautes, hektisch erregtes und ein elegisch liedhaftes Thema immer dichter miteinander verwoben werden. Skurrile Episoden mit verzerrter tänzerischer Melodik er höhen die Spannung, die auf ihrem Kulminationspunkt von einem hymnischen Thema unterbrochen wird, das in einen festlichen Bläserchor einmündet. Dann fällt die Spannung allmählich, das erste und zweite Thema klingen noch einmal an, bis der Satz mit leisen, dunklen und fahlen Klängen schließt. Der zweite Satz ist fast ganz von einem Thema bestimmt, das einer herben Trauer AuÄ druck verleiht. Hier klingt die Musik innig, zart und beherrscht, sie schildeB das Tragische im menschlichen Leben, den Verzicht auf Freude und Glück mit packender Eindringlichkeit. In grellem Kontrast schließt sich der schnelle, hastig dahineilende dritte Satz an. Darauf beschließt ein Finale die Sinfonie, in dem drohende Dämonie und schmerzlich klagender Verzicht den Aussagegehalt be stimmen" (H. A. Brockhaus). Wenn auch Prokofjew selbst die Sinfonie „ohne jede gegenständliche Vorstellung" aufgefaßt haben wollte, so ist doch unver kennbar, daß der Ideengehalt der Oper auch in der Sinfonie wiederbegegnet, naturgemäß in weitaus verallgemeinerter Form. Dr. Dieter Härtwig »HiI H a rmom 2. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1967/68