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Die im Mörz 1852 in Leipzig uraufgeführte Ouvertüre jedoch, ein romantisches Mei sterwerk in des Wortes höchster Bedeutung und eine der gelungensten Orchesterschöp fungen Schumanns, ist auch für uns noch (auch ohne genaue Kenntnis des Drameninhaltes) verständlich und außerordentlich eindrucksvoll. Das von stärkster Ausdruckskraft erfüllte, ge niale Werk stellt ein gewaltiges Seelengemälde in der musikalischen Form einer freien Fanta sie dar. Während in der langsamen Einlei tung die gegensätzlichen Charakterzüge des Helden — ruheloses Streben und schmerzli ches Resignieren — geschildert werden, gibt der folgende Allegro-Teil dem Ringen und Kämpfen ces schuldbeladenen Manfred Ausdruck, wo bei nach heldenhaftem Aufbegehren und lei denschaftlich-erregten Ausbrüchen allmählich Verzweiflung und Resignation dominieren. Der Schweizer Komponist Arthur Honeg ger wurde 1892 in Le Havre geboren. 1909 bis 1910 besuchte er in Zürich, woher seine El tern stammten, das Konservatorium. 1911 bis 1913 wurde die musikalische Ausbildung in Paris (u. a. bei Vincent d'lndy) fortgesetzt. In der französischen Hauptstadt schloß sich Honegger vorübergehend der Komponisten gruppe der „Six" an. Er wirkte als Dirigent und Klavierbegleiter, trat später auch als Kritiker hervor und wurde Lehrer für Komposition. Aufschlußreich ist sein 1951 erschienenes Buch „Je suis compositeur" („Ich bin Komponist"). Honegger starb vor 25 Jahren, am 27. No vember 1955, in seiner französischen Wahl heimat, in Paris. International bekanntwurde er 1921 mit seinem szenischen Oratorium „König David". Der Kom ponist — eine der bedeutendsten Erscheinun gen des 20. Jahrhunderts — hat sich in seinem Schaffen vielen Genres zugewandt. Neben Sinfonien und anderen sinfonischen Werken, Konzerten und Klaviermusik stehen Oratorien, Opern, Operetten und Bühnenmusiken sowie Kompositionen für Hörspiel und Film. Von Anbeginn seiner kompositorischen Tätigkeit bemühte sich Honegger um die schöpferische Fortführung großer Traditionen, beispielsweise der Bachschen Polyphonie, ließ er sich vom Neoklassizismus ebenso anregen wie vom Impressionismus und vom Jazz. Wichtig für seine Haltung als Komponist ist das Bekennt nis: „Es war immer mein Wunsch und mein Bemühen, eine Musik zu schreiben, welche für die große Masse der Hörer verständlich und doch vom Banalen so weit frei wäre, daß sie auch noch die wirklichen Musikfreunde zu fes seln vermöchte." Vor allem aber gehörte Honegger zu den wenigen humanistischen bürgerlichen Künst lern seiner Zeit, die auf die gesellschaftliche Situation ihrer kapitalistischen Umwelt, auf die Erschütterungen des zweiten Weltkrieges zu mal, sehr stark reagierten. Die für ihn typi sche Mischung von sensibler Geistigkeit und leidenschaftlichem Ausdruckswillen steht be sonders in seinen fünf Sinfonien im Dienste betonter Auseinandersetzung mit der Gegen wart. Honegger weiß um die Bedrohung der Humanitas in der spätkapitalistischen Welt. Er nimmt leidenschaftlich gegen den faschi stischen Weltkrieg Stellung. Das Ethos der Beethovenschen Sinfonik ist ihm dabei Leitbild. Wurde die 2. Sinfonie unter dem Eindruck des zweiten Weltkrieges geschrieben, so steht die 1945/46 komponierte 3. Sinfonie in un mittelbarem Zusammenhang mit dem Ende des Völkermordens. Der Beiname „Liturgique" bezieht sich auf die Tatsache, daß jedem Satz des Werkes Textworte aus der katholischen To tenmesse vorangestellt sind. Honegger bemerk te dazu: „Jeder Satz stellt eine durchaus per sönliche Auseinandersetzung mit den betref fenden geistlichen Texten dar. Die in der Li turgie gebräuchlichen musikalischen Themen sind nicht verwendet worden. Der erste Satz, .Dies irae', schildert die Gewalt und Verwü stung, die der Welt widerfahren ist. Der zweite, ,De profundis clamavi', ist Ausdruck der Ver zweiflung, aber auch der Hoffnung, die trotz alledem immer noch im Herzen der Mensch heit lebendig bleibt. Im dritten Satz tobt der Kampf gegen die Verbohrheit der Welt, gegen all die Plagen, die den Menschen quälen und zu seiner Verzweiflung führen. Der Mensch kämpft und wehrt sich, um nicht völlig zer malmt zu werden. Auf seinen Aufschrei ,Dona nobis pacem' erhält der Mensch die Antwort: Es ist die innere Ruhe, die der Glaube gibt, der Friede des Herzens, die Natur, das Leben, wie es sein könnte, wenn die Menschheit gu ten Willens wäre.“ Monumentalität und dra matische Aussagekraft dieser Musik deuten auf das Vorbild Beethoven. Der erste Satz (Allegro marcato), „Dies irae" („Tag des Zorns"), wird melodisch vor allem aus einem durch weitgespannte Intervall schritte und kämpferische rhythmische Diktion gekennzeichneten Grundgedanken entwickelt. Wenn er zum ersten Male (in den Streichern) erklingt, stehen ihm aggressive, klanggeschärfte und anklagende Rufe der Trompeten und Holzbläser entgegen. Dieses Gegeneinander von ringender Kraft und schmerzlicher Anklage führt zu großen Klangsteigerungen und Kon flikten. Die erstrebte Lösung deutet der Kom ponist bereits hier an, wenn er in einem So stenutoteil den Grundgedanken vergrößert den 1. Violinen überträgt, ihm damit weit ausla dendes, befreiendes Profil gibt, zugleich aber in Engführung von 2. Violinen und Bratschen die Originalgestalt dieses Grundgedanken bringt, um so dem weiten Gesang der 1. Vio linen rhythmisch energische Akzente zu verlei hen. Die kunstvolle polyphone Anlage dieser Stelle ist typisch für den ganzen Satz. Er ver klingt in einem großen Diminuendo. Der zweite Satz (Adagio), „De profundis cla- mavi" (Ruf aus der Tiefe), ist ein Bittgesang von edler, tief berührender melodischer Prä gung, der in weiche Klangfarben gebettet ist. Nach gleichsam stockendem Beginn setzt er in den Streichern (ohne Kontrabässe) in E-Dur ein. Der Bläserchor führt ihn weiter. Solcher Wechsel der Klanggruppen ist ein wichtiges Gestaltungselement dieses Satzes überhaupt. Trompetensignale und melodische Anlehnungen an den ersten Satz rufen die von Honegger beschriebene Stimmung der Ver zweiflung, die in einem Fortissimohöhepunkt gipfelt, hervor. Dann erklingen die Bittweisen des Anfangs wieder auf, und am Ende schwebt über weihevollen Blechbläserklängen eine zar te Flötengirlande: Bild des ersehnten Friedens, von dem im nächsten Satz dann die Rede ist. Dieses Finale (Andante), „Dona nobis pacem" („Gib uns Frieden"), beginnt als Marsch, der sich aus geheimnisvollen Pianissimoanfängen (Klavier undd Pauke geben den Rhythmus, die Baßklarinette intoniert das beherrschende, klopfende Marschmotiv in Gegenbewegung zu den Kontrabässen) allmählich gewaltig stei gert und von Holzbläserglissandi durchzuckt wird. Es ist ein Marsch durch die Schrecken des Krieges. Aber schließlich entwickelt sich im Schlußteil (Adagio/Andante/Adagio) aus ihm das Bild des Friedens: Die Streicher stimmen eine innige Cis-Dur-Weise an, ihr paßt sich auch das Marschmotiv ein, und endlich singen die mehrfach geteilten Streicher, von hohen Solo-Violine überglänzt und von besken der Flöten umrankt (eine Reminiszenz an das Ende des zweiten Satzes), in zarten Klängen vom Glück des Friedens, wie ihn sich der Humanist Honegger ersehnt. Das Bekenntnishafte dieser Musik, ihr tiefes Menschentum machen die Sinfonie zu einem der bedeutendsten Zeugnisse fortschrittlicher Kunst eines bürgerlichen Musikers inmitten ei ner in Widersprüche sich immer tiefer verstrik- kenden, inhumanen Umwelt. Das Werk ist dem Dirigenten Charles Münch gewidmet und wur de von ihm am 17. August 1946 in Zürich ur aufgeführt. VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 10. Januar 1981, 20.00 Uhr, Anrecht B Sonntag, den 11. Januar 1981, 20.00 Uhr, Anrecht C 2 Festsaal des Kulturpalastes Dresden Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Dr. habil. Dieter Härtwig 6. ZYKLUS-KONZERT MOZART-SCHUMANN-ZYKLUS Dirigent: Herbert Kegel Solist: Manfred Scherzer, Dresden, Violine Werke von E. H. Meyer, Schumann und Mozart Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführungen in Schumanns Ouvertüre zu Goethes „Hermann und Dorothea" und in Honeggers Sym phonie liturgique schrieben Prof. Dr. W. Felix bzw. H. Schaefer Spielzeit 1980 81 — Chefdirigent Prof. Herbert Kegel Druck: GGV, Prod.-Stätte Pirna 111-25-12 ItG 009-81-80 EVP -.25 M 5. ZYKLUS-KONZERT 1980/81