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Komponisten ganz eigene musikantische Freude mit der Strenge der dodekaphonischcn Methode zusammengeschlossen haben. Das Element interessanter rhythmischer Farbigkeit trifft sich mit meisterhaft gehandhabter Kontrapunktik. Ein choralartiger Teil, in dem die Violinen mit dem Bläsersatz konzertieren, bildet einen ruhenden Pol in der Lebhaftigkeit der Auseinandersetzungen, die mit dem im Fortissimo vorgetragenen Quintenthema des Anfangs beendet werden. Das zweite Klavierkonzert in B-Dur op. 19 von Ludwig van Beethoven entstand eigentlich als erstes kurz vor dem C-Dur-Konzert op. 15. Beethoven spielte beide in einer seiner Wiener Akademien im Jahre 1795. Später überarbeitete er die Konzerte noch einmal. Obwohl in beiden Werken schon ganz eigene Züge des jungen Beethoven spürbar sind, ist doch der Einfluß Mozarts nicht zu leugnen. Erst mit dem dritten Klavierkonzert in c-Moll ist das Beethovcnsche Instrumen talkonzert mit absolut eigener Prägung geschaffen. In seinem lyrischen Grundcharaktcr entspricht das zweite Konzert dabei dem G-Dur-Konzert Nr. 4 der Reifezeit. Das Hauptthema des ersten Satzes - Allegro con brio - birgt eigentlich schon alle Entwicklungsmöglichkeiten in sich: einem markanten Dreiklangsabstieg des Tutti-Orchesters steht ein lyrischer Gedanke der ersten Violinen gegenüber. Dieser lyrische Gedanke wird dann nach einer überraschenden Rückung von C nach Des zu einem zweiten Thema ausgeweitet. In lyrischem Charakter wird auch nach der Orchester exposition das Soloinstrument eingeführt, ehe es sich mit dem straffen Kopfmotiv des Satzes am Konzertieren beteiligt. Schließlich bereichert das Orchester das thematische Material noch um einen weiteren Gedanken gesanglichen Charakters. Die Durchführung läßt das markante Haupt thema beiseite und zeigt sich ganz von der kantablen Seite, erst die Reprise läßt männ licheren Zügen wieder Raum. Der zweite Satz - Adagio - zeigt auch den jungen Beethoven von großer gedanklicher Tiefe. Reich ist dieser stimmungsvolle Satz an dynamischen Gegensätzen; schroffe Akkorde unterbrechen hier und dort die weichen Linien. Wie so oft in langsamen Sätzen der Beethovenschen Instrumentalkonzerte, ist auch in diesem Adagio das Widerspiel von Solo instrument und Orchester von großer Innigkeit. Zarte Umspielungen variieren das Thema des Soloklavieres. Ausdrucksvolle Dreiklangsbrechungen stehen am Ende des Satzes. Die Verschie bung metrischer Schwerpunkte durch auskomponierte Sforzati gehört zu den Eigenheiten Beet- hovenscher Rondos. Sie geben auch dem Schlußsatz des zweiten Klavierkonzertes, einem Rondo- Molto allegro seinen reizvollen Charakter. Das Soloinstrument stellt das kecke, aus einem Kuckucksruf hervorwachsende Rondothema vor. Ein Nebenthema wird zwischen Klavier und Orchester hin- und hergeworfen. Ein anderer Gedanke, rhythmisch dem Hauptthema verwandt, melodisch etwas „all’ ongarese“ gehalten, gewinnt Bedeutung, doch fegt das Kuckucksthema, gegen Schluß hin metrisch verwandelt, nicht mehr gegen den Schwerpunkt ankämpfend, alles andere hinweg. Ein Pianissimo erhöht die Spannung vor den raschen Schlußakkorden. Die Variationen über ein Thema von Joseph Haydn op. 56 a von Johannes Brahms bilden den Abschluß des Konzertes. In diesem Opus, das Brahms zuerst als Klavierwerk schrieb, von dem er dann eine Orchesterfassung herstellte, greift der Komponist, den man oft als den romantischen Vollender der Klassik bezeichnet, auf die barocke Form der Passacaglia zurück. Im romantischen Geist, im melodischen und harmonischen Vokabular der Romantik verbindet das Werk die Form strenge des Barock mit der formal streng gliedernden Durchführungstechnik der Klassik und beweist einmal mehr die große, weite historische und ästhetische Räume überspannende geistige Kraft dieses großen Musikers. Die Variationen entstanden 1873, als Brahms nach längeren Kon zertreisen durch Deutschland ein zweites Mal in Wien festen Fuß faßte und dort für zwei Jahre als Leiter der Gesellschaftskonzcrte des Wiener Singvereins verpflichtet worden war. So sind die Haydn-Variationen auch als Auseinandersetzung Brahms’ mit dem in Wien verpflichtenden Erbe der Wiener Klassik zu verstehen. Sie sind unbedingt als Zeichen des Ringens mit der Sinfonik zu betrachten, dessen endgültige Klärung zwei Jahre später mit der ersten Sinfonie erfolgte. Vor her hatte Brahms, der sich nach dem Mißerfolg seines ersten Klavierkonzertes kurz von dem Gebiet der Orchestermusik abgewendet hatte, in den beiden Serenaden und in den Verbindungen vokaler und instrumentaler Musik, der Alt-Rhapsodie (nach Goethe), dem Schicksalslied (nach Hölderlin), dem Triumphlied (nach biblischen Texten) und dem Deutschen Requiem sich immer wieder mit den Problemen der sinfonischen Musik auscinandergesetzt. Mit den Gesetzen der Variationstechnik hatte sich Brahms zuvor in den Händel-Variationen und den Paganini-Varia- tionen vertraut gemacht. Dem Werk liegt das Choralthcma aus dem zweiten Satz des Bläser divertimentos von Haydn zugrunde, das wiederum von Haydn original aus dem österreichischen Volksgut in seine Komposition übernommen worden war. Auch das ist für Brahms typisch, der in seinen Volksliedern ein echtes und tiefes Bekenntnis zur deutschen Volkskunst ablegte. Das im Andante vorgetragene Rhema ist in der dreiteiligen Liedform A - B - A gehalten und von schlichtem Charakter. Während des Vortrages des Themas fehlen die hohen Streicher noch ganz, die Holz- und Blechbläser sind an ihm hauptsächlich beteiligt, während die Celli und Bässe die Basis bilden. Die ersten beiden Variationen - im Tempo sich steigernd ein Poco piu animato und ein b-Moll-Pz«tWÄC0 - sind noch in der Form dem Thema ähnlich, in der dreiteiligen Liedform und auch in der Periodizität dem Thema sehr nahe verwandt. Wir sehen in ihnen noch mehr Figurationen als - wie es bei den späteren der Fall ist - Charaktervariationen. Während die erste Variation noch ruhig dahinfließt, in der Instrumentation vor allem von den Violinen bestimmt, baut Brahms in der zweiten Veränderung des Themas ganz besonders deutlich dynamische Kon traste auf. In der dritten, wieder in B-Dur stehenden Variation komponiert Brahms die vorher nur geschriebenen Wiederholungen aus, indem er wesentliche Veränderungen der Instrumentation vornimmt und so zu wichtigen Charakteränderungen gelangt. Die vierte Variation ist ein b-Moll- Andante-con-moto, nunmehr nicht mehr im 2/4-, sondern im 3 /g-Takt stehend, in dem Brahms die Technik der auskomponierten Wiederholung beibehält und im Wechselspiel von Holzbläsersatz und Streicherklang seine besonderen Wirkungen erzielt. Wieder wechseln Takt und Charakter: ein Vivace im 6 / 8 -Takt huscht vorüber. Reizvolle Taktverschiebungen, interessante Betonungs änderungen geben dieser Variation ihr besonderes Gepräge. Auch die nächste Variation ist em Vivace, nun wieder im 2/4-Takt. Sie wird vor allem durch ein starkes rhythmisches Moment ge kennzeichnet. Die ursprüngliche Periodizität wird in ihr wiederhergcstellt. Aufschwünge und hcrunterstürzende Figuren der Streicher bestimmen den Mittelteil. Ein völliger Gegensatz wird mit dem bezaubernden GrazJoso erreicht, mit dessen Lieblichkeit Brahms die innigen und sehn suchtsvollen Wirkungen seiner langsamen Sinfoniesätze vorwegnimmt. Eine zarte Melodie der Flöte vermischt sich mit dem weichen Ton der Bratsche und breitet sich auf einem satten Teppich des Streicherklangs aus. Im Mittelteil läßt Brahms den Violinen selber die Führung und gibt ihnen eine der weit ausschwingenden Melodien, die so typisch für die musikalische Sprache dieses Meisters sind. Die letzte Variation steht wiederum im düsteren b-Moll und bildet in ihrer finsteren und etwas unheimlich wirkenden Atmosphäre den krassen Gegensatz zu dem an diese Variation sich anschließenden Finale. Brahms greift in diesem Finale nicht wie Beethoven oder auch er selber in seinen Händel-Variationen auf die Form der Fuge zurück, sondern wählt wie Beethoven in seiner Eroica die barocke Form der Chiaconne oder Passacaglia, wie er es dann auch später im Finale seiner letzten Sinfonie macht. Zweifelsohne ist die Form der Passacaglia, die ja selbst bereits eine Aneinanderreihung von melodischen Variationen über einem ostinanten Baß darstellt, für den Abschluß eines Variationswerkes besonders prädestiniert. Diese Passacaglia ist nun ein grandioses Beispiel der kontrapunktischen Kunst Brahms’. Was sich hier an satztechnischen Fein heiten ergibt, ist schier unglaublich. Doch machen sich diese Künste niemals selbständig, sind nie nur Form, sondern dienen stets dem Inhalt, der in der zwanzigmaligen Wiederholung des Osti- natobasses immer wieder neue Belichtungen erfährt. Nach einer verhaltenen kurzen Episode bricht sich der Schluß jubelnd Bahn. Reinhard Schau LITERATURHINWEISE: Eismann: Rob. Schumann (Leipzig 1956) Bücken: Ludw. v. Beethoven (Potsdam 1934) Burkhardt: Brahms, Führer durch seine Werke (Berlin) Mitteilungen Im 4. Kammermusikabend am 19. März 1963 kommen Werke von Mozart und Bartdk sowie das Streichquartett „Aus meinem Leben“ von B. Smetana zur Aufführung. In einem Sonderkonzert an beiden Osterfeiertagen (14. und 15. April) spielt Jörg Demus, Wien, das erste und dritte Klavierkonzert von Beethoven. Weiterhin steht die 8. Sinfonie F-Dur von Ludwig van Beethoven auf dem Programm. Das 8. Außerordentliche Konzert wird am 23. und 25. April 1963 nachgeholt. Als Solistin wurde Natalia Karp, London, verpflichtet. Auf dem Programm stehen C. Frank: Sinfonische Variationen, Fr. Chopin: Klavierkonzert f-Mcll, und die 3. Sinfonie von Joh. Brahms. Das 15. Heinrich-Schütz-Fest der internationalen Heinrich-Schütz-Gesellschaft findet im April 1963 in Zürich statt. Neben Werken von Schütz und seinen Zeitgenossen werden Frank Martins „Golgatha“ und die „Psalmen sinfonie“ von Strawinski aufgeführt. Karl Amadeus Hartmann wurde von einer amerikanischen Universität die Würde eines Ehrendoktors verliehen. Seine 8. Sinfonie erlebt im Rahmen der Biennale von Venedig ihre italienische Erstaufführung. Prof. Heinz Bongartz hat die Arbeit an seiner 1. Sinfonie beendet. Das Werk wird voraussichtlich im Rahmen der Berliner Festwochen zur Uraufführung gelangen. Prof. Wilhelm Kempff hat zugesagt, in der nächsten Konzertsaison zwei Konzerte mit der Dresdner Philharmonie zu geben sowie ein weiteres Konzert in Potsdam. 8. Philharmonisches Konzert 1962/63 6057 Ra III 9 5 363 2 ItG 009 14 63